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Ein Portrait des amerikanischen Schriftstellers anläßlich seines 75. Geburtstags

Wenn Norman Mailer morgen in seinem Haus am Cape Cod seinen 75. Geburtstag feiert, werden ihm seine neun Kinder und auch die eine oder die andere seiner fünf Ex-Ehefrauen um den Hals fallen. Aber Gattin Nummer zwei, Adele Morales, wird der grossen Party mit Sicherheit fernbleiben. Adele hat ihr Präsent schon abgeliefert. Im vergangenen Mai, huebsch verpackt zwischen zwei Buchdeckeln mit dem Titel "The Last Party". So hat Adele Morales ihre - jetzt auch im Deutschen erschienenen - Erinnerungen an die wilden acht Jahre mit Mailer überschrieben. "The Last Party", war das berühmt-berüchtigte Besäufnis, bei dem Mailer Morales ein Messer in die Rippen jagte.

Barbara Jentzsch |
    Fast vierzig Jahre später sind dem Opfer die saftigen Details nun wieder eingefallen. Leider muß man sagen, denn Adele kann malen und kochen, doch schreiben ist nicht ihre Stärke. Wahrscheinlich brauchte sie Geld. Da ist sie nicht die einzige. Geld verdienen ist selbst für den zweifachen Pulitzerpreisträger Norman Mailer immer noch ein Thema: "Ich habe neun Kinder und bin, fürchte ich, auch deswegen berühmt, weil ich sechsmal geheiratet habe. Und das heißt, ich muß einiges an Alimenten zahlen, und die Kinder gehen oder gingen alle zum College. Ich muß einfach viel verdienen, damit der Laden läuft, und das ist in Ordnung, denn grundsätzlich halte ich mich für einen faulen Menschen. Wenn ich nicht arbeiten müßte, würde ich nicht so viel schreiben, aber letzten Endes bin ich froh, daß ich all diese Bücher geschrieben habe - auch wenn ich dabei ständig murre und knurre."

    Mit Murren und Knurren hat Mailer seine Karriere gemacht und sich den Ruf der umstrittensten Figur der amerikanischen Literatur eingeheimst. Das heißt, seine Fans halten ihn für brillant, einen geradezu genialen Chronisten der amerikanischen Szene, der sich seit Jahrzehnten in der Sache hart und intellektuell glänzend mit Amerikas politischen Krisen und kulturellen Mythen auseinandersetzt. Doch seine Widersacher sehen nur das ewige enfant terrible: einen selbstbesessenen, professionellen Exzentriker mit literarisch verbrämtem Hang zur Gewalt. Wenn diese Leute ihm dann persönlich begegneten, seien sie immer erstaunt, daß er ganz anders sei, amüsiert sich der Schriftsteller: "If I heard one remark a thousand times in my life it is that: oh, you know, you are not the least what I thought you’d be".

    Der Eindruck des Monsters kommt natürlich nicht von ungefähr. Mailer hat ja nicht nur den Weltbestseller "Die Nackten und die Toten" und in der Folge noch 28 andere Bücher geschrieben, er hat - vor allem in den sechziger Jahren - davon und dafür gelebt, die eigene Person zu vermarkten und möglichst wüste Schlagzeilen zu machen. Er lieferte Alkohol- und Drogenexzesse am laufenden Band, großmäulige Talkshowauftritte, blutige Schlägereien, Polemiken gegen Womens Lib, die Attacke auf Adele, zwei verlorene Bürgermeisterwahlen, Verhaftungen und unzählige skandalträchtige Affären. Als den Richard Nixon des kleinen Mannes hat der Schriftsteller sich einmal selbst bezeichnet. Jeder habe einen Grund gefunden ihn zu lieben oder zu hassen, soll das heißen . Wie wird man zu so einem simultanen Lust- und Haßobjekt? Mailer geht ein halbes Jahrhundert zurück. Er macht den 1948 mit "Die Nackten und den Toten" zu früh gekommenen Ruhm für seine Entwicklung verantwortlich. Er sei damals 25 gewesen. Der monumentale, über Nacht gekommene Erfolg hätte seine gesamte Vergangenheit ausgelöscht. Er habe keine Zeit gehabt, sein Talent zu entwickein. Die Kritiker hätten einen jüngeren Hemingway in ihm gesehen, und das habe ihn gezwungen, immer wieder neue Wege zu gehen.

    Im Nachschlagewerk "Readers Companion to American History" heißt es heute über "Die Nackten und die Toten" und den Autor: "Sein erster Roman war ein immenser Erfolg und ist im gleichen Maße mißverstanden worden. ‘Die Nackten und die Toten’ war weniger ein Kriegsroman als vielmehr Mailers prophetische Vision des Nachkriegs-Amerika. Das zu erkennen, heißt erkennen, daß Mailer immer eine moralische Instanz gewesen ist. Heißt verstehen, warum seine Karriere eine ständige Flucht vor der Vorhersagbarkeit war, und warum Erfolg für ihn nur bedeuten kann, sich immer wieder neu zu erfinden."

    Heute hat man Mailer die hektische Flucht vor der Vorhersagbarkeit verziehen und versteht, daß er damit der verabscheuten Heiligsprechung durch das literarische Establishment entgehen wollte. Seine im exhibitionistischen Rollenspiel markierten Fluchtversuche amüsieren eher, und es wird als persönliche Note verbucht, daß er sich in einem Selbstinterview in der New York Times einmal als "bestmöglicher Kandidat für die Präsidentschaft der literarischen Welt" angeboten hat. Für seine Rolle im sogenannten New Journalism, dem Neuen Amerikanischen Journalismus der 6oer Jahre werden ihm sogar Lorbeeren geflochten. Mailer mischte damals als erster literarische Techniken mit aktueller journalistischen Reportage und ließ - geradezu revolutionär - den Autor in der ersten Person Singular sprechen.

    Aus dieser Zeit stammt eine erfolgreiche Reihe von Büchern, zu denen unter anderem die Titel über die republikanischen und demokratischen Parteitage in Miami und Chicago gehören, der Mondflug von Apollo 11 ("Feuer auf dem Mond"), die fiktiven Erinnerungen der Marilyn Monroe, der Boxkampf zwischen Muhammed Ali und George Foreman ("Der Kampf") und, mit seinem zweiten Pulitzerpreis gewürdigt, "The Executioners Song", "Das Lied vom Henker" - die auf Tonbandaufzeichnungen beruhende wahre Geschichte des zum Tode verurteilten Mörders Gary Gilmore. Das breite Spektrum seiner Bücher kommentiert Mailer so: "Ich hatte mir von Anfang an vorgenommen, in meinen Romanen alle möglichen Erfahrungen einzuarbeiten. Es war immer mein Ehrgeiz, soviel wie möglich auszuprobieren und zu lernen. Ein Romanautor bleibt wirkungslos, wenn er sich nicht weiterentwickelt."

    Und wohin hat er sich entwickelt? Zum kühnen Jesus-Autobiografen in "The Gospel According To the Son". Mailers penetrantes Eigenlob bei Erscheinen des spektakulären Werkes im Frühjahr 97 "Ich bin einer von fünfzig oder hundert Romanschriftstellern in der Welt, die fähig sind, das Neue Testament umzuschreiben", wird von den Kritikern nicht geteilt. Ein absurder Roman. Jesus hat uns vor falschen Propheten gewarnt, heißt es da unter anderem. Früher hätte Mailer sich über solche Worte aufgeregt. Heute nicht mehr. Er sei reifer geworden, sagt er. Viele Leute würden sich beschweren, wie langweilig er heute sei. "I am much quieter now. Lot of peple are complaining now, Norman has gotten so mellow. He is boring. I am not at all the public figure that people think I am."

    Mailer langweilig? Nur weil er nicht mehr boxt, seit 17 Jahren mit Ehefrau Nummer sechs verheiratet ist und es aufgegeben hat, den oft angekündigten ‘großen’ Roman zu schreiben? Für Adele Morales, die Autorin der "Letzten Party" mag es so aussehen, aber bei Norman Mailer kann niemand wissen, womit er die Welt noch überraschen wird.

    Adele Mailer: Die letzte Party Aus dem Amerikanischen von Gabriele Burkhardt Piper Verlag, 1998, 384 Seiten, 44 Mark