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Ein Zeichen setzen für die Unabhängigkeit

Die Unabhängigkeitsbewegung Kataloniens ist ins Stocken gekommen. Die nationalkonservative Partei Convergènica i Unió will frühestens 2016 auf Konfrontationskurs mit der spanischen Regierung gehen. Die Bürgerbewegung ANC wirbt weiter mit Demonstrationen für eine Volksabstimmung.

Von Julia Macher | 11.09.2013
    Ein Straßenfest in Barcelonas Arbeiterviertel PobleNou. Núria Serrano und Enric Porta stehen vor einem Stand mit Devotionalien der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung: T-Shirts mit der Aufschrift "Keep calm, speak catalan", Armbanduhren, Tassen, Unterwäsche mit katalanischen Emblemen. Die Wahl fällt auf den Klassiker: eine Estelada, eine gelbrot-gestreifte katalanische Fahne mit blauem Dreieck und weißem Stern, als Symbol für die Unabhängigkeit.

    "Wir müssen der Welt zeigen, wer wir sind und was wir wollen: einen eigenen Staat. Schon mein Vater hat so gefühlt wie wir, aber durch die Krise kommen jetzt auch noch wirtschaftliche Gründe dazu."

    Ihr Begleiter ergänzt:

    "Wir fühlen uns von Spanien misshandelt, vor allem in Wirtschaftsfragen: Wir geben Spanien Geld und bekommen nichts zurück. Wir wollen unser Geld selbst verwalten - und dann wird man ja sehen, wer ein Defizit hat."

    Um ein Zeichen für die Unabhängigkeit zu setzen, werden sich die beiden heute Nachmittag gemeinsam mit 400.000 Anderen in die "Via Catalana" einreihen, die gigantische Menschenkette, die sich nach dem Vorbild des "Baltischen Weges" von 1989 einmal quer durch die Region ziehen soll, durch Dörfer und Städte, über Berge und Täler. 800 Fotografen sollen das Ereignis vom Boden und aus der Luft dokumentieren - und die Bilder in alle Welt senden. Organisiert wird die Aktion von der Bürgerbewegung Assamblea Nacional Catalana - kurz ANC - , die bereits im letzten Jahr die Großdemonstration in Barcelona ausgerichtet hat.

    "Seit damals hat das Land einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Wir haben nicht nur die Massen mobilisiert, sondern es auch geschafft, dass die politische Klasse ihre Forderungen übernimmt und demokratisch und friedlich dafür kämpft, dass Katalonien ein eigener Staat in Europa wird. So eine rasante Entwicklung hat es in den letzten 300 Jahren nicht gegeben."

    Resümiert Mitorganisator Ferran Civit. Laut einer Umfrage des katalanischen Meinungsforschungsinstituts möchte inzwischen über die Hälfte der Katalanen einen eigenen Staat. Im katalanischen Parlament gibt es nach den vorgezogenen Wahlen im letzten Jahr eine klare Mehrheit für ein Referendum, im April hat das Parlament gegen den erklärten Willen Madrids eine Kommission eingesetzt, die eine Volksbefragung ausarbeiten soll.

    Mit der Via Catalana, so ANC-Präsidentin Carme Forcadell, wolle man nicht nur die Weltöffentlichkeit erreichen, sondern auch Druck auf die Regierung ausüben, einen Termin für das Referendum festzusetzen.

    Doch ausgerechnet die Partei, die sich mit den vorgezogenen Neuwahlen und dem Pochen auf der wirtschaftlichen Überlegenheit Kataloniens an die Speerspitze der Unabhängigkeitsbewegung setzen wollte, deutet kurz vor der "Diada", dem Nationalfeiertag, eine Kehrtwende an. Ministerpräsident Artur Mas von der konservativ-nationalistischen Convergènica i Unió erklärte, es frühstens 2016, am Ende der Legislatur, auf eine direkte Konfrontation mit Madrid ankommen lassen zu wollen. Eine Volksbefragung im Jahr 2014, symbolträchtige 300 Jahre nach dem Verlust der politischen Eigenständigkeit, scheint damit vom Tisch; stattdessen werden wohl die Verhandlungen um ein neues Finanzierungsmodell für die autonome Region wieder aufgenommen: ein Zugeständnis an die traditionelle Wählerschaft der Partei. Fast scheint es, als seien dem Zauberlehrling Artur Mas die Geister, die er rief, nicht mehr ganz geheuer.

    Während die Organisatoren der Via Catalana gute Miene zum bösen Spiel machen und diesen Kurswechsel als besonders gewiefte Strategie zu deuten versuchen, reagieren die Teilnehmer der Via Catalana mit Schulterzucken.

    Er habe Artur Mas den Separatisten sowieso nicht abgenommen, sagt Enric Porta. Die Unabhängigkeitsbewegung sei eine Volksbewegung - darauf müsse man sich eben wieder besinnen. Dann packt er die Fahne in die Tasche und macht sich auf den Weg zur Via Catalana.