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Ein "Snob" des Literaturbetriebs

Der schweizerische Schriftsteller Christian Kracht hat für seinen umstrittenen Roman "Imperium" den vom Deutschlandfunk und der Stadt Braunschweig gemeinsam getragen Wilhelm-Raabe-Literaturpreis erhalten. Seine Dankesrede habe überrascht und das Publikum berührt, sagt Literaturkritiker Hubert Winkels.

Hubert Winkels im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Zunächst beschäftigt uns aber sozusagen noch mal der Markt, nämlich eine Art Literaturmarkt. Es geht um den Wilhelm-Raabe-Preis, der vom Deutschlandfunk und der Stadt Braunschweig gemeinsam getragen wird und der mittlerweile zu den angesehensten und mit 30.000 Euro auch bestdotierten Literaturpreisen in Deutschland zählt. Hubert Winkels von der Buchredaktion hier im Hause, Sie sprechen jetzt pro domo, denn Sie gehören der Jury an, aber Sie sind auch unser Berichterstatter von der Preisverleihung, die gestern stattgefunden hat. The winner is Christian Kracht und somit ein – vorsichtig gesagt – umstrittener Autor.

    Hubert Winkels: Ja leider! Tatsächlich ist er ein guter Autor, der seit 17, 18 Jahren erfolgreiche Romane schreibt - beim Publikum erfolgreiche, letztlich dann auch bei der Kritik erfolgreiche, von vielen sehr geschätzte, sehr verehrt, in 20 Sprachen wird jeder Roman übersetzt, er ist in Russland ein wirklicher Star. Wir haben es eigentlich mit einem Autor der jüngeren bis mittleren Generation zu tun – er ist jetzt Anfang 40 -, der zur Spitze eigentlich der deutschsprachigen Literatur gehört. Trotzdem wird er etwas stiefmütterlich behandelt vom sogenannten Literaturbetrieb. Man hält ihn für einen Snob, für einen elitären, dünkelhaften Literaten. Das hat verschiedene Gründe: Er kommt aus wohlhabendem Haus, er lebt zurzeit in Kenia, lange Zeit in Bangkok, in Sri Lanka, er ist auf der ganzen Welt unterwegs, schreibt über die tollsten Hotels dieser Welt. Und all das: Er hat nicht so den Stallgeruch, den man zu haben hat, wenn man hier reüssieren will. Und er war Teil dieser Pop-Literaten, die vor Jahren einmal bekannt wurden. – Das ist so der eine Hintergrund.

    Müller-Ullrich: Aber vor allem hat es dieses Jahr einen kleinen Skandalartikel, und zwar im "Spiegel" gegeben, glaube ich, von dem Kritiker Georg Diez.

    Winkels: Ja. Da hat sich ein Kritiker, dessen Namen man nicht erwähnen sollte, nicht entblödet, dem neuen Roman rassistische, quasi faschistische Tendenzen zu unterstellen, was ganz hirnrissig ist, wie dann anschließend auch 20, 30 Kritiker versucht haben zu zeigen in allen seriösen Medien. Aber Diez hat sich dabei noch auf einen Briefwechsel, der nur auf Englisch ganz abgelegen veröffentlicht wurde, von Diez mit David Woodard aus den USA bezogen, in dem eine Art konzeptkunstartiger dadaistischer Feier von verschrobenen Totalitarismen auf diesem Planeten, von Urwaldkolonien mit seltsamem militaristischem Anstrich bis hin zur Feier Nordkoreas und Kim Jong-ils beschrieben ist, was tatsächlich Kracht von Zeit zu Zeit sich selber erlaubt und leistet.

    Müller-Ullrich: Aber irgendwas bleibt immer hängen.

    Winkels: Und daraus hat er abgeleitet, dass es tatsächlich ein rassistisch-totalitäres Denken gäbe bei Kracht, und das über, glaube ich, fünf Seiten im "Spiegel" so verbreitet, dass man von einer Denunziation der Person und der Arbeit sprechen muss. Und natürlich ist jeder – es gab eine Riesendiskussion – jetzt aufgewacht, weil es tatsächlich der erste Literaturpreis überhaupt ist, den Christian Kracht bekommen hat. Dass das eine Antwort auch ist auf diese Denunziation, auch ist, versteht sich dabei im Hintergrund von selbst. Und natürlich war das Interesse groß: Wie reagiert man, wie reagiert er, wie reagiert der Laudator auf diesen Gesamtzusammenhang.

    Müller-Ullrich: Ja. Dann ist natürlich die Frage: Wie hat er reagiert? Ich notiere aber: Es war nicht nur eine Wiedergutmachung von Seiten der Raabe-Preis-Jury, sondern Sie finden den Roman "Imperium", so heißt er ja, auch wirklich gut?

    Winkels: Ja deswegen habe ich das auch gerade so betont, um zu sagen, es war eine Hintergrundstrahlung. Aber tatsächlich waren sich alle einig, dass "Imperium" einfach ein sehr gutes, unterhaltsames und kluges Buch ist. So viel muss man, glaube ich, einfach festhalten.
    Am gestrigen Tag war nun eine, wie heute ein Kritiker in der Zeitung schrieb, eine "Sternstunde der Literatur", und das hatte wesentlich zwei Ursachen. Die eine war, dass der noch deutlich jüngere Autor Clemens J. Setz – eine Art Jungstar, Junggenie der Literaturszene – seine tiefe Neigung zu Christian Kracht und seinem Werk in einer Art Verneigung ausgedrückt hat, die nicht nur hinreißend klug war, sondern auch zu Herzen ging. Es war ein persönliches Bekenntnis, wie man es selten auf einer solchen Bühne erlebt.

    Müller-Ullrich: Eigentlich erstaunlich, denn vom Stil und von der ganzen Art her liegen die beiden ja sehr weit auseinander.

    Winkels: Ja, könnte man sagen. Das eine ist, wenn man in Etiketten reden wollte, quasi österreichisch-suhrkampsche intellektuelle Hoch-E-Kultur und das andere eben immer das etwas mit Oberflächlichkeit verbundene Pop-Phänomen, und die beiden haben sich dann im Laufe von auch den 24 Stunden des Prozesses auf so eine hohe Weise intellektuell miteinander identifizieren können, dass es eine Freude war für den, der es beobachtet hat, aber auch in den Reden kam es vollständig zum Ausdruck, dass das Betriebssystem von beiden Literaten sehr ähnlich ist.
    Und dann hat anschließend, allerdings schon länger vorbereitet, jetzt nicht in spontaner Reaktion, Christian Kracht eine Dankrede gehalten, die deshalb überrascht hat – aus zwei Gründen, aus dreien, kann man sagen. Erstens hat er überhaupt noch nie über sich und seine Poethologie geredet. Dann hat er über seine Familie und seinen Vater geredet - etwas, was auch immer Tabu schien, dass das überhaupt nur in Erwähnung kommt. Und er hat dann drittens über etliche Quellen seines Weltbildes geredet, die tatsächlich etwas verschroben und seltsam sind, weil man sich auch nicht auskennt. Das geht dann zurück bis in die altindische Philosophie, Teilhard de Chardin mit der Nosphäre, neben Hegel und dem Internet – in einer Mixtur, die man jedem Pinchen nicht nur verzeihen würde, sondern da würde man jubilieren über den Synkretismus des Weltbildes. Bei Herrn Kracht ist man gleich normalerweise ganz skeptisch. Aber es war gestern mit so viel Offenbarungsbescheidenheit sozusagen vorgetragen, dass auch dies das Publikum sowohl gerührt hat; allerdings hatte auch jeder das Gefühl, er versteht gerade besser, wie das alles läuft, wie er tickt, wie dieses ganze Phänomen verstanden werden kann.

    Müller-Ullrich: Und das Dokument dieses erstaunlichen Auftritts, den Mitschnitt von Christian Krachts Dankrede, den gibt es in zweieinhalb Wochen zu hören in der Sendung Studio LCB im Deutschlandfunk am Samstag, den 24. November, nach den 20-Uhr-Nachrichten. Danke, Hubert Winkels!