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"Ein Putsch innerhalb des Machtapparates ist nicht unwahrscheinlich"

Der Sturz von Syriens Machthaber Bashar al-Assad ist eine Frage der Zeit, prognostiziert die Syrienkorrespondentin Kristin Helberg. Der harte Kern der Assad-Getreuen sei allerdings "wild entschlossen", an der Macht zu bleiben - es könne noch Monate blutige Kämpfe geben.

Das Gespräch führte Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Syrische Rebellen stürmen Zollstationen an der türkischen Grenze und plündern Lastwagen, an der irakischen Landesgrenze werden Posten überrannt, die Rebellenflagge weht auf Wachtürmen, Eliteeinheiten werden aus Bagdad ins Krisengebiet verlegt – die Situation in Syrien scheint, dem Regime um Machthaber Baschar al-Assad immer weiter zu entgleiten. Umso aggressiver werden derweil die Töne auf internationalem Parkett, umso heftiger die Scharmützel im Land selbst. Immer mehr Truppen schickt Assad in die umkämpfte Millionenstadt Aleppo. – Am Telefon begrüße ich die Journalistin Kristin Helberg, die sieben Jahre lang in Damaskus lebte und dort zum Teil als einzige westliche Korrespondentin akkreditiert war. Anfang September erscheint ihr Buch über den Brennpunkt Syrien. Guten Morgen, Frau Helberg!

    Kristin Helberg: Guten Morgen, Herr Dobovisek.

    Dobovisek: Erst schießen seine Truppen einen türkischen Jet ab, aus Versehen, wie es heißt, jetzt droht Assad dem Ausland mit dem Einsatz von chemischen und biologischen Waffen, im Gegenzug rasselt Israel mit den Säbeln und spricht von Waffengewalt gegen Damaskus. Steht das Pulverfass Syrien kurz vor einer internationalen Explosion?

    Helberg: Nun, das syrische Regime hat ja schon gleich wieder zurückgerudert. Diese Androhung mit den Chemiewaffen war mehr eine Reaktion auf die Spekulationen im Ausland, wo es ja immer hieß, ja, Baschar al-Assad verfügt über Chemiewaffen, wird er sie anwenden gegen die eigene Bevölkerung. Da wollte das Außenministerium klarstellen, dass wenn überhaupt, dann nur im Falle eines Angriffes auf Syrien, also zu Verteidigungszwecken. Und gestern hieß es dann noch weiter entschärfend, nein, man werde auf keinen Fall chemische oder biologische Waffen einsetzen. Ich denke, den Syrern geht es da jetzt schon darum, nicht noch ein weiteres Großszenario aufzubauen.

    Was wir aus Israel hören und aus den USA ist natürlich die Sorge, dass diese Chemiewaffen im Falle eines Regimesturzes in die "falschen Hände" fallen. Die Israelis haben besonders Angst, dass die libanesische Hisbollah diese Chemiewaffen sichern könnte. Das ist nicht unwahrscheinlich, denn die Hisbollah unterstützt ja auch bislang immer noch Baschar al-Assad in seinem Machtkampf in Syrien und ist ein enger Verbündeter, und die Grenze zum Libanon ist nicht weit und ist über Jahre eingespielt als Nachschubweg an die Hisbollah. Und die USA fürchten in erster Linie, dass diese Waffen an internationale Terrororganisationen wie El Kaida fallen könnten. Beide Staaten arbeiten jetzt eng zusammen und planen eben für den Fall des Regimesturzes, vielleicht reinzugehen in das Land mit Spezialeinheiten, um dann sofort diese Chemiewaffen zu sichern.

    Dobovisek: Wie wahrscheinlich ist denn ein Sturz Assads in den nächsten Tagen oder Wochen?

    Helberg: Der Sturz Baschar al-Assads ist eine Frage der Zeit. Ich denke, das Einzige, was ein schnelles Ende dieses ganzen Konfliktes bewirken könnte, wäre tatsächlich sein persönlicher Abgang: entweder seine Ausreise, seine Flucht oder ein weiterer Anschlag auf ihn oder womöglich seine Gefangennahme. Das persönliche Ende von Baschar al-Assad, wie auch immer, wäre die einzige Möglichkeit, den Konflikt schnell zu beenden. Alles andere werden sehr blutige Kämpfe sein, die wo möglich auch noch Monate dauern können, denn wir sehen ja jetzt ein ständiges Hin und Her in der Hauptstadt Damaskus und in dieser Wirtschaftsmetropole Aleppo im Norden. In den beiden Städten wird der Machtkampf entschieden und dort sehen wir, dass eben mal die Rebellen einzelne Stadtteile unter ihre Kontrolle bringen, dann schlägt das Regime massiv zurück mit Artillerie und aus der Luft und allen möglichen Mitteln. Das ist also ein Kampf Guerilla-Taktik auf der einen Seite gegen schwere Waffen seitens des Regimes, und das kann noch dauern.

    Dobovisek: Wie groß ist der Machtapparat noch, der Assad verbleibt? Wir hören immer wieder von desertierenden Soldaten.

    Helberg: Wir dürfen nicht unterschätzen, dass um Baschar al-Assad herum natürlich ein harter Kern von Leuten sitzt, deren Schicksal unmittelbar verbunden ist mit Baschar al-Assads Machterhalt, und diese Menschen sind wild entschlossen, bis zum Ende zu kämpfen. Das sind vor allem alawitische Offiziere innerhalb des Militärs, die Geheimdienstobersten, und ein erweiterter Familienkreis, der ihm zur Verfügung steht, nicht nur sein Bruder Maher, der ja wahrscheinlich noch lebt, nachdem sein Schwager – das war ein schwerer Verlust – getötet wurde bei dem Anschlag; sondern auch Cousins, die diese Schabiha-Milizen befehligen. Also es gibt einen erweiterten Familienkreis, der natürlich auch zu ihm steht. Diese Leute müssen alle fürchten, dass im Falle eines Regimesturzes sie zur Verantwortung gezogen werden, denn sie tragen tatsächlich die Verantwortung für das Blutvergießen der letzten Monate, und diese Leute sind bereit, bis zum Ende zu kämpfen.

    Daneben sehen wir aber sehr wohl – Sie haben es angesprochen -, dass gerade das Militär anfängt, zu zerbröckeln. So weit würde ich schon gehen in der Analyse. Wir sehen nicht mehr nur Hunderte von normalen Soldaten desertieren - die Moral der Armee ist insgesamt angeschlagen -, wir sehen eben auch, dass Führungsfiguren, führende ranghohe Militärs sich absetzen, die offensichtlich nicht mehr glauben an einen Sieg von Baschar al-Assad und die deswegen, vielleicht auch aus opportunistischen Gründen, sich jetzt auf die andere Seite schlagen, ihre Familien in Sicherheit bringen. Wir haben, ich glaube, mehr als 22 Generäle allein, die in der Türkei sitzen. Das führt natürlich zu einer weiteren Dynamik und die Moral der Truppe wie gesagt liegt ziemlich am Boden.

    Dobovisek: Teile der Opposition sollen gestern mitgeteilt haben, sie würden sich an einer Übergangsregierung ohne Assad, jedoch mit seinen alten Getreuen beteiligen. Beobachten wir da das letzte Aufbäumen des Regimes?

    Helberg: Ich denke, diese Meldung, das, was da geäußert wurde – erstens mal wurde es kurz danach wieder dementiert, muss man sagen, vom Vorsitzenden des syrischen Nationalrates -, die Äußerung ist gar nicht so weit weg von dem, was davor auch die Position der Opposition war. Man möchte damit erreichen, dass Assad schnell abtritt, denn gesagt wurde, mit einem Rückzug Assads wäre man einverstanden und der Übertragung seiner Aufgaben an eine Persönlichkeit des Regimes. Ich denke, es ist auch der Versuch, diese Figuren um ihn herum dazu zu bewegen, sich abzuwenden von ihm. Es klang fast wie ein Angebot oder eine Garantie. Es hieß, da gibt es auch patriotische Figuren in der Führung und in der Armee. Das klang für mich so ein bisschen wie die Aufforderung an diese hochrangigen Vertreter, doch zu sagen, Leute, jetzt wendet euch von Assad ab, kommt zu uns und ihr könnt damit rechnen, dass ihr hier noch irgendwie sogar vielleicht eine Rolle spielt, oder zumindest nicht weiter verfolgt werdet. Das ist eine große Gefahr übrigens für Baschar al-Assad, wem kann er überhaupt noch trauen. Ein Putsch innerhalb des Machtapparates ist nicht unwahrscheinlich, dass am Ende tatsächlich innerhalb des Militärs die Führungsspitze sagt, wir lassen Baschar al-Assad fallen, um uns selbst in Sicherheit zu bringen, oder eben nach dem Sturz überhaupt noch eine Zukunft zu ermöglichen.

    Dobovisek: Wenn wir über die Opposition in Syrien sprechen, dann sprechen wir über die unterschiedlichsten Gruppen und die unterschiedlichsten Stoßrichtungen. Alle eint natürlich das Ziel, Assad zu stürzen. Was würde mit diesen unterschiedlichsten Strömungen tatsächlich geschehen, sollte Assad einmal nicht mehr da sein?

    Helberg: Im ersten Moment werden sich natürlich die Kräfte durchsetzen, die Baschar al-Assad im letzten Moment besiegt haben. Das könnten jetzt die Kämpfer der freien syrischen Armee sein, die einen Anschlag noch mal auf ihn planen, es könnte wie gesagt ein Putsch sein innerhalb der Militärführung, dann wären es führende Militärfiguren, die zunächst die Macht übernehmen, oder bei einer verhandelten Ausreise wo möglich die politische Opposition, vielleicht Menschen im Nationalrat, die da die Führung übernehmen. Aber egal wer zunächst mal an der Macht ist: Alle diese Menschen müssen einen Übergang planen, und dabei müssen sämtliche oppositionellen Kräfte beteiligt sein. Die müssen alle an einen Tisch kommen und ganz wichtig ist, dass sie im Moment ...

    Dobovisek: Aber sie haben in Kairo ja auch gezeigt, dass das gar nicht so einfach ist und dass sie durchaus überhaupt nicht bereit sind, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen.

    Helberg: Na ja, die Bereitschaft ist da, man versucht ja, sich immer wieder an einen Tisch zu setzen, das eskaliert dann über einzelne inhaltliche Punkte. Das ist richtig, aber man ist geeint in dem Ziel, dass man nach Baschar al-Assad eine Demokratie machen möchte, einen Rechtsstaat. Über die Details muss man sicher dann diskutieren. Was aber sehr wichtig sein wird für den ersten Moment, denn die Übergangsphase wird eine Weile dauern: Ganz wichtig ist im ersten Moment, dass man das Land stabilisiert, dass man zum Beispiel das Gewaltmonopol des Staates wiederherstellt, dass man in den ...

    Dobovisek: Sind die Oppositionellen dazu in der Lage?

    Helberg: Genau. Und da ist die Frage, wer kann so was überhaupt sichern, und dann sind wir bei der bewaffneten Opposition und der engen Zusammenarbeit, die es geben muss zwischen dem zivilen Widerstand in Syrien, der ja viel zu kurz kommt – das sind die Aktivisten auf der Straße, die nach wie vor überall Demonstrationen organisieren, die nach wie vor die Menschen versorgen, zum Teil mit Nahrungsmitteln, mit Medikamenten, und die bewiesen haben, dass sie sehr wohl in der Lage sind, logistisch einiges zu leisten -, und wir sind eben bei der freien syrischen Armee. Das ist ein loser Verband, die sind nicht hundertprozentig organisiert, da sind Gruppen dabei, bei denen uns vielleicht nicht so ganz wohl ist, aber die freie syrische Armee besteht eben aus Deserteuren, es ist eine gespaltene Armee, und das sind die Einzigen, mit denen man wahrscheinlich rechnen kann im Falle eines Regimesturzes, dass die das dann zusammenhalten und stabilisieren.

    Dobovisek: Die Syrien-Kennerin und Publizistin Kristin Helberg.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.