Die Bahnlinie vom Süden her ist neu und endet an einem kahlen Bahnsteig von Beni-Enzar. Eine breite Straße, mit Teestuben und Geschäften an der Seite, führt weiter, rund 200 Meter direkt auf den Grenzübergang zu. Über Zollcontainern wehen die spanische und die EU-Fahne. Dahinter tut sich in der spanischen Enklave Melilla eine andere Welt auf: Kirchen statt Minarette, gerade Bürgersteige statt Stolperpisten aus Schotter und schlecht ausgegossenem Beton, Straßenlampen, die gleichmäßig ausleuchten, Wirtshausschilder, die für Cruzcampo-Bier werben. Die Grenze ist als solche so spürbar wie selten anderswo: Eine scharfe Trennlinie zwischen Arm und Reich, Orient und Okzident, zwischen zwei Gesellschaftsentwürfen, ja: zwei Zeitrechnungen.
Es ist Freitagabend: auf einer der Hauptstraßen von Melilla drängen sich jüdische Familien, Männer mit schwarzen Kippas und Anzügen. Insgesamt vier Religionen leben in der Stadt mit ihren an die 100.000 Einwohnern friedlich zusammen: Christen, Moslems, Juden und Hindus. Jeden Sonntag gibt es Führungen durch Gotteshäuser der vier Religionen, erzählt Belen Brito Bono vom örtlichen Tourismusverband. Viel Kontakt zum Nachbarland gebe es nicht, sagt sie, auch kämen keine Touristen aus Afrika nach Melilla, umgekehrt aber möchte die Stadt sehr wohl mit dem exotischen Hinterland punkten:
"Logischerweise ist das eine der Anziehungskräfte von Melilla, dass sie eine Grenzstadt ist. Tatsächlich kann man zwei Länder an einem Tag besuchen: Einen Tee in Marokko trinken und zum Abendessen nach Spanien zurückkommen. Das ist etwas Einzigartiges.
Der Unterschied hier ist groß, denn es ist eine europäische Stadt in Afrika mit europäischen Sitten, weil wir Spanier sind, aber dann sind wir einem Land benachbart mit anderen Sitten, anderer Sprache, einer anderen Welt, einer anderen Religion. Das fasziniert die Touristen wirklich, und das ist sehr schön."
Das pompöse Rathaus mit seinem Glockenspiel liegt zentral an einem kreisrunden Park mit Brunnen und alten Bäumen, den würdige alte Fassaden mit viel Stuckornamentik umgeben. Nach einem Badetag am nahen Stadtstrand lässt beim Spaziergang durch Melilla nichts darauf schließen, dass Marokko nur ein paar Kilometer entfernt liegt. Die Altstadt auf dem Hügel über dem Meer wirkt penibel geputzt und museumshaft im Vergleich mit den quirligen Medinas der Städte im Nachbarland. Das Mittelalter wurde an diesem Außenposten der Gemeinschaft mit EU-Geldern konserviert.
Hier oben, fernab jeder Geschäftigkeit, kreisen die Möwen über der Festung, die ihre Funktion heute gleichsam als Festung Europa fortführt: Breitbeinig stützt sich die alte Burg am steilen Felsen ab, den unten tiefgrünes Meer umspült. Wo die Topografie ihre Abhaltewirkung verliert, übernehmen Drahtzäune und hohe Lampen diese Aufgabe. Immer wieder hört man von Flüchtlingen, die aus Gegenden südlich der Sahara kommen und ins vermeintlich gelobte Land möchten und an diesen Mauern und Zäunen scheitern und aufgegriffen werden.
Auf den Stiegen zur Stadt hinunter posiert ein Hochzeitspaar, das gerade in einer der Kirchen geheiratet hat. Unweit kommen Frauen in bunter Tracht zusammen. Wenig später tummelt sich dort eine arabische Hochzeitsgesellschaft, die Frauen in langen, golden und silbern glitzernden Kleidern.
Es ist ein Mikrokosmos, der mit dem ihn fast völlig einschließenden Nachbarland nicht viel zu tun haben will, wie Silvia Munoz Ruiz bestätigt, die an der Rezeption des Hotel Nacional arbeitet und sich als Europäerin und keinesfalls als Afrikanerin empfindet:
"Ich persönlich mag die Marokkaner nicht. Vor allem die aus dem Rif-Gebirge, das der ärmste Teil Marokkos ist. Ich selbst gehe nicht nach Marokko, weil ich die Infrastruktur fürchte: Die Straßen sind nicht gut, deshalb ist es sehr gefährlich. Mein Blick geht selbstverständlich nach Spanien, nicht nach Marokko."
Das Nachbarland hat schon wiederholt seinen Anspruch auf die beiden spanischen Enklaven geltend gemacht. Doch deren Einwohner denken nicht daran, sich von Spanien zu trennen. Ach, die Marokkaner, seufzt ein in Melilla stationierter Armee-Leutnant aus Madrid, die sind so schmutzig. Auch er ist einer von denen, die das Wohlstands-Raumschiff an Afrikas Nordküste nicht landeinwärts verlassen.
In Ceuta, der zweiten spanischen Enklave auf dem afrikanischen Kontinent, ist Festtag des Stadtheiligen. In einer langen Prozession wird seine Statue durch die Straßen getragen. Ceuta ist von Marokko aus nur mit einem Grand Taxi, einem Sammeltaxi zum Einheitstarif, erreichbar: Einer klapprigen Mercedes-Limousine, die sich erst über die staubigen Pisten zu Füßen des kargen Rif-Gebirges in Bewegung setzt, wenn sich mindestens sieben Fahrgäste mit Grenzort Fnideq als Ziel ins Wageninnere gequetscht haben.
Auch Ceuta ist eine Welt für sich: Zu Mittag sind die Tapas-Bars überfüllt, manche Gäste stehen vor den Lokalen, haben ihr Weinglas auf einem Mäuerchen abgestellt und diskutieren lauthals. In einer Teestube sitzt Mustafa Amar Mohamed, Politiker der vereinten Linkspartei, beschäftigt in der Stadtverwaltung von Ceuta und so wie schon seine Eltern in der Stadt geboren. Deutlich grenzt er sich vom Nachbarland Marokko ab:
"Marokko reklamiert schon lange Ceuta und Melilla. Wann immer Marokko interne Probleme hat, verlangt es die beiden Städte zu kappen. Wir fühlen uns als Spanier. Fast 70 Prozent der muslimischen Bevölkerung fühlen sich spanisch und europäisch."
Auch Ceuta steht mit dem Rücken zum Nachbarn, öffnet sich lediglich über das Meer hin dem Mutterland in Sichtweite: Von den glatten Mauern der alten Stadtbefestigung blickt man an einem Lidl-Supermarkt vorbei über die Meerenge zu den Felsen von Gibraltar - einer anderen historisch-politischen Kuriosität, diesmal auf dem europäischen Kontinent. Und so wie dort wohl noch lange die Affen über britisch verwaltete Steine klettern werden, so wird auch hier wohl noch lange spanisches Leben die Straßen beherrschen, das lediglich spätabends zögernd kleinstädtischer Ruhe und Sphärenmusik Platz macht, die das Plätschern eines Brunnens begleitet – in Europa auf afrikanischem Boden.
Es ist Freitagabend: auf einer der Hauptstraßen von Melilla drängen sich jüdische Familien, Männer mit schwarzen Kippas und Anzügen. Insgesamt vier Religionen leben in der Stadt mit ihren an die 100.000 Einwohnern friedlich zusammen: Christen, Moslems, Juden und Hindus. Jeden Sonntag gibt es Führungen durch Gotteshäuser der vier Religionen, erzählt Belen Brito Bono vom örtlichen Tourismusverband. Viel Kontakt zum Nachbarland gebe es nicht, sagt sie, auch kämen keine Touristen aus Afrika nach Melilla, umgekehrt aber möchte die Stadt sehr wohl mit dem exotischen Hinterland punkten:
"Logischerweise ist das eine der Anziehungskräfte von Melilla, dass sie eine Grenzstadt ist. Tatsächlich kann man zwei Länder an einem Tag besuchen: Einen Tee in Marokko trinken und zum Abendessen nach Spanien zurückkommen. Das ist etwas Einzigartiges.
Der Unterschied hier ist groß, denn es ist eine europäische Stadt in Afrika mit europäischen Sitten, weil wir Spanier sind, aber dann sind wir einem Land benachbart mit anderen Sitten, anderer Sprache, einer anderen Welt, einer anderen Religion. Das fasziniert die Touristen wirklich, und das ist sehr schön."
Das pompöse Rathaus mit seinem Glockenspiel liegt zentral an einem kreisrunden Park mit Brunnen und alten Bäumen, den würdige alte Fassaden mit viel Stuckornamentik umgeben. Nach einem Badetag am nahen Stadtstrand lässt beim Spaziergang durch Melilla nichts darauf schließen, dass Marokko nur ein paar Kilometer entfernt liegt. Die Altstadt auf dem Hügel über dem Meer wirkt penibel geputzt und museumshaft im Vergleich mit den quirligen Medinas der Städte im Nachbarland. Das Mittelalter wurde an diesem Außenposten der Gemeinschaft mit EU-Geldern konserviert.
Hier oben, fernab jeder Geschäftigkeit, kreisen die Möwen über der Festung, die ihre Funktion heute gleichsam als Festung Europa fortführt: Breitbeinig stützt sich die alte Burg am steilen Felsen ab, den unten tiefgrünes Meer umspült. Wo die Topografie ihre Abhaltewirkung verliert, übernehmen Drahtzäune und hohe Lampen diese Aufgabe. Immer wieder hört man von Flüchtlingen, die aus Gegenden südlich der Sahara kommen und ins vermeintlich gelobte Land möchten und an diesen Mauern und Zäunen scheitern und aufgegriffen werden.
Auf den Stiegen zur Stadt hinunter posiert ein Hochzeitspaar, das gerade in einer der Kirchen geheiratet hat. Unweit kommen Frauen in bunter Tracht zusammen. Wenig später tummelt sich dort eine arabische Hochzeitsgesellschaft, die Frauen in langen, golden und silbern glitzernden Kleidern.
Es ist ein Mikrokosmos, der mit dem ihn fast völlig einschließenden Nachbarland nicht viel zu tun haben will, wie Silvia Munoz Ruiz bestätigt, die an der Rezeption des Hotel Nacional arbeitet und sich als Europäerin und keinesfalls als Afrikanerin empfindet:
"Ich persönlich mag die Marokkaner nicht. Vor allem die aus dem Rif-Gebirge, das der ärmste Teil Marokkos ist. Ich selbst gehe nicht nach Marokko, weil ich die Infrastruktur fürchte: Die Straßen sind nicht gut, deshalb ist es sehr gefährlich. Mein Blick geht selbstverständlich nach Spanien, nicht nach Marokko."
Das Nachbarland hat schon wiederholt seinen Anspruch auf die beiden spanischen Enklaven geltend gemacht. Doch deren Einwohner denken nicht daran, sich von Spanien zu trennen. Ach, die Marokkaner, seufzt ein in Melilla stationierter Armee-Leutnant aus Madrid, die sind so schmutzig. Auch er ist einer von denen, die das Wohlstands-Raumschiff an Afrikas Nordküste nicht landeinwärts verlassen.
In Ceuta, der zweiten spanischen Enklave auf dem afrikanischen Kontinent, ist Festtag des Stadtheiligen. In einer langen Prozession wird seine Statue durch die Straßen getragen. Ceuta ist von Marokko aus nur mit einem Grand Taxi, einem Sammeltaxi zum Einheitstarif, erreichbar: Einer klapprigen Mercedes-Limousine, die sich erst über die staubigen Pisten zu Füßen des kargen Rif-Gebirges in Bewegung setzt, wenn sich mindestens sieben Fahrgäste mit Grenzort Fnideq als Ziel ins Wageninnere gequetscht haben.
Auch Ceuta ist eine Welt für sich: Zu Mittag sind die Tapas-Bars überfüllt, manche Gäste stehen vor den Lokalen, haben ihr Weinglas auf einem Mäuerchen abgestellt und diskutieren lauthals. In einer Teestube sitzt Mustafa Amar Mohamed, Politiker der vereinten Linkspartei, beschäftigt in der Stadtverwaltung von Ceuta und so wie schon seine Eltern in der Stadt geboren. Deutlich grenzt er sich vom Nachbarland Marokko ab:
"Marokko reklamiert schon lange Ceuta und Melilla. Wann immer Marokko interne Probleme hat, verlangt es die beiden Städte zu kappen. Wir fühlen uns als Spanier. Fast 70 Prozent der muslimischen Bevölkerung fühlen sich spanisch und europäisch."
Auch Ceuta steht mit dem Rücken zum Nachbarn, öffnet sich lediglich über das Meer hin dem Mutterland in Sichtweite: Von den glatten Mauern der alten Stadtbefestigung blickt man an einem Lidl-Supermarkt vorbei über die Meerenge zu den Felsen von Gibraltar - einer anderen historisch-politischen Kuriosität, diesmal auf dem europäischen Kontinent. Und so wie dort wohl noch lange die Affen über britisch verwaltete Steine klettern werden, so wird auch hier wohl noch lange spanisches Leben die Straßen beherrschen, das lediglich spätabends zögernd kleinstädtischer Ruhe und Sphärenmusik Platz macht, die das Plätschern eines Brunnens begleitet – in Europa auf afrikanischem Boden.