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Ein Stück auf das sich im Glanz aalende München

Johan Simons Inszenierung von "Die Straße. Die Stadt. Der Überafall" an den Münchner Kammerspielen ist eine grandiose Performance. Ein atemberaubender Parcour und eine witzige, kühne, steile eigenständige Fantasie über einen zunächst wie so oft bei Jelinek unbezwingbar erscheinenden Text, meint Sven Ricklefs.

Von Sven Ricklefs |
    Spätestens jetzt, spätestens mit dieser grandiosen Inszenierung ist Johan Simons zu Beginn seiner dritten Spielzeit als Intendant in den Kammerspielen angekommen. Er, der aus den Münchner Kammerspielen ein europäisches Theater machen will und dieses Projekt auch schon ein gutes Stück vorangetrieben hat, er hat zum 100. Jubiläum dieses Theater zugleich in der Stadt München und in der Maximilianstraße verankert.

    Mit einer kritischen Hommage an eben diese Straße, die zugleich in ihrer offenen theatralen Form weit über die Grenzen eines Stadttheaters hinausragt. Trotzdem: Sie ist tot, diese Straße, das ist ganz klar! Seit die Münchner Maximilianstraße fest in den Händen der globalen Modeplayer ist, die sich alle hier ein Flaggschiff leisten, lebt sie nicht mehr. Seitdem die Straße nicht mehr den kleinen Buchladen und den Italiener am Eck hat und vor allem nicht mehr Moshammers Kravattenstube, seitdem sie nur noch aus Hochglanzschaufenstern besteht, ist sie so tot, wie Rudolf Mooshammer tot ist, dieser exzentrische Designer, dessen Markenzeichen die schwarze monströse Perücke war und der Yorkshireterrier Daisy und der vor sieben Jahren von einem psychisch kranken Stricher erdrosselt wurde.

    In Elfriede Jelineks Stück "Die Straße. Die Stadt. Der Überfall" ist am Schluss die Maximilianstraße tot und Rudolf Mooshammer ist es auch. Auch wenn beide trotzdem noch sehr viel reden, wie ja immer sehr viel geredet wird, bei Elfriede Jelinek.

    Ich möchte ihren Mund küssen, doch sie ist gesichtslos. Da ist nichts mehr, nur ein blutiges Loch, wo einst Straße war, und dann ist sie in sich und durch sich selbst verschwunden.

    Natürlich ist "Die Straße. Die Stadt. Der Überfall" wieder eine von Elfriede Jelineks bekannten Textflächen, in denen die Sprachspiele und die Kalauer nur so übereinander stolpern, dabei aber zugleich in einer Art unbeirrbaren Gnadenlosigkeit den jeweiligen Gegenstand untersuchen. Die Mode und die Maximilianstraße, das war das vorgegebene Thema und in der Mode, da kennt sich die Jelinek aus, die sich selbst im Stück einmal als die bestangezogenste Staatsfeindin Österreichs bezeichnet. Und so mäandert sich ihr Text von dem Oberflächenphänomen Mode, das so viel über unsere Gegenwart erzählt, über die Maximilianstraße bis hin zu Mosi, dem überschminkten Exzentriker. Zugleich reflektiert der Text in überraschenden Volten Jelinek selbst als Autorin, stellt sie immer wieder auch infrage und seziert zudem die sich in ihrem Glanz aalende Provinzstadt München, ihre braune Vergangenheit ebenso wie ihre geldgetränkte und prominentengeile Gegenwart:

    Dieser Stadt bedeutet ja ein Bedeutender gar nichts, wenn ich überlege, wer hier schon alles gewohnt hat und keiner bedeutet was, keiner hat etwas bedeutet, außer er ist Koch oder naja: beim Fernsehen oder am besten: Koch beim Fernsehen.

    Während auf der Bühne der Münchner Kammerspiele Zuschauer auf einer Tribüne sitzen, ist ein Bühnenpodest weit in den Zuschauerraum gezogen, darauf Eiskristalle, die das Laufen auf dieser glitzernd-kalten Oberfläche für die nächste Zeit schwer machen werden. Und dann stöckeln sie herauf, aus einer Art Gruft, Männer, die etwa über die Mode parlieren, Männer nur im Pelzjäckchen oder in der Miederhose, mit Louis-Vuitton-Täschchen, Jungs in schrittkurzen Glockenkleidern und die Frau, die immer wieder auch das Alter Ego der Autorin ist. Inmitten eines wunderbaren Männerensembles: die Schauspielerin Sandra Hüller. Sie tritt in den Dialog mit dem einen oder anderen männlich travestierten Gegenüber, sie spielt, spricht, parliert und singt, Letzteres zur Liveband auf der Bühne. Johan Simons Uraufführungsinszenierung ist eine grandiose Performance, ein atemberaubender Parcour und eine witzige, kühne, steile eigenständige Fantasie über einen zunächst wie so oft bei Jelinek unbezwingbar erscheinenden Text.