Archiv


"Ein überfälliger Schritt"

Nach dem Rücktrittsangebot von Bischof Walter Mixa hat Siegmund Ehrmann, kirchenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, die Form der Bagatellisierung kritisiert. Die Kirche sei eine moralische Instanz im Land und werde daran gemessen, dass Wort und Tat weitestgehend übereinstimmten.

Siegmund Ehrmann im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Es war eine überraschende Meldung, die gestern am späten Abend aus Augsburg kam. Bischof Walter Mixa hat beim Papst sein Rücktrittsgesuch eingereicht. Überraschend war das deshalb, weil sich niemand daran erinnern kann, dass ein katholischer Bischof in Deutschland schon einmal aus mehr oder weniger politischen Gründen zurückgetreten ist. Die Vorwürfe gegen Mixa bleiben allerdings belastend und auch seine Bischofskollegen haben ihn wohl zum Schluss als Last empfunden. Mixa soll in den 80er-Jahren katholische Heimkinder geschlagen und Kirchengelder veruntreut haben.

    Mitgehört hat Siegmund Ehrmann. Er ist kirchenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Schönen guten Tag, Herr Ehrmann.

    Siegmund Ehrmann: Guten Tag, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Was war Ihre Reaktion, als Sie gestern Abend gehört haben, Mixa tritt zurück?

    Ehrmann: Es war ein meines Erachtens überfälliger Schritt und ich bin froh, dass er, wenn auch nicht offenbar aufgrund eigener Einsicht, sondern auf veredelnden Druck dritter, zu dieser Entscheidung gekommen ist.

    Armbrüster: Sie haben gesagt, überfällig. Ist es nicht verwunderlich, dass dieser Schritt so lange gedauert hat?

    Ehrmann: Ich hätte mir gewünscht, dass Herr Mixa, der ja nun auch als Geistlicher zweifelsohne Verdienste hat, aus dieser Verantwortung, die er als leitender Geistlicher der römisch-katholischen Kirche hat, sehr schnell auch zu eigener Einsicht gekommen wäre, dass dieser Schritt unumgänglich ist.

    Armbrüster: Meinen Sie, hätte er im Amt bleiben können, wenn er schneller zu dieser Einsicht gekommen wäre, wenn er es schneller zugegeben hätte?

    Ehrmann: Ich denke, dass die Vorwürfe, sollten sie sich tatsächlich in allen Facetten bestätigen, an sich so schwer sind, dass er sich selbst hätte fragen müssen, ob er noch die Autorität hat, glaubwürdig auch die wichtigen Botschaften der römisch-katholischen Kirche zu vertreten. Insofern wäre selbst ein Eingeständnis für mich kein Aspekt gewesen, ihn weiterhin im Amt zu sehen. Aber das ist nicht meine Entscheidung, die ich zu treffen habe, um Gottes Willen. Das obliegt selbstverständlich den Verantwortlichen der römisch-katholischen Kirche. Aber aus meiner Bewertung des Verhaltens von Menschen in exponierten Ämtern gibt es Situationen. Ich weiß aber auch, dass nicht viele die Kraft haben, souverän dann für sich selbst zu entscheiden, dass der Punkt da ist, einen verantwortlichen Schritt zu gehen.

    Armbrüster: Nun werden sich wahrscheinlich in diesen Tagen sehr viele Geistliche in Deutschland daran erinnern, dass sie möglicherweise in den 60er-, 70er-, oder 80er-Jahren mal Kinder geschlagen haben. Müssen die jetzt alle gehen?

    Ehrmann: Das sehe ich so nicht. – Das sehe ich so nicht. In den 60er- und 70er-Jahren – ich selbst bin Jahrgang 52, habe selbst auch Verhaltensweisen erlebt, aber im Grunde genommen kommt bei Herrn Mixa ja auch eine Form der Bagatellisierung hinzu. Also ich sehe nicht, dass deshalb alle Geistlichen jetzt zurücktreten müssten.

    Armbrüster: Das heißt, das Problem für Mixa war tatsächlich, dass er nicht rechtzeitig dazu gestanden hat, was er gesagt hat?

    Ehrmann: Das ist der zentrale Punkt, und es gibt ja nun andere Dinge, die dort offenbar auch noch im Raume sind, die ihn in dieser Verantwortung schwer tragbar machen. Aber wie gesagt: Es ist sehr anmaßend als Mensch in einer politischen Verantwortung, in kirchliche Verantwortungskreise hineinzukommentieren.

    Armbrüster: Warum ist das anmaßend?

    Ehrmann: Weil ich denke, das sind auch Prozesse, die innerhalb der Kirche selbst geklärt werden müssen. Was mich besonders bewegt ist, die Kirche hat eine unglaublich wichtige Funktion in unserer Gesellschaft als moralische Instanz und ist ein wichtiger Mahner, hat ein Wächteramt in unserem Land, und das lebt davon, dass Menschen auch in ihrem konkreten Verhalten, dass Wort und Tat weitestgehend übereinstimmt. Wenn das exponiertere Persönlichkeiten sind, bei denen das deutlich auseinanderklafft, kann das sich übertragen auf die Einschätzung der Autorität der Kirche, und das ist etwas, was mich besorgt.

    Armbrüster: Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Heißt das, die Kirche steht über der Politik in Deutschland?

    Ehrmann: Nein, aber der Staat und das Zusammenleben, frei nach Böckenförde, lebt von Voraussetzungen, die der Staat selbst nicht schaffen kann. Der ganze Werte prägende Sektor wird auch über die Kirchen in unsere Gesellschaft hineingetragen, und ob diese Werte dann erodieren, das ist schon ein Punkt, der auch von Prozessen innerhalb der Kirche gestaltet wird.

    Armbrüster: Ist denn mit diesem Rücktrittsgesuch von Walter Mixa jetzt eine neue Zeitrechnung in der deutschen Kirche angebrochen? Müssen sich Bischöfe jetzt öffentlich rechtfertigen, ähnlich wie Politiker?

    Ehrmann: Den Vorgang Mixa, den will ich überhaupt nicht generalisieren, weil man vielen Priestern und Laien Unrecht täte. Es gibt unglaublich viele engagierte Menschen. Aber auch die, alle Akteure stehen für ihr Verhalten, gerade wenn sie in exponierten öffentlichen Positionen stehen, schon in Erklärungszwängen. Das ist so!

    Armbrüster: Sie sprechen jetzt von engagierten Leuten. Kann Engagement heute sozusagen wett machen, was man vor zehn oder 20 Jahren möglicherweise falsch gemacht hat?

    Ehrmann: Ich glaube, dass in jeder Situation auch die eigene Reflexion dessen dazu gehört, was man gemacht hat. Dazu gehört auch zu bilanzieren, man hat in einer Zeit einen Zeitgeist, auf praktische Erziehungsmethoden sich verhalten, und da kann man sich heute auch von distanzieren.

    Armbrüster: Aber dann muss ich noch mal zu der Frage kommen. Heißt das dann nicht, dass sich sehr viel mehr Geistliche in diesen Tagen überlegen müssen, dass sie ihren Posten räumen sollten?

    Ehrmann: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Da müssten ganz konkrete Vorwürfe im Raume stehen und es muss tatsächlich so sein, dass sie dann auch - - Ja, das ist eine sehr schwierige Frage. Aber ich gehe nicht so weit, dass ich hier eine Massendispensierung von Geistlichen sehe. Ich stelle hier ab auf exponierte Persönlichkeiten der römisch-katholischen Kirche oder Kirchen und die in der sozialen Arbeit tätig sind.

    Armbrüster: Wenn Sie jetzt von exponierten Persönlichkeiten sprechen, heißt das, mit einem besonderen Status genießt man einen besonderen Schutz vor solchen Vorwürfen?

    Ehrmann: Nein, man genießt eine besondere Verantwortung in dieser Position.

    Armbrüster: Und die schützt einen davor, dass man möglicherweise gehen muss?

    Ehrmann: Ich frage mal zurück. Heißt das, dass Sie sehen, dass dann in so einer Situation alle Geistlichen ihre Plätze räumen müssen, denen man so etwas vorwirft?

    Armbrüster: Nein, Herr Ehrmann. Ich frage Sie das als kirchenpolitischen Sprecher, weil ich den Eindruck habe, dass sich viele Leute nun fragen, wie geht es weiter mit der Kirche, und dass Sie als kirchenpolitischer Sprecher darauf möglicherweise eine Antwort haben.

    Ehrmann: Ich habe eine Anregung an die Kirchen, dass sie mit diesen Dingen sehr offen und transparent umgehen und danach trachten, was dort eigentlich insgesamt passiert ist, und auch Erklärungen finden und auch ein Verhalten finden, mit denjenigen, die Opfer geworden sind, dort angemessen umzugehen und sich auf sie zuzubewegen.

    Armbrüster: ... , sagt Siegmund Ehrmann. Er ist kirchenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Schönen Dank, Herr Ehrmann, für dieses Gespräch.

    Ehrmann: Ja. Schönen Dank, Herr Armbrüster.