Möllemann: Nein, ich glaube es war ein wichtiges Jahr, weil wir nämlich Lehren ziehen mussten aus bitteren Erfahrungen. Und auch aus Niederlagen zu lernen ist etwas hilfreiches, wenn man denn die richtigen Lehren zieht. Insofern sage ich mit Walter Döring: 'Es war bitter.' Aber ich hoffe, wir haben die richtigen Lehren gezogen und werden bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen beweisen, dass wir kapiert haben, was falsch gelaufen ist und was besser laufen kann.
Heinemann: Wer ist für die Niederlagen verantwortlich? Anders gefragt: Wie halten Sie es mit Parteichef und Generalsekretär?
Möllemann: Die Führung der Partei hat – wie die Führung jedes Unternehmens – die Verantwortung für Siege und Niederlagen, aber die Führung besteht nicht aus zwei Personen, sondern bei uns aus dem Präsidium. Das sind zehn Personen. Ich gehöre diesem Gremium auch an. Und deswegen wäre es unfair und unseriös, die Verantwortung auf zwei aus der Zehnergruppe zu schieben, wenngleich natürlich der Parteichef und der Generalsekretär herausgehobene Positionen haben. Aber es nützt überhaupt nichts, jetzt hier Teilverantwortlichkeiten zu konstruieren. Wir brauchen Wolfgang Gerhard und Guido Westerwelle mit ihren ganz unterschiedlichen Naturellen und Talenten, so wie wir die übrigen acht auch brauchen. Und vielleicht wird es beim nächsten Parteitag zusätzliche neue jüngere Kräfte geben, wie das in jeder Partei ab und zu der Fall ist.
Heinemann: Welche waren die Ursachen der Niederlagen?
Möllemann: Das eine war gewiss, dass wir uns erst einmal anfreunden mussten mit einer ganz neuen Rolle. Neu jedenfalls seit vielen Jahrzehnten, nämlich auf der Bundesebene nicht mehr die machtgestaltene Partei, sondern eine von mehreren Oppositionsparteien zu sein. Da haben wir natürlich nach außen gesagt, wir seien eine putzmuntere fröhliche Opposition. Was soll man sonst sagen? Aber wenn man die Liberalen über Jahrzehnte nur kannte als verantwortungsbewusste gestaltende Kraft, und sie plötzlich erleben musste als eine von vier Oppositionsparteien – noch dazu praktisch die kleinste – dann muss der Wähler sich daran gewöhnen, und wir mussten uns daran gewöhnen. Das andere war, dass wir nach den Erfolgen des Jahres 1996, als wir gestützt auf das steuer- und finanzpolitische Thema in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein einen nicht erwarteten riesigen Erfolg eingefahren hatte mit 6 Prozent, 8 Prozent und 9 Prozent - fast 10 Prozent -, dass wir damals geglaubt haben – jedenfalls mancher bei uns – man könne sich dauerhaft auch die Reform der Wirtschaftsordnung und des Finanzsystems konzentrieren und das dann als den modernen Liberalismus definieren. Das war sicher ein Fehler. Es kann keinen Nischenliberalismus geben, also hier hatten wir einen Korrekturbedarf, und der wird jetzt auch wahrgenommen.
Heinemann: So ähnlich hat sich auch Hans-Dietrich Genscher am Sonntag bei uns hier im Deutschlandfunk geäußert. Er sagte, zum Angebot der FDP gehöre auch die soziale Gerechtigkeit. Wie definiert die FDP diesen Begriff?
Möllemann: Ich glaube das hier das Begriffspaar von Leistung und Verantwortung als Komponenten eines umfassenden Freiheitsverständnisses gesehen werden muss. Das heißt, wir müssen den Menschen helfen, dass sie ihre Leistungskraft entfalten können. Wir müssen ihnen helfen, für andere Verantwortung übernehmen zu können, die selbst nicht leistungsfähig sind. Aber wir müssen nicht diejenigen honorieren, die zwar leisten könnten, aber es nicht wollen. Das ist komplizierter Prozess. Klingt im ersten Moment ziemlich banal und einfach, aber wie definiert man den Kreis derer, die leistungsfähig, aber nicht leistungswillig sind. Der also von der allgemeinen Solidaritätsstärke ausgeschlossen werden müsste, als dass derzeit geschieht? Und wie definiert man dann den Bedarf von sozialer Hilfe und mitmenschlicher Zuwendung, den diejenigen haben, die sich tatsächlich nicht selbst helfen können. Auf jeden Fall scheint es so zu sein, dass wir Liberalen nicht hinreichend stark auf die Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme unter diesen beiden Vorzeichen hingewirkt haben. Sie sind heute eindeutig überfordert, weil sie zu vielen helfen sollen, und deswegen kommt bei den tatsächlich Bedürftigen zu wenig an. Und wir haben uns vielleicht nur immer darauf konzentriert, was wir übertrieben halten an staatlichen Leistungen, statt die Reform der sozialen Sicherungssysteme präziser zu benennen.
Heinemann: Stichwort 'Sozialleistungen': Bei der Alterssicherung erkennt die FDP in der privaten Vorsorge. Familien sind dabei gekniffen, während Doppelverdiener ohne Kinder das aus der Kaffeekasse bezahlen können. Ist das liberal?
Möllemann: Ich glaube nicht, dass diese Definition unser Konzept der Altersvorsorge richtig beschreibt. Wir setzen auf drei Säulen. Übrigens interessanterweise hat der Bundeskanzler in seinen diversen Interviews zum Jahreswechsel etwas ähnliches gesagt, wie er ja ohnehin sich neuerdings wieder verstärkt auf liberale Vorstellungen hinbewegt. Das ist eine interessante Perspektive. Er hat nämlich vom 3-Säulen-Modell gesprochen. Soziale Sicherungssysteme, also solidarische beitragsfinanzierte Absicherung des Altersrisikos oder der Kosten im Alter ergänzt um private Vorsorge und um betriebliche Alterssicherungssysteme. Das ist ein liberales Modell, und wenn wir uns darauf mit den Sozialdemokraten verständigen könnten, wäre das ja nicht unvernünftig. So wie es vernünftig war, sich mit Ihnen zu verständigen im Bereich Staatsbürgerschaftsrechts.
Heinemann: Bleiben wir noch mal kurz bei den Familien. Rot-grün erhöht das Kindergeld, die CDU fordert die Einführung eines Familiengeldes, von der FDP hört man laut zumindest nichts. Verschläft die Partei ein Thema?
Möllemann: Das glaube ich nicht. Aber wir haben ja versucht, in den zurückliegenden Monaten mit einer Vielzahl von Initiativen - auch auf dem Sektor, von dem Sie hier sprechen, der Steuer- und Finanzgesetzgebung auch natürlich der Familiengesetzgebung - deutlich zu machen, wo wir stehen. Da haben wir ein bisschen das Problem, das wir als Regierungspartei, so wie das jetzt bei den Grünen ist, natürlich interessanter waren – auch für die Medien -, weil man ja gleichzeitig irgendwie Gestalter und regierungsinterne Opposition war. Da spielen die Grünen jetzt so ein bisschen nach dem Modell FDP. Und das ist für die Journalisten dann spannender als ebenso ausführlich darüber zu berichten, was die dritte oder vierte Oppositionspartei an Initiative bringt.
Heinemann: Darf ich noch mal konkret nachfragen: Es gibt die Idee eines Erziehungsgehaltes, das heißt also eine veritablen Lohnes für den Elternteil, der die für die Gesellschaft wichtigste Aufgabe, die es überhaupt gibt, übernimmt, nämlich die Erziehung von Kindern. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Möllemann: Ja, der ist diskutabel, aber nicht unproblematisch, wenn man sich das Finanzvolumen ansieht, das dafür aufzubringen wäre. Wir sind ja von Seiten der FDP eher auf dem Trip, zu sagen: 'Stellt diejenigen, die arbeiten steuerlich besser. Lasst ihnen mehr, und natürlich, wenn sie Kinder haben, noch mehr von dem, was sie erarbeiten. Dann können sie für sich selbst und ihre Familien besser aufkommen, als dass man riesige Transfermaschinen in Gang setzt.'
Heinemann: Herr Möllemann, die Grünen haben Sie angesprochen. Die Partei hat sich gehäutet, der Fundamentalismus blieb mehr oder weniger auf der Strecke. Sind die Grünen in die Rolle der FDP geschlüpft als Funktionspartei mit liberalen Inhalten?
Möllemann: Na ja, also jetzt mal salopp gesagt, sie haben jedenfalls den Begriff 'Umfallen' von uns übernommen. Also ich bin froh, dass dieser Begriff jetzt eine neue Heimat bei den Grünen gefunden hat. So schnell, wie die ihre Prinzipien aufgeben - innerhalb von 1 1/2 Jahren Regierung -, das haben wir in 15 Jahren nicht geschafft. Wenn sie das als Pragmatismus bezeichnen... Ich empfinde das häufig als Opportunismus. Ich kann mich ja gar nicht darüber beklagen, dass Joschka Fischer die Außenpolitik von Hans-Dietrich Genscher fortsetzt. Aber was das mit grüner Außenpolitik zu tun haben soll - die ja, solange Genscher sie machte, von den Grünen kritisiert wurde – ist mir unerfindlich. Ich kann mich nicht darüber beklagen, dass Herr Trittin und Frau Höhn neuerdings nahezu jede Kröte, die ihnen über den Weg hüpft, schlucken. Aber was das noch mit Ökologie im grünen Sinne zu tun haben soll, wenn jetzt Herr Trittin durch die Aufkündigung der Verträge mit ................................ massenhafte Kastortransporte nach Ahaus und Gorleben in Gang setzen wird, ist mir unerfindlich. Nein, ich finde, das hat mit Häutung nichts zu tun. Ich finde das auch der Sicht der Wähler eher merkwürdig. Wenn es am Ende zu vernünftigen politischen Resultaten führte, wenn Gründe liberale Positionen übernommen haben, kann man das in der Sache nicht kritisieren. Ich vermute nur, es wird bei deren Wählern zu einem Splitting führen.
Heinemann: Stichwort 'vernünftige Resultate': Vor Jahresfrist undenkbar: Ein sozialdemokratischer Finanzminister erläutert seine mittelfristige Planung. Die Börsen explodierten, Bänker und Versicherer werden zu bekennenden Eichelianern. Für viele Kommentatoren steht fest, die rot-grün Koalition macht eine liberalere Finanzpolitik als die alte Bundesregierung mit der FDP.
Möllemann: Auch das finde ich doch ein sehr geschöntes Bild, vor allem nach wenigen Wochen einer partiellen Kurskorrektur. Ich meine, wie groß muss die Bedrückung gewesen sein, über das Bild sozialdemokratisch-grüner Finanzpolitik unter Oskar Lafontaine und den übrigen, dass die Einkehr von ein bisschen Vernunft, nämlich die Rückkehr zu Positionen, wie sie die FDP und Teile der Union in den Jahren davor vertreten haben, so gefeiert werden. Es freut sich eben jeder mehr über den reuigen Sünder, als über den stets brav gebliebenen.
Heinemann: Nun kommt das beim Wähler möglicherweise so an, dass wenn jetzt alle liberal werden, wieso brauchen wir dann noch eine FDP?
Möllemann: Ja, weil es in allen Parteien natürlich immer schon auch Liberale gegeben hat, aber die konnten immer nur soviel an Liberalität durchsetzen, wie die originär liberale Partei auch lupenrein vorgezeichnet hat und meistens ja auch nur in Koalitionen der FDP. Wir werden jetzt in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein uns schon auseinandersetzen mit der dort real praktizierten Politik, wo eben SPD und Grüne natürlich propagiert haben, man müsse mehr für Kinder und Jugendliche in Schulen und für Studenten in Hochschulen tun, in Wahrheit aber die Ausgaben Bildung, Wissenschaft und Forschung drastisch zurückgegangen sind. Wir haben dort die schlechteste Situation im Bildungssystem. Und wo genauso jetzt zum Jahresbeginn der Spritpreis über 2 DM geht, die Autofahrer gemolken werden wie niemals zuvor und gleichzeitig werden weniger Straßen gebaut als je zuvor.
Heinemann: Bleiben wir bei der SPD. Gegen Finanzminister Heinz Schleußer wird ermittelt wegen Verdachts auf Geheimnisverrat. Wäre eine in die WestLB-Affäre verstrickte Landes-SPD ein geeigneter für Sie geeigneter Koalitionspartner?
Möllemann: Ich denke, es hat schon was mit liberalem Rechtsstaatverständnis zu tun, dass man nicht so tut, als kenne man das Ergebnis von Ermittlungsverfahren im vorhinein. Deswegen mein Urteil über die SPD oder die Union richtet sich nach drei ganz einfachen Kriterien: 1. Mit wem ist inhaltlich Übereinstimmung möglich? Schauen Sie sich Herrn Clement an und Herrn Rüttgers, die beiden sind nicht weit auseinander. Herr Rüttgers spricht ja auch dauern von der Möglichkeit einer großen Koalition. Die SPD als Partei ist in einem bestimmten linken Teil wohl weiter von uns entfernt als Herr Clement. Das 2. Kriterium ist: Wer ist denn bereit, mit der FDP zu kooperieren? Das möchte ich ganz gern von den beiden Großen wissen. Und 3.: Mit wem haben wir eine Mehrheitschance? Auch das ist im Moment ziemlich unklar. Ich glaube, wir sind gut beraten, unseren eigenen Zeitplan nicht überzustrapazieren. Deswegen, die Wahl ist am 14. Mai. Ob wir eine Koalitionsaussage machen und wenn ja, dann welche, werden wir in einigen Wochen entscheiden.
Heinemann: Im Deutschlandfunk sprachen wir mit Jürgen W. Möllemann, dem FDP-Landesvorsitzenden von Nordrhein-Westfalen.
Heinemann: Wer ist für die Niederlagen verantwortlich? Anders gefragt: Wie halten Sie es mit Parteichef und Generalsekretär?
Möllemann: Die Führung der Partei hat – wie die Führung jedes Unternehmens – die Verantwortung für Siege und Niederlagen, aber die Führung besteht nicht aus zwei Personen, sondern bei uns aus dem Präsidium. Das sind zehn Personen. Ich gehöre diesem Gremium auch an. Und deswegen wäre es unfair und unseriös, die Verantwortung auf zwei aus der Zehnergruppe zu schieben, wenngleich natürlich der Parteichef und der Generalsekretär herausgehobene Positionen haben. Aber es nützt überhaupt nichts, jetzt hier Teilverantwortlichkeiten zu konstruieren. Wir brauchen Wolfgang Gerhard und Guido Westerwelle mit ihren ganz unterschiedlichen Naturellen und Talenten, so wie wir die übrigen acht auch brauchen. Und vielleicht wird es beim nächsten Parteitag zusätzliche neue jüngere Kräfte geben, wie das in jeder Partei ab und zu der Fall ist.
Heinemann: Welche waren die Ursachen der Niederlagen?
Möllemann: Das eine war gewiss, dass wir uns erst einmal anfreunden mussten mit einer ganz neuen Rolle. Neu jedenfalls seit vielen Jahrzehnten, nämlich auf der Bundesebene nicht mehr die machtgestaltene Partei, sondern eine von mehreren Oppositionsparteien zu sein. Da haben wir natürlich nach außen gesagt, wir seien eine putzmuntere fröhliche Opposition. Was soll man sonst sagen? Aber wenn man die Liberalen über Jahrzehnte nur kannte als verantwortungsbewusste gestaltende Kraft, und sie plötzlich erleben musste als eine von vier Oppositionsparteien – noch dazu praktisch die kleinste – dann muss der Wähler sich daran gewöhnen, und wir mussten uns daran gewöhnen. Das andere war, dass wir nach den Erfolgen des Jahres 1996, als wir gestützt auf das steuer- und finanzpolitische Thema in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein einen nicht erwarteten riesigen Erfolg eingefahren hatte mit 6 Prozent, 8 Prozent und 9 Prozent - fast 10 Prozent -, dass wir damals geglaubt haben – jedenfalls mancher bei uns – man könne sich dauerhaft auch die Reform der Wirtschaftsordnung und des Finanzsystems konzentrieren und das dann als den modernen Liberalismus definieren. Das war sicher ein Fehler. Es kann keinen Nischenliberalismus geben, also hier hatten wir einen Korrekturbedarf, und der wird jetzt auch wahrgenommen.
Heinemann: So ähnlich hat sich auch Hans-Dietrich Genscher am Sonntag bei uns hier im Deutschlandfunk geäußert. Er sagte, zum Angebot der FDP gehöre auch die soziale Gerechtigkeit. Wie definiert die FDP diesen Begriff?
Möllemann: Ich glaube das hier das Begriffspaar von Leistung und Verantwortung als Komponenten eines umfassenden Freiheitsverständnisses gesehen werden muss. Das heißt, wir müssen den Menschen helfen, dass sie ihre Leistungskraft entfalten können. Wir müssen ihnen helfen, für andere Verantwortung übernehmen zu können, die selbst nicht leistungsfähig sind. Aber wir müssen nicht diejenigen honorieren, die zwar leisten könnten, aber es nicht wollen. Das ist komplizierter Prozess. Klingt im ersten Moment ziemlich banal und einfach, aber wie definiert man den Kreis derer, die leistungsfähig, aber nicht leistungswillig sind. Der also von der allgemeinen Solidaritätsstärke ausgeschlossen werden müsste, als dass derzeit geschieht? Und wie definiert man dann den Bedarf von sozialer Hilfe und mitmenschlicher Zuwendung, den diejenigen haben, die sich tatsächlich nicht selbst helfen können. Auf jeden Fall scheint es so zu sein, dass wir Liberalen nicht hinreichend stark auf die Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme unter diesen beiden Vorzeichen hingewirkt haben. Sie sind heute eindeutig überfordert, weil sie zu vielen helfen sollen, und deswegen kommt bei den tatsächlich Bedürftigen zu wenig an. Und wir haben uns vielleicht nur immer darauf konzentriert, was wir übertrieben halten an staatlichen Leistungen, statt die Reform der sozialen Sicherungssysteme präziser zu benennen.
Heinemann: Stichwort 'Sozialleistungen': Bei der Alterssicherung erkennt die FDP in der privaten Vorsorge. Familien sind dabei gekniffen, während Doppelverdiener ohne Kinder das aus der Kaffeekasse bezahlen können. Ist das liberal?
Möllemann: Ich glaube nicht, dass diese Definition unser Konzept der Altersvorsorge richtig beschreibt. Wir setzen auf drei Säulen. Übrigens interessanterweise hat der Bundeskanzler in seinen diversen Interviews zum Jahreswechsel etwas ähnliches gesagt, wie er ja ohnehin sich neuerdings wieder verstärkt auf liberale Vorstellungen hinbewegt. Das ist eine interessante Perspektive. Er hat nämlich vom 3-Säulen-Modell gesprochen. Soziale Sicherungssysteme, also solidarische beitragsfinanzierte Absicherung des Altersrisikos oder der Kosten im Alter ergänzt um private Vorsorge und um betriebliche Alterssicherungssysteme. Das ist ein liberales Modell, und wenn wir uns darauf mit den Sozialdemokraten verständigen könnten, wäre das ja nicht unvernünftig. So wie es vernünftig war, sich mit Ihnen zu verständigen im Bereich Staatsbürgerschaftsrechts.
Heinemann: Bleiben wir noch mal kurz bei den Familien. Rot-grün erhöht das Kindergeld, die CDU fordert die Einführung eines Familiengeldes, von der FDP hört man laut zumindest nichts. Verschläft die Partei ein Thema?
Möllemann: Das glaube ich nicht. Aber wir haben ja versucht, in den zurückliegenden Monaten mit einer Vielzahl von Initiativen - auch auf dem Sektor, von dem Sie hier sprechen, der Steuer- und Finanzgesetzgebung auch natürlich der Familiengesetzgebung - deutlich zu machen, wo wir stehen. Da haben wir ein bisschen das Problem, das wir als Regierungspartei, so wie das jetzt bei den Grünen ist, natürlich interessanter waren – auch für die Medien -, weil man ja gleichzeitig irgendwie Gestalter und regierungsinterne Opposition war. Da spielen die Grünen jetzt so ein bisschen nach dem Modell FDP. Und das ist für die Journalisten dann spannender als ebenso ausführlich darüber zu berichten, was die dritte oder vierte Oppositionspartei an Initiative bringt.
Heinemann: Darf ich noch mal konkret nachfragen: Es gibt die Idee eines Erziehungsgehaltes, das heißt also eine veritablen Lohnes für den Elternteil, der die für die Gesellschaft wichtigste Aufgabe, die es überhaupt gibt, übernimmt, nämlich die Erziehung von Kindern. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Möllemann: Ja, der ist diskutabel, aber nicht unproblematisch, wenn man sich das Finanzvolumen ansieht, das dafür aufzubringen wäre. Wir sind ja von Seiten der FDP eher auf dem Trip, zu sagen: 'Stellt diejenigen, die arbeiten steuerlich besser. Lasst ihnen mehr, und natürlich, wenn sie Kinder haben, noch mehr von dem, was sie erarbeiten. Dann können sie für sich selbst und ihre Familien besser aufkommen, als dass man riesige Transfermaschinen in Gang setzt.'
Heinemann: Herr Möllemann, die Grünen haben Sie angesprochen. Die Partei hat sich gehäutet, der Fundamentalismus blieb mehr oder weniger auf der Strecke. Sind die Grünen in die Rolle der FDP geschlüpft als Funktionspartei mit liberalen Inhalten?
Möllemann: Na ja, also jetzt mal salopp gesagt, sie haben jedenfalls den Begriff 'Umfallen' von uns übernommen. Also ich bin froh, dass dieser Begriff jetzt eine neue Heimat bei den Grünen gefunden hat. So schnell, wie die ihre Prinzipien aufgeben - innerhalb von 1 1/2 Jahren Regierung -, das haben wir in 15 Jahren nicht geschafft. Wenn sie das als Pragmatismus bezeichnen... Ich empfinde das häufig als Opportunismus. Ich kann mich ja gar nicht darüber beklagen, dass Joschka Fischer die Außenpolitik von Hans-Dietrich Genscher fortsetzt. Aber was das mit grüner Außenpolitik zu tun haben soll - die ja, solange Genscher sie machte, von den Grünen kritisiert wurde – ist mir unerfindlich. Ich kann mich nicht darüber beklagen, dass Herr Trittin und Frau Höhn neuerdings nahezu jede Kröte, die ihnen über den Weg hüpft, schlucken. Aber was das noch mit Ökologie im grünen Sinne zu tun haben soll, wenn jetzt Herr Trittin durch die Aufkündigung der Verträge mit ................................ massenhafte Kastortransporte nach Ahaus und Gorleben in Gang setzen wird, ist mir unerfindlich. Nein, ich finde, das hat mit Häutung nichts zu tun. Ich finde das auch der Sicht der Wähler eher merkwürdig. Wenn es am Ende zu vernünftigen politischen Resultaten führte, wenn Gründe liberale Positionen übernommen haben, kann man das in der Sache nicht kritisieren. Ich vermute nur, es wird bei deren Wählern zu einem Splitting führen.
Heinemann: Stichwort 'vernünftige Resultate': Vor Jahresfrist undenkbar: Ein sozialdemokratischer Finanzminister erläutert seine mittelfristige Planung. Die Börsen explodierten, Bänker und Versicherer werden zu bekennenden Eichelianern. Für viele Kommentatoren steht fest, die rot-grün Koalition macht eine liberalere Finanzpolitik als die alte Bundesregierung mit der FDP.
Möllemann: Auch das finde ich doch ein sehr geschöntes Bild, vor allem nach wenigen Wochen einer partiellen Kurskorrektur. Ich meine, wie groß muss die Bedrückung gewesen sein, über das Bild sozialdemokratisch-grüner Finanzpolitik unter Oskar Lafontaine und den übrigen, dass die Einkehr von ein bisschen Vernunft, nämlich die Rückkehr zu Positionen, wie sie die FDP und Teile der Union in den Jahren davor vertreten haben, so gefeiert werden. Es freut sich eben jeder mehr über den reuigen Sünder, als über den stets brav gebliebenen.
Heinemann: Nun kommt das beim Wähler möglicherweise so an, dass wenn jetzt alle liberal werden, wieso brauchen wir dann noch eine FDP?
Möllemann: Ja, weil es in allen Parteien natürlich immer schon auch Liberale gegeben hat, aber die konnten immer nur soviel an Liberalität durchsetzen, wie die originär liberale Partei auch lupenrein vorgezeichnet hat und meistens ja auch nur in Koalitionen der FDP. Wir werden jetzt in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein uns schon auseinandersetzen mit der dort real praktizierten Politik, wo eben SPD und Grüne natürlich propagiert haben, man müsse mehr für Kinder und Jugendliche in Schulen und für Studenten in Hochschulen tun, in Wahrheit aber die Ausgaben Bildung, Wissenschaft und Forschung drastisch zurückgegangen sind. Wir haben dort die schlechteste Situation im Bildungssystem. Und wo genauso jetzt zum Jahresbeginn der Spritpreis über 2 DM geht, die Autofahrer gemolken werden wie niemals zuvor und gleichzeitig werden weniger Straßen gebaut als je zuvor.
Heinemann: Bleiben wir bei der SPD. Gegen Finanzminister Heinz Schleußer wird ermittelt wegen Verdachts auf Geheimnisverrat. Wäre eine in die WestLB-Affäre verstrickte Landes-SPD ein geeigneter für Sie geeigneter Koalitionspartner?
Möllemann: Ich denke, es hat schon was mit liberalem Rechtsstaatverständnis zu tun, dass man nicht so tut, als kenne man das Ergebnis von Ermittlungsverfahren im vorhinein. Deswegen mein Urteil über die SPD oder die Union richtet sich nach drei ganz einfachen Kriterien: 1. Mit wem ist inhaltlich Übereinstimmung möglich? Schauen Sie sich Herrn Clement an und Herrn Rüttgers, die beiden sind nicht weit auseinander. Herr Rüttgers spricht ja auch dauern von der Möglichkeit einer großen Koalition. Die SPD als Partei ist in einem bestimmten linken Teil wohl weiter von uns entfernt als Herr Clement. Das 2. Kriterium ist: Wer ist denn bereit, mit der FDP zu kooperieren? Das möchte ich ganz gern von den beiden Großen wissen. Und 3.: Mit wem haben wir eine Mehrheitschance? Auch das ist im Moment ziemlich unklar. Ich glaube, wir sind gut beraten, unseren eigenen Zeitplan nicht überzustrapazieren. Deswegen, die Wahl ist am 14. Mai. Ob wir eine Koalitionsaussage machen und wenn ja, dann welche, werden wir in einigen Wochen entscheiden.
Heinemann: Im Deutschlandfunk sprachen wir mit Jürgen W. Möllemann, dem FDP-Landesvorsitzenden von Nordrhein-Westfalen.