Zwei Euro kostet es, mit dem Auto durch den Tunnel zu fahren. Die einfache Fahrt.
"Aber es ist für mich so ne Abkürzung, wenn ich hier von Bahrenfeld, wohn ich, wenn ich hier durchfahr, sind's sieben Kilometer. Außen rum sind's immer 14 oder 20. Und das spart ja auch. Spart ja Sprit."
Etwa 35 Sekunden rumpelt der Holzaufzug hinab in die Tiefe. Größe: gigantisch. Bis zu 9,50 Meter auf 2,20 Meter. Acht Stück gibt es davon. An jeder Tunnelseite vier. Zwei Autos passen locker hinein, zig Fahrräder und jede Menge Fußgänger.
"Ja, der Aufzug ist interessant. Weil sieht man nicht alle Tage, dass Autos mit dem Aufzug fahren."
Unten angekommen, schiebt sich wie ein Theatervorhang die hölzerne Vorderfront nach oben. Und gibt den Blick frei. Auf einen meterhohen Vorraum und in die Tunnelröhren.
"Man glaubt in eine endlose Tiefe hineinzuschauen, die von elektrischen Glühlampen, die sich wie Perlen aneinanderreihen, erleuchtet wird",
kommentierte das "Hamburger Fremdenblatt" bei der Eröffnung des St. Pauli Elbtunnels.
Der Alte Elbtunnel: 24 Meter unter der Erde, zwölf Meter unter dem Fluss. Eigentlich ist er für Fußgänger gebaut worden. Allenfalls für Pferdefuhrwerke. Heute rumpeln Autos durch die engen Fahrspuren. Fahrräder kurven hinterher. Auf den Bürgersteigen rucksackbewehrte Touristen.
"Faszinierend. Und so unter dem Wasser. Ist ein altes Bauwerk. Nicht wie es heute so überall ist."
Die Hamburgbesucher zücken ihre Kameras und fotografieren mit Blitzlichtgewitter weit in die matt erleuchteten Tunnelröhren.
"Das ist für nen Tunnel eigentlich nicht normal, dass der so schön gestaltet ist."
Nein, der St. Pauli Elbtunnel ist kein schlichter dunkler Betontunnel. Die Röhren sind rundum mit hellen Kacheln versehen. Alle paar Meter in Augenhöhe grünliche Keramikreliefs. Sie zeigen maritime Motive: Schleierfische, Schnecken und sogar einen Hummer.
"Hier ist mein absolutes Lieblingsrelief. Es handelt sich um einen alten Seemannsstiefel, in dem Ratten herumspielen. Eine springt rüber. Die eine will in den Schaft klettern, die andere nagt an der Hacke."
Der Ingenieur Hermann Jonetzki ist Bauwerks- und Materialprüfer bei der Hamburg Port Authority. Er ist zuständig für den Tunnel. Die aufwändig gestalteten Reliefs begeistern ihn.
"Sie sehen da oben eine der hübschesten Sachen. Die rührt richtig."
Hermann Jonetzki zeigt nach oben. Über die Weströhre am Tunneleingang. St.-Pauli-Seite.
"Das zeigt den Tunneldurchbruch. Auf der einen Seite wird dargestellt der Herr Stockhausen. Der Oberbauleiter von dem Tunnel 1910. Und auf der anderen Seite seine junge Braut. Und sie reichen sich die Hände durch das Loch, das gerade eben in die Tunnelwand geschlagen worden ist."
Die Geschichte hat sich wirklich so ereignet, beteuert Hermann Jonetzki. Das Liebespaar reichte sich die Hand durch den ersten Tunneldurchbruch. Ein vielversprechender Start für das Jahrhundertbauwerk. Das Glück von Tunnelbaumeister Otto Stockhausen und seiner Braut war dagegen nur von kurzer Dauer.
"Die haben nach dem Tunnelbau geheiratet, weil er vorher eigentlich keine Zeit hatte. Er wohnte nämlich auf der Baustelle. Und 1911 war der Tunnel fertig. 1914 fing der Krieg an. Und er ist gleich im ersten Kriegsjahr gefallen. Mit 33 oder 34 Jahren."
Die Idee zum Bau eines Elbtunnels entstand schon am Ende des 19. Jahrhunderts, als Kaiser und Vaterland ihr Herz für die Schifffahrt entdeckten, erzählt der Historiker Dr. Jürgen Rath:
"Es war die Zeit der großen Passagierdampfer. Es war die Zeit des Flottenprogramms. Man wollte ja hinter England nicht hinterherhinken. Und da hatten die Werften schon reichlich Aufträge. Und es wurden unendlich viel Nieter, Vorhalter, Nietenjungs, Stemmer gebraucht."
Jürgen Rath hat die Arbeitsbedingungen im Hamburger Hafen erforscht. Ursprünglich waren Hafen und Werften auf der Nordseite der Elbe, der Stadtseite, erzählt er. Dann entstand Ende des 19. Jahrhunderts der Freihafen. Und mit ihm die Speicherstadt, in der die Waren gelagert wurden.
"Auf diesem Gebiet, wo heute die Speicherstadt steht, haben ehemals 20.000 bis 24.000 Leute gewohnt. Die wurden ausquartiert, die mussten sich irgendwas anderes suchen. Ohne staatliche Unterstützung. Damals hat man sich nicht so viel Gedanken über den Verbleib der Leute gemacht. Das war Gründerzeiteuphorie. Da ging es um das große Geschäft."
Viele aus ihren hafennahen Wohnungen ausquartierten Arbeiter mussten in weit entfernte Stadtteile umsiedeln. Zum Beispiel nach Barmbeck.
"Und der Weg von Barmbeck zu Fuß zum Hafen, das dauerte schon mal ne gute Stunde."
Zudem waren im Zuge der Hafenerweiterung die Werften von der nördlichen auf die südliche Elbseite verlegt worden. Von St. Pauli nach Steinwerder. Und mit ihnen die Arbeitsplätze. Wer im Hafen Geld verdienen wollte, musste jetzt über den Fluss. Zum Beispiel mit den Fähren der 1888 gegründeten Hafen-Dampfschiffahrts-Actien-Gesellschaft, kurz HADAG.
"Das hatte allerdings den Nachteil, dass diese Fähren bezahlt werden mussten. Und nicht alle Hafenarbeiter waren extrem reich. Eher umgekehrt. Die Tagelöhner lebten von der Hand in den Mund. Und da war es ein ziemlicher Kostenaufwand, diese Fähren zu benutzen. Diese Hafenarbeiter benutzten zum Beispiel auch keine Straßenbahn. Und wenn sie die Straßenbahn benutzten, dann haben sie sich genau an die 10- Pfennig-Grenze gehalten. Das heißt in dem Augenblick, wo sie fünf Pfennig dazu hätten zahlen müssen, sind sie lieber aus der Straßenbahn gestiegen und sind den Rest des Arbeitsweges zu Fuß gegangen."
Außer den Kosten machte auch Gedrängel auf den Fähren den Arbeitern das Leben schwer. Die Leute mussten pünktlich sein. Sonst gab es Lohnabzug.
"Es gab zum Beispiel im Jahre 1901 von der Verkehrskommission des Hamburger Senats eine Beschwerde, dass in diesem Jahr 1901 fünf Arbeiter zu Tode gekommen waren, weil sie zu spät auf die Fähre noch aufgesprungen sind oder zu früh von der Fähre an die Pier springen wollten."
Die Lösung hieß für viele: Individualverkehr. Man tat sich zu viert oder fünft zusammen und versuchte bei Wind und Wetter im eigenen Ruderboot die Südseite zu erreichen, sagt Jürgen Rath.
"Auch bei Nebel, auch bei Schnee und Eis. Das war nicht ungefährlich. Speziell im Winter. Und mit dem zunehmenden Schiffsverkehr war das auch ein Ärgernis für die Behörde, weil da eben sich Wege kreuzten. Die Schiffe, die elbabwärts fuhren oder elbaufwärts, standen im rechten Winkel zu den rudernden Schauerleuten oder Werftarbeitern. Das konnte dann ohne Weiteres passieren, dass dann Konfliktsituationen entstanden auf dem Wasser."
Um 1905 waren etwa fünfzigtausend Menschen im Hamburger Hafen beschäftigt. Als Schauerleute oder Kaiarbeiter, Ewerführer, Speicher- oder Werftarbeiter. Und alle mussten rüber über den Fluss.
"Wenn aber Nebel war zum Beispiel oder Eisgang, konnten sie die Fähren nicht benutzen, sondern mussten einen mehr als zehn Kilometer langen Umweg über die Elbbrücken laufen. Jeden Tag. Das hat solche Formen angenommen, dass sich sogar die Industriellen – also zum Beispiel der Werfbesitzer Blohm – darüber beim Senat beschwert haben, dass endlich ne leistungsfähige Verbindung geschaffen werden muss, damit seine Arbeiter pünktlich auf die Werft kommen."
Solche Beschwerden fruchteten, sagt Sven Badua. Er ist Buchautor und Experte für Technik- und Wirtschaftsgeschichte. Der Hamburger Senat suchte nach einer Lösung für die Elbquerung. Eine Brücke hätte den Schiffsverkehr behindert. Eine Hochbrücke, fünfzig oder sechzig Meter über der Elbe, wäre extrem teuer geworden.
"Und Fähren, Motorfähren oder Schwebefähren, das sind also Brückenkonstruktionen, wo also ne Gondel unter der Brücke hin und her pendelt, sind einfach nicht leistungsfähig genug."
Nach den Vorbildern von Glasgow und London wurde ein Tunnel geplant. Der erste große Unterwassertunnel des europäischen Festlandes. Eine riesige Herausforderung für die Ingenieure.
"Das Problem unter Wasser ist, das ist, wie wenn man in Modderpampe greift. Also wie am Strand, wenn man diesen unter Wasser gesetzten Sand hat und da reingreift, da merkt man, wie einem dieser nasse Sand regelrecht wegfließt. Und genauso einen Boden hat man eben unter der Elbe."
Die Modderpampe musste also draußen gehalten werden. Und trotzdem mussten die Arbeiter unter dem Fluss graben können. Dazu wurde eine Art riesige Dose mit einem Durchmesser von sechs Metern durch einen Schacht in den Boden gedrückt. Direkt in die Modderpampe, sagt Sven Badua.
"Und damit das vorne bei dem Loch nicht reinlief, hat man das Ganze unter Druckluft gesetzt, sodass das Wasser und die Modderpampe durch die Druckluft immer an der Front des Schildes gehalten wurden. Und immer nur so viel abgebaut wurde, wie eben gerade ging. Sodass das auch abtransportiert werden konnte."
Mechanische Hilfsmittel beim Abbau der mit Findlingen durchsetzten Erde gab es kaum, sagt Dr. Jürgen Bönig. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Hamburger Museum der Arbeit hat eine Ausstellung über den Tunnel konzipiert.
"Sie müssen sich vorstellen, Sie haben eine Wand vor sich, die sie abgraben müssen. Sie müssen ja horizontal graben. Und das konnte man damals nicht mit einem Hydraulikbagger machen, sondern man musste das mit der Schaufel machen. Mit der Schaufel im Schutz des Schildes haben sie das abgegraben. Und haben das, was an Elbgrund da vor ihnen war abgegraben, in ne Lore getan. Die Lore ist per Hand geschoben worden durch die Materialschleuse. Und dann ist das an die Oberfläche gebracht worden."
Das war härteste Knochenarbeit im wasserreichen Elbgrund:
"Das heißt 100 Prozent Luftfeuchtigkeit, wahrscheinlich 35, 40 Grad Temperatur. Und man hat immer dieses Pfeifen der Pressluft hinter sich und schuftet per Hand."
Die Druckluft bereitete den Arbeitern zusätzliche Probleme. Die sogenannte Caisson- oder Taucherkrankheit war schon damals aus England bekannt. Aber wenig erforscht.
"Taucher sind nichts anderes als Caissonarbeiter. Die sind auch vor dem Problem, dass sie unter Druck atmen müssen und sich das Gas in ihrem Blut und Körperflüssigkeiten löst."
Viele der Arbeiter litten nach der Schicht an schweren Gliederschmerzen, Lähmungserscheinungen, Schüttelfrost und Schwindelgefühlen.
"Und dann hat der Herr Lauenstein, das ist ein Arzt am Hafenkrankenhaus gewesen, der hat gesagt, wir müssen die Leute eigentlich schnell ausschleusen, weil die erkälten sich, die kriegen Rheumatismus. Und hat gesagt, möglichst schnell ausschleusen, damit diese Kälteperiode … und den Leuten Decken geben und warmen Tee und dann verhindern wir die Taucherkrankheit. Das war genau das Gegenteil von dem, was wir heute wissen, was richtig ist."
Nachdem es die ersten Toten gegeben hatte, gerieten die Baufirma und der Hamburger Senat unter Druck. Man berief daraufhin den Arzt Arthur Bornstein zum Druckluftarzt.
"Der auf Steinwerden saß, immer dabei war und kontrolliert hat, dass die Vorschriften, die er erlassen hat…, die praktisch der heutigen Pressluftarbeitsverordnung entspricht, die hat er damals schon erlassen."
Arthur Bornstein und seine Frau Adele, die ebenfalls Ärztin war, erkannten, dass die Arbeiter langsam und schrittweise ausgeschleust werden mussten, damit sie die gelösten Gase abatmen konnten. Bornstein installierte eine Notfallschleuse, in die alle Arbeiter zurückgebracht und erneut ausgeschleust wurden, wenn sie nach Schichtende Krankheitssymptome zeigten. Damit rettete das Ehepaar vielen Arbeitern das Leben. Die meisten von ihnen waren Menschen aus fremden Ländern. Hamburg ist von Gastarbeitern gebaut worden, resümiert Jürgen Bönig.
"Es gab viele Wanderarbeiter auf der Baustelle des Alten Elbtunnels. Aus Polen, Russland, Italien. Aus Skandinavien, Niederlanden und Belgien. Und das waren Leute, die Knochenarbeit gewohnt waren. Und die haben einen Zuschlag für Pressluftarbeit gekriegt. Nicht so wenig. Das waren 41 Pfennige, waren das damals. Und die haben in drei Schichten gearbeitet auf der Baustelle. Tag und Nacht."
Einmal wäre es diesen Arbeitern fast an den Kragen gegangen, erzählt Jürgen Bönig. Da gab es einen sogenannten Ausbläser. An einer Stelle strömte Pressluft aus der Baustelle nach oben in die Elbe. Der damalige Oberingenieur erinnert sich:
"Wir klammerten uns an Pfeiler und Streben, und rasender Druck, die Pressluft des 150 Meter langen Tunnels, wollte uns mit ungeheurer Gewalt empor an die Oberfläche reißen. Unsere Beine standen waagerecht ab. Aber die Fäuste hielten, was sie gepackt hatten. Ewigkeitsminuten vergingen so. Krachen und Prasseln erfüllte die Luft. Balkenstreben wurden durch den Druck herausgerissen. Brachen knirschend und prasselnd und wurden mit ungeheurer Gewalt durch die Öffnung in die Elbe gerissen.
Endlich nach langen bangen Minuten war der Druckunterschied zwischen Luft und Wasser ausgeglichen. Da brach das Wasser durch das Loch im Flussbett herein."
Ein Augenblick, den die Arbeiter nutzten, um aus dem Tunnel zu fliehen. Wie durch ein Wunder wurde bei dem Unfall niemand verletzt.
"Wenn es Tote gegeben hätte, hätten sie den Tunnel eventuell nicht fertig gebaut."
Am 7. September 1911 wurde der Tunnel im Beisein des Kaisers eingeweiht. Fortan konnten die Arbeitermassen in knapp zehn Minuten den 426 Meter langen Tunnel passieren. Und waren an ihrem Arbeitsplatz. Sven Badua:
"Es ist wirklich so gewesen in den ersten Jahrzehnten, dass der Tunnel zu den Schichtwechseln wirklich schwarz voll Menschen war. Er funktionierte dann jeweils auch nur in eine Richtung. Das heißt zu Frühschicht, also vor Beginn der Frühschicht morgens, wurde die Richtung nach Steinwerder geschaltet. Und nach dem Schichtwechsel ging es in die umgekehrte Richtung. Jeweils für ne halbe Stunde. Es wäre ein Gegenverkehr überhaupt nicht möglich gewesen."
Im Gegensatz zu den HADAG-Fähren konnte der Tunnel von den Arbeitern kostenlos genutzt werden, erzählt der Historiker Jürgen Rath.
"Was allerdings zunächst nicht geplant war. Zunächst ging der Hamburger Senat davon aus, dass es eine Abgabe für Fußgänger geben sollte. Dem wurde aber von der Hamburger Arbeiterschaft entgegengehalten, dass auch die Bourgeoisie, wie das so schön hieß damals, ihre Reitwege auf Kosten des Senats befestigt bekommen."
Der Tunnel war aber mehr als nur ein bequemer Arbeitsweg, sagt Ingrid Breckner. Sie ist Professorin für Stadt- und Regionalsoziologie an der HafenCity Universität in Hamburg.
"Der Elbtunnel ist damals gewesen ein ganz wichtiger Anschlussweg, um Waren aus dem südlichen Umland von Hamburg auf die Hamburger Märkte zu transportieren. Gemüse, Lebensmittel, Fische aus dem Hafen in den Süden zu verbringen."
Schon damals war der Elbtunnel die Materialisierung des Gedankens, das südliche Umland an Hamburg anzubinden, sagt Ingrid Breckner.
"Ohne den alten Elbtunnel wäre die ohnehin schwierige Verknüpfung der südlichen Teile von Hamburg nicht in dem Maße gelungen."
Seit 2003 steht der St. Pauli Elbtunnel unter Denkmalschutz. Nach wie vor ist er technisch in gutem Zustand. Die derzeitige Generalüberholung ist eher Kosmetik. Ein Geschenk zum 100. Geburtstag.
"Eines muss man diesen Vorvätern schlicht und ergreifend zugestehen. Sie hatten Sinn für die Kombination von Schönheit und Konstruktion. Hier gibt es sogar Ornament an der Konstruktion. Die heutigen Bauwerke sind nahezu ornamentfrei. Jeder Euro wird zweimal rumgedreht. Und für Kunst am Bau ist relativ wenig Geld übrig."
Der Architekt Albert Schett vom Hamburger Denkmalschutzamt zeigt auf die Stahlstützen rund um die Aufzüge. Selbst hier sind Verzierungen, Rauten und Rechtecke eingearbeitet.
"Um's vielleicht mit anderen Worten zu sagen. Diese Philosophie heißt, wir tun hier etwas, was noch keiner vor uns getan hat. Und wir sind stolz drauf. Und wir können was. Und wir zeigen das, dass wir was können. Und wir zeigen das nicht nur einem ganz bestimmten Publikum, sondern wir zeigen das allen. Wir machen es allen zugänglich."
Um 1910 explodierte in Hamburg der Fortschritt, sagt Albert Schett. Kräne und Dampfmaschinen, die aus England kamen, sind hier aufgestellt worden. Die Industrielle Revolution schwappte über den Kanal.
"Die Verbesserung der Stähle, die Metallurgie hat sich gebessert. Nur mit der Verbesserung der Metallurgie war es überhaupt möglich für die Hochbahn, die ganzen stählernen Viadukte, ne Fertigungstechnik dafür zu erfinden, um diese überhaupt produzieren zu können."
Auch der Tunnel besteht aus Stahl. Aus stählernen Tübbingen, Hohlprofilen, die aneinander genietet und mit Blei vergossen wurden. Damals eine ganz neue Technik. Wie auch die ersten Ab- und Frischwassersysteme, die halfen, Krankheiten wie Cholera und Typhus zu besiegen.
"Die ersten Leitungen waren ja noch Holzleitungen gewesen. Da schwammen noch die Frösche durch. Und erst im Laufe der Zeit ist man auf die anderen Baustoffe gekommen."
Etwa zehn Millionen Goldmark hat der Tunnel damals gekostet. Geld, das sich sicher amortisiert hat, sagt Alfred Schett.
"Zum einen kam dieser Profit über Steuereinnahmen von Unternehmen, die sich hier angesiedelt haben, natürlich der Hansestadt wieder zugute. Denn wenn Sie keine Infrastruktur bereitstellen, dann siedeln sich die Unternehmen nicht an. Und zur damaligen Zeit waren Standortvorteile wie der hier natürlich extrem. Die ganze Gegend hat geboomt. Der Hafen, das war das Herz, ist das Herz nach wie vor von Hamburg."
Das heutige Herz der Hansestadt hat sich allerdings in den letzten einhundert Jahren deutlich verkleinert. Heute arbeiten gerade mal fünftausend Leute im Hafen.
"Früher wurden hier Schiffe produziert. Und heute ist der Hafen Umschlagsstandort. Was früher Hallen brauchte und große Gebäude, braucht heute ne freie Fläche, auf dem Kräne sich bewegen können. Und zum anderen ändert sich die Produktionswirtschaft von der sogenannten harten Ware in die weiche Ware. Die elektronische Wirtschaft produziert ganz andere Dinge, und der Standortfrage kommt nicht mehr die Bedeutung zu wie früher."
Auch wenn das Personal, das im Hafen arbeitet, in den letzten Jahren stark geschrumpft ist, benutzen immer noch viele Menschen den Alten Elbtunnel als Arbeitsweg. Nicht alle wissen zu schätzen, welche denkmalgeschützte Sehenswürdigkeit sie täglich durchqueren.
"Ich bin da pragmatisch. Ich komm von einer Seite der Elbe auf die andere. Und ob das nun in ner eckigen oder ner runden Röhre ist, ist mir eigentlich egal."
"Aber es ist für mich so ne Abkürzung, wenn ich hier von Bahrenfeld, wohn ich, wenn ich hier durchfahr, sind's sieben Kilometer. Außen rum sind's immer 14 oder 20. Und das spart ja auch. Spart ja Sprit."
Etwa 35 Sekunden rumpelt der Holzaufzug hinab in die Tiefe. Größe: gigantisch. Bis zu 9,50 Meter auf 2,20 Meter. Acht Stück gibt es davon. An jeder Tunnelseite vier. Zwei Autos passen locker hinein, zig Fahrräder und jede Menge Fußgänger.
"Ja, der Aufzug ist interessant. Weil sieht man nicht alle Tage, dass Autos mit dem Aufzug fahren."
Unten angekommen, schiebt sich wie ein Theatervorhang die hölzerne Vorderfront nach oben. Und gibt den Blick frei. Auf einen meterhohen Vorraum und in die Tunnelröhren.
"Man glaubt in eine endlose Tiefe hineinzuschauen, die von elektrischen Glühlampen, die sich wie Perlen aneinanderreihen, erleuchtet wird",
kommentierte das "Hamburger Fremdenblatt" bei der Eröffnung des St. Pauli Elbtunnels.
Der Alte Elbtunnel: 24 Meter unter der Erde, zwölf Meter unter dem Fluss. Eigentlich ist er für Fußgänger gebaut worden. Allenfalls für Pferdefuhrwerke. Heute rumpeln Autos durch die engen Fahrspuren. Fahrräder kurven hinterher. Auf den Bürgersteigen rucksackbewehrte Touristen.
"Faszinierend. Und so unter dem Wasser. Ist ein altes Bauwerk. Nicht wie es heute so überall ist."
Die Hamburgbesucher zücken ihre Kameras und fotografieren mit Blitzlichtgewitter weit in die matt erleuchteten Tunnelröhren.
"Das ist für nen Tunnel eigentlich nicht normal, dass der so schön gestaltet ist."
Nein, der St. Pauli Elbtunnel ist kein schlichter dunkler Betontunnel. Die Röhren sind rundum mit hellen Kacheln versehen. Alle paar Meter in Augenhöhe grünliche Keramikreliefs. Sie zeigen maritime Motive: Schleierfische, Schnecken und sogar einen Hummer.
"Hier ist mein absolutes Lieblingsrelief. Es handelt sich um einen alten Seemannsstiefel, in dem Ratten herumspielen. Eine springt rüber. Die eine will in den Schaft klettern, die andere nagt an der Hacke."
Der Ingenieur Hermann Jonetzki ist Bauwerks- und Materialprüfer bei der Hamburg Port Authority. Er ist zuständig für den Tunnel. Die aufwändig gestalteten Reliefs begeistern ihn.
"Sie sehen da oben eine der hübschesten Sachen. Die rührt richtig."
Hermann Jonetzki zeigt nach oben. Über die Weströhre am Tunneleingang. St.-Pauli-Seite.
"Das zeigt den Tunneldurchbruch. Auf der einen Seite wird dargestellt der Herr Stockhausen. Der Oberbauleiter von dem Tunnel 1910. Und auf der anderen Seite seine junge Braut. Und sie reichen sich die Hände durch das Loch, das gerade eben in die Tunnelwand geschlagen worden ist."
Die Geschichte hat sich wirklich so ereignet, beteuert Hermann Jonetzki. Das Liebespaar reichte sich die Hand durch den ersten Tunneldurchbruch. Ein vielversprechender Start für das Jahrhundertbauwerk. Das Glück von Tunnelbaumeister Otto Stockhausen und seiner Braut war dagegen nur von kurzer Dauer.
"Die haben nach dem Tunnelbau geheiratet, weil er vorher eigentlich keine Zeit hatte. Er wohnte nämlich auf der Baustelle. Und 1911 war der Tunnel fertig. 1914 fing der Krieg an. Und er ist gleich im ersten Kriegsjahr gefallen. Mit 33 oder 34 Jahren."
Die Idee zum Bau eines Elbtunnels entstand schon am Ende des 19. Jahrhunderts, als Kaiser und Vaterland ihr Herz für die Schifffahrt entdeckten, erzählt der Historiker Dr. Jürgen Rath:
"Es war die Zeit der großen Passagierdampfer. Es war die Zeit des Flottenprogramms. Man wollte ja hinter England nicht hinterherhinken. Und da hatten die Werften schon reichlich Aufträge. Und es wurden unendlich viel Nieter, Vorhalter, Nietenjungs, Stemmer gebraucht."
Jürgen Rath hat die Arbeitsbedingungen im Hamburger Hafen erforscht. Ursprünglich waren Hafen und Werften auf der Nordseite der Elbe, der Stadtseite, erzählt er. Dann entstand Ende des 19. Jahrhunderts der Freihafen. Und mit ihm die Speicherstadt, in der die Waren gelagert wurden.
"Auf diesem Gebiet, wo heute die Speicherstadt steht, haben ehemals 20.000 bis 24.000 Leute gewohnt. Die wurden ausquartiert, die mussten sich irgendwas anderes suchen. Ohne staatliche Unterstützung. Damals hat man sich nicht so viel Gedanken über den Verbleib der Leute gemacht. Das war Gründerzeiteuphorie. Da ging es um das große Geschäft."
Viele aus ihren hafennahen Wohnungen ausquartierten Arbeiter mussten in weit entfernte Stadtteile umsiedeln. Zum Beispiel nach Barmbeck.
"Und der Weg von Barmbeck zu Fuß zum Hafen, das dauerte schon mal ne gute Stunde."
Zudem waren im Zuge der Hafenerweiterung die Werften von der nördlichen auf die südliche Elbseite verlegt worden. Von St. Pauli nach Steinwerder. Und mit ihnen die Arbeitsplätze. Wer im Hafen Geld verdienen wollte, musste jetzt über den Fluss. Zum Beispiel mit den Fähren der 1888 gegründeten Hafen-Dampfschiffahrts-Actien-Gesellschaft, kurz HADAG.
"Das hatte allerdings den Nachteil, dass diese Fähren bezahlt werden mussten. Und nicht alle Hafenarbeiter waren extrem reich. Eher umgekehrt. Die Tagelöhner lebten von der Hand in den Mund. Und da war es ein ziemlicher Kostenaufwand, diese Fähren zu benutzen. Diese Hafenarbeiter benutzten zum Beispiel auch keine Straßenbahn. Und wenn sie die Straßenbahn benutzten, dann haben sie sich genau an die 10- Pfennig-Grenze gehalten. Das heißt in dem Augenblick, wo sie fünf Pfennig dazu hätten zahlen müssen, sind sie lieber aus der Straßenbahn gestiegen und sind den Rest des Arbeitsweges zu Fuß gegangen."
Außer den Kosten machte auch Gedrängel auf den Fähren den Arbeitern das Leben schwer. Die Leute mussten pünktlich sein. Sonst gab es Lohnabzug.
"Es gab zum Beispiel im Jahre 1901 von der Verkehrskommission des Hamburger Senats eine Beschwerde, dass in diesem Jahr 1901 fünf Arbeiter zu Tode gekommen waren, weil sie zu spät auf die Fähre noch aufgesprungen sind oder zu früh von der Fähre an die Pier springen wollten."
Die Lösung hieß für viele: Individualverkehr. Man tat sich zu viert oder fünft zusammen und versuchte bei Wind und Wetter im eigenen Ruderboot die Südseite zu erreichen, sagt Jürgen Rath.
"Auch bei Nebel, auch bei Schnee und Eis. Das war nicht ungefährlich. Speziell im Winter. Und mit dem zunehmenden Schiffsverkehr war das auch ein Ärgernis für die Behörde, weil da eben sich Wege kreuzten. Die Schiffe, die elbabwärts fuhren oder elbaufwärts, standen im rechten Winkel zu den rudernden Schauerleuten oder Werftarbeitern. Das konnte dann ohne Weiteres passieren, dass dann Konfliktsituationen entstanden auf dem Wasser."
Um 1905 waren etwa fünfzigtausend Menschen im Hamburger Hafen beschäftigt. Als Schauerleute oder Kaiarbeiter, Ewerführer, Speicher- oder Werftarbeiter. Und alle mussten rüber über den Fluss.
"Wenn aber Nebel war zum Beispiel oder Eisgang, konnten sie die Fähren nicht benutzen, sondern mussten einen mehr als zehn Kilometer langen Umweg über die Elbbrücken laufen. Jeden Tag. Das hat solche Formen angenommen, dass sich sogar die Industriellen – also zum Beispiel der Werfbesitzer Blohm – darüber beim Senat beschwert haben, dass endlich ne leistungsfähige Verbindung geschaffen werden muss, damit seine Arbeiter pünktlich auf die Werft kommen."
Solche Beschwerden fruchteten, sagt Sven Badua. Er ist Buchautor und Experte für Technik- und Wirtschaftsgeschichte. Der Hamburger Senat suchte nach einer Lösung für die Elbquerung. Eine Brücke hätte den Schiffsverkehr behindert. Eine Hochbrücke, fünfzig oder sechzig Meter über der Elbe, wäre extrem teuer geworden.
"Und Fähren, Motorfähren oder Schwebefähren, das sind also Brückenkonstruktionen, wo also ne Gondel unter der Brücke hin und her pendelt, sind einfach nicht leistungsfähig genug."
Nach den Vorbildern von Glasgow und London wurde ein Tunnel geplant. Der erste große Unterwassertunnel des europäischen Festlandes. Eine riesige Herausforderung für die Ingenieure.
"Das Problem unter Wasser ist, das ist, wie wenn man in Modderpampe greift. Also wie am Strand, wenn man diesen unter Wasser gesetzten Sand hat und da reingreift, da merkt man, wie einem dieser nasse Sand regelrecht wegfließt. Und genauso einen Boden hat man eben unter der Elbe."
Die Modderpampe musste also draußen gehalten werden. Und trotzdem mussten die Arbeiter unter dem Fluss graben können. Dazu wurde eine Art riesige Dose mit einem Durchmesser von sechs Metern durch einen Schacht in den Boden gedrückt. Direkt in die Modderpampe, sagt Sven Badua.
"Und damit das vorne bei dem Loch nicht reinlief, hat man das Ganze unter Druckluft gesetzt, sodass das Wasser und die Modderpampe durch die Druckluft immer an der Front des Schildes gehalten wurden. Und immer nur so viel abgebaut wurde, wie eben gerade ging. Sodass das auch abtransportiert werden konnte."
Mechanische Hilfsmittel beim Abbau der mit Findlingen durchsetzten Erde gab es kaum, sagt Dr. Jürgen Bönig. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Hamburger Museum der Arbeit hat eine Ausstellung über den Tunnel konzipiert.
"Sie müssen sich vorstellen, Sie haben eine Wand vor sich, die sie abgraben müssen. Sie müssen ja horizontal graben. Und das konnte man damals nicht mit einem Hydraulikbagger machen, sondern man musste das mit der Schaufel machen. Mit der Schaufel im Schutz des Schildes haben sie das abgegraben. Und haben das, was an Elbgrund da vor ihnen war abgegraben, in ne Lore getan. Die Lore ist per Hand geschoben worden durch die Materialschleuse. Und dann ist das an die Oberfläche gebracht worden."
Das war härteste Knochenarbeit im wasserreichen Elbgrund:
"Das heißt 100 Prozent Luftfeuchtigkeit, wahrscheinlich 35, 40 Grad Temperatur. Und man hat immer dieses Pfeifen der Pressluft hinter sich und schuftet per Hand."
Die Druckluft bereitete den Arbeitern zusätzliche Probleme. Die sogenannte Caisson- oder Taucherkrankheit war schon damals aus England bekannt. Aber wenig erforscht.
"Taucher sind nichts anderes als Caissonarbeiter. Die sind auch vor dem Problem, dass sie unter Druck atmen müssen und sich das Gas in ihrem Blut und Körperflüssigkeiten löst."
Viele der Arbeiter litten nach der Schicht an schweren Gliederschmerzen, Lähmungserscheinungen, Schüttelfrost und Schwindelgefühlen.
"Und dann hat der Herr Lauenstein, das ist ein Arzt am Hafenkrankenhaus gewesen, der hat gesagt, wir müssen die Leute eigentlich schnell ausschleusen, weil die erkälten sich, die kriegen Rheumatismus. Und hat gesagt, möglichst schnell ausschleusen, damit diese Kälteperiode … und den Leuten Decken geben und warmen Tee und dann verhindern wir die Taucherkrankheit. Das war genau das Gegenteil von dem, was wir heute wissen, was richtig ist."
Nachdem es die ersten Toten gegeben hatte, gerieten die Baufirma und der Hamburger Senat unter Druck. Man berief daraufhin den Arzt Arthur Bornstein zum Druckluftarzt.
"Der auf Steinwerden saß, immer dabei war und kontrolliert hat, dass die Vorschriften, die er erlassen hat…, die praktisch der heutigen Pressluftarbeitsverordnung entspricht, die hat er damals schon erlassen."
Arthur Bornstein und seine Frau Adele, die ebenfalls Ärztin war, erkannten, dass die Arbeiter langsam und schrittweise ausgeschleust werden mussten, damit sie die gelösten Gase abatmen konnten. Bornstein installierte eine Notfallschleuse, in die alle Arbeiter zurückgebracht und erneut ausgeschleust wurden, wenn sie nach Schichtende Krankheitssymptome zeigten. Damit rettete das Ehepaar vielen Arbeitern das Leben. Die meisten von ihnen waren Menschen aus fremden Ländern. Hamburg ist von Gastarbeitern gebaut worden, resümiert Jürgen Bönig.
"Es gab viele Wanderarbeiter auf der Baustelle des Alten Elbtunnels. Aus Polen, Russland, Italien. Aus Skandinavien, Niederlanden und Belgien. Und das waren Leute, die Knochenarbeit gewohnt waren. Und die haben einen Zuschlag für Pressluftarbeit gekriegt. Nicht so wenig. Das waren 41 Pfennige, waren das damals. Und die haben in drei Schichten gearbeitet auf der Baustelle. Tag und Nacht."
Einmal wäre es diesen Arbeitern fast an den Kragen gegangen, erzählt Jürgen Bönig. Da gab es einen sogenannten Ausbläser. An einer Stelle strömte Pressluft aus der Baustelle nach oben in die Elbe. Der damalige Oberingenieur erinnert sich:
"Wir klammerten uns an Pfeiler und Streben, und rasender Druck, die Pressluft des 150 Meter langen Tunnels, wollte uns mit ungeheurer Gewalt empor an die Oberfläche reißen. Unsere Beine standen waagerecht ab. Aber die Fäuste hielten, was sie gepackt hatten. Ewigkeitsminuten vergingen so. Krachen und Prasseln erfüllte die Luft. Balkenstreben wurden durch den Druck herausgerissen. Brachen knirschend und prasselnd und wurden mit ungeheurer Gewalt durch die Öffnung in die Elbe gerissen.
Endlich nach langen bangen Minuten war der Druckunterschied zwischen Luft und Wasser ausgeglichen. Da brach das Wasser durch das Loch im Flussbett herein."
Ein Augenblick, den die Arbeiter nutzten, um aus dem Tunnel zu fliehen. Wie durch ein Wunder wurde bei dem Unfall niemand verletzt.
"Wenn es Tote gegeben hätte, hätten sie den Tunnel eventuell nicht fertig gebaut."
Am 7. September 1911 wurde der Tunnel im Beisein des Kaisers eingeweiht. Fortan konnten die Arbeitermassen in knapp zehn Minuten den 426 Meter langen Tunnel passieren. Und waren an ihrem Arbeitsplatz. Sven Badua:
"Es ist wirklich so gewesen in den ersten Jahrzehnten, dass der Tunnel zu den Schichtwechseln wirklich schwarz voll Menschen war. Er funktionierte dann jeweils auch nur in eine Richtung. Das heißt zu Frühschicht, also vor Beginn der Frühschicht morgens, wurde die Richtung nach Steinwerder geschaltet. Und nach dem Schichtwechsel ging es in die umgekehrte Richtung. Jeweils für ne halbe Stunde. Es wäre ein Gegenverkehr überhaupt nicht möglich gewesen."
Im Gegensatz zu den HADAG-Fähren konnte der Tunnel von den Arbeitern kostenlos genutzt werden, erzählt der Historiker Jürgen Rath.
"Was allerdings zunächst nicht geplant war. Zunächst ging der Hamburger Senat davon aus, dass es eine Abgabe für Fußgänger geben sollte. Dem wurde aber von der Hamburger Arbeiterschaft entgegengehalten, dass auch die Bourgeoisie, wie das so schön hieß damals, ihre Reitwege auf Kosten des Senats befestigt bekommen."
Der Tunnel war aber mehr als nur ein bequemer Arbeitsweg, sagt Ingrid Breckner. Sie ist Professorin für Stadt- und Regionalsoziologie an der HafenCity Universität in Hamburg.
"Der Elbtunnel ist damals gewesen ein ganz wichtiger Anschlussweg, um Waren aus dem südlichen Umland von Hamburg auf die Hamburger Märkte zu transportieren. Gemüse, Lebensmittel, Fische aus dem Hafen in den Süden zu verbringen."
Schon damals war der Elbtunnel die Materialisierung des Gedankens, das südliche Umland an Hamburg anzubinden, sagt Ingrid Breckner.
"Ohne den alten Elbtunnel wäre die ohnehin schwierige Verknüpfung der südlichen Teile von Hamburg nicht in dem Maße gelungen."
Seit 2003 steht der St. Pauli Elbtunnel unter Denkmalschutz. Nach wie vor ist er technisch in gutem Zustand. Die derzeitige Generalüberholung ist eher Kosmetik. Ein Geschenk zum 100. Geburtstag.
"Eines muss man diesen Vorvätern schlicht und ergreifend zugestehen. Sie hatten Sinn für die Kombination von Schönheit und Konstruktion. Hier gibt es sogar Ornament an der Konstruktion. Die heutigen Bauwerke sind nahezu ornamentfrei. Jeder Euro wird zweimal rumgedreht. Und für Kunst am Bau ist relativ wenig Geld übrig."
Der Architekt Albert Schett vom Hamburger Denkmalschutzamt zeigt auf die Stahlstützen rund um die Aufzüge. Selbst hier sind Verzierungen, Rauten und Rechtecke eingearbeitet.
"Um's vielleicht mit anderen Worten zu sagen. Diese Philosophie heißt, wir tun hier etwas, was noch keiner vor uns getan hat. Und wir sind stolz drauf. Und wir können was. Und wir zeigen das, dass wir was können. Und wir zeigen das nicht nur einem ganz bestimmten Publikum, sondern wir zeigen das allen. Wir machen es allen zugänglich."
Um 1910 explodierte in Hamburg der Fortschritt, sagt Albert Schett. Kräne und Dampfmaschinen, die aus England kamen, sind hier aufgestellt worden. Die Industrielle Revolution schwappte über den Kanal.
"Die Verbesserung der Stähle, die Metallurgie hat sich gebessert. Nur mit der Verbesserung der Metallurgie war es überhaupt möglich für die Hochbahn, die ganzen stählernen Viadukte, ne Fertigungstechnik dafür zu erfinden, um diese überhaupt produzieren zu können."
Auch der Tunnel besteht aus Stahl. Aus stählernen Tübbingen, Hohlprofilen, die aneinander genietet und mit Blei vergossen wurden. Damals eine ganz neue Technik. Wie auch die ersten Ab- und Frischwassersysteme, die halfen, Krankheiten wie Cholera und Typhus zu besiegen.
"Die ersten Leitungen waren ja noch Holzleitungen gewesen. Da schwammen noch die Frösche durch. Und erst im Laufe der Zeit ist man auf die anderen Baustoffe gekommen."
Etwa zehn Millionen Goldmark hat der Tunnel damals gekostet. Geld, das sich sicher amortisiert hat, sagt Alfred Schett.
"Zum einen kam dieser Profit über Steuereinnahmen von Unternehmen, die sich hier angesiedelt haben, natürlich der Hansestadt wieder zugute. Denn wenn Sie keine Infrastruktur bereitstellen, dann siedeln sich die Unternehmen nicht an. Und zur damaligen Zeit waren Standortvorteile wie der hier natürlich extrem. Die ganze Gegend hat geboomt. Der Hafen, das war das Herz, ist das Herz nach wie vor von Hamburg."
Das heutige Herz der Hansestadt hat sich allerdings in den letzten einhundert Jahren deutlich verkleinert. Heute arbeiten gerade mal fünftausend Leute im Hafen.
"Früher wurden hier Schiffe produziert. Und heute ist der Hafen Umschlagsstandort. Was früher Hallen brauchte und große Gebäude, braucht heute ne freie Fläche, auf dem Kräne sich bewegen können. Und zum anderen ändert sich die Produktionswirtschaft von der sogenannten harten Ware in die weiche Ware. Die elektronische Wirtschaft produziert ganz andere Dinge, und der Standortfrage kommt nicht mehr die Bedeutung zu wie früher."
Auch wenn das Personal, das im Hafen arbeitet, in den letzten Jahren stark geschrumpft ist, benutzen immer noch viele Menschen den Alten Elbtunnel als Arbeitsweg. Nicht alle wissen zu schätzen, welche denkmalgeschützte Sehenswürdigkeit sie täglich durchqueren.
"Ich bin da pragmatisch. Ich komm von einer Seite der Elbe auf die andere. Und ob das nun in ner eckigen oder ner runden Röhre ist, ist mir eigentlich egal."