Die hartnäckige Liebe war eine Einbahnstraße. Fünfzehnmal ist der Erzpreuße Adolph Menzel nach München gepilgert, doch hatte die Isarmetropole die Passion bislang nie mit einer Einzelausstellung gewürdigt. Die längst überfällige One-Man-Show in der Hypo-Kunsthalle mit ihrem stattlichen Aufgebot von 220 Gemälden, Gouachen, Zeichnungen und Skizzenbüchern hat also Premierenformat, wenn auch mit einer deutlichen Einschränkung. Durch Abwesenheit glänzen die friderizianischen Historienbilder, das monumentale "Eisenwalzwerk" und das berühmte "Balkonzimmer".
Dass Preußens nostalgisch beschworene Gloria die bajuwarische Toleranzfähigkeit überfordert hätte, kann kein Grund für die Bevorzugung des Persönlichen mit häuslichen Szenen und privaten Reiseerlebnissen sein. Denn der Geschichtsillustrator hatte der traditionellen Ruhmespflege jedes steife Pathos genommen und die überraschende Pointe ins Zentrum des politisch bedeutsamen Genres gerückt. Trotzdem muss der Alte Fritz, der bei seinem populären "Flötenkonzert" Herrschaft und Kultur so souverän vereint, mit einem Reproduktionsstich vorlieb nehmen. Statt auf die Haupt- und Staatsgemälde zielt die blau-weiße Menzel-Begeisterung auf den einzigartigen Virtuosen im malerischen und vor allem zeichnerischen Umgang mit dem flüchtigen Augenblick. Tatsächlich hat der Berliner Ausnahmekünstler mit seinen stimmungsvollen Etüden den Impressionismus vorausgeahnt, sein Verhältnis zu den französischen Modernisten sollte sich dann aber kühl und distanziert gestalten. Menzels Handhabe von Farbe und Form blieb der Tradition verhaftet, nur so konnte er seine revolutionäre Sichtweise auf das komplex gewordene Weltgeschehen unter dem Banner von Fortschritt und Wissenschaft verwirklichen.
Die unerbittliche Durchdringung der Wirklichkeit war das Projekt, das den konservativen Preußen bis ins hohe Alter in Atem hielt. "Alles Zeichnen ist gut, alles zeichnen besser": Getreu seiner vielzitierten Maxime notierte der von der Zeichenmanie behexte Realist alles, was ihm unter die Augen kam. Anekdoten berichten, dass er eine Mahlzeit nach dem Servieren erst einmal seinem Skizzenheft einverleibte, bevor er sie anschließend kalt verzehrte. Während der rauschenden Bälle im Königlichen Schloss bestieg er Stühle und Tische, um einen besseren Überblick über das Gewoge der Uniformen und Abendroben im Lichtgefunkel der kristallenen Kronleuchter zu haben. Auch das Abwegigste erschien ihm sehenswürdig, wie der haarige Kamm der Haushälterin oder das ungemachte Bettzeug auf dem Sofa. Ein zweiter Noah bevölkerte da mit lebenssprühenden Beobachtungen die Arche Preußens, bevor die Sintflut der Weltgeschichte alle Macht und Pracht in den Abgrund riss.
Zweifellos war die Furcht, etwas zu verpassen, schon zu langen Lebzeiten zwischen 1815 und 1905 mehr als berechtigt. Extreme Radikale wie Marx und Bismarck waren Zeitgenossen des detailbesessenen Fanatikers, der inmitten der boomenden und brodelnden Reichshauptstadt mit dem Bleistift Regie über die ungebärdige Realität führte. Auch hat man den Zwang zum Botanisieren und Sezieren aus Menzels Biografie und seiner unglücklichen körperlichen Konstitution hergeleitet. Der kurzsichtige, allzeit bissige und verbitterte Gnom, Amer-Leute-Kind und Autodidakt aus dem schlesischen Breslau, erkämpfte sich den sozialen Aufstieg bis zum Ritterschlag durch den Kaiser mit wütendem Fleiß und maßlosem Pflichtbewusstsein.
Die unzähligen Einzelnotizen im Wettlauf mit der neuen Medium der Fotografie muten wie der Versuch an, die Welt aus den visuellen Atomen wieder zusammenzusetzen, in die sie während der Zerfallsepoche des 19. Jahrhunderts auseinandergebrochen war. Der um sich greifenden Desorientierung im Strudel des Wertewandels entsprach Menzels Horror Vacui, das Hamstern von Zeichenkonserven für eine ungewisse Zukunft. Heute gilt die unverbundene Addition der Fragmente nicht mehr als Resignation, sondern als Tugend eines Unbestechlichen, der der rissigen Fassade seiner Zeit die beschönigende Tünche mit stoischer Nüchternheit verweigert hat.
Dass Preußens nostalgisch beschworene Gloria die bajuwarische Toleranzfähigkeit überfordert hätte, kann kein Grund für die Bevorzugung des Persönlichen mit häuslichen Szenen und privaten Reiseerlebnissen sein. Denn der Geschichtsillustrator hatte der traditionellen Ruhmespflege jedes steife Pathos genommen und die überraschende Pointe ins Zentrum des politisch bedeutsamen Genres gerückt. Trotzdem muss der Alte Fritz, der bei seinem populären "Flötenkonzert" Herrschaft und Kultur so souverän vereint, mit einem Reproduktionsstich vorlieb nehmen. Statt auf die Haupt- und Staatsgemälde zielt die blau-weiße Menzel-Begeisterung auf den einzigartigen Virtuosen im malerischen und vor allem zeichnerischen Umgang mit dem flüchtigen Augenblick. Tatsächlich hat der Berliner Ausnahmekünstler mit seinen stimmungsvollen Etüden den Impressionismus vorausgeahnt, sein Verhältnis zu den französischen Modernisten sollte sich dann aber kühl und distanziert gestalten. Menzels Handhabe von Farbe und Form blieb der Tradition verhaftet, nur so konnte er seine revolutionäre Sichtweise auf das komplex gewordene Weltgeschehen unter dem Banner von Fortschritt und Wissenschaft verwirklichen.
Die unerbittliche Durchdringung der Wirklichkeit war das Projekt, das den konservativen Preußen bis ins hohe Alter in Atem hielt. "Alles Zeichnen ist gut, alles zeichnen besser": Getreu seiner vielzitierten Maxime notierte der von der Zeichenmanie behexte Realist alles, was ihm unter die Augen kam. Anekdoten berichten, dass er eine Mahlzeit nach dem Servieren erst einmal seinem Skizzenheft einverleibte, bevor er sie anschließend kalt verzehrte. Während der rauschenden Bälle im Königlichen Schloss bestieg er Stühle und Tische, um einen besseren Überblick über das Gewoge der Uniformen und Abendroben im Lichtgefunkel der kristallenen Kronleuchter zu haben. Auch das Abwegigste erschien ihm sehenswürdig, wie der haarige Kamm der Haushälterin oder das ungemachte Bettzeug auf dem Sofa. Ein zweiter Noah bevölkerte da mit lebenssprühenden Beobachtungen die Arche Preußens, bevor die Sintflut der Weltgeschichte alle Macht und Pracht in den Abgrund riss.
Zweifellos war die Furcht, etwas zu verpassen, schon zu langen Lebzeiten zwischen 1815 und 1905 mehr als berechtigt. Extreme Radikale wie Marx und Bismarck waren Zeitgenossen des detailbesessenen Fanatikers, der inmitten der boomenden und brodelnden Reichshauptstadt mit dem Bleistift Regie über die ungebärdige Realität führte. Auch hat man den Zwang zum Botanisieren und Sezieren aus Menzels Biografie und seiner unglücklichen körperlichen Konstitution hergeleitet. Der kurzsichtige, allzeit bissige und verbitterte Gnom, Amer-Leute-Kind und Autodidakt aus dem schlesischen Breslau, erkämpfte sich den sozialen Aufstieg bis zum Ritterschlag durch den Kaiser mit wütendem Fleiß und maßlosem Pflichtbewusstsein.
Die unzähligen Einzelnotizen im Wettlauf mit der neuen Medium der Fotografie muten wie der Versuch an, die Welt aus den visuellen Atomen wieder zusammenzusetzen, in die sie während der Zerfallsepoche des 19. Jahrhunderts auseinandergebrochen war. Der um sich greifenden Desorientierung im Strudel des Wertewandels entsprach Menzels Horror Vacui, das Hamstern von Zeichenkonserven für eine ungewisse Zukunft. Heute gilt die unverbundene Addition der Fragmente nicht mehr als Resignation, sondern als Tugend eines Unbestechlichen, der der rissigen Fassade seiner Zeit die beschönigende Tünche mit stoischer Nüchternheit verweigert hat.