Archiv


Ein Stück über illegale Flüchtlinge in Europa

Steil abwärts geht's in das Kleine Haus des Schauspiels Frankfurt auf den tiefsten und für Henning Mankells Stück "Zeit im Dunkeln” dunkelsten Punkt zu: die Bühne. Ein ganz und gar trostloses, licht- und ausblickloses Übergangsquartier, Keller, Abstellraum oder Dachkammer, ein von Anna Bergman mit klobigen schwarzen Schlotpfeilern verstellter, bedrückender Ort, an dem sich Schutzsuchende nicht voreinander schützen können. Hier - leben ist kaum ein angemessener Ausdruck für die kümmerliche Existenz, obwohl sie überlebt haben - Vater und Tochter, vorübergehend, wie sie hoffen und gleichzeitig zu fürchten haben: illegale Flüchtlinge, die für diese Schattenexistenz alles bezahlt haben, was sie hatten, und an Europas Küsten buchstäblich gestrandet sind. Die Mutter tot, ertrunken beim Schiffbruch. Andere Asylanten auf langen Lastwagenfahrten verreckt. Diese Menschen haben nichts mehr zu verlieren - und kaum etwas zu hoffen. Ihre Angst vor der Entdeckung ist die Angst vor der Abschiebung in die Diktatur mit nur allzu gewissem Ende. Die Hoffnung auf "sie”, die namenlosen Boten mit den neuen Pässen, der fremden Identität, die allein ein neues Leben in Kanada oder Australien möglich machen würde, schwindet von Tag zu Tag. Kein Einzelschicksal, wie man so sagt und zur Tagesordnung übergeht, von Henning Mankell als Schicksal einzelner Menschen erzählt. Von Menschen, die schwer traumatisiert sind, anonym bleiben müssen, Menschen, die ihre Identität hinter sich gelassen und auch innerlich verloren haben. Und die jeder für sich an dieser Situation zerbrechen.

Cornelie Ueding berichtet |
    Weder ist der Vater für die Tochter ein Halt, obwohl er genau das zu sein beansprucht und ebenso hilflos wie autoritär widerspruchslose Gemeinsamkeit im Fühlen und Denken fordert. Noch ist die Tochter für ihn eine Stütze, weil er so verstört ist, dass er gestört ist und sie gar nicht mehr als eigenständigen Menschen wahrnehmen kann, nur noch alternierend als Kind, das folgsam zu sein hat, oder als Abbild seiner Frau. Nur einem so großen Menschendarsteller wie Udo Samel kann es gelingen, die schwere Traumatisierung zu zeigen - ohne aus dem gebrochenen Mann einen pathologischen Fall zu machen und auf die wohlfeile "Betroffenheit” der Zuschauer zu schielen. Immer wieder putzt er in nervöser Hast und wahnwitziger Konzentration die Schuhe blank, die er braucht, falls er diesen Ort verlassen kann. Barfuss. Hastig auch sein Sprechen, unruhiges Gemurmel, heftiges Auffahren, abrupter Wechsel der immergleichen Themen, in denen er gefangen ist - alles ganz selbstverständlich und mit rasender Beiläufigkeit. Den Realitätsbezug hat er verloren, ist nie auf der Höhe einer Situation und bringt jede zum Einsturz - doch er lauert und reagiert auf jedes Signal aus der Außenwelt. Jedes Pochen - eine Bedrohung.

    Die Vorstellung, seine Tochter (Nicola Gründel: zerbrechlich aber widerstandsfähiger als er) könnte gesehen worden sein, gar mit jemandem gesprochen haben - eine Falle. Das Todesurteil. Sein Blick: zugleich verängstigt und bedrohlich. Das ist oft auch die verzweifelt-mörderische Verfassung der Täter in Mankells Kriminalromanen, die er Schritt für Schritt erschreckend einsichtig macht. Diesen akribisch erkundeten Grenzsituationen verdankt sein Stück "Zeit im Dunkeln” viel. Fast zu viel - denn beim Immer-wieder-neu-Zusammensetzen der bekannten Details, Indizien, Spuren - unentbehrlich im Kriminalroman für die schrittweise Entschlüsselung - wird alles immer wieder ausgesprochen, erwogen, kommentiert, in Frage gestellt. Theatertexten bekommt es weniger, wenn zuviel ausgesprochen wird. Es scheint, als sei der Autor Henning Mankell in einem Dilemma gewesen. Wo der allem Spektakulären erfreulich abholde Regisseur Mankell sich mit Andeutungen, subtilen szenischen Zeichen begnügt, ging es dem Autor noch um die selbst schädigende Starre gebrochener Menschen, wollte er zeigen, wie sich einer in der Not besonders unflexibel an die Konventionen seiner Herkunftskultur klammert, z.B. bei der Mädchenerziehung, wollte zeigen, wie Projektion und Missbrauch zusammenhängen, ineinander übergehen könnten und dass Vater und Tochter im gleichen System gefangen sind, dass sie paradoxerweise im Neuland einzeln bessere Chancen hätten. Also hat er statt eines Monologes im Niemandsland ein trotz aller Affektvolten zwangsläufig statisch bleibendes Zweipersonenstück geschrieben, in dem zu vieles erklärt wird. Das hat er nun davon, dass er eigene Stücke inszeniert: man misst den versierten Theaterautor Mankell am großartigen Prosaschriftsteller - und fängt an zu mäkeln.

    Link: mehr ...

    1169.html