"Also ich würde mich freuen, wenn es ein bisschen digital klingen würde."
Der Popfotograf Daniel Sannwald in London. Auf dem Sprung wie so oft, zum Flughafen. Wir konferieren als Game-Profil-Avatare online. Via digitaler Konferenz. Pokemon-Bildchen versus verfremdetes Passbild. Authentisch ist das Gespräch trotzdem. Genau das ist Daniel Sannwalds fotografisches Thema: Auflösung, Zersplitterung, Erweiterung von Identität in digitalen Räumen.
Außergewöhnlicher Web-Auftritt
Blitzlichtgewitter, Paparazzi-Ästhetik. Videos in schneller Folge, das ist Daniel Sannwalds außergewöhnliche Homepage. Sie heißt, lustig anonymisiert, "Premium International Company". Nichts weiter, nicht mal ein Impressum.
"Vor einem Jahr habe ich mich zusammengeschlossen mit einem Studio in London, das "Yes Studio". Die arbeiten als kreatives Studio in digitalen Medien. Das Konzept ist, dass es so aussehen soll, als wäre meine Homepage gehackt worden. Und jedes Mal, wenn ein User auf meine Webseite kommt, ins Netz geschleudert wird und so immer wieder auf einer neuen Seite landet."
Für den pragmatischen Zweck der Phishing- und Datenklau-Abwehr gibt es solche Programme noch viel elaborierter. Bei Daniel Sannwald indes sind alle Videos und Fotos von ihm selbst. Nur steht nicht Daniel Sannwald drauf. Mutig.
"Ja, aber natürlich nicht so kundenfreundlich. Das heißt, wenn ein Kunde mein Portfolio sehen möchte online, der muss dann zur Agentur, um sich die Portfolios gut anzuschauen. Auf jeden Fall finde ich es wichtig, dass man heutzutage etwas Neues und Spannendes bringt."
"Spektrum", ein Fotobuch mit Arbeiten der letzten Jahre, ist gerade erst erschienen. Die Neugier spiegelt sich auch hier. Zu sehen ist bei weitem mehr als das Portfolio eines Modefotografen. Farb- und Kontrastregler bis ins Extrem aufgerissen, sind das Fotos, die ihr Motiv transzendieren und sich verselbstständigen. In einer üppigen Farbgebung aus Gelb, Pink und Grün räkelt sich da etwa Popstar Rihanna und ist überhaupt nicht mehr als Rihanna zu erkennen. Daniel Sannwald macht so etwas wie Mode-Artwork und ist deshalb als Fotograf bei Künstlern wie M.I.A., die sich kongenial am Digitalen abarbeiten, gefragt.
"Also ich komme eigentlich aus der Kunst, habe mit Master abgeschlossen in Antwerpen, visuelle Kunst mit Schwerpunkt Fotografie und Video. Das war auch immer so ein Ansatz: Von der Kunst in die Mode. Von daher war das für mich immer wichtig, nicht nur ein schönes Bild von einem gutaussehenden Modell und einem neuen Kleidungsstück zu fotografieren, sondern neue Ansätze zu bringen."
"Die Kreativität interessiert mich am meisten"
Zum Beispiel so etwas wie Zeitgeist mit ins Foto zu bekommen. Unbehagen, gefühlte Sicherheitsdefizite, wie fängt man das ein? Daniel Sannwald nahm eine Überwachungskamera am Set, um Models zu fotografieren. Mut, Scheuklappenlosigkeit und ziemlich kompromisslose Eigenständigkeit wird ihm dafür in der Presse und in Blogs seit etwa zwei Jahren attestiert. Warum eigentlich London?
"In München groß geworden, nach Antwerpen gezogen, kurzzeitig Paris ausprobiert. Aber das war mir ein bisschen zu langsam, und als Modefotograf gibt es eigentlich nur drei große Städte: London, das für Kreativität steht, Paris Qualität und dann New York, wo das Geld liegt. Und natürlich interessiert mich die Kreativität am meisten."
Natürlich und von allein geht oft nicht viel. Jahrelang hat Daniel Sannwald beengt in WG's gewohnt. Jetzt: Läuft es bei ihm. Wohl, weil er das Klischee der Modewelt, Jahrmarkt der Eitelkeiten zu sein, hinter sich gelassen hat. Er ersetzt es durch technisches Know-how und Widerborstigkeit. Eine Aufnahme mit der simpelst möglichen Handykamera kann genau so viel Wert haben wie ein Foto von einem High-End-Gerät. Genres und Schubladen zwischen Fotografie und Kunst lösen sich auf. Der Bildband "Spektrum" ist randvoll mit Beispielen. Absolut entdeckenswert!
Daniel Sannwald: "Spektrum"
Hatje Cantz Verlag, Berlin 2017. 128 Seiten, 29,80 Euro.
Hatje Cantz Verlag, Berlin 2017. 128 Seiten, 29,80 Euro.