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Ein Umwelt-Detektiv aus dem All

Wächter-Satelliten sollen ab kommendem Jahr vom Weltall aus Umweltkatastrophen beobachten. Das Herzstück des ersten dieser Satelliten wird die Erdoberfläche abtasten und kommt vom Raumfahrtkonzern Astrium aus Friedrichshafen.

Von Thomas Wagner |
    Der sogenannte Clean-Raum beim Raumfahrtkonzern Astrium in Friedrichshafen: Die Techniker, die hier arbeiten, tragen Kopfhauben, weiße Kittel und Spezialschuhe, wie die Chirurgen in einem Operationssaal. Mit einem Spezialkran verladen sie ein Paket von mehreren übereinanderliegenden, einen Meter langen rechteckigen Metallplatten, die so ähnlich aussehen wie Riesen-Schokoladentafeln, verpackt in goldfarbener Folie: Es ist die zusammengeklappte Radarantenne für den Satelliten Sentinel-1.

    "Ja, Sentinel-1 ist ein Radarsatellit. Wir liefern hier das Radarinstrument für diesen Satellit aus. Es geht um Erdbeobachtung.",

    erklärt Eckard Setellmeyer, Direktor für Erdbeobachtung, Navigation und Wissenschaft bei Astrium. Behutsam, als ob er es mit einem rohen Ei zu tun hätte, zieht Raumfahrtingenieur Matthias von Alberti eine Abdeckung zurück, zeigt auf eine Fläche mit kleinen, nur wenige Zentimeter messende Erhebungen. Jeder diese Erhebungen ist eine kleine Radarantenne; 560 Stück davon sind auf der Strahlerfläche angebracht. Die befindet sich beim Start zusammengefaltet im Laderaum des Satelliten. Wenn der erst mal im Orbit angekommen ist, werden sie sich auf eine Fläche von insgesamt elf Quadratmetern entfalten. Der Satellit sieht dann so ähnlich aus wie ein metallisch wirkender Adler mit Riesenschwingen. Auf jeder dieser Schwingen sind jeweils 280 einzelne Mini-Antennen angeordnet, vergleichbar den Photovoltaik-Zellen auf einem Solarmodul. Matthias von Alberti sieht den Hauptvorteil dieser Technologie darin,

    "...dass ich durch eine intelligente Ansteuerung dieser Elemente den Radarstrahl elektronisch formen kann. Das heißt: Ich kann ihn sehr genau fokussieren und auf einen bestimmten Ort richten und schnell schwenken."

    Und das ohne jede mechanische Beeinflussung der Antenne. Der Radarstrahl kann aus der Umlaufbahn in 700 Kilometern auf rein elektronischem Weg je nach Bedarf in verschiedene Richtungen auf die Erdoberfläche gelenkt werden, so ähnlich wie das Licht eines Suchscheinwerfers. Dabei tastet er Bodensegmente in einer Auflösung von fünf mal fünf Metern ab; den Radarsuchstrahl können die Wissenschaftler dabei in einem Korridor von 375 Kilometern hin und her wandern lassen – dank der Technologie mit den kleinen Einzelantennen. Die ermöglicht in erster Linie eines: eine kontinuierliche Beobachtung der Erdoberfläche. Das Ziel sind nicht einzelne Radarfotos, sondern eine Art Radar-Video, auf dem sofort Veränderungen sichtbar werden. Eckard Settelmeyer:

    "Also die ganz große Stärke des Sentinel-1-Satelliten wird eine sehr dauerhafte Beobachtung sein, also kontinuierlich über den kompletten Orbit über viele Tage und Jahre hinweg, eine Echtzeitbeobachtung, wenn Sie wollen."

    Die Auflösung liegt bei etwa fünf Mal fünf Metern. Und durch die neue Antennentechnologie können die Experten im Kontrollzentrum Darmstadt der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA die Richtung des gebündelten Radarstrahls, der aus den 560 kleinen Einzelantennen generiert wird, wie mit einer Art Fernsteuerung in verschiedene Richtungen lenken – genau dorthin, wo die Wissenschaftler Umweltveränderungen vermuten. Aus den Reflexionen, die die kleinen Antennen Sekundenbruchteile später empfangen, lässt sich ein Profil der Oberfläche errechnen. Denn das ist der Auftrag der Sentinel-Satelliten, die im Rahmen des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus gebaut werden: Umweltveränderungen jeglicher Art dokumentieren. Eckard Setellmeyer von Astrium nennt dafür ein Beispiel:

    "Also Krisenszenarien lassen sich mit Radarsatelliten sehr gut beobachten. Wenn Sie beispielsweise eine Ölteppich-Ausbreitung auf dem Meer haben, dann lässt sich das sehr gut messen, weil die Öloberfläche eine ganz andere Wellenstruktur, eine sehr stark gedämpfte Oberflächen-Wasserstruktur nachher erzeugt als der umliegende saubere Ozean."

    Was sich mit dem neuen Antennensystem in Echtzeit erfassen lässt. Andere Anwendungen bestehen im Nachweis von Geländeanhebungen in Vulkan- oder Erdbebengebieten. Geologen versuchen, daraus Rückschlüsse über die aktuelle Gefährdungslage zu ziehen. Auch Vegetationsänderungen in der Landwirtschaft soll Sentinel dokumentieren; die Experten denken an den Nachweis von illegalem Kahlschlag in geschützten Wäldern, aber auch an die Auswirkungen neuer Schädlingsarten auf Nutzpflanzen wie Getreide oder Obstplantagen. Zwei Sentinel-Satelliten können die gesamte Erdoberfläche innerhalb einer einzigen Woche scannen. Da ihre Umlaufbahn horizontal über die beiden Pole führt, die Erde sich aber vertikal unter ihnen hinweg dreht, bleibt prinzipiell kein einziger Fleck der Erde unbeobachtet.

    "Umweltfragestellungen sind sehr kurzfristige Fragestellungen natürlich. Wir können hier eine Überdeckung der Landmassen der Erde mit zwei Satelliten innerhalb von sechs Tagen erzeugen. Im Wochenrhythmus zu sehen, wo sich Veränderungen ergeben – das ist eine extrem interessante Zeitspanne."

    Der Start des ersten Sentinel-Satelliten ist Ende 2014 vorgesehen. Eineinhalb Jahre später soll Sentinel-1B folgen. Zwei weitere Wächter-Satelliten sind in den darauffolgenden Jahren geplant. Denn wenn zwei Satelliten eine Woche brauchen, um ein komplettes Radarprofil der Erdoberfläche zu erarbeiten, geht das mit vier Satelliten genau doppelt so schnell.