Lebenskunst ist ein altes, heute beinahe vergessenes Thema der Philosophie. Die moderne Philosophie beschäftigt sich damit höchstens nebenbei. Um so erstaunlicher ist der Erfolg von Wilhelm Schmid beim Publikum, der als freier Philosoph landauf landab unzählige Vorträge hält. Wie aber kommt man heute überhaupt zu diesem Thema Lebenskunst? Darauf antwortet Wilhelm Schmid:
"Weil man's nötig hat. Anders kommt man sicherlich nicht zu der Thematik und das war für mich sicherlich auch genauso, daß irgendwann der Zeitpunkt gekommen war, wo ich mich nach der so undsovielten Enttäuschung in einer Liebesbeziehung berappelte und dachte, ich müßte mir mal bei der Philosophie Rat holen und begann damals Philosophie zu studieren. Ich versuchte ihn in Berlin zu bekommen bei Philosophen wie Tugendhat und Theunissen und fand ihn nicht und sprach daraufhin meine akademischen Lehrer darauf an, ob das nicht in der Philosophie zu finden sei und erhielt dann den wohlgemeinten Rat, ich solle wohl mal eine Psychotherapie machen - ich war also bedient, in der Philosophie gibt es keine Lebenshilfe."
Schließlich stößt Wilhelm Schmid auf das Thema Lebenskunst bei Michel Foucault und entdeckt, daß bereits in der antiken Philosophie Lebenskunst ein sehr ernst genommenes Thema war, das breit behandelt wurde. Wie man sein Leben zu führen hat, dazu gab es in der Philosophie immer schon Antworten und Hilfen. Heute aber erlebt das Thema eine Renaissance, wenn die traditionellen Lebensorientierungen individuell immer zur Disposition stehen:
"Eine signifikant hohe Nachfrage zu diesem Versuch der Lebenskunst, wie ich ihn unternehmen möchte, kommt in der Tat aus dem christlichen Bereich. Da kann man sich natürlich noch verschärft die Frage stellen, ob diese Menschen nicht wissen, wie zu leben ist? Warum kommen sie zu einem Philosophen und fragen nach Lebenskunst? Ich kann mir das nur so vorstellen, daß eine Menge von Menschen auch innerhalb des Christentums es überdrüssig sind, gesagt zu bekommen, wie sie zu leben haben und deswegen zur Philosophie kommen; denn die Philosophie - zumindest die heutige, die traditionelle unterschied sich darin - kommt nicht daher und sagt, wir wissen wie man zu leben hat, das nicht. Aber wir können auseinanderlegen, was nötig ist, wenn man sein Leben selbst in die Hand nehmen möchte und gestalten möchte. Dann gibt es eine Reihe von Elementen, aus denen man sich bedienen kann und innerhalb derer man seine Wahl treffen kann."
Wilhelm Schmid fährt in seinem Buch "Schönes Leben?" in eine Vielzahl von Themen ein, die bereits traditionell in der antiken Philosophie unter dem Begriff Lebenskunst behandelt werden. Dazu zählen Themen wie "Die Zeit gebrauchen" "ökologischer Lebensstil", "Fitness" oder "Heiterkeit". Natürlich darf ein wichtiges Thema nicht fehlen: "Wenn es um den Umgang mit Lüsten geht - und das ist in der Tat der Fall in meinem Buch - so ist eine veritable Fragestellung der Lebenskunst, mit Lüsten zurechtzukommen; dann geht es nun darum, die ganze Bandbreite von Optionen aufzuzeigen, die man hat, wenn man mit Lüsten umgeht: die Option völliger Entsagung. Man hat die Option völliger Ektase. Man hat die Option des Maßes, das man hält, wobei noch die Frage ist, wie dieses Maß jeweils aussehen wird; denn das wird sehr individuell bestimmt sein."
Auch die modernen Informationstechnologien dürfen nicht fehlen, stellen vielmehr gleichfalls ein Thema einer Philosophie der Lebenskunst dar:
"Für mich bestehen nicht grundsätzlich so große Unterschiede zwischen der ideellen Technik des Lebens, wie sie in der Lebenskunst vielleicht gewöhnlich gepflegt wird, und der realen Technik des Lebens, wie sie nun mal so etwas wie das Internet darstellt. Und man kann wunderbar beide in Verbindung miteinander bringen, unter dem Aspekt etwa der verwaltenden Lebensführung, soll heißen, der Organisation des Lebens, des Terminkalenders, des Lebensunterhalts usw. Dazu kann man die neuen Medien natürlich wunderbar gebrauchen. Da spart man sich sogar noch eine Menge Zeit, wenn man all das in den Raum der Virtualität verlegt. Um so mehr Zeit kann man bekommen für andere Lebenskunstfragen, wie zum Beispiel das Zusammensein mit Freunden."
Die Philosophie der Lebenskunst ist also eine äußerst praktisch orientierte Angelegenheit. Sie beschäftigt sich weitgehend mit den Alltagssituationen der Menschen, ohne diese allerdings lösen zu wollen. Sie will nur Möglichkeiten offerieren, zwischen denen der Interessierte dann wählen kann. Damit tritt die Lebenskunst natürlich nicht nur in Konkurrenz zu religiösen Vorstellungen, sondern auch zur Ethik. Das wird bereits durch den Titel des neuen Buches "Schönes Leben?" angedeutet:
"Es wird zwischenzeitlich wieder viel gesprochen über gutes Leben, gelingendes Leben. Das ist bereits der antiken Philosophie geschuldet.(..) Gutes Leben, das fällt in den engeren Bezirk der Ethik, geht es also um die Frage, was man in moralischer Hinsicht tun soll. Nun haben allerdings nicht alle unserer Lebensprobleme mit moralischen Dingen zu tun, sondern ganz im Gegenteil, moralische Fragen sind eher die Ausnahme. Der Alltag wird von anderen Dingen belegt. Und mit diesen anderen Dingen können wir vielleicht besser agieren, wenn wir uns wieder stärker ein ästhetischen Denken vergegenwärtigen. Das hat mit schönem Leben zu tun, sich also die Frage zu stellen, was könnte ein schönes Leben für mich sein, nicht nur ein moralisch gutes.(..) Wie kann ich ein Leben führen, das mich auch halbwegs zufrieden stellt? Ein Leben, so möchte ich das definieren, das ich bejahenswert finde.'
Einerseits erkennt Wilhelm Schmid in der traditionellen Ethik eine Verengung der lebensweltlichen Probleme. Daher beschäftigt sich Lebenskunst mit Fragen, mit denen sich die Ethik nie befaßt hat, etwa das Aufstehen am Morgen. Andererseits aber erhält die Lebenskunst selbst für Schmid eine eigene ethische Dimension, die nicht zuletzt deshalb nötig wird, weil die Geschichte der Ethik eigentlich eine Geschichte ihres Scheiterns darstellt. Lebenskunst ist somit ethisch geboten:
"Wenn man sich die Geschichte der Ethik vergegenwärtigt, sie besteht seit mindestens zweihundert Jahren darin, gegen den Egoismus zu wettern. Mit welchem Resultat? Null! Das Resultat ist Null. Das müssen wir langsam realisieren und nicht mehr so tun, als würde es genügen, wunderbare Letztbegründungen aufzustellen, wunderbare Ethiken zu formulieren, Forderungen an die Individuen zu erheben und uns dann als gute Menschen zu wähnen; wir, die wir die Theoretiker sind, ohne jede praktische Konsequenz. Ich versuche die Ethik auf die Füße zu stellen und versuche für unsere Zeit und unsere Kultur davon auszugehen, daß Menschen nun mal primär gerne an sich selber denken. Sollen sie es tun. Sie sollen es aber klug tun, wenn sie es schon tun wollen, nämlich so klug, daß sie die Konsequenzen ihres Handelns für andere mitbedenken, im voraus mitbedenken und insofern vielleicht sogar vorsichtiger handeln, als das bisher der Fall war unter angeblich moralischen Aspekten."
Die bisherigen Ethiken versuchten alle das Individuum der Gemeinschaft unterordnen. Es soll sich an gemeinsamen Werten orientieren und demgemäß die Maxime seines Handelns auswählen. Schmids Lebenskunstkonzeption verändert dieses traditionelle ethische Muster. Sie geht von der Erfahrung der Moderne aus, nach der der einzelne auf sich allein gestellt ist und seine ethischen Orientierungen selber wählen muß. Als Maßstab besitzt er dazu nur die Selbstliebe. Insofern entwickelt Wilhelm Schmid eine individualistische Vorstellung von Lebenskunst:
"In Bezug auf das individuelle Leben hat mir niemand irgend etwas zu sagen. Das ist einfach ein Faktum. Selbst wenn es um so etwas geht wie Schwangerschaftsabbruch. Da kann man wunderbare allgemeine Ethiken machen. Wenn ich betroffen bin davon - gesetzt den Fall ich als Mann könnte das so direkt sein - dann werde ich mir dennoch für mich überlegen, was ich für verantwortbar halte und nicht."
An die Stelle der Pflicht tritt die Klugheit oder die Reflexion. Es gibt für Schmid kein unbedingtes ethisches Gutes mehr, sondern letztlich nur noch individuelle Güter, die man nur durch geschickte Lebensführung erreichen und in Übereinstimmung miteinander bringen kann. Dabei setzt Schmid weniger auf den Egoismus obgleich er ihn zuläßt und eben nicht ethisch bekämpft als vielmehr auf die Kooperation, auf die ich mich einlasse, weil ich durch sie viel geschickter und kluger meine Ziele verfolgen kann. Trotz aller Kritik soll die Lebenskunst die Ethik nicht überwinden:
"Ich wäre auch falsch verstanden, wenn es darum ginge, an die Stelle von Ethik Lebenskunst zu setzen. Nein, Ethik zu ergänzen um den Bereich der Lebenskunst und vielleicht auch die Lebenskunst als eine Form von Ethik zu verstehen."
An dieser Stelle gerät Schmids Idee von Lebenskunst dann doch in ein etwas konventionelles Fahrwasser. Sie soll das gesellschaftliche Miteinander letztlich effizienter organisieren, bzw- die Ethik an ihren Schwachstellen ergänzen. Sie kann sogar das individuelle Opfer begründen, wenn eben die alliierten Soldaten 1944 in der Normandie landen, um Europa vom Faschismus zu befreien:
"Im Idealfall fährt Lebenskunst auch in meinen Augen in die Normandie, weil es darum geht, ein freies Leben nicht nur für sich selbst zu realisieren, sondern zu versuchen, anderen eine Hilfestellung zu geben, ihrerseits ein freies Leben realisieren zu können, ein freies innerhalb von Gesellschaft; und der Antrieb das zu tun, ist der Umkehrschluß: Wenn ich anderen nicht zur Seite springe, wie sollen dann andere mir zur Seite springen, wenn ich in der Bedrouille bin und ein freies Leben nicht für mich selbst verwirklichen kann."
Wilhelm Schmid formuliert damit positiv die goldene Regel des Thomas Hobbes um: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Er plädiert ja schließlich auch dafür, daß man endlich akzeptieren soll, daß die Menschen heute am Nutzen orientiert sind und Gemeinsamkeit nur durch gemeinsamen Nutzen hergestellt werden kann. Dem aber sollten sie sich dann wiederum unterordnen. Lebenskunst heißt ein geschicktes soziales Zusammenspiel der Individuen, die sich unter modernen Bedingungen nicht mehr kollektivieren lassen. Wilhelm Schmid will denn auch nicht der Vordenker der hedonistischen Spaßgesellschaft sein:
"Ich war unzufrieden, wie Glück heute thematisiert wird, rein unter diesem modernen Aspekt, es muß uns immer nur gut gehen, es muß immer nur alles angenehm sein. Jemand, der von der Antike her argumentiert, dem fällt natürlich auf, daß das ein um mindestens die Hälfte reduzierter Glücksbegriff ist, immer nur alles angenehm haben zu wollen. Dieses grassierende Positivdenken, das so viele Menschen erfaßt, das natürlich unsinnig ist; denn es läßt sich eben nicht alles positiv denken. Leben besteht nun mal und das macht es ja so spannend, aus negativen Dingen, aus unangenehmen Dingen, aus schwierigen Dingen. Lebenskunst ist natürlich viel stärker in der Lage als so ein Ansatz wie das Positivdenken diese sogenannten negativen Pole in sich aufzunehmen und sie sogar zu legitimieren und mit ihnen zu leben und nicht gegen sie. Deswegen gibt es einen kleinen Abschnitt darin, der mir sehr am Herzen lag, statt einem Positivdenken mal den Ansatz zu einem Negativdenken vorzustellen. Wie wäre es denn, wenn wir grundsätzlich negativ denken würden. Letzten Endes wäre das sehr positiv. Denn entweder stellt sich etwas als negativ heraus, so wie wir das gedacht haben, dann ist es kein Problem. Wir waren darauf vorbereitet. Oder es stellt sich nicht so heraus, dann ist es angenehm, denn kommt es ja positiv zum Vorschein. Insofern ist das wahre Positivdenken das Negativdenken."
"Weil man's nötig hat. Anders kommt man sicherlich nicht zu der Thematik und das war für mich sicherlich auch genauso, daß irgendwann der Zeitpunkt gekommen war, wo ich mich nach der so undsovielten Enttäuschung in einer Liebesbeziehung berappelte und dachte, ich müßte mir mal bei der Philosophie Rat holen und begann damals Philosophie zu studieren. Ich versuchte ihn in Berlin zu bekommen bei Philosophen wie Tugendhat und Theunissen und fand ihn nicht und sprach daraufhin meine akademischen Lehrer darauf an, ob das nicht in der Philosophie zu finden sei und erhielt dann den wohlgemeinten Rat, ich solle wohl mal eine Psychotherapie machen - ich war also bedient, in der Philosophie gibt es keine Lebenshilfe."
Schließlich stößt Wilhelm Schmid auf das Thema Lebenskunst bei Michel Foucault und entdeckt, daß bereits in der antiken Philosophie Lebenskunst ein sehr ernst genommenes Thema war, das breit behandelt wurde. Wie man sein Leben zu führen hat, dazu gab es in der Philosophie immer schon Antworten und Hilfen. Heute aber erlebt das Thema eine Renaissance, wenn die traditionellen Lebensorientierungen individuell immer zur Disposition stehen:
"Eine signifikant hohe Nachfrage zu diesem Versuch der Lebenskunst, wie ich ihn unternehmen möchte, kommt in der Tat aus dem christlichen Bereich. Da kann man sich natürlich noch verschärft die Frage stellen, ob diese Menschen nicht wissen, wie zu leben ist? Warum kommen sie zu einem Philosophen und fragen nach Lebenskunst? Ich kann mir das nur so vorstellen, daß eine Menge von Menschen auch innerhalb des Christentums es überdrüssig sind, gesagt zu bekommen, wie sie zu leben haben und deswegen zur Philosophie kommen; denn die Philosophie - zumindest die heutige, die traditionelle unterschied sich darin - kommt nicht daher und sagt, wir wissen wie man zu leben hat, das nicht. Aber wir können auseinanderlegen, was nötig ist, wenn man sein Leben selbst in die Hand nehmen möchte und gestalten möchte. Dann gibt es eine Reihe von Elementen, aus denen man sich bedienen kann und innerhalb derer man seine Wahl treffen kann."
Wilhelm Schmid fährt in seinem Buch "Schönes Leben?" in eine Vielzahl von Themen ein, die bereits traditionell in der antiken Philosophie unter dem Begriff Lebenskunst behandelt werden. Dazu zählen Themen wie "Die Zeit gebrauchen" "ökologischer Lebensstil", "Fitness" oder "Heiterkeit". Natürlich darf ein wichtiges Thema nicht fehlen: "Wenn es um den Umgang mit Lüsten geht - und das ist in der Tat der Fall in meinem Buch - so ist eine veritable Fragestellung der Lebenskunst, mit Lüsten zurechtzukommen; dann geht es nun darum, die ganze Bandbreite von Optionen aufzuzeigen, die man hat, wenn man mit Lüsten umgeht: die Option völliger Entsagung. Man hat die Option völliger Ektase. Man hat die Option des Maßes, das man hält, wobei noch die Frage ist, wie dieses Maß jeweils aussehen wird; denn das wird sehr individuell bestimmt sein."
Auch die modernen Informationstechnologien dürfen nicht fehlen, stellen vielmehr gleichfalls ein Thema einer Philosophie der Lebenskunst dar:
"Für mich bestehen nicht grundsätzlich so große Unterschiede zwischen der ideellen Technik des Lebens, wie sie in der Lebenskunst vielleicht gewöhnlich gepflegt wird, und der realen Technik des Lebens, wie sie nun mal so etwas wie das Internet darstellt. Und man kann wunderbar beide in Verbindung miteinander bringen, unter dem Aspekt etwa der verwaltenden Lebensführung, soll heißen, der Organisation des Lebens, des Terminkalenders, des Lebensunterhalts usw. Dazu kann man die neuen Medien natürlich wunderbar gebrauchen. Da spart man sich sogar noch eine Menge Zeit, wenn man all das in den Raum der Virtualität verlegt. Um so mehr Zeit kann man bekommen für andere Lebenskunstfragen, wie zum Beispiel das Zusammensein mit Freunden."
Die Philosophie der Lebenskunst ist also eine äußerst praktisch orientierte Angelegenheit. Sie beschäftigt sich weitgehend mit den Alltagssituationen der Menschen, ohne diese allerdings lösen zu wollen. Sie will nur Möglichkeiten offerieren, zwischen denen der Interessierte dann wählen kann. Damit tritt die Lebenskunst natürlich nicht nur in Konkurrenz zu religiösen Vorstellungen, sondern auch zur Ethik. Das wird bereits durch den Titel des neuen Buches "Schönes Leben?" angedeutet:
"Es wird zwischenzeitlich wieder viel gesprochen über gutes Leben, gelingendes Leben. Das ist bereits der antiken Philosophie geschuldet.(..) Gutes Leben, das fällt in den engeren Bezirk der Ethik, geht es also um die Frage, was man in moralischer Hinsicht tun soll. Nun haben allerdings nicht alle unserer Lebensprobleme mit moralischen Dingen zu tun, sondern ganz im Gegenteil, moralische Fragen sind eher die Ausnahme. Der Alltag wird von anderen Dingen belegt. Und mit diesen anderen Dingen können wir vielleicht besser agieren, wenn wir uns wieder stärker ein ästhetischen Denken vergegenwärtigen. Das hat mit schönem Leben zu tun, sich also die Frage zu stellen, was könnte ein schönes Leben für mich sein, nicht nur ein moralisch gutes.(..) Wie kann ich ein Leben führen, das mich auch halbwegs zufrieden stellt? Ein Leben, so möchte ich das definieren, das ich bejahenswert finde.'
Einerseits erkennt Wilhelm Schmid in der traditionellen Ethik eine Verengung der lebensweltlichen Probleme. Daher beschäftigt sich Lebenskunst mit Fragen, mit denen sich die Ethik nie befaßt hat, etwa das Aufstehen am Morgen. Andererseits aber erhält die Lebenskunst selbst für Schmid eine eigene ethische Dimension, die nicht zuletzt deshalb nötig wird, weil die Geschichte der Ethik eigentlich eine Geschichte ihres Scheiterns darstellt. Lebenskunst ist somit ethisch geboten:
"Wenn man sich die Geschichte der Ethik vergegenwärtigt, sie besteht seit mindestens zweihundert Jahren darin, gegen den Egoismus zu wettern. Mit welchem Resultat? Null! Das Resultat ist Null. Das müssen wir langsam realisieren und nicht mehr so tun, als würde es genügen, wunderbare Letztbegründungen aufzustellen, wunderbare Ethiken zu formulieren, Forderungen an die Individuen zu erheben und uns dann als gute Menschen zu wähnen; wir, die wir die Theoretiker sind, ohne jede praktische Konsequenz. Ich versuche die Ethik auf die Füße zu stellen und versuche für unsere Zeit und unsere Kultur davon auszugehen, daß Menschen nun mal primär gerne an sich selber denken. Sollen sie es tun. Sie sollen es aber klug tun, wenn sie es schon tun wollen, nämlich so klug, daß sie die Konsequenzen ihres Handelns für andere mitbedenken, im voraus mitbedenken und insofern vielleicht sogar vorsichtiger handeln, als das bisher der Fall war unter angeblich moralischen Aspekten."
Die bisherigen Ethiken versuchten alle das Individuum der Gemeinschaft unterordnen. Es soll sich an gemeinsamen Werten orientieren und demgemäß die Maxime seines Handelns auswählen. Schmids Lebenskunstkonzeption verändert dieses traditionelle ethische Muster. Sie geht von der Erfahrung der Moderne aus, nach der der einzelne auf sich allein gestellt ist und seine ethischen Orientierungen selber wählen muß. Als Maßstab besitzt er dazu nur die Selbstliebe. Insofern entwickelt Wilhelm Schmid eine individualistische Vorstellung von Lebenskunst:
"In Bezug auf das individuelle Leben hat mir niemand irgend etwas zu sagen. Das ist einfach ein Faktum. Selbst wenn es um so etwas geht wie Schwangerschaftsabbruch. Da kann man wunderbare allgemeine Ethiken machen. Wenn ich betroffen bin davon - gesetzt den Fall ich als Mann könnte das so direkt sein - dann werde ich mir dennoch für mich überlegen, was ich für verantwortbar halte und nicht."
An die Stelle der Pflicht tritt die Klugheit oder die Reflexion. Es gibt für Schmid kein unbedingtes ethisches Gutes mehr, sondern letztlich nur noch individuelle Güter, die man nur durch geschickte Lebensführung erreichen und in Übereinstimmung miteinander bringen kann. Dabei setzt Schmid weniger auf den Egoismus obgleich er ihn zuläßt und eben nicht ethisch bekämpft als vielmehr auf die Kooperation, auf die ich mich einlasse, weil ich durch sie viel geschickter und kluger meine Ziele verfolgen kann. Trotz aller Kritik soll die Lebenskunst die Ethik nicht überwinden:
"Ich wäre auch falsch verstanden, wenn es darum ginge, an die Stelle von Ethik Lebenskunst zu setzen. Nein, Ethik zu ergänzen um den Bereich der Lebenskunst und vielleicht auch die Lebenskunst als eine Form von Ethik zu verstehen."
An dieser Stelle gerät Schmids Idee von Lebenskunst dann doch in ein etwas konventionelles Fahrwasser. Sie soll das gesellschaftliche Miteinander letztlich effizienter organisieren, bzw- die Ethik an ihren Schwachstellen ergänzen. Sie kann sogar das individuelle Opfer begründen, wenn eben die alliierten Soldaten 1944 in der Normandie landen, um Europa vom Faschismus zu befreien:
"Im Idealfall fährt Lebenskunst auch in meinen Augen in die Normandie, weil es darum geht, ein freies Leben nicht nur für sich selbst zu realisieren, sondern zu versuchen, anderen eine Hilfestellung zu geben, ihrerseits ein freies Leben realisieren zu können, ein freies innerhalb von Gesellschaft; und der Antrieb das zu tun, ist der Umkehrschluß: Wenn ich anderen nicht zur Seite springe, wie sollen dann andere mir zur Seite springen, wenn ich in der Bedrouille bin und ein freies Leben nicht für mich selbst verwirklichen kann."
Wilhelm Schmid formuliert damit positiv die goldene Regel des Thomas Hobbes um: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Er plädiert ja schließlich auch dafür, daß man endlich akzeptieren soll, daß die Menschen heute am Nutzen orientiert sind und Gemeinsamkeit nur durch gemeinsamen Nutzen hergestellt werden kann. Dem aber sollten sie sich dann wiederum unterordnen. Lebenskunst heißt ein geschicktes soziales Zusammenspiel der Individuen, die sich unter modernen Bedingungen nicht mehr kollektivieren lassen. Wilhelm Schmid will denn auch nicht der Vordenker der hedonistischen Spaßgesellschaft sein:
"Ich war unzufrieden, wie Glück heute thematisiert wird, rein unter diesem modernen Aspekt, es muß uns immer nur gut gehen, es muß immer nur alles angenehm sein. Jemand, der von der Antike her argumentiert, dem fällt natürlich auf, daß das ein um mindestens die Hälfte reduzierter Glücksbegriff ist, immer nur alles angenehm haben zu wollen. Dieses grassierende Positivdenken, das so viele Menschen erfaßt, das natürlich unsinnig ist; denn es läßt sich eben nicht alles positiv denken. Leben besteht nun mal und das macht es ja so spannend, aus negativen Dingen, aus unangenehmen Dingen, aus schwierigen Dingen. Lebenskunst ist natürlich viel stärker in der Lage als so ein Ansatz wie das Positivdenken diese sogenannten negativen Pole in sich aufzunehmen und sie sogar zu legitimieren und mit ihnen zu leben und nicht gegen sie. Deswegen gibt es einen kleinen Abschnitt darin, der mir sehr am Herzen lag, statt einem Positivdenken mal den Ansatz zu einem Negativdenken vorzustellen. Wie wäre es denn, wenn wir grundsätzlich negativ denken würden. Letzten Endes wäre das sehr positiv. Denn entweder stellt sich etwas als negativ heraus, so wie wir das gedacht haben, dann ist es kein Problem. Wir waren darauf vorbereitet. Oder es stellt sich nicht so heraus, dann ist es angenehm, denn kommt es ja positiv zum Vorschein. Insofern ist das wahre Positivdenken das Negativdenken."