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"Ein riesiger Sündenfall, den hier die Europäische Zentralbank begeht"

Die Europäische Zentralbank EZB nimmt die seit gestern als Ramsch bewerteten portugiesische Staatsanleihen weiterhin als Sicherheit für Kredite an. Das ist mit den Statuten der Zentralbank nicht vereinbar, sagt Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut.

Thomas Straubhaar im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Überraschend kam die Ankündigung nicht: Jean-Claude Trichet, Chef der Europäischen Zentralbank, gestern in Frankfurt am Main, und zwar in englischer Sprache.

    O-Ton Jean-Claude Trichet:

    Heinemann: Die Europäische Zentralbank, kurz EZB, hat den Leitzins im Geltungsbereich des Euro um 0,25 Prozentpunkte auf 1,5 Prozent erhöht. Begründung: Inflation, Geldentwertung. Das gehört zum herkömmlichen Handwerkszeug einer Noten- oder der Zentralbank. Umstritten ist eine andere Ankündigung des Notenbankpräsidenten. Jean-Claude Trichet teilte mit, die EZB werde künftig auch portugiesische Wertpapiere mit geringer Bonität als Sicherheit für Zentralbank-Geld akzeptieren. Ähnliches gilt bereits für Griechenland und Irland. Im normalen Bankenverkehr steht und fällt die Sicherheit mit der Bonität. Das heißt, keine Bank der Welt akzeptiert einen Schrotthaufen als Gegenwert für einen Kredit.
    Um Erklärung und Bewertung bitten wir heute Früh Professor Thomas Straubhaar, den Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Guten Morgen!

    Thomas Straubhaar: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Professor Straubhaar, zunächst zur Zinsentscheidung. Hat die Europäische Zentralbank da gestern richtig gelegen?

    Straubhaar: Ja. Ich denke, dass das eine kluge Entscheidung war. Sie war gut vorbereitet. Sie ist deshalb angemessen, weil in der Tat eben im Euro-Raum die gemessene Inflation weit über dem liegt, was sie sein dürfte, nämlich weit über den zwei Prozent - sie liegt bei 2,7 Prozent -, und von daher gesehen war es notwendig, ein Zeichen zu setzen, um auch Erwartungen, dass diese Inflation sozusagen ungebremst weiter nach oben gehen könnte, zu brechen.

    Heinemann: Wie funktioniert das technisch? Inwiefern beeinflussen höhere Zinsen die Inflationsentwicklung?

    Straubhaar: Das läuft so, dass die Geschäftsbanken, die großen deutschen, beispielsweise die Deutsche Bank, oder die Commerzbank, wenn die Geld notwendig haben, um ihre Kredite ihrerseits tilgen zu können, dann müssen die ja zu Geld kommen, und dieses Geld können sie sich eben bei der Europäischen Zentralbank gegen eine Prämie holen, und diese Prämie ist jetzt nach oben gesetzt worden. Das heißt, es verteuert sich für die Geschäftsbanken, bei der Europäischen Zentralbank Geld zu holen, und wenn es teurer wird, wird man das weniger oft tun, und damit kann man sozusagen die Kreditversorgung im makroökonomischen Kreislauf etwas bremsen, und das soll eben helfen, dass nicht so viel Geld im Umlauf ist und so viele Dinge nachgefragt werden, dass es dann eben zur Inflation führen kann.

    Heinemann: Heißt, Unternehmen werden weniger investieren?

    Straubhaar: Das heißt im Endeffekt, dass es in der Tendenz bei Unternehmen dazu führt, dass es für sie teurer wird und dass dann das eine oder andere Projekt vielleicht nicht mehr rentabel ist und dass man deswegen nicht mehr investiert. Aber man muss auch die Kirche im Dorf lassen. Das war jetzt eine Anhebung von 1,25 auf 1,5 Prozent. Damit sind die Zinsen, also diese Prämie, diese Kosten, immer noch sehr, sehr gering, auch im historischen Vergleich, und ich glaube nicht, dass jetzt deswegen im großen Stile nicht mehr investiert werden würde.

    Heinemann: Immer noch, haben Sie gesagt, Professor Straubhaar. Werden diesem Zinsschritt weitere folgen?

    Straubhaar: Wenn man diesen schwierigen Sprechtext von Herrn Trichet sich angehört hat, dann werden ja da verklausuliert immer Botschaften ausgesendet, und die lauten, dass man wachsam bleiben wird, dass man weiterhin wohl auch in diesem Jahr noch einmal anheben wird, gegen Jahresende noch eine weitere Zinserhöhung um ein viertel Prozent mindestens vornehmen wird.

    Heinemann: Vielleicht ja auch aus politischen Gründen, denn dann, am Jahresende, wird ja der Italiener Mario Draghi in Frankfurt das Sagen haben. Vielleicht plant er eine Zinserhöhung als kleine Duftnote sozusagen für einen persönlichen Stabilitätskurs. Daran gab es ja Zweifel.

    Straubhaar: Das halte ich auch für möglich, dass das genau ein Symbol dann auch sein soll, um zu zeigen, dass auch er den Kurs seiner Vorgänger beibehalten wird. Bis dahin muss man bei aller übrigen Kritik, die man sicher auch üben kann, ja sagen, dass die Europäische Zentralbank dieser Erwartung, ein stabiles Geld zu schaffen, gerecht geworden ist. Der Euro ist verblüffenderweise stabiler, als es sogar die D-Mark damals gewesen ist. Wir hatten jetzt eine über zehnjährige Phase der insgesamt sehr moderaten Preiserhöhung. Insgesamt ist die Europäische Zentralbank sehr gut gefahren und ich kann mir gut vorstellen, dass Herr Draghi eben genau dies fortsetzen wird und das auch symbolisch untermauern will.

    Heinemann: Herr Straubhaar, es geht auch anders. Die britische Notenbank hält den Leitzins unverändert bei 0,5 Prozent. Also wie erklärt sich das: auf der Insel 0,5, bei uns 1,5?

    Straubhaar: Die Briten sind ja nicht die einzigen. Auch die Amerikaner sind ja unverändert bei nahezu einer Null-Zins-Politik geblieben. Das zeigt eben, dass einzelne Länder unabhängig ihre Geldpolitik betreiben können, wenn sie eine eigene Währung haben, wie das mit dem Pfund in Großbritannien, oder mit dem Dollar in Amerika ist, und dass eben diese beiden Länder, insbesondere in Amerika ist das der Fall, Inflation als weniger schwerwiegend beurteilen, als das Europa insgesamt tut. Und ich bin der Meinung, dass es richtig ist, dass wir hier in Europa nicht zuletzt auf deutschen Druck hin Inflation für eine ganz, ganz unglückliche Steuer betrachten, die alle trifft und deshalb auch vermieden werden soll.

    Heinemann: Sie sind, Herr Straubhaar, kein Anlageberater. Ich möchte Sie auch nicht als Anlageberater missbrauchen, jetzt aber ganz allgemein trotzdem mal fragen: Wie können sich Privatpersonen gegen Inflation eigentlich schützen? Welche Anlagen sind sinnvoll und wovon sollte man eigentlich die Finger lassen?

    Straubhaar: In der Tendenz kann man sagen, dass wenn wir Inflation erwarten, dann sind alle Vermögenswerte vergleichsweise gesichert, bei denen es eben möglich ist, Sachwerte anzulegen. Sachwerte würden ja, also Häuser oder Aktien auch oder größere Teppiche früher oder Gold oder Rohstoffe, wo man davon ausgehen kann, dass diese Preise, die dafür zu bezahlen sind, dann eben auch, wenn es Inflation gibt, mit nach oben gehen, sodass man von steigenden Preisen letztlich profitieren kann. Das ist anders, wenn sie das sozusagen auf dem Sparbuch nur haben und dann irgendwann mal einen Betrag X zurückerhalten, für den sie sich dann eben weniger kaufen können. Aber man muss vorsichtig sein, weil gerade bei einzelnen solchen Vermögenswerten, Sachanlagen haben wir natürlich in den letzten Wochen schon vorausgenommen, dass es zu diesen Inflationsentwicklungen kommen könnte, und deren Preise sind bereits gestiegen.

    Heinemann: Jean-Claude Trichet – und das war der zweite Teil der Ankündigung – sagte gestern in Frankfurt auch, die Zentralbank verlange jetzt für portugiesische Staatsanleihen künftig keine Mindestnoten der Rating-Agenturen mehr, wenn Banken die Papiere zur Refinanzierung eben als Sicherheit bei der EZB einreichen. Ist die Europäische Zentralbank insgesamt gut beraten, für schlechte Wertpapiere gutes Geld herauszurücken?

    Straubhaar: Das ist eine kritische Frage, weil in der Tat im Grundsatz ist das natürlich ein riesiger Sündenfall, den hier die Europäische Zentralbank begeht, den sie auch aufgrund ihrer Statuten nicht begehen dürfte. Eigentlich darf sie gar keine solchen Anlagen in ihre Bilanz aufnehmen. Das hat sie Mitte Mai 2010 vor einem Jahr erstmals jetzt getan. Und jetzt kommt eben dieser Teufelskreis eines Sündenfalls: Wenn sie einmal gesündigt haben, dann müssen sie dann, um genau ihr vorheriges Tun und Handeln zu rechtfertigen, auch andere schlechte Schritte gehen. Und ich denke, dass es an sich ein schlechter Schritt ist, jetzt weiter auch Anleihen, überhaupt ganz grundsätzlich Anleihen aufzunehmen, und erst recht, wenn die noch ein vergleichsweise hohes Risiko mit sich bringen, auch dann auszufallen. Andererseits in der jetzigen Lage war es möglicherweise halt doch die richtige Entscheidung. Wer A gesagt hat, muss dann eben auch B sagen, weil sonst im Prinzip auch die Europäische Zentralbank weiter hätte der Rating-Agenturen und deren neuen Beurteilungen wegen getrieben werden können, sich so verhalten zu müssen, wie sie es vielleicht nicht will.

    Heinemann: Die Rating-Agenturen werden ja als Teil der Krise kritisiert, Sie haben das in einem Halbsatz ja auch gerade so gesagt. Im Deutschlandfunk hielt gestern Torsten Hinrichs dagegen, der Geschäftsführer von Standard & Poor's in Deutschland:

    O-Ton Torsten Hinrichs: Ich denke, wir sollten hier nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Es sind ja nicht die Rating-Agenturen gewesen, die die Krise, so wie wir sie im Augenblick haben im Euro-Land, mit verursacht haben, sondern es waren politische Entscheidungen hinsichtlich Finanzpolitik, oder im Falle Griechenlands auch einer Lohnpolitik, die die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft über die vergangenen zehn Jahre doch deutlich negativ beeinflusst hat. Rating-Agenturen beschreiben einen Zustand und sie geben eine Perspektive ab über die zukünftige Zahlungsfähigkeit von Schuldnern, und der Zustand einiger Volkswirtschaften, ist eben wirklich nicht gut.

    Heinemann: Also was sind die Agenturen, Bösewichte, oder nur Überbringer schlechter Nachrichten?

    Straubhaar: Nein. Ich würde jedes Wort, was eben gesagt wurde, unterstreichen. Es wäre absurd zu sagen, dass die Rating-Agenturen die Schuldenkrise verursacht haben. Aber das ändert überhaupt nichts daran, dass ihre Urteile zum heutigen Zeitpunkt die Krise beschleunigen, das Problem verschärfen und in keiner Art und Weise zur Lösung von Problemen jetzt zum heutigen Zeitpunkt beitragen. Wenn jetzt Ratings, Bewertungen, Prüfberichte nach unten gestuft werden, dann ist das der falsche Zeitpunkt. Diese Information hätte man vor Jahren so aussenden sollen, nicht heute, und heute ist es kontraproduktiv, es wirkt zyklisch statt antizyklisch. Von daher gesehen ist es in der Tat so, dass die Politik und damit auch die Wirtschaft von den Rating-Agenturen und deren Urteile getrieben wird.

    Heinemann: Professor Thomas Straubhaar, der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Straubhaar: Gerne geschehen.

    Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.