Archiv


Ein Wurm wird geehrt

Wer ein Labor betritt und nach dem heimlichen Star des diesjährigen Medizin Nobelpreises sucht, der muss schon sehr genau hinsehen. Caenorhabditis elegans ist kein Wurm sondern ein Würmchen. Ausgewachsen misst der Fadenwurm gerade mal einen Millimeter. Auf einer Petrischale mit 10 Zentimetern Durchmesser können sich tausende Exemplare von Caenorhabditis elegans tummeln, zu sehen ist fast nichts, die Tiere sind völlig durchsichtig. Erst unter dem Mikroskop zeigt sich ein Gewimmel und Gewiggel, in dem die Würmer übereinander kriechen um den Bakterienrasen zu fressen.

    Normalerweise tummeln sich Caenorhabditis elegans und seine Verwandten in der Erde, besonders in verrottenden Pflanzenteilen. Ins Labor geholt hat sie Sydeny Brenner, weil sich die Würmer einerseits einfach halten, vermehren und kreuzen lassen aber andererseits doch komplex genug sind um eine wissenschaftliche Herausforderung darzustellen. Aus dem befruchteten Ei entwickelt sind in vier Tagen der fertige Wurm. Dieser Prozess läuft bei jedem Wurm exakt gleich ab. Die Forscher können jede einzelne der 959 Wurmzellen unter dem Mikroskop individuell erkennen. So genau ist der Bauplan keines anderen Lebewesens bekannt. Schon 1986 veröffentlichte Sydney Brenner die Beschreibung des Nervensystems von Caenorhabditis elegans unter dem schönen Titel 'The mind of a worm', der Verstand eines Wurmes.

    Robert Horvitz hat dann den Stammbaum der Entwicklung des Wurms beschrieben. Indem er einzelne Zellen im Embryo mit einem Farbstoff markierte, konnte er verfolgen, welche Tochterzellen von ihnen abstammten. Andersherum zerstörte er Zellen mit dem Laser, um zu sehen, welche Gewebeteile später im Erwachsenen Wurm fehlen. Dabei konnte Robert Horwitz erstmals belegen, dass es in der Entwicklung des Wurms nicht nur Wachstum gehört sondern auch das genau geplante Absterben bestimmter Zellen.

    Caenorhabditis elegans eignet sich auch hervorragend zur genetischen Analyse. Die meisten Würmer sind Hermaphroditen, das heißt sie befruchten sich selbst. So lassen sich ohne Probleme reine Linien erzeugen. Es gibt aber auch vereinzelte Männchen, die sich sexuell Vermehren, so dass die Genetiker auch Kreuzungen vornehmen können. Mit diesen Methoden beschrieb John Sulston die Details der genetischen Steuerung des Zelltodes.

    1998 wurde die komplette Sequenz des Erbgutes von Caenorhabditis elegans veröffentlicht, als erstes Genom eines komplexeren Lebewesens. Die meisten seiner Gene haben Entsprechungen in Fliege, Maus und Mensch. Deshalb wird an Caenorhabditis elegans als Modell für viele Medizinische Fragestellungen genutzt. Ein Beispiel ist das Altern. Nachdem die Würmer ihre rund 200 Eier gelegt haben, geht es langsam bergab mit ihrer Lebenskraft. Es gibt aber Methusalem-Mutanten, die viel länger leben. Allerdings bezahlen die Würmer ihr langes Dasein mit einem maßvollen Leben, wenig Essen, wenig Bewegung und wenig Sex. Ob der Methusalem-Wurm ein guter Wegweiser für ein längeres Leben des Menschen ist, muss sich noch zeigen. Eines jedenfalls ist sicher. Caenorhabditis elegans ist ein unverzichtbarer Bewohner des Labors geworden, der sicher noch wichtige Beiträge zum Verständnis auch des menschlichen Genoms liefern wird.

    Beitrag als Real-Audio

    Weitere Informationen zum Nobelpreis 2002