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Ein syrischer Jahresrückblick
Der Gewinner heißt Assad

Mehr als 55.000 Menschen sind 2015 in Syrien ums Leben gekommen, darunter 2.500 Kinder. Noch vor wenigen Monaten deutete vieles darauf hin, dass Baschar Al Assads Tage gezählt sein würden. Jetzt aber rechnet kaum jemand noch mit einem schnellen Ende seiner blutigen Herrschaft.

Von Sabine Rossi |
    Porträts von Baschar al-Assad in Damaskus
    Assads Regime überlebt auch dank russischer Unterstützung. (dpa / picture alliance / Valeriy Melnikov)
    Als Syriens Präsident Baschar al-Assad zum Jahreswechsel 2014/2015 Soldaten an der Front besuchte, versuchte er vor allem eines: die Kampfmoral zu retten.
    "Keiner von uns feiert ein Fest, denn wir befinden uns im Krieg. Doch das neue Jahr ist für uns ein Anlass auf neue Hoffnung. Die größte Hoffnung für uns ist der Sieg unserer Streitkräfte gegen den Terrorismus. Alles Gute zum neuen Jahr."
    Mehr als Hoffnung konnte Assad den Soldaten nicht bringen: Die syrische Armee ist im fünften Kriegsjahr ausgelaugt. Mehrere zehntausend Soldaten sind gefallen. Assad lässt die Luftwaffe Fassbomben auf die zivile Bevölkerung abwerfen – mit Nägeln, Metallsplittern und Sprengstoff gefüllte Fässer. Eine billige, selbstgebaute Waffe, die großflächig Zerstörung und Tod hinterlässt. Im Februar bestritt Assad in einem Interview mit Journalisten der britischen BBC, solch grausame Waffen einzusetzen. Bisweilen wirkte es so, als ob sich der blasse, schlaksige Assad durch die Fragen in die Enge gedrängt fühlte. Schließlich verlegte er sich auf Ironie.
    "Die Armee benutzt Raketen, Gewehrkugeln und Bomben, aber keine Fässer. Wir haben keine Waffen, die wahllos zerstören. Das hier ist Krieg, und es gibt nun mal keinen Krieg ohne Opfer. Noch einmal: Wir haben keine Fässer. Sie können mich auch nach Kochtöpfen fragen. Die hat die Armee ebenfalls nicht. Wir haben Bomben, Raketen und Gewehrkugeln."
    Assad: "Die Armee ist handlungsfähig – und zwar ohne große Anstrengungen"
    Im Frühjahr musste Assads Armee wichtige Stellungen aufgeben. Ein Bündnis verschiedener Assad-Gegner hatte sich im Nordwesten zusammengeschlossen. In der Provinz Idlib rückten sie vor und kontrollierten schließlich auch eine wichtige Straße, die an die Küste und damit ins Kernland von Assad führt. Im Osten Syriens hatte Assad bereits weite Landstriche an die Terroristen verloren, die sich selbst Islamischer Staat nennen; darunter Palmyra, eine antike Oasenstadt die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Auch im Süden an der Grenze zu Jordanien gerieten seine Einheiten in die Defensive. Ohnehin ist nur noch etwa ein Fünftel der Fläche Syriens unter der Kontrolle des Regimes. Erstaunlich deutlich äußerte sich Assad in einer Ansprache, die das syrische Fernsehen Ende Juli ausstrahlte.
    "Wir müssen die wichtigen Regionen bestimmen, die von der Armee gehalten werden, damit andere Regionen nicht kollabieren. Die Armee ist handlungsfähig – und zwar ohne große Anstrengungen. Wir können nicht einmal sagen, dass sie Schwierigkeiten hat. Alles ist vorhanden. Aber es mangelt an Männern."
    Unter Assads Unterstützern machte sich zunehmend Unmut breit: Kämpfer der libanesischen Hisbollah und iranische Militärstrategen sichern dem Machthaber in Damaskus das Überleben. Derweil sahen Experten Assads Untergang gekommen. Das System werde implodieren – also in sich zusammenfallen – hieß es. Ein Analyst des arabischen Nachrichtensenders Al-Jazeera kam zu dem Schluss: Die Frage sei nicht mehr ob oder wann Assad ersetzt werde, sondern wie und von wem.
    Ende September verhalf Russland dem syrischen Regime aus dieser Bedrängnis. Präsident Putin schickt seitdem Kampfflugzeuge in den Einsatz über Syrien – auf Bitten von Damaskus, wie es offiziell heißt. Die Luftangriffe verschaffen Assad Aufwind. Dem russischen Fernsehen sagte er Mitte September, dass an ihm kein Weg vorbeiführe.
    "Ein Präsident wird von seinem Volk gewählt, und er tritt ab, wenn sein Volk dies verlangt – und nicht wenn es die USA, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder eine Konferenz in Genf wollen. Wenn das Volk will, dass der Präsident bleibt, dann bleibt er, und wenn es will, dass er geht, sollte er das schleunigst tun. Das ist meine Meinung dazu."
    Assad weiß, wem er zu Dank verpflichtet ist: Im Oktober reiste er nach Moskau, um Putin persönlich zu treffen. Es war sein erster Auslandsbesuch seit Beginn des Kriegs in Syrien. Russland gibt vor, in Syrien IS-Ziele ins Visier zunehmen, doch westliche Auswertungen der Luftangriffe zeigen, dass es vor allem Stellungen anderer Assad-Gegner trifft. Mit der russischen Luftwaffe an ihrer Seite hat die syrische Armee wieder an Boden gewinnen können – vor allem im Nordwesten, dort, wo der IS nicht präsent ist.
    Assad und Putin teilen die Logik, dass alle, die in Syrien gegen das Regime kämpfen, Terroristen sind – ganz gleich ob sie dem Spektrum von IS und Al-Kaida angehören oder dem Westen als moderat gelten. Assads Mitgefühl nach den Terroranschlägen von Paris Mitte November kannte entsprechend Grenzen.
    "Es ist ein schlimmes Verbrechen. Wir in Syrien wissen, was es heißt, geliebte Menschen zu verlieren. Wir erleiden das seit fünf Jahren. Aber fühlt die Welt, fühlt der Westen mit uns Syrern, die wir seit fünf Jahren unter demselben Terrorismus leiden?"
    Frankreich trage eine Mitschuld, fügte Assad im Interview mit dem italienischen Fernsehen hinzu. Schließlich habe die verfehlte Nahostpolitik des Westens den Terrorismus erst großwerden lassen. Dabei verschweigt er, dass seine Einheiten den IS in Syrien so gut wie gar nicht bekämpfen.