"Ein Türke und ein Kurde werden zum Tode verurteilt. Kurz vor der Vollstreckung werden beide gefragt: Was ist dein letzter Wunsch? Der Kurde sagt: Ich liebe meine Mutter. Bevor ich aus diesem Leben scheide, möchte ich bitte meine Mutter wiedersehen. Der Türke sagt, ohne einen Moment zu zögern: Der Kurde soll seine Mutter nicht sehen."
Die Schauspielerin Pegah Ferydoni liest einen Witz vor, den Deniz Yücel in einen Artikel über den Kurdenkonflikt eingebettet hatte. Der Artikel endet mit den folgenden Zeilen:
"In dieser Parabel stecken ein guter Teil der Maxime und der Prioritäten der türkischen Politik in Syrien und im Irak. Das Nachbarland Syrien zerfällt in einem blutigen Bürgerkrieg. Millionen Menschen flüchten in die Türkei. Der Kurde soll seine Mutter nicht sehen."
Mehrere Hundert Menschen sind gekommen, um ihre Solidarität mit dem Journalisten Deniz Yücel zu bekunden. Sie erfahren spätestens hier, dass die türkische Justiz diesen Witz gegen den Journalisten verwendet. Yücels Kollege von der "Welt", Daniel-Dylan Böhmer, liest einen Auszug aus der Vernehmung vor. Darin gibt der zuständige Richter zu Protokoll:
"Der zu Vernehmende wird der Propaganda für eine Terrororganisation und der öffentlichen Aufhetzung des Volkes zu Hass und Feindschaft verdächtigt."
"Präsident Erdogan tritt die Menschenrechte mit Füßen"
Außer dem Vernehmungsprotokoll werden nur Texte von Deniz Yücel gelesen. Die Vortragenden sind Journalisten, Autoren, Musiker, Schauspieler. Sie lesen die Texte unkommentiert vor. Der Publizist und Rechtsanwalt Michel Friedmann ist der einzige, der nach seinem Vortrag das Wort direkt an den türkischen Staatspräsidenten richtet und ihn an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erinnert.
"Präsident Erdoğan, darf ich Sie erinnern? Artikel 11, Unschuldsvermutung: Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen geleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist."
"Präsident Erdoğan tritt die Menschenrechte mit Füßen. Es geschieht Unrecht in der Türkei. Künstler, Journalisten, auch Deniz, sitzen zu Unrecht im Gefängnis. Deren Verbrechen ist, dass sie eine andere Meinung haben als Erdoğan. Wir sind hier, um solidarisch zu sein. Wir sind hier, um denen, die zu Unrecht im Gefängnis sind, zu zeigen, sie sind nicht allein."
Der Komiker und Satiriker Jan Böhmermann, selbst wegen einer satirischen Sendung vom türkischen Präsidenten angeklagt, wird aus Köln per Video zugeschaltet. Bevor er einen Artikel von Deniz Yücel vorliest, erklärt dem Publikum auf seine Art, welchen Bezug er zu Türken hat.
"Genau wie Mogli aus dem Dschungelbuch von einem Rudel Wölfe aufgezogen wurde – ich komme aus Bremen, aufgewachsen in Bremen-Nord, hoher Ausländeranteil, viele Türken – genau wie Mogli von einem Rudel Wölfe aufgezogen wurde, ich wurde von einem Rudel Türken unter Türken von Türken aufgezogen worden und weiß deswegen ganz genau, wo die Fettnäpfchen sind und wie man am besten hineintritt."
"Er hat ja nicht als Politaktivist gearbeitet"
Der Solidaritätsabend wurde von allen Verlagen organisiert, in denen Yücels Artikel, Kolumnen und Bücher erschienen sind. Zum Organisationsteam gehört auch die Publizistin Mely Kiyak.
"Wir machen heute Abend diese Veranstaltung, dass wir nur Deniz' Texte lesen, um die Aufmerksamkeit noch mal darauf zu richten, was ihn auf direktem Wege ins Gefängnis gebracht hat, nämlich die Berichte, Kolumnen und Texte. Denn die Texte machen ja einen Autor zum Autor. Er hat ja nicht als Politaktivist gearbeitet, sondern Texte geschrieben. Und mein Eindruck war in den letzten Wochen, dass sehr viel über Deniz berichtet und auch gerichtet wurde, weil irgendwie jeder sein Bild von ihm in der Öffentlichkeit zeichnen will, wie er es gebrauchen kann."
Zur Lesung war auch die Schwester des inhaftierten Journalisten gekommen. Ilkay Yücel, die bislang als einzige aus der Familie ihren Bruder für eine Stunde besuchen durfte, schöpft Kraft aus solchen Solidaritätsveranstaltungen, sagte sie.
"Ich habe 600 Kilometer Autofahrt hinter mir und bin aber sehr überwältigt, wie viele Leute hier sind. Es ist natürlich toll, mitzuerleben, dass Deniz nicht allein ist und dass wir nicht allein sind."