Friedbert Meurer: Manchmal ist ein Blick in die Vergangenheit ja ganz interessant. 1970, vor 40 Jahren, lagen die Beiträge zur Krankenversicherung in Deutschland im Schnitt bei 8,2 Prozent. Bald sind sie doppelt so hoch. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) will sie 2011 auf 15,5 Prozentpunkte anheben. Viele Experten sagen, Gesundheit hat eben ihren Preis, nur so können neue Therapien, Behandlungen und neue, medizinisch teuere Geräte bezahlt werden. Wie auch immer: Die Reaktionen auf die Pläne, die Rösler gestern vorgestellt hat, sie fallen sehr gemischt aus - auch im eigenen Regierungslager.
Das Für und Wider der neuesten Reformpläne im Gesundheitswesen, darüber will ich mich unterhalten mit Professor Friedrich Breyer, Volkswirt an der Universität Konstanz, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie. Guten Tag, Herr Breyer.
Friedrich Breyer: Guten Tag, Herr Meurer.
Meurer: Dieser Punkt, dass künftig die Beiträge für Arbeitgeber nicht mehr steigen werden, sondern nur noch für Arbeitnehmer, macht das volkswirtschaftlich Sinn?
Breyer: Ja, absolut, denn es kann nicht sein, dass die Gesundheitskosten immer gleich auch auf die Arbeitskosten drücken und damit Arbeitsplätze gefährden. Das ist eine Forderung, die Ökonomen seit langem erheben, dass der Versicherte alleine künftige Beitragsänderungen tragen müsse. Übrigens: Wenn er eine Kasse wechselt, zu einer günstigeren Kasse geht, dann kann er ja auch den gesamten Unterschied einstreichen, was früher bei den geteilten Beitragssätzen nicht der Fall war. Da hat er immer nur die Hälfte bekommen.
Meurer: Aber wie schwer wiegt folgender Aspekt: In der Vergangenheit haben die Arbeitgeber immer ziemlich Dampf gemacht gegen Beitragsanhebungen. Deren Lobbykraft fällt da jetzt sozusagen künftig weg.
Breyer: Ja, aber die Arbeitgeber konnten nur in der einzelnen Kasse mal, wenn es an die Beitragssatzschraube ging, etwas machen. Der wirkliche Einfluss auf die Gesundheitskosten seitens der Arbeitgeber wird sehr stark überschätzt. Ich halte da gar nichts davon, dass das wirklich bei den Kosten der Krankenhäuser oder auch der Ärzte irgendeine Rolle gespielt hat.
Meurer: Und dann noch: Ist das eine soziale Schieflage, Herr Breyer, dass Arbeitnehmer einseitig künftig belastet werden?
Breyer: Letztlich zahlen es immer die Arbeitnehmer, denn ein Unternehmer wird ja immer auf die gesamten Arbeitskosten gucken und die mit der Produktivität vergleichen. Die Arbeitgeber werden dann bei den nächsten Lohnverhandlungen sich das zurückholen, wenn der Staat sie jetzt bei den Sozialausgaben stärker belastet.
Meurer: Sie werden es vielleicht versuchen! Ob es aber gelingt, ist dann eine andere Frage?
Breyer: Ja! Dann werden sie Arbeitsplätze abbauen, wenn es ihnen nicht gelingt, sich gegen die Gewerkschaften durchzusetzen.
Meurer: Noch ein Argument: Die Kaufkraft wird geschwächt, wenn die Arbeitnehmer zu sehr berappen müssen. Wie schwer wiegt das?
Breyer: Nein! Letzten Endes müssen immer die Arbeitnehmer den gesamten Sozialbeitrag zahlen, egal wie das offiziell aufgeteilt wird, denn sie zahlen es entweder durch einen niedrigeren Direktlohn oder auch durch den Verlust von Arbeitsplätzen oder die Gefährdung von Arbeitsplätzen. Die Sozialbeiträge gehen immer zu Lasten der Arbeitnehmer.
Meurer: Mit den Gesundheitsreformplänen Philipp Röslers sollen die Zusatzbeiträge ausgebaut werden. Das heißt, es ist ein bisschen die Kopfpauschale oder die Gesundheitsprämie in Ansätzen. Da Sie als ein Befürworter dieses Modells Gesundheitsprämie gelten, ist Ihnen das zu zaghaft?
Breyer: Ja, natürlich ist das zu zaghaft. Gut ist zunächst mal, dass die Obergrenze für die Zusatzbeiträge wegfallen soll, aber natürlich wird es eine Weile dauern, bis die Krankenkassen tatsächlich Zusatzbeiträge in größerem Umfang nehmen müssen. Außerdem ist es zu zaghaft, denn an sich müsste jeder erwachsene Versicherte belastet werden und nicht nur Mitglieder, und die Bemessung dieser Überforderungsgrenze von zwei Prozent müsste sich am Gesamteinkommen orientieren und nicht nur an dem beitragspflichtigen Einkommen. Also das ist ein sehr halbherziger Schritt in Richtung Kopfpauschale.
Meurer: Das Letztere, ist das nicht angedacht, dass auch andere Einkunftsarten mitberechnet werden sollen, wenn jemand mehr als zwei Prozent seines Einkommens zahlen soll?
Breyer: Nein, beim Sozialausgleich, bei der Finanzierung des Sozialausgleichs, der wird aus Steuermitteln vorgenommen. Das ist das Argument von Herrn Rösler, dass die Finanzierung gerecht ist, weil sie aus allgemeinen Steuermitteln erfolgt. Aber Kriterium dafür, ob man den beanspruchen kann, ist nur das eigene beitragspflichtige Einkommen.
Ich muss auch sagen, was der große Vorteil von Zusatzbeiträgen oder auch einer Kopfpauschale ist: Versicherte reagieren auf Beiträge in Euro und Cent viel sensitiver als auf Prozentsätze, und das wird den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen in Gang setzen und erst der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, der kann wirkliche Effizienzreserven im Gesundheitswesen freimachen und aufspüren. Das ist der Hebel, das wird immer so vergessen, dass es eigentlich darum geht, den Wettbewerb in Gang zu setzen und damit die Effizienz im Gesundheitswesen zu fördern.
Meurer: Wir haben ja geradezu eine fast schon natürliche Entwicklung. Seit Jahrzehnten steigen die Beiträge, die Kosten, sie steigen und steigen. Wenn, wie Ihr Kollege Jürgen Wasem heute Morgen vorgerechnet hat, in nicht allzuferner Zukunft die Zusatzbeiträge schon bei 75 Euro pro Person, pro Versichertem liegen, wer kann das dann bezahlen?
Breyer: Na ja, erstens haben wir die Zwei-Prozent-Grenze, die Zwei-Prozent-Überforderungsgrenze, und zweitens ist es ja so, dass der Arbeitnehmerbeitrag, der prozentuale, nicht festgeschrieben ist. Es ist ja nur der Arbeitgeberbeitrag. Das heißt, künftige Regierungen haben, wenn es jetzt bei diesem Gesetz bleibt und das nicht wieder rückgängig gemacht wird, wie Lauterbach angekündigt hat, immer die Wahl, ob sie den allgemeinen Arbeitnehmerbeitrag, den prozentualen, anheben wollen oder ob sie sagen, die Kassen sollen dann höhere Zusatzbeiträge nehmen. Da hat meiner Meinung nach Herr Wasem ein bisschen übertrieben.
Meurer: Ist das Ganze nicht ein bisschen zu bürokratisch, dieses Modell mit Zusatzbeiträgen bis in Höhe von zwei Prozent der Einkommen und dann ein Sozialausgleich?
Breyer: Ja! Ich finde auch, der Sozialausgleich ist bei Zusatzbeiträgen in so niedrigem Bereich, die noch dazu auf zwei Prozent beschränkt sind, unnötig. Das hätte man sich sparen können. Besser wäre es gewesen, richtig die arbeitnehmerseitige Kopfpauschale einzuführen und mit einem richtigen Sozialausgleich über das Finanzamt zu verbinden.
Meurer: Dann wären die sozialen Proteste noch größer gewesen?
Breyer: Ja, aber wenn das Finanzamt das regelt, dann ist es kein Problem, dass der einzelne einen Antrag stellen muss. In den Niederlanden funktioniert das System wunderbar und man muss einfach mal über den eigenen Tellerrand hinwegschauen.
Meurer: Sie glauben nicht, dass die Geringverdiener sozusagen schlechter abschneiden als die Besserverdienenden bei Ihrem Modell?
Breyer: Nein. Wissen Sie, wer das Kopfpauschalenmodell eigentlich fürchten müsste, wären die privat Versicherten, äh, die Privatversicherungen, denn denen würde die Klientel weglaufen. Denn wenn die Leute ihre Beiträge in Euro und Cent abrechnen und wenn auch keine Umverteilung mehr innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung stattfinden würde, wäre die Privatversicherung mit einem Schlag unattraktiv. Das ist der große Charme der Kopfpauschale: einmal mehr Wettbewerb, die Umverteilung geschieht im Steuersystem, wo es viel gerechter ist, und den Privatversicherungen wird noch dazu das Wasser abgegraben. Daher ist es ein sehr soziales Programm.
Meurer: Professor Friedrich Breyer von der Universität Konstanz, bei uns im Deutschlandfunk. Danke schön und auf Wiederhören.
Breyer: Bitte schön, Herr Meurer. Auf Wiederhören!
Das Für und Wider der neuesten Reformpläne im Gesundheitswesen, darüber will ich mich unterhalten mit Professor Friedrich Breyer, Volkswirt an der Universität Konstanz, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie. Guten Tag, Herr Breyer.
Friedrich Breyer: Guten Tag, Herr Meurer.
Meurer: Dieser Punkt, dass künftig die Beiträge für Arbeitgeber nicht mehr steigen werden, sondern nur noch für Arbeitnehmer, macht das volkswirtschaftlich Sinn?
Breyer: Ja, absolut, denn es kann nicht sein, dass die Gesundheitskosten immer gleich auch auf die Arbeitskosten drücken und damit Arbeitsplätze gefährden. Das ist eine Forderung, die Ökonomen seit langem erheben, dass der Versicherte alleine künftige Beitragsänderungen tragen müsse. Übrigens: Wenn er eine Kasse wechselt, zu einer günstigeren Kasse geht, dann kann er ja auch den gesamten Unterschied einstreichen, was früher bei den geteilten Beitragssätzen nicht der Fall war. Da hat er immer nur die Hälfte bekommen.
Meurer: Aber wie schwer wiegt folgender Aspekt: In der Vergangenheit haben die Arbeitgeber immer ziemlich Dampf gemacht gegen Beitragsanhebungen. Deren Lobbykraft fällt da jetzt sozusagen künftig weg.
Breyer: Ja, aber die Arbeitgeber konnten nur in der einzelnen Kasse mal, wenn es an die Beitragssatzschraube ging, etwas machen. Der wirkliche Einfluss auf die Gesundheitskosten seitens der Arbeitgeber wird sehr stark überschätzt. Ich halte da gar nichts davon, dass das wirklich bei den Kosten der Krankenhäuser oder auch der Ärzte irgendeine Rolle gespielt hat.
Meurer: Und dann noch: Ist das eine soziale Schieflage, Herr Breyer, dass Arbeitnehmer einseitig künftig belastet werden?
Breyer: Letztlich zahlen es immer die Arbeitnehmer, denn ein Unternehmer wird ja immer auf die gesamten Arbeitskosten gucken und die mit der Produktivität vergleichen. Die Arbeitgeber werden dann bei den nächsten Lohnverhandlungen sich das zurückholen, wenn der Staat sie jetzt bei den Sozialausgaben stärker belastet.
Meurer: Sie werden es vielleicht versuchen! Ob es aber gelingt, ist dann eine andere Frage?
Breyer: Ja! Dann werden sie Arbeitsplätze abbauen, wenn es ihnen nicht gelingt, sich gegen die Gewerkschaften durchzusetzen.
Meurer: Noch ein Argument: Die Kaufkraft wird geschwächt, wenn die Arbeitnehmer zu sehr berappen müssen. Wie schwer wiegt das?
Breyer: Nein! Letzten Endes müssen immer die Arbeitnehmer den gesamten Sozialbeitrag zahlen, egal wie das offiziell aufgeteilt wird, denn sie zahlen es entweder durch einen niedrigeren Direktlohn oder auch durch den Verlust von Arbeitsplätzen oder die Gefährdung von Arbeitsplätzen. Die Sozialbeiträge gehen immer zu Lasten der Arbeitnehmer.
Meurer: Mit den Gesundheitsreformplänen Philipp Röslers sollen die Zusatzbeiträge ausgebaut werden. Das heißt, es ist ein bisschen die Kopfpauschale oder die Gesundheitsprämie in Ansätzen. Da Sie als ein Befürworter dieses Modells Gesundheitsprämie gelten, ist Ihnen das zu zaghaft?
Breyer: Ja, natürlich ist das zu zaghaft. Gut ist zunächst mal, dass die Obergrenze für die Zusatzbeiträge wegfallen soll, aber natürlich wird es eine Weile dauern, bis die Krankenkassen tatsächlich Zusatzbeiträge in größerem Umfang nehmen müssen. Außerdem ist es zu zaghaft, denn an sich müsste jeder erwachsene Versicherte belastet werden und nicht nur Mitglieder, und die Bemessung dieser Überforderungsgrenze von zwei Prozent müsste sich am Gesamteinkommen orientieren und nicht nur an dem beitragspflichtigen Einkommen. Also das ist ein sehr halbherziger Schritt in Richtung Kopfpauschale.
Meurer: Das Letztere, ist das nicht angedacht, dass auch andere Einkunftsarten mitberechnet werden sollen, wenn jemand mehr als zwei Prozent seines Einkommens zahlen soll?
Breyer: Nein, beim Sozialausgleich, bei der Finanzierung des Sozialausgleichs, der wird aus Steuermitteln vorgenommen. Das ist das Argument von Herrn Rösler, dass die Finanzierung gerecht ist, weil sie aus allgemeinen Steuermitteln erfolgt. Aber Kriterium dafür, ob man den beanspruchen kann, ist nur das eigene beitragspflichtige Einkommen.
Ich muss auch sagen, was der große Vorteil von Zusatzbeiträgen oder auch einer Kopfpauschale ist: Versicherte reagieren auf Beiträge in Euro und Cent viel sensitiver als auf Prozentsätze, und das wird den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen in Gang setzen und erst der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, der kann wirkliche Effizienzreserven im Gesundheitswesen freimachen und aufspüren. Das ist der Hebel, das wird immer so vergessen, dass es eigentlich darum geht, den Wettbewerb in Gang zu setzen und damit die Effizienz im Gesundheitswesen zu fördern.
Meurer: Wir haben ja geradezu eine fast schon natürliche Entwicklung. Seit Jahrzehnten steigen die Beiträge, die Kosten, sie steigen und steigen. Wenn, wie Ihr Kollege Jürgen Wasem heute Morgen vorgerechnet hat, in nicht allzuferner Zukunft die Zusatzbeiträge schon bei 75 Euro pro Person, pro Versichertem liegen, wer kann das dann bezahlen?
Breyer: Na ja, erstens haben wir die Zwei-Prozent-Grenze, die Zwei-Prozent-Überforderungsgrenze, und zweitens ist es ja so, dass der Arbeitnehmerbeitrag, der prozentuale, nicht festgeschrieben ist. Es ist ja nur der Arbeitgeberbeitrag. Das heißt, künftige Regierungen haben, wenn es jetzt bei diesem Gesetz bleibt und das nicht wieder rückgängig gemacht wird, wie Lauterbach angekündigt hat, immer die Wahl, ob sie den allgemeinen Arbeitnehmerbeitrag, den prozentualen, anheben wollen oder ob sie sagen, die Kassen sollen dann höhere Zusatzbeiträge nehmen. Da hat meiner Meinung nach Herr Wasem ein bisschen übertrieben.
Meurer: Ist das Ganze nicht ein bisschen zu bürokratisch, dieses Modell mit Zusatzbeiträgen bis in Höhe von zwei Prozent der Einkommen und dann ein Sozialausgleich?
Breyer: Ja! Ich finde auch, der Sozialausgleich ist bei Zusatzbeiträgen in so niedrigem Bereich, die noch dazu auf zwei Prozent beschränkt sind, unnötig. Das hätte man sich sparen können. Besser wäre es gewesen, richtig die arbeitnehmerseitige Kopfpauschale einzuführen und mit einem richtigen Sozialausgleich über das Finanzamt zu verbinden.
Meurer: Dann wären die sozialen Proteste noch größer gewesen?
Breyer: Ja, aber wenn das Finanzamt das regelt, dann ist es kein Problem, dass der einzelne einen Antrag stellen muss. In den Niederlanden funktioniert das System wunderbar und man muss einfach mal über den eigenen Tellerrand hinwegschauen.
Meurer: Sie glauben nicht, dass die Geringverdiener sozusagen schlechter abschneiden als die Besserverdienenden bei Ihrem Modell?
Breyer: Nein. Wissen Sie, wer das Kopfpauschalenmodell eigentlich fürchten müsste, wären die privat Versicherten, äh, die Privatversicherungen, denn denen würde die Klientel weglaufen. Denn wenn die Leute ihre Beiträge in Euro und Cent abrechnen und wenn auch keine Umverteilung mehr innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung stattfinden würde, wäre die Privatversicherung mit einem Schlag unattraktiv. Das ist der große Charme der Kopfpauschale: einmal mehr Wettbewerb, die Umverteilung geschieht im Steuersystem, wo es viel gerechter ist, und den Privatversicherungen wird noch dazu das Wasser abgegraben. Daher ist es ein sehr soziales Programm.
Meurer: Professor Friedrich Breyer von der Universität Konstanz, bei uns im Deutschlandfunk. Danke schön und auf Wiederhören.
Breyer: Bitte schön, Herr Meurer. Auf Wiederhören!