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"Ein solcher Redakteur hat seine Unschuld verloren"

Steffen Seibert ist nicht der erste Journalist in der Geschichte, der die Seiten wechselt. Bölling, Ost, Grindel, Söder - sie alle sind der Versuchung der Macht erlegen. Was dies über die Glaubwürdigkeit der Zunft aussagt, weiß der Hamburger Medienwissenschaftler Volker Lilienthal.

Volker Lilienthal im Gespräch mit Karin Fischer | 16.08.2010
    Karin Fischer: Darf man über den neuen Regierungssprecher sagen, er sei der bestaussehende seit und nach Klaus Bölling? Tja, Jungs, ich schätze, nach jahrelangen Bemerkungen über die Haare, die Haarfarbe oder die Frisuren von Angela, Renate und Claudia müsst ihr da jetzt durch. Steffen Seibert weiß selbst, dass sein Gesicht – in diesem Fall natürlich die Tatsache, dass er es jahrelang beim ZDF in eine Kamera hielt – sowohl das Pfund, mit dem er buchen, als auch eine Belastung sein kann. Auf seiner ersten Pressekonferenz heute Vormittag gab er zunächst seine Gefühlslage zu Protokoll. Auch das dürfen Jungs heute ja.

    "Ich bin echt nervös. Es ist wie Abi, Führerscheinprüfung und diverse andere Dinge zusammen. Ich hoffe, dass sich das irgendwann mal legt."

    Fischer: Um dann auf die Frage zu antworten, warum er den neuen Job so gerne angenommen hat.

    "…, weil ich eine große Sympathie, vielleicht auch Bewunderung für die Arbeit der Bundeskanzlerin habe."

    Fischer: Steffen Seibert ist nicht der erste, aber vielleicht der derzeit prominenteste Journalist, der die Seiten wechselt. Vor der Sendung ging die Frage an den Hamburger Medienwissenschaftler Volker Lilienthal: Das ist ja, wenn wir in die Geschichte schauen, kein ungewöhnlicher Vorgang, oder?

    Volker Lilienthal: Sagen wir so: Es hat es immer wieder gegeben, dass Journalisten der Versuchung der Macht erlegen sind, dass sie mal aus der Beobachterposition heraus wollten, um Politik mitzugestalten. Insofern ist das immer wieder vorgekommen. Es gibt das Beispiel Klaus Bölling, der war Intendant von Radio Bremen und ist dann Helmut Schmidts Regierungssprecher geworden. Friedhelm Ost kam auch vom ZDF, wurde Helmut Kohls Regierungssprecher. Dann gibt es den Bundestagsabgeordneten der CDU Reinhard Grindel, kam auch vom ZDF – ganz komisch -, ist jetzt wie gesagt im Deutschen Bundestag. Und es gibt ja den bayerischen Gesundheitsminister Markus Söder, der vorher Redakteur beim Bayerischen Rundfunk war und heute wie gesagt Mitglied der Landesregierung des Freistaates. Übrigens auch Herr Söder wurde früher immer gesagt, soll ein Rückkehrrecht zum Bayerischen Rundfunk haben, wenn es denn mit der Politik mal nicht mehr klappen sollte. Ob das aktuell noch gilt, weiß ich nicht, aber es zeigt die Tendenz.

    Fischer: Die Beispiele, die Sie genannt haben, sind ja aber insofern positiv, als es für alle diese Personen ein Rückkehrrecht gegeben haben soll - auch für Steffen Seibert gibt es eines -, dieses aber nicht wahrgenommen wurde. Die Frage grundsätzlich lautet aber natürlich, das haben Sie angedeutet: Kann ein Journalist denn als Journalist noch glaubwürdig sein, wenn er einmal das Sprachrohr einer Regierung war?

    Lilienthal: Zunächst mal muss man sagen, dass das Rückkehrrecht ein enormes arbeitsrechtliches Privileg ist, welches es so nur beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Wenn ein Manager ein Privatunternehmen verlässt und zur Konkurrenz geht, wird er nie und nimmer zurückkehren können. Das ist ein Privileg. Und ich bin der Auffassung, dass es nicht geht, dass ein solcher Redakteur, zum Beispiel Seibert erwarten könnte, dass er beim ZDF wieder in der aktuellen Politik arbeitet, weil er hat einfach seine Unschuld verloren, nicht nur seine Unabhängigkeit, sondern auch seine Unschuld. Er war zu nah an den Töpfen der Macht, auch an den Fleischtöpfen der Macht, als dass man ihm zutrauen könnte, dass er nach seiner Rückkehr noch durch gleiche Distanz zu allen politischen Lagern, durch Äquidistanz das politische Geschehen unabhängig und neutral betrachten könnte. Also: Man muss einem solchen potenziellen Rückkehrer im Grunde vorher, wenn er den Sender verlässt, sagen, du könntest allenfalls in der Tierfilmabteilung beschäftigt werden, aber bitte nicht in der aktuellen Politik.

    Fischer: Vielleicht auch noch in der Hierarchie.

    Lilienthal: Vielleicht in der Verwaltung, sagen wir es mal so, nicht in der Hierarchie.

    Fischer: Angela Merkels ehemaliger Regierungssprecher ist sogar Intendant geworden.

    Lilienthal: Sie haben Recht: Die Realität belehrt uns beide da. Aber das heißt ja nicht, dass wir das gut finden müssen. Es ist sehr problematisch, dass Herr Wilhelm, der ein freundlicher, kluger Mann ist, dass der jetzt Intendant des Bayerischen Rundfunks ist. Wir wissen alle, der Bayerische Rundfunk ist der Landesregierung des Freistaates nicht ganz fern, und Herr Wilhelm muss es jetzt erst mal beweisen, dass auch er in der Lage ist, zu allen politischen Lagern Äquidistanz zu wahren und im Zweifel, dass zum Beispiel die Regierung des Freistaates eine große Affäre haben sollte, dass er die kritische Berichterstattung seiner Journalisten darüber nicht nur duldet, sondern geradezu befördert, um seine Unabhängigkeit selbst zu bezeugen. Insgesamt zeigen diese Wechsel, dass es um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vom Staat eben leider Gottes nicht so gut bestellt ist.

    Fischer: Auch da hilft vielleicht ein Blick in die Geschichte. Konrad Adenauers Kanzlertees sind berühmt geworden. Dazu wurden wichtige Journalisten eingeladen, um sie sozusagen auf die Regierungssicht einzunorden. Heute ist die Medienwelt nicht mehr ganz so gemütlich. Frage, Volker Lilienthal: Ist ein Regierungssprecher mehr Moderator, mehr Troubleshooter, oder hat er tatsächlich Einfluss?

    Lilienthal: Ich glaube schon, dass er Einfluss hat, aber eben Einfluss nur auf das öffentliche Bild, was sich die Gesellschaft von einer Regierung und ihrem Wirken macht. Seine Hauptaufgabe ist natürlich, Krisenkommunikation, Erfolgskommunikation nach außen zu machen, aber eben auch der Regierung zu vermitteln, wie ist das öffentliche Bild. Insofern ist er da stärker Moderator.

    Fischer: Volker Lilienthal, Medienwissenschaftler aus Hamburg, über Journalisten als Regierungssprecher und die mögliche Rolle rückwärts in die Anstalt.