Jeder Chirurg wird bestätigen, dass zur Ausübung seines Berufes nichts wichtiger ist als eine ruhige Hand. Dr. Ayman Al-Sheikh erinnert sich jedoch an eine Situation im syrischen Aleppo, in der ihm die Hände zitterten wie nie zuvor: Er versuchte gerade das Leben eines Patienten mit einer gefährlichen Halswunde zu retten, als auf das Krankenhaus die Bomben fielen:
"Der Patient blutete stark. Ich bebte vor Angst, aber versuchte, ihn zu retten," berichtet der Gefäßchirurg, der sich, wie er erzählt, bewusst dafür entschieden hatte, in der Stadt Aleppo zu bleiben, obwohl die Belagerung durch die syrischen Regierungstruppen und heftige russische Bombenangriffe bereits absehbar waren.
Unter Lebensgefahr von Klinik zu Klinik
Und klar war, dass er seinen Beruf nur unter ständiger Lebensgefahr würde ausüben können. Zunächst raste er, einer der letzten Chirurgen in der Stadt, von Krankenhaus zu Krankenhaus. Doch von ursprünglich zehn blieb – eben wegen der Luftangriffe – am Ende nur noch ein einziges in Aleppo übrig:
"Die Angriffe auf dieses Krankenhaus, das einzige, das es noch gab, erfolgten täglich. Wenn wir die ersten Bomben hörten, flohen wir sofort unter die Erde auf die Ebene -2. Dort harrten wir dann aus, bis das aufhörte", erzählt Dr. Al-Sheikh im Interview mit dem ARD-Studio Brüssel.
Einer der Letzten, die sich Sicherheit bringen ließen
Nach Angaben der Hilfsorganisation 'Syrian American Medical Society', auf deren Einladung er derzeit ein paar Tage Europa bereist, war der junge Arzt einer der letzten Zivilisten überhaupt, die man im Dezember vergangenen Jahres aus der Stadt Aleppo und in Sicherheit brachte.
Heute ist Dr Al-Sheikh im Nordwesten Syriens, an der türkischen Grenze in Idlib, tätig. Eine Gegend, in der Hunderttausende Flüchtlinge gestrandet sind. Und in der ebenfalls Angriffe auf Krankenhäuser zum grausamen Alltag gehören:
"Wir bereiten uns auf das Schlimmste vor. Und befürchten auch dort so etwas wie in Aleppo. Wir bauen Krankenstationen unter der Erde oder in Höhlen, damit wir unsere Pflicht erfüllen und möglichst jeden Menschen behandeln können."
Eines der größten Probleme in Syrien besteht aus Sicht von Dr. Al Sheikh darin, dass auch schwer Kranke Angst hätten, sich behandeln zu lassen – aus Angst vor Angriffen auf die Hospitäler. Auch wenn es so scheinen mag, als stehe das sogenannte 'Kalifat' der IS-Terroristen vor dem Zusammenbruch – der Krieg in Syrien ist noch lange nicht zu Ende. So lautet die Botschaft des 32-jährigen Arztes. Auch an die Adresse der Europäischen Union:
"Dieser Krieg muss aufhören. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in ihre Heimat zurückkehren können und sie ein Minimum an Ausbildung und Gesundheitsvorsorge bekommen", so lautet der sehnlichste Wunsch des syrischen Arztes.
Ende der Krieg nicht, drohe weitere Radikalisierung
Bekämen sie all das nicht, wachse die Gefahr einer erneuten Radikalisierung. Nun trifft man innerhalb der EU durchaus bereits Vorkehrungen für den Wiederaufbau nach Ende des Bürgerkriegs. Doch dieser Tag scheint derzeit noch fern: Dass man sich – trotz aller Bemühungen am Verhandlungstisch – auf einen dauerhaften Waffenstillstand zubewegt, ist derzeit noch überhaupt nicht zu erkennen.