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"Ein schwerer Gang, hierher zu kommen"

Einer der letzten beiden Überlebenden des Massakers, Robert Hébras, führte den Bundespräsidenten und den französischen Staatspräsidenten in die Kirche, in der die Waffen-SS mehr als 400 Frauen und Kinder ermordet hatte.

Von Ursula Welter |
    Hand in Hand verharrten die drei Männer dort, wo einst der Altar stand, am Ausgang eine innige Umarmung. Anschließend führte Robert Hébras die Präsidenten durch das Ruinendorf.

    Joachim Gauck stellte Fragen, ging aber einen weiten Teil des Weges schweigend, hörte zu, ließ sich erklären, was an jenem 10. Juni 1944 geschehen war.

    Die fast 200 Männer in Scheunen und Garagen, die mehr als 400 Frauen und Kinder in der Kirche eingesperrt, erschossen, brutal den Flammen ausgeliefert.

    In Abweichung vom Protokoll ließ sich Joachim Gauck die Scheune zeigen, in der Robert Hébras wie durch ein Wunder unter dem Leichenberg der anderen Männer begraben wurde und so mit dem Leben davon kam. "Der Tod hat Ihnen das Leben geschenkt", sagte der Bundespräsident.

    "Ich stelle mir vor, dass Sie hier schon tausend Mal lang gegangen sind, und verschiedenen Menschen erklärt haben, was passiert, aber jedes Mal …"

    "Jedes Mal wieder schmerzhaft", antwortet Robert Hébras.

    Der Rundgang ist ein bewegender Abschnitt beim Besuch des Bundespräsidenten in Oradour, dem ersten eines hochrangigen deutschen Politikers an diesem Ort. 642 Tote, sechs Überlebende, ein Verbrechen verübt von Soldaten unter deutschem Befehl, betonte Joachim Gauck:

    "Deswegen ist es für jeden Deutschen ein schwerer Gang, hierher zu kommen ... Egal, wie viel Zeit auch immer vergangen ist."

    Ein schwerer Gang aber auch für die letzten beiden Überlebenden. Neben Robert Hébras Marcel Darthout, der lange gezögert hatte, an der heutigen Zeremonie teilzunehmen.

    Gauck: "Ich schaue Sie an, Herr Präsident Hollande, vor allem auch schaue ich Sie an, lieber Herr Hébras, ich schaue Sie an, Herr Darthout, ich schaue die Familien der Ermordeten an. Ihnen allen danke ich im Namen aller Deutschen dafür, dass Sie uns mit dem Willen zur Versöhnung entgegentreten. Ich werde das niemals vergessen."

    Frankreichs Staatspräsident, François Hollande, sagte, die Stille, die in Oradour aus Ehrfurcht vor den Opfern geboten sei, dürfe nur durch eine solch außergewöhnliche Geste, die Geste der Versöhnung, gebrochen werden. An den Bundespräsidenten gewandt, sagte François Hollande:

    "Sie verkörpern die Würde des Deutschland von heute."

    Der Bundespräsident betonte in seiner Rede, sein Heimatland sei heute ein gutes Land, das Europa gestalten, nicht beherrschen wolle.

    Für die schleppende juristische Aufarbeitung entschuldigte sich Joachim Gauck, Bis auf eine Ausnahme waren die für das Massaker Verantwortlichen in Deutschland niemals zur Rechenschaft gezogen worden. Neue Ermittlungen laufen zwar, aber:

    "Wenn ich heute, meine Damen und Herren, in die Augen derer blicke, die von diesem Verbrechen gekennzeichnet sind, kann ich hier in Oradour sagen, ich teile die Bitterkeit darüber, dass Mörder nicht zur Verantwortung gezogen wurden und dass schwerste Verbrechen ungesühnt geblieben sind. Sie ist auch meine Bitterkeit. Ich nehme sie mit nach Deutschland und werde in meinem Land davon sprechen und ich werde nicht verstummen."

    Den beiden letzten Überlebenden des Massakers und den Familien der Opfer sagte der Bundespräsident in Oradour: Er habe heute mit den Augen gesehen und dem Herzen gespürt, was er nur aus Büchern gewusst habe.