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Ein Weg aus der Leere in den Ekel

In dem Buch "Faserland" von Christian Kracht erzählt ein dekadenter Schnösel über seine Reise durch Deutschland. Am Schauspiel Hannover ist es als zweistündige Bühnennacherzählung inszeniert worden, indem fünf Schauspieler das Buch als Textvermittler wiedergeben.

Von Hartmut Krug |
    Schon wenn das Publikum in den Zuschauerraum strömt, stehen die Schauspieler auf der leeren, hochgebockten Spielfläche und grinsen uns mit ihrem Wohlfühllächeln so freundlich wie leer an. Vier Männer, eine Frau, nicht als individualisierte oder psychologisch differenzierte Figuren, sondern einfach nur als blasse Funktionsträger vor uns auf- und ausgestellt.

    Sie sind Textvermittler. Weshalb ihre Mimik blass ist und ihre Rezitation wie aus dem Handgelenk und dem Schauspielerhandbuch erfolgt, Stichwort Lockerheit. Die fünf teilen sich den Text der Icherzähler-Figur von Christian Krachts Roman "Faserland". Meist sprechen sie ohne Verstärkung, manchmal greifen sie aber auch unmotiviert zum Mikrofon. Sie erzählen mal einzeln, dann wieder sich ins Wort fallend oder im Text abwechselnd, was dieser Icherzähler so fühlt auf seiner offenbar existenziellen Erfahrungsreise vom Gosch-Fischstand auf Sylt bis zum Züricher See. Es ist ein Weg aus der Leere in den Ekel. Und die Schauspieler stapeln Unmengen von blauen Volvic-Wasserflaschen-Kisten, die sie dann Flaschen ausschütten. Mal in den Hals, öfter über ihre Köpfe, und bald immer hektischer auf die Bühne, über die sich schließlich sowohl ein stetiger Text- als auch ein unentwegter Volcicwasser-Fluss ergießen. Und das viele Gekotze, das Krachts Protagonist auf den von ihm besuchten Partys erlebt, wird auch mit den Wasserflaschen angedeutet.

    Es gibt einen eifrig genutzten Pool im Bühnenboden, schließlich spielen eine Badewanne, der Züricher See und andere, mit Selbstmord verbundene Gewässer in Krachts Roman eine Rolle. Und auf der Bühnenrückwand läuft ein Film, der die Schauspieler bei der Wiederholung der im Roman beschriebenen Reise zeigt. Das wirkt nett, aber ohne viel tiefere Aussagekraft, wenn zum Beispiel die Schauspieler auf der Bühne mit sich selbst im Film akustisch oder bildlich in Kontakt treten. Auch hier, wie im Roman, herrscht das große "irgendwie". Irgendwie ist das Heute anders als damals. Aber stets freundlich harmlos , wie das ganze Erzählspiel auf der Bühne.


    "Karin. Wir kennen uns noch aus Salem. Da haben wir allerdings nicht miteinander geredet. Und dann habe ich sie ein paar mal im Tracks in Hamburg und im P1 in München gesehen. Karin sieht eigentlich ganz gut aus mit ihrem blonden Pagenkopf. Bisschen zu viel Gold an ihren Fingern für meinen Geschmack. Aber so wie sie lacht und so wie das Haar aus dem Nacken wirft und wie sie sich zurücklehnt, ist sie sicher gut im Bett. Außerdem hat sie schon mindestens zwei Gläser Chablis getrunken. Karin hat auch ´ne Barbourjacke."

    "Faserland", von den einen gleich in eine Reihe mit Goethes Werther, Kerouc und Salinger gestellt, von anderen als selbstmitleidige Einsamkeitschnöselei geschmäht, Maxim Biller sprach von "Knabenwindelprosa", es wird im nächsten Jahr Abiturstoff. Robert Lehnigers zweistündige Bühnennacherzählung vermag uns nicht davon zu überzeugen, dass dies sein muss. Denn es bekommt Krachts begründungsloser Haltungsprosa nicht, dass sie auf der Bühne laut vorgetragen wird. Weil sie dann vollends banal klingt und zwischen Modemarken, Partydrogen, etwas Emotionen, wenig Erfahrung und viel Meinung mäandert. Das plappert und pläddert über die Bühne , und käme nicht ein Schülerchor mit Liedern von Tomte, Tocotronic und Blumfeld unter der Bühne hervor und sänge von der Jugend, auf anders kitschige, aber ehrlicher wirkende Weise als Krachts Text, so bliebe dieser Abend pure Oberfläche:

    "Im Zweifel für den Zweifel, das Zaudern und den Zorn. Im Zweifel fürs Zerreißen der eigenen Uniform. Im Zweifel für den Zweifel und für die Pubertät."

    Dass die Schüler als Beobachter der Bühnenkünstler und deren Gefühlsbehauptungen inszeniert sind und Krachts Text mit ihren Liedern relativieren, rettet die Inszenierung. Die mit Kracht von einer Innenwelt erzählt, deren Leere behauptet, aber nicht durch Erfahrungen beschrieben und beglaubigt wird. Wenn hier zum Beispiel alte Männer einfach als Nazis bezeichnet werden, weil sie da sind, nicht etwa, weil sie sich als solche kenntlich machen, dann bleibt uns Krachts Text und dessen Realitätsausschnitt vollends verschlossen. Nicht nur, weil man weder in Salem war, noch unentwegt mit Taxen fährt oder über Barbourjacken disputieren kann. Sondern weil man sich als Zuschauer sowohl ausgeschlossen wie auch auf doppelte Weise bedient fühlt.