Ein Paradigmenwechsel in der deutschen Verteidigungspolitik?

Entscheidend für die Neuorientierung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den vergangenen anderthalb Jahren war ein Ereignis, das gar nicht in diesen Zeitraum fällt. Wenn nicht Ursache, so doch Auslöser eines neuen Denkens waren die Terroranschläge in den USA vom 11. September 2001. Dieses Dossier zeichnet nach, inwiefern sich die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der Folge dieses einschneidenden Ereignisses gewandelt hat. Drei Bereiche, in denen sich die Neuorientierung besonders deutlich niederschlägt, stehen dabei im Mittelpunkt: die konzeptionelle und strategische Ausrichtung, Auslandseinsätze sowie die Reform der Streitkräfte. Alle drei Bereiche hängen naturgemäß eng miteinander zusammen. Dabei spielte die internationale Einbettung der Bundesrepublik eine besondere Rolle. Auslandseinsätze der Bundeswehr sind fest in multinationale Strukturen integriert. Damit hängt zusammen, dass auch ein bedeutender Anteil der konzeptionellen Vorgaben deutscher Verteidigungspolitik zunächst auf internationaler Ebene (in EU und NATO) formuliert wird, um erst in der Folge auf den nationalen Bereich "durchzusickern". Seit 2001 hat sich die Zahl und Qualität deutscher Beteiligungen an Militäroperationen rapide gewandelt. Heute geht die Bundesregierung davon aus, dass deutsche Sicherheit potentiell überall auf der Welt verteidigt werden müsse. Somit hat sich der deutsche Verteidigungsbegriff in geografischer wie in funktionaler Hinsicht ausgeweitet. Die Bekämpfung des Terrorismus und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ist als neues Aufgabenfeld hinzugekommen. Die neuen Anforderungen haben schließlich auch Folgen für die Struktur der Bundeswehr und für die allgemeine Wehrpflicht. Eine Armee, die in Zukunft verstärkt gefordert sein wird, jetzt aber schon mit 8000 Soldaten im Einsatz an ihre Grenzen stößt, erscheint in ihrer jetzigen Verfasstheit nicht in der Lage, den strategischen Vorgaben gerecht zu werden.

Von Daniel Kirch |
    Strategie

    Im Bereich der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind in den vergangenen anderthalb Jahren wichtige strategische Entscheidungen getroffen worden. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien des Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2003 stellen dabei so etwas wie die nationale Fortschreibung von Entwicklungen dar, die auf NATO- und EU-Ebene ihren Anfang genommen haben. Daher gilt es zunächst, auf den internationalen Kontext einzugehen.

    Prager NATO-Gipfel: Weltweite Einsätze der NATO Response Force

    Das transatlantische Bündnis hat auf seinem Gipfeltreffen am 21./22. November 2002 in Prag nicht nur sieben Staaten des früheren Ostblocks zur Mitgliedschaft eingeladen. Für die Zukunft des Bündnisses mindestens ebenso bedeutsam sind die strategischen Entscheidungen, die in Prag getroffen und in einer Gipfelerklärung zusammengefasst wurden. Priorität hat demnach der Schutz von Staatsbürgern und Territorium der Bündnispartner vor Gefahren, "aus welcher Richtung diese Herausforderungen auch kommen mögen". Im Mittelpunkt stehen dabei die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Hier ist die starke geografische und funktionale Ausweitung des Verteidigungsbegriffs bereits angelegt. Auf Initiative der USA beschlossen die Staats- und Regierungschefs die Aufstellung von NATO-Reaktionskräften (NATO Response Force, NRF), die 21.000 Man umfassen und nach Beschluss des NATO-Rates innerhalb kürzester Zeit an jedem Ort der Welt einsetzbar sein sollen, um Konflikte und Gefahren einzudämmen. Erstmals stimmt die NATO damit Einsätzen außerhalb Europas zu. Die Bundesregierung hatte die NRF-Initiative unterstützt, jedoch drei Bedingungen für eine deutsche Beteiligung gestellt: Einsätze der NRF sollten erstens nur nach Beschlussfassung des NATO-Rates, und zweitens nur nach vorheriger Zustimmung des Bundestages erfolgen können. Drittens war der Bundesregierung wichtig, dass die NRF mit dem Aufbau europäischer Krisenreaktionskräfte im Rahmen der ESVP vereinbar ist.

    Ebenfalls in Prag einigten sich die Mitgliedsstaaten im sogenannten Prague Capabilities Commitment darauf, die Fähigkeiten der NATO in den Bereichen Abwehr von Massenvernichtungswaffen, Informationskriegführung, gemeinsame Ausführung von Aufträgen sowie schnelle Verlegung von "durchhaltefähigen" Einsatzverbänden zu verbessern. Für letzteren Bereich hat Deutschland den Vorsitz einer Arbeitsgruppe übernommen.
    Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) der Europäischen Union

    Auf europäischer Ebene wurde seit Herbst 2002 weiter an der Vertiefung einer gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gearbeitet. Bereits 1999 hatte der Europäische Rat in Helsinki die Aufstellung einer schnellen EU-Eingreiftruppe bis Ende 2003 beschlossen, um in Krisensituationen angemessen reagieren und einen eigenen Beitrag zur dauerhaften Befriedung von Krisenregionen leisten zu können. Diese Truppe soll mit 60.000 Mann deutlich größer sein als die NATO Response Force und innerhalb von 60 Tagen in Krisenregionen einsetzbar sein. Bei eigenständigen Militäroperationen wird sie auf militärische Strukturen und Planungskapazitäten der NATO zurückgreifen können. Darauf einigten sich EU und NATO im März 2003 im so genannten "Berlin-Plus-Abkommen".

    Der Irak-Krieg riss nicht nur im transatlantischen Verhältnis neue Gräben auf (vgl. hierzu das Dossier von Mario Stumm)- auch innerhalb der EU traten verstärkt Differenzen zu Tage. So wurde ein Treffen der Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg am 29. April in einem Brüsseler Vorort ("Pralinengipfel") vielerorts als "Gipfel der Kriegsgegner", der sich vor allem gegen die USA wende, kritisiert. In der Abschlusserklärung schlugen die Regierungschefs u.a. vor, ein europäisches Hauptquartier für die Planung und Führung von militärischen Operationen der EU einzurichten. Für diejenigen EU-Mitgliedsstaaten, die raschere Fortschritte bei der gemeinsamen Verteidigungspolitik erreichen und auf diesem Gebiet stärker kooperieren wollen, sollte in der Europäischen Verfassung eine vertiefte verteidigungspolitische Integration in Form einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion (ESVU) vorgesehen werden. Die ESVU hatten Außenminister Fischer und sein französischer Kollege de Villepin bereits zuvor gemeinsam im Rahmen des Konvents vorgeschlagen. Sowohl die Idee des Hauptquartiers als auch jene der verteidigungspolitischen "Avantgarde" stieß auf den Widerstand Großbritanniens.

    Erst bei einem Dreier-Gipfel von Deutschland, Frankreich und Großbritannien am 20. September 2003 in Berlin konnten die Differenzen großteils ausgeräumt werden. Blair einigte sich mit Chirac und Schröder auf eine abgespeckte Version des Hauptquartiers, wonach bei der NATO lediglich eine EU-Planungszelle installiert und der bestehende EU-Militärstab ausgebaut werden sollte. Der Kompromiss sah auch eine Avantgarde vor, allerdings nur mit Zustimmung des EU-Ministerrats Der deutsch-britisch-französische Kompromiss fand schließlich Ende November 2003 die Zustimmung der EU-Außenminister und findet sich zu wesentlichen Teilen auch im Verfassungsentwurf, der im Juli 2003 vom Konvent und ein knappes Jahr später vom EU-Gipfel in Dublin angenommen wurde.

    Bereits im Dezember 2003 verabschiedeten die Staats- und Regierungschef die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) unter dem Titel "Ein sicheres Europa in einer besseren Welt". Die ESS, die auf einem Papier des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspoltik der EU, Javier Solana, basiert, identifiziert fünf Hauptbedrohungen: internationaler Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, Scheitern von Staaten ("failing states") und organisierte Kriminalität. Drei strategische Ziele werden formuliert: Zentral ist, erstens, auch hier wieder eine starke geografische und funktionale Ausweitung des Verteidigungsbegriffs: "Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen." Die Staats- und Regierungschef folgern aus der veränderten Bedrohungslage die Notwendigkeit, präventiv (Deutschland setzte den Begriff "preventive" gegen "preemptive" durch, um die Priorität ziviler Maßnahmen zu unterstreichen) gegen eine Bedrohung vorzugehen. Das heißt, dass mithin auch militärische Präventivschläge nicht mehr ausgeschlossen werden. Deutschland hatte sich vor allem dafür eingesetzt, dass der Sicherheitsbegriff umfassend definiert wurde, also diplomatische, handels- und entwicklungspolitische Maßnahmen mit einschließt. Die Anwendung militärischer Gewalt wird lediglich als ultima ratio Instrument angesehen. Zweites strategisches Ziel der EU ist die Sicherheit in Europas geografischer Nachbarschaft, also vor allem auf dem Balkan. Drittens strebt die EU die Stärkung einer multilateralen Weltordnung mit den UN als Zentrum an (Stichwort "effective multilateralism"). Die Bundesregierung hatte sich dafür stark gemacht, die Verantwortung des UN-Sicherheitsrates für den Frieden besonders hervorzuheben.

    Um die Handlungsfähigkeit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch in der Praxis unter Beweis zu stellen, hat die Europäische Union zwei militärische und zwei zivile Missionen durchgeführt. Auch diese Entwicklung wurde von der Bundesregierung unterstützt. Der erste Einsatz dieser Art war die Polizeimission (EUPM) in Bosnien-Herzegowina, die im Januar 2003 von den Vereinten Nationen übernommen wurde. Die Mission "Concordia" in Mazedonien, bei der rund 350 Soldaten zum Einsatz kamen, wurde im März 2003 von der NATO übernommen und im Dezember des gleichen Jahres beendet. Hierbei handelte es sich um den ersten eigenständigen Einsatz im Rahmend der ESVP überhaupt (wenn auch noch unter Rückgriff auf NATO-Mittel). Kurz darauf wurde die Operation in eine EU-Polizeimission umgewandelt. Der erste EU-Einsatz außerhalb Europas war die Mission "Artemis" im Kongo. Sie stützte sich nahezu vollständig auf militärische Strukturen Frankreichs. Verteidigungsminister Struck betonte: "Der Einsatz entspricht unserem Ziel, die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union in der Außen- und Sicherheitspolitik fortzuentwickeln, damit Europa seine Verantwortung für die europäische und globale Sicherheit stärker wahrnehmen kann." Ein weiterer wichtiger Schritt wird die Führung der SFOR-Mission in Bosnien sein. Die NATO, die derzeit das Kommando führt, erteilte auf ihrem Istanbuler Gipfel Ende Juni 2004 ihre Zustimmung zur Übernahme durch die EU.

    Verteidigungspolitische Richtlinien

    "Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt" - dieser viel zitierte Satz von Verteidigungsminister Peter Struck findet sich zwar wörtlich nicht in den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) vom 21. Mai 2003. Aber im Grundsatz ist genau dies die Kernaussage des Dokuments. "Unsere Sicherheit wird in Deutschland, in Europa, aber auch immer mehr an anderen Stellen dieser Erde verteidigt", begründet Struck die Neufassung in seinem Vorwort. An anderer Stell heißt es dann: Einsätze ließen sich "weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen. Der politische Zweck bestimmt Ziel, Ort, Dauer und Art des Einsatzes".

    Die Analyse der derzeitigen Bedrohungslage ähnelt stark jener von NATO und EU: Deutschland drohe Gefahr vor allem durch den internationalen Terrorismus, auf den in den VPR in sechs von acht Kapiteln explizit eingegangen wird, ebenso durch die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, wobei eine mögliche Weitergabe an nichtstaatliche Akteure, beispielsweise Terroristen, eine besondere Gefahr darstelle, und die Verwundbarkeit durch eine auf Informationstechnik basierte Kriegführung. Neu ist, dass eine Bedrohung des deutschen Territoriums durch konventionelle Streitkräfte wie zu Zeiten des Kalten Krieges in absehbarer Zeit nahezu ausgeschlossen wird. Stattdessen wird der Begriff der Landesverteidigung ausgeweitet: Sie bedeute "die Verhütung von Konflikten und Krisen, die gemeinsame Bewältigung von Krisen und die Krisennachsorge" und soll folglich überall in der Welt stattfinden. Einsätze der Bundeswehr sind gemäß den VPR jedoch nur im Auftrag der Vereinten Nationen oder zusammen mit Verbündeten im Rahmen von EU oder NATO vorstellbar (mit Ausnahme von Evakuierungsmaßnahmen). Daraus folgt für die Streitkräfte, dass Sie noch schneller verfügbar, durchhaltefähiger und kompatibler mit den Standards der Verbündeten sein müssen.

    Auslandseinsätze

    Seit dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung im Herbst 1998 hat sich nicht nur die Zahl der im Ausland eingesetzten Bundeswehr-Soldaten deutlich - von knapp 3000 auf zeitweise rund 10.000 Soldaten (Mitte Juni 2004 waren es noch 7200)- erhöht (aktuelle Einsatzzahlen). Auch die Qualität der Einsätze hat sich geändert. Bis vor wenigen Jahren stand robustes Peacekeeping auf dem Balkan im Vordergrund - im Wesentlichen wurden diese Einsätze noch von der alten Bundesregierung unter Helmut Kohl beschlossen. Die Einsätze, die unter dem Stichwort "Bekämpfung des Terrorismus" subsumiert werden können, begannen hingegen während Schröders Amtszeit. Hier wird ein erster qualitativer Unterschied sichtbar: Das Ziel ist nicht mehr die Stabilisierung einer europäischer Region, sondern die Bekämpfung potenzieller Gefahren außerhalb Europas (Afghanistan, Horn von Afrika), wobei erstmals auch Kampftruppen am Boden zum Einsatz kamen. Seit 2003 sind Einsätze der EU hinzugekommen - kleinere Missionen in Europa und Afrika, mit denen die Handlungsfähigkeit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik - nicht zuletzt gegenüber den USA - demonstriert werden soll.

    Die "Altlasten" auf dem Balkan: SFOR und KFOR

    Im Rahmen der Stabilization Force (SFOR) sind rund 1150 deutsche Soldaten in Bosnien-Herzegowina im Einsatz. Sie sind Teil einer etwa 12.000 Mann starken internationalen Truppe, die gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Volksgruppen verhindern soll, sowie die Bewegungsfreiheit der Schutztruppe, von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen gewährleistet. Der UN-Sicherheitsrat hat den Einsatz im Juli 2003 um zwölf Monate verlängert. Der Bundestag, der Auslandseinsätzen grundsätzlich immer zustimmen muss, hatte 1998 den Einsatz unbefristet mandatiert.

    Auf ihrem Treffen in Kopenhagen im Dezember 2003 boten die Staats- und Regierungschefs der EU der NATO an, die Mission ab Ende dieses Jahres unter Rückgriff auf NATO-Fähigkeiten zu übernehmen. NATO und EU stimmten dem im Juni bzw. Juli 2004 zu - aus SFOR wird zum Jahreswechsel "Athea".

    Einen ähnlichen (Stabilisierungs-) Auftrag erfüllt die Kosovo Force (KFOR), bei der die Bundeswehr mit rund 3900 Soldaten der größte Truppensteller ist. Ihre Aufgabe ist es, den Aufbau eines multi-ethnischen und demokratischen Kosovo militärisch abzusichern sowie Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern zu verhindern. "Niemand kann ein Interesse an einem 'failed state’ als Hort organisierter Kriminalität und als Ausgangspunkt regionaler Destabilisierung haben", sagte Struck anlässlich der Verlängerung des Mandats im Mai 2004. Im März dieses Jahres kam es in der ethnisch geteilten Stadt Kosovska Mitrovica trotz KFOR-Präsenz zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Bundeswehr erhöhte auf Bitten der NATO ihr Kontingent um ein 600 Soldaten. Angesichts der neuerlichen Unruhen rechnet Verteidigungsminister Struck nicht damit, dass das geplante Ende der Mission im Jahr 2006 noch realistisch ist: "Wir werden deutlich länger bleiben müssen.".

    Bekämpfung des internationalen Terrorismus: "Enduring Freedom" und ISAF

    Die Operation "Enduring Freedom" (OEF) hat eine andere Qualität als die Missionen auf dem Balkan. In geografischer Hinsicht symbolisiert sie die enorme Ausweitung des Verteidigungsbegriffs, die in jüngster Zeit stattgefunden hat. Auch mit Blick auf das Aufgabenspektrum war dieser Einsatz außergewöhnlich. Erstmals waren mit Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) deutsche Bodenkampftruppen im Einsatz, um Al-Quaida- und Taliban-Anhänger zu bekämpfen. Über ihre Stärke gibt die Bundesregierung keine Auskunft. Der Bundestag hatte 2001 den Einsatz von bis 100 Spezialkräften gebilligt. Wo genau sie im Einsatz waren oder möglicherweise immer noch sind, ist nicht bekannt.

    Die OEF umfasst ferner den Einsatz von rund 250 deutschen Soldaten, die am Horn von Afrika stationiert sind. Der Auftrag der deutschen Seestreitkräfte dort ist die Überwachung des Seeraumes in der Region und der Schutz der Seeverbindungen. Dazu gehört in erster Linie, den Transport von Personen und Gütern (Waffen, Munition, Drogen, etc.), die der Unterstützung des internationalen Terrorismus dienen, zu unterbinden.

    Darüber hinaus besteht der deutsche OEF-Beitrag aus bis zu 250 Sanitätskräften, die mit den "fliegenden Intensivstationen" (Airbus A-310) bereitgehalten werden, um verletzte und kranke Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte zu versorgen und auszufliegen. Die seit Februar 2002 im Rahmen der OEF in Kuwait stationierten ABC-Abwehrkräfte (59 Mann, sechs Spürpanzer "Fuchs") wurden am 4. Juli 2003 wieder abgezogen. Sie hatten die Aufgabe, die in dem Golfstaat stationierten Anti-Terror-Kräfte von verbündeten Staaten vor terroristischen oder militärischen Angriffen mit Massenvernichtungswaffen zu schützen. Für die Dauer des Irak-Krieges - vom 21. März bis Anfang Mai 2003 - verstärkte die Bundesregierung das Kontingent zum Schutz der eingesetzten Kräfte auf knapp 200 Mann. Einen Zusammenhang des Einsatzes mit dem Krieg wurde seitens der Bundesregierung jedoch immer dementiert. Trotzdem kamen die Spürpanzer mehrfach zum Einsatz, als sie irakische Raketen, die auf Kuwait abgefeuert wurden, untersuchten. Die Bundesmarine beteiligt sich schließlich auch an der NATO-Operation "Active Endeavour"; die organisatorisch zur OEF gehört. Sie dient der Überwachung des Schiffsverkehrs im östlichen Mittelmeer sowie seit dem 4. März 2003 auch der Strasse von Gibraltar. Insgesamt und über alle Teilmissionen hinweg hat der Bundestag den Einsatz von bis zu 3100 Soldaten im Rahmen der Operation Enduring Freedom gebilligt.

    Nach dem Sturz der Taliban hilft die International Security Assistance Force (ISAF) mit rund 2000 deutschen Soldaten der afghanischen Interimsregierung bei der Herstellung der inneren Sicherheit. Seit 2003 wird die Schutztruppe von der NATO geführt. Für das Bündnis ist es der erste Einsatz außerhalb Europas. Vor der NATO hatten Deutschland und die Niederlande gemeinsam die 'Führungs-Funktion’ inne.

    Abgesehen von einzelnen Unglücksfällen auf dem Balkan hatte die Bundeswehr im Rahmen von ISAF zum ersten Mal größere Verluste zu beklagen: Beim Absturz eines Transporthubschraubers im Dezember 2002 kamen sieben deutsche Soldaten ums Leben. Im Juni 2003 starben bei einem Sprengstoffanschlag auf einen deutschen Bundeswehr-Bus in Kabul vier Soldaten, 29 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Es sei alles für die Sicherheit der Soldaten notwendige getan worden, versicherte Verteidigungsminister Struck. Die Verlegung von schweren Panzern, wie von Unionspolitikern gefordert, lehnte er ab.

    Für die Bundeswehr blieb es nicht beim Einsatz in Kabul. Die Bundesregierung übernahm ab Juni 2003 das amerikanische Konzept der so genannten "Provincial Reconstruction Teams" (PRT). In diesen PRTs arbeiten Soldaten und zivile Aufbauhelfer zusammen; um so genannte "Inseln der Stabilität" jenseits der afghanischen Hauptstadt zu schaffen. Daraufhin stimmte der Bundestag dem Antrag der Bundesregierung, der den Einsatz von bis zu 450 deutschen Soldaten im nordafghanischen Kunduz vorsieht, zu. Die PRTs stehen wie der Einsatz in Kabul unter dem Kommando der NATO. Die Bundesregierung plant nun, gemeinsam mit den Niederlanden ein zweites PRT nach Afghanistan zu entsenden - diesmal nach Faisabad in der Region Badakshan. Wann genau dies geschehen wird, ist noch unklar. In Istanbul beschloss die Allianz, insgesamt vier weitere Wiederaufbauteams zu schaffen.

    Einsätze im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik

    Die Operation "Concordia" in Mazedonien war die erste Mission unter Führung der Europäischen Union. Sie begann am 31. März (als Nachfolgerin der NATO-Mission "Allied Harmony") und endete am 15. Dezember 2003. Der Bundestag beschloss im März die Entsendung von bis zu 70 deutschen Soldaten. Sie waren Teil einer 350 Mann starken Truppe. Ziel des Einsatzes war laut Bundesregierung, "das Risiko weiterer Destabilisierung zu minimieren, Unterstützung für den gegenwärtigen politischen Prozess und die staatlichen Institutionen Mazedoniens zu demonstrieren und zur Aufrechterhaltung eines Umfeldes beizutragen, das ein friedliches Zusammenleben aller ethnischen Gruppen und die politische Stabilität des Landes fördert."

    An der Operation "Artemis" im Kongo beteiligte sich die Bundeswehr eher symbolisch. Sie übernahm Unterstützungsleistungen vom ugandischen Entebbe aus und entsandte zwei Verbindungsoffiziere ins französische Hauptquartier nach Paris. "Artemis" war die zweite eigenständige EU-Mission überhaupt und die erste, die ohne Rückgriff auf NATO-Fähigkeiten auskam. Eine Woche nach der Verabschiedung einer Resolution des Weltsicherheitsrates, die die Entsendung einer multinationalen Eingreiftruppe billigte, bot die EU am 5. Juni 2003 die Übernahme der Operation an. Im Nordosten Kongos war es zuvor zu Kämpfen zwischen verfeindeten Stämmen und Massakern an der Zivilbevölkerung gekommen. "Wir stehen einmal mehr vor einer humanitären Katastrophe, vor der die zivilisierte Welt die Augen nicht verschließen kann und nicht verschließen darf", begründete Verteidigungsminister Peter Struck die deutsche Beteiligung. Der Bundestag stimmte am 18. Juni der Entsendung von bis zu 350 deutschen Soldaten zu - zum Einsatz kam jedoch nur etwa ein Zehntel davon. Sie hatten auf dem Versorgungspunkt Entebbe/Uganda den Auftrag, den Lufttransport von Deutschland mit Transportflugzeugen vom Typ C-160 Transall zu betreiben. Außerdem stand in Deutschland ein zur Intensivstation umfunktionierter Airbus mit 60 Soldaten bereit, der jedoch nicht zum Einsatz kam. Deutschen Soldaten war gemäß Bundestagsbeschluss das Betreten des kongolesischen Staatsgebietes nur zur Rettung oder Evakuierung erlaubt - dazu kam es aber nicht. Der Einsatz wurde am 1. September 2003 beendet.

    Entsendegesetz

    Die neue Bedrohungslage sowie die genanten Weichenstellungen auf transatlantischer, europäischer und nationaler Ebene stellen auch neue Anforderungen an die sicherheitspolitischen Entscheidungsprozesse in der Bundesrepublik. Die Beschlussfassung im Bundestag über die Entsendung von Soldaten im Rahmen eines normalen Gesetzgebungsverfahrens nimmt jedoch mehrere Tage in Anspruch - sie dauert damit nicht nur länger als bei den meisten Verbündeten in EU und NATO, sondern könnte insbesondere bei Einsätzen der NATO Response Force, die schon nach fünf Tagen weltweit einsatzfähig sein soll, zu langwierig sein. Aus diesem Grund schlug Verteidigungsminister Struck im Herbst 2003 vor, die Entscheidung über die Entsendung deutscher Truppen in bestimmten Fällen einem Bundestagsgremium zu übertragen, das innerhalb eines Tages entscheiden könne. Nach Protesten der Grünen rückte Struck von seinem Vorschlag wieder ab. Um die Befugnisse des Parlaments in Sachen Truppenentsendung genau festzulegen, haben sich SPD und Grüne auf den Entwurf für ein Parlamentsbeteiligungsgesetz ("Entsendegesetz") geeinigt, den sie am 27. November 2003 in den Bundestag eingebracht haben. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr bereits 1994 den Abgeordneten nahe gelegt, die Einzelheiten in einem Gesetz zu regeln. Noch ist das Gesetz nicht beschlossen. Der Entwurf sieht vor, dass es grundsätzlich bei der Zustimmungspflicht des Parlaments bleibt, wenn bewaffnete deutsche Soldaten in einen Auslandseinsatz geschickt werden. Ausnahmen gibt es lediglich dann, wenn "Gefahr im Verzug" ist. Neu wäre hingegen das veränderte Zustimmungsverfahren bei "Einsätzen von geringer Intensität und Tragweite", zum Beispiel die Entsendung von Erkundungsteams oder von einzelnen Soldaten im Rahmen eines Auftrages der Vereinten Nationen. In diesen Fällen soll das Prinzip der "stillen Zustimmung" gelten. Wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach einem entsprechenden Antrag der Bundesregierung fünf Prozent der Bundestagsabgeordneten eine förmliche Befassung des Bundestages fordern, gilt die Zustimmung als erteilt. Dem Bundestag soll außerdem ein Rückholrecht eingeräumt werden. Ob das Parlament diese Befugnis jetzt schon hat, ist bislang noch umstritten. Auch die Liberalen haben einen Gesetzentwurf vorgelegt; er sieht die Einrichtung eines "Ausschusses für besondere Auslandseinsätze" vor.

    Bundeswehr-Reform

    Neue Anforderungen erfordern neue Strukturen - so könnte man die Essenz für die Bundeswehr-Reform kurz umschreiben. Als "Armee im Einsatz", die - so sehen es die Verteidigungspolitischen Richtlinien vor - keinen Landkrieg auf eigenem Territorium mehr zu fürchten hat, muss sich die Bundeswehr grundlegend wandeln. Sie muss in die Lage versetzt werden, die neuen strategischen Vorgaben im Ernstfall auch konsequent in militärisches Handeln umsetzen zu können. Beim Umbau spielen Personal, Standorte und Struktur eine wichtige Rolle. Zum Personalumfang gehören auch die Wehrpflichtigen. In der öffentlichen Auseinandersetzung nimmt die Debatte um die Zukunft der Wehrpflicht eine herausgehobene Stellung ein.

    Reformen der Bundeswehr sind keine Besonderheit der vergangenen Jahre. Schon in 1990er Jahren, genauer gesagt mit dem Weißbuch 1994, beschloss die Bundesregierung eine Aufteilung der Streitkräfte in schnell verlegbare Krisenreaktionskräfte für Auslandseinsätze im Umfang von 37.000 Mann, Hauptverteidigungskräfte für die klassische Landesverteidigung und die Militärische Grundorganisation. Diese Aufteilung wird im Zuge der Bundeswehr-Reform in den kommenden Jahren überarbeitet werden.


    Personal und Standorte

    SPD und Grüne einigten sich 2002 im Koalitionsvertrag darauf, Auftrag, Struktur, Ausrüstung und Mittel "in ein ausgewogenes Verhältnis" zu bringen. Finanzielle Engpässe und Vorgaben der Politik auf nationaler und internationaler Ebene haben den Transformationsprozess seither stark beeinflusst. Die Bundeswehr wurde von Hans Eichels Sparkurs nicht ausgenommen. Der Verteidigungsetat sollte zunächst bis 2006 zunächst bei 24,4 Mrd. Euro eingefroren werden und ab 2007 dann auf 25,2 Mrd. Euro erhöht werden. Allerdings wurden in diesem Jahr die Summen etwas nach unten korrigiert.

    Eingeleitet wurde die Reform der Streitkräfte mit den Vorschlägen der Weizsäcker-Kommission vom 23. Mai 2000. Die Kommission schlug die Vergrößerung der Einsätzkräfte auf 140.000 Mann bei einem Gesamtumfang der Bundeswehr von 240.000 Mann (30.000 Grundwehrdienstleistende). Am gleichen Tag legte der damalige Generalsinspekteur von Kirchbach sein Eckwerte-Papier vor, in dem er eine Stärke von 290.000 Mann forderte, darunter 157.000 Einsatzkräfte und 84.000 Grundwehrdienstleistende. Wenig später verabschiedete das Kabinett die Reformvorgabe von Scharping ("Erneuerung von Grund auf"), die eine Verringerung der Personalstärke von 340.000 auf 288.000 Mann (77.000 statt 135.000 Grundwehrdienst leistende) vorsah Damit waren die weitergehenden Vorschläge der Weizsäcker-Kommission zunächst in den Hintergrund gerückt.

    Die rot-grüne Bundesregierung hat die Reform in den vergangenen Jahren weiterentwickelt: Der Personalumfang der Bundeswehr wird ab 2010 sogar nur noch 250.000 Mann betragen. Verteidigungsminister Struck legte dies am 1. Oktober 2003 in einer Weisung fest. 2004 entschied Struck dann, dass die Soldaten ab 2010 in drei Kräftekategorien eingeteilt werden: Die Eingreifkräfte (35.000 Mann) sind u.a. für friedenserzwingende Maßnahmen vorgesehen. Sie werden modern ausgerüstet und bestehen aus reaktionsfähigen Land-, Luft- und Seestreitkräften. Eingesetzt werden sie im Rahmen der NATO Response Force und weiterer NATO- bzw. EU-Operationen. Aufgabe der Stabilisierungskräfte (70.000 Mann) ist hingegen vor allem das Spektrum der friedensstabilisierenden Maßnahmen (u.a. klassische Blauhelmeinsätze) - also beispielsweise das Überwachen von Waffenstillstandsabkommen, die Trennung von Konfliktparteien, kurzum Einsätze wie diejenigen auf dem Balkan. Die dritte Kategorie bilden die Unterstützungskräfte (137.500 Mann), die für den Grundbetrieb der Bundeswehr zuständig sind, zu dem auch die Ausbildung gehört. Über weitere 10.000 Soldaten kann der Generalinspekteur verfügen. Ferner wurde der Generalinspekteur in Strucks Weisung beauftragt, zu überprüfen, auf welche Standorte in Zukunft verzichtet werden kann. Schon 2001 ließ Scharping ein Stationierungskonzept erarbeiten, das eine Reduzierung auf 505 Standorte vorsah und bis 2006 umgesetzt werden soll. Dieses wird nun nachgebessert: Im Januar 2004 gab Struck bekannt, dass neben den geplanten Schließungen weitere 100 Standorte geschlossen werden sollen. Rücksicht auf strukturschwache Regionen wird es dabei nicht mehr geben.

    Bemerkbar machen sich der Transformationsprozess und die Einsparungen nicht nur bei Personalstärke und Standorten, sondern auch bei Rüstungsprojekten. Im Dezember 2002 kündigte Minister Struck Stückzahlreduzierungen bei mehreren Rüstungsprojekten an, zum Beispiel beim Kampfhubschrauber Tiger, beim Marinehubschrauber MH-90 und bei mehreren Waffensystemen. Auch beim wichtigsten Rüstungsprojekt der Bundeswehr, dem Großraumtransportflugzeug Airbus A-400 M, wurden Abstriche gemacht: Statt wie anfangs geplant 73 werden jetzt nur noch 60 Stück für insgesamt 8,3 Mrd. Euro beschafft. Um mehr Geld für Investitionen in Ausrüstung und Waffentechnologien zur Verfügung zu haben, begann bereits Scharping damit, die Streitkräfte stärker als bisher betriebswirtschaftlich auszurichten und Aufgaben der Bundeswehr mit hohen Fixkosten zu privatisieren. Dazu hat das Verteidigungsministerium ein Unternehmen (g.e.b.b.) gegründet, dessen alleiniger Gesellschaft es ist. Betroffen vom "Outsourcing" sind mittlerweile das Fuhrpark- und das Bekleidungsmanagement sowie die Entwicklung und Vermarktung nicht mehr benötigter Liegenschaften. Die Erfolge der GEBB mit Blick auf neue Investitionsspielräume blieben jedoch bisher hinter den gesteckten Erwartungen zurück.

    Während die SPD den Kurs ihres Verteidigungsministers stützt, geht die Reform dem grünen Koalitionspartner nicht weit genug. Er fordert die Umwandlung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee mit nur noch 200.000 Soldaten. Auch die FDP sieht weiteren Handlungsbedarf: Die Liberalen sind der Meinung, dass eine Armee mit 240.000 Mann ohne Wehrpflichtige, dafür aber mit 30.000 Kurzzeitsoldaten mit einer Verpflichtungszeit von zwölf bis 24 Monaten den Erfordernissen am besten entspricht. Die Union spricht sich hingegen für eine Armee mit 300.000 Mann - davon einem Drittel Wehrpflichtigen - aus. Sie bemängelt, dass bei der Reform der Streitkräfte die Landesverteidigung zu wenig berücksichtigt werde. Zum Heimatschutz sollen nach Auffassung der CDU/CSU künftig in besonderen Fällen auch Soldaten im Innern des Landes eingesetzt werden können. Sowohl Union als auch FDP mahnen die ihrer Meinung nach zu geringe finanzielle Ausstattung des Reformprozesses an.

    Die Debatte um die Wehrpflicht

    Lange Zeit galt die Wehrpflicht in Deutschland aus historischen, strategischen und personalpolitischen Gründen als unantastbar. Bis auf die Grünen und die PDS bildeten in allen relevanten Parteien die Wehrpflicht-Gegner eine kleine Minderheit. Unter dem Eindruck der neuen Bedrohungslage und der neuer Aufgaben der Streitkräfte, aber auch vor dem Hintergrund des Problems der Wehrgerechtigkeit, wächst die Zahl der Gegner. Noch in ihren Wahlprogrammen 2002 trafen die Parteien höchst unterschiedliche Aussagen zu dem Thema: SPD und die Unionsparteien sprachen sich aus unterschiedlichen Gründen für die Beibehaltung der Wehrpflicht aus, während Grüne und FDP ihre Abschaffung forderten. Im Koalitionsvertrag vom 16. Oktober 2002 vermieden SPD und Grüne verbindliche Aussagen zur Zukunft des Dienstes. Vor Ende der laufenden 15. Legislaturperiode - also bis 2006 - müsse erneut überprüft werden, ob "weitere Strukturanpassungen oder Änderungen bei der Wehrverfassung" notwendig sind, "um den sich weiterentwickelnden nationalen und internationalen Anforderungen gerecht zu werden", heißt es kurz und knapp.

    Während die Union seither mehr oder weniger geschlossen an ihrer Forderung nach Beibehaltung des Dienstes festhielt, bröckelte die Unterstützung bei den Sozialdemokraten: Zu den Wehrpflicht-Gegnern gehören neben mehreren jungen Bundestagsabgeordneten auch die Vorsitzenden großer Landesverbände. Verteidigungsminister Struck gehört hingegen zu den Verfechtern der bestehenden Wehrverfassung. Auch der Führungsstab der Streitkräfte kam in einer Untersuchung zu dem Schluss, dass die Bundeswehr auf die Wehrpflichtigen nicht verzichten könne. Seit der Bundestagswahl hat Struck mehrfach darauf hingewiesen, dass weiter mit Wehrpflichtigen geplant werde, der Dienst von neun Monaten allerdings angepasst (d.h. gekürzt) werden müsse.

    An Intensität gewann die Debatte insbesondere nach der Änderung der Einberufungskriterien durch das Verteidigungsministerium: Ab dem 1. Juli 2003 werden junge Männer, die verheiratet sind, älter als 23 Jahre oder mit dem Tauglichkeitsgrad 3 oder schlechter gemustert worden sind, nicht mehr zum Wehrdienst eingezogen. Die Gegner der Wehrpflicht argumentieren seither, mit diesem Beschluss gebe es endgültig keine Wehrgerechtigkeit mehr. Nach Ansicht von Grünen-Chefin Angelika Beer sei jede Einberufung zur "reinen Willkür" geworden. Seither nahm die Diskussion einen stark juristisch geprägten Kurs. In seinem Urteil vom 21. April 2003 bemängelte das Verwaltungsgerichts Köln ausdrücklich die Einberufungspraxis. Ob die Wehrpflicht letzten Endes bleibt, wird auch davon abhängen, ob sich Peter Struck in seiner Partei durchsetzen kann. Im kommenden Jahr wird die SPD auf einem Parteitag ihre Haltung zu der Frage klären.

    Fazit

    Dieser kurze Überblick hat verdeutlicht, wie sehr sich die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik seit dem 11. September 2001 gewandelt hat. Auf dem Gebiet der Strategie sind Entscheidungen getroffen worden, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären. Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang diese von NATO, EU und Bundesregierung getroffenen Formulierungen in Zukunft in konkrete Politik umgesetzt werden. Der Einsatz in Afghanistan stellt bereits einen Eckpfeiler des Konzepts der "Landesverteidigung auf Distanz" dar. Die Beschlüsse der vergangenen beiden Jahre gehen sogar noch weiter. Die neue Europäische Sicherheitsstrategie, die auch Deutschland mitgetragen hat, schließt ein "preventive engagement" auch im militärischen Bereich nicht mehr aus. Inwiefern die deutsche Öffentlichkeit beispielsweise vorbeugende Militärschläge gegen Terroristen unterstützen würde, ist durchaus nicht klar.

    Bereits seit Anfang der 90er Jahre hat sich Quantität und Qualität der Auslandseinsätze der Bundeswehr rapide gewandelt. Die Spanne der Entwicklungen reicht von der Beteiligung an klassischen Blauhelm-Einsätzen mit starker ziviler Komponente (beispielsweise in Kambodscha) über "robustes" Peacekeeping in Bosnien (IFOR, SFOR) bis hin zur Beteiligung an Kampfhandlungen aus der Luft (Krieg im Kosovo) und schließlich im Rahmen der Operation "Enduring Freedom" auch am Boden. Heute befindet sich die Bundeswehr nicht mehr ausschließlich in der europäischen Peripherie, sondern auch in Afrika und Zentralasien im Einsatz. Die Umstrukturierung der Bundeswehr hat ebenso begonnen. Hier dürfte aber die größte Wegstrecke noch nicht zurückgelegt sein. Zurzeit sind etwas mehr als 7000 deutsche Soldaten im Ausland - und die Bundeswehr ist offenbar schon an ihre Grenzen gestoßen. Die jüngsten Weisungen von Verteidigungsminister Struck deuten darauf hin, dass auch hier ein Umdenken stattfindet.