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"Ein wenig beschämt über die Diskussion in Deutschland"

Es müsse mehr Hilfe für die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien geben, fordern EKD-Ratspräsident Nikolaus Schneider und der Vize-Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Norbert Trelle. Die Debatte hierzulande um die Aufnahme von nur 5000 Menschen sei beschämend.

Nikolaus Schneider und Norbert Trelle im Gespräch mit Thorsten Jabs |
    Christine Heuer: Die Kirchen zu Besuch in Jordanien. EKD-Ratspräsident Nikolaus Schneider und der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Norbert Trelle, haben Flüchtlinge in Syriens Nachbarland getroffen. Sie wollten ein ökumenisches Zeichen setzen, gemeinsam auf mehr Hilfe für syrische Flüchtlinge drängen. Unter anderem fordern sie, mindestens 10.000 statt, wie bisher geplant, nur 5000 syrische Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Thorsten Jabs hat die beiden Kirchenmänner begleitet und mit ihnen über ihre Reisebilanz gesprochen.

    Thorsten Jabs: Sie haben sich beide an diesem Wochenende mit deutlichen Worten positioniert und die deutsche Politik aufgefordert, mehr syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Warum diese Haltung angesichts vieler Katastrophen auf der Welt, und warum gerade jetzt?

    Nikolaus Schneider: Im Augenblick ist die Situation in Syrien besonders im Fokus, weil der Bürgerkrieg dort nach wie vor tobt, weil die Nachbarländer Hunderttausende, Millionen aufnehmen, weil der Winter kommt und wir Hilfe brauchen. Und als ich die Zahlen hier in Jordanien gehört habe, war ich ein wenig beschämt über die Diskussion in Deutschland, wenn es da um 5000 oder mehr geht. Das steht einfach in keiner Relation zueinander.

    Norbert Trelle: Ich kann mich dem auch in der ganzen Breite der Aussage anschließen. Wir können auch mit 5000 oder 10.000 dieses riesige Problem nicht lösen, aber für die Menschen, die wir aufnehmen, gibt es dann doch eine Perspektive ihres Lebens, eine Zukunft, die sich neu auftut. Und es ist auch ein Zeichen der Solidarität und Verbundenheit, ich glaube, auch ein politisch notwendiges Zeichen, das für ganz Europa eigentlich gelten muss. Wir brauchen eine gesamteuropäische Flüchtlingspolitik, eine Bereitschaft, solchen schrecklichen, dramatischen Ereignissen wie diesem Krieg in Syrien auch gemeinsam eine Lösung zuzuführen, also Friedensbemühungen zu unterstützen, ja, sie zu fordern auch viel mehr als bisher, und die Friedensbemühungen auch der Politiker würdigen.

    Jabs: Die katholische Kirche wird gerade von der Affäre um den Limburger Bischof Tebartz-van Elst getroffen. Haben Sie keine Sorge, dass Ihnen Unglaubwürdigkeit vorgeworfen wird? Denn für mehr als 30 Millionen Euro könnte man ja vielen Flüchtlingen helfen!

    Trelle: Ja, ich glaube, dass diese Vergleiche dann doch auf sehr unterschiedlichen Ebenen angestellt werden, wie Sie das jetzt formuliert haben. Hier ist ein Thema von Ihnen genannt, das sehr viel auch ganz persönliche Implikationen hat. Das andere Thema ist das, was wir als Kirche insgesamt in dieser herausfordernden Situation der Flüchtlingsnot tun. Und ich darf doch auch mal dazu sagen, wir haben nicht nur aktuell, sondern beide Kirchen immer wieder bei Katastrophenhilfen sofort reagiert und wir werden das hier tun noch mit Millionenbeträgen Jahr für Jahr, sodass es also in meinen Augen nicht so ganz vom Vergleich her stimmig ist.

    Jabs: Wie sehen Sie das als evangelischer Vertreter, hat Sie auch die Tebartz-van-Elst-Affäre ein bisschen getroffen oder beeinflusst in Ihrer Arbeit?

    Schneider: Wir nehmen an dieser öffentlichen Diskussion insofern Anteil, als die Finanzierung der Kirchen ja jetzt stark angefragt wird und infrage gestellt wird. Natürlich gibt es zweifelhaftes Verhalten, auch Fehlverhalten innerhalb der Kirche, auch von Bischöfen, auch hohen Repräsentanten unserer Kirche. Das sind Einzelne. Aber wenn man sieht, was unsere beiden Kirchen leisten, wir haben Tausende von Freiwilligen, die in der Welt Dienst tun, das kann man in Geld gar nicht hochrechnen. Wir mobilisieren viele Spenden, wir geben Kirchensteuermittel in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe auch in diese Hilfe hinein. Ich möchte die Organisation sehen, die weltweit sich für Menschen in Not und in Armut so einsetzt, wie wir es tun. Und von daher finde ich die Vergleiche wirklich schräg!

    Jabs: Was hat Sie am meisten bewegt und berührt auch in den Gesprächen mit den Menschen hier?

    Trelle: Wir waren zu Besuch bei Familien, die in Wohnungen untergebracht sind hier in Amman, die man fast nicht als Wohnungen bezeichnen kann. Es sind Räume, kalt, feucht, eine Matratze auf dem Boden, dort schlafen die vielen Kinder und die Eltern und manchmal auch noch die Großeltern. Sie fragen sich, wie kommen sie durch den Winter. Das ist die eine Erfahrung, die einem sehr nahegeht. Mit syrischen Christen, die geradezu einen Kontrast erleben. Die erleben auch die finanziellen Engpässe, aber das ist es dort weniger als die fehlende Perspektive, was wird sein in der Zukunft, gehen wir zurück nach Syrien? Viele wollen das, aber welches Land werden wir dann antreffen, welche Lebenssituation? Also, hier ging es vor allen Dingen um Reisemöglichkeiten.

    Und auch das ist ein Thema, wir wissen ja, dass in Deutschland einige Länder das ermöglicht haben, wenn syrische Angehörige, in Deutschland lebend, versichern, dass sie für den Lebensunterhalt ihrer Angehörigen, die nach Deutschland möchten, aufkommen, wird dem stattgegeben und sie können nach Deutschland einreisen. Aber es ist nicht in allen Bundesländern so geregelt. Insofern war das ein in wörtlichem Sinne – ich gucke Bruder Schneider an – bedrängendes Gespräch. Wir wurden bedrängt, jeder wollte seine Situation darstellen, und ich habe Verwandte in Gütersloh und ich habe in Gronau oder in Bremen, und der andere in Nürnberg.

    Schneider: Das war sehr bedrängend. Es war faktisch die Erwartung, nehmt uns mit, nehmt wenigstens unsere Kinder mit. Und da erlebt man so seine ganze Hilflosigkeit und auch die Dramatik dieser Situation noch mal ganz besonders. Das geht uns schon sehr nahe.

    Heuer: Mein Kollege Thorsten Jabs im Gespräch mit EKD-Ratspräsident Nikolaus Schneider und dem stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Norbert Trelle.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland, Nikolaus Schneider. Er war Stellvertreter von Margot Käßmann und übernahm ihr Amt nach deren Rücktritt.
    Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland, Nikolaus Schneider. (AP)