"Für Monsieur Man Ray ist das alles nur ein Tribut an den Pöbel", kommentiert Jean Galotti 1929 Man Rays Selbsteinschätzung seiner fotografischen Auftragsarbeiten, bei denen er weitaus konventioneller verfuhr als bei den freien, künstlerischen Fotografien. "Tout Paris" fand sich in den 20er- und 30er-Jahren im Studio des amerikanischen Surrealisten ein, dessen Dienste, wiewohl er in den ersten Jahren seine Freunde noch kostenlos porträtierte, mit wachsendem Zulauf "schick und teuer" wurden.
Einen profunden Einblick in Man Rays Arbeitsweise gewährt die im Schirmer/Mosel Verlag erschienene Publikation "Man Ray. Portraits" aus dem Man Ray Archiv im Centre Pompidou. Gezeigt wird eine Auswahl von 500 Aufnahmen, begleitet von Essays, welche die Auswertung von mehr als 12.000 Negativen, die digital erfasst und archiviert wurden, erläutern. Vor allem Intellektuelle, Künstler und High Society-Größen, die in einem komplexen Beziehungsgefüge zueinander standen, legten Wert darauf, ein Porträt von Man Ray anfertigen zu lassen und so gehörte für manch einen Amerikaner ein Besuch im Studio zu den Selbstverständlichkeiten eines Parisaufenthaltes.
Man Rays Foto Archiv hält aber auch die körperliche Erscheinung einiger weniger stark in der Öffentlichkeit stehenden Personen in Erinnerung, wie zum Beispiel der Montparnasser Malermodelle. So avantgardistisch manch einer von Man Rays Auftraggebern sein eigenes Werk oder Leben zelebriert haben dürfte, so konservativ blieb indes auch diese Kundschaft, wenn es darum ging, mit einer Porträtaufnahme den Zeitgenossen und der Nachwelt ein Bild von sich selbst zu überliefern. Man Ray bewunderte besonders die Gemälde alteuropäischer Meister wie Holbein, Veronese oder Vermeer und studierte deren Raumauffassung.
Anders als die Fotografen des "Neuen Sehens", die beispielsweise auf gestochen scharfe Fotos Wert legten, arbeitete Man Ray mit seiner Vorliebe für weichzeichnende Effekte durchaus traditionell. Er hielt Distanz zu seinen Modellen und brachte ein Teleobjektiv zum Einsatz, um bestimmte Verzerrungen, wie sie die Nahaufnahme mit sich bringt, zu vermeiden. Auf den nun als Positive reproduzierten, digital konvertierten Negativen sieht man zum Teil den Arbeitsaufbau in Man Rays Studio: So positionierte er eine Glühbirne zwischen Person und Hintergrund auf einem Ständer, um die Gestalt mit einem Lichthof zu umgeben, vervielfältigte mit einer Lichterkette die Schatten oder gab mitunter dem zu Porträtierenden eine große reflektierende Platte in die Hand, um damit Gesichtsschatten zu neutralisieren. Man Ray vergrößerte und rekadrierte im Print sehr stark, zum Teil werden Ausschnitte gezeigt, die nur ein Viertel der im Negativ sichtbaren Aufnahmesituation wiedergeben.
Negative fanden in der Fotografiegeschichte bisher wenig Beachtung, sie galten lange lediglich als eine Art Arbeitsentwurf für den Print. Die begleitenden Essays schärfen den Blick dafür, dass Negative einen überaus interessanten Einblick in die Werkstatt geben können, vergleichbar den unterschiedlichen Werkstadien, die sich über die Manuskripte eines Schriftstellers einsehen lassen oder den Abformungen eines Bildhauers. Im Fall Man Rays wird erstmals ersichtlich, einen wie hohen Anteil an seinem Schaffen die - von ihm selbst in der Regel als reinen Broterwerb betrachteten - Porträts einnahmen: Sie machen zwei Drittel der noch vorhandenen Negative aus, wobei zu berücksichtigen ist, dass er eine Reihe von Negativen selbst zerstörte. Auch zeigt sich, dass er sich nach seiner Rückkehr aus Hollywood noch viel länger intensiv mit Fotografie beschäftigte, als es seine eigenen Aussagen bisher nahegelegt haben.
Erfolglos blieben leider Bemühungen, das legendäre Pariser Studio, das zum Zeitpunkt von Man Rays Tod im Jahr 1976 noch erhalten war, mit seiner Raumordnung und seiner Atmosphäre vor Ort zu bewahren und beispielsweise zu einem Museum umzuwidmen - oder zumindest originalgetreu im Centre Pompidou wieder aufzubauen. In den 90er-Jahren gelangten dann die Negative aus den Studiobeständen als Erblassung in den Besitz des Centre Pompidou, weitere Positionen aus einer Sammlung kamen als Schenkung hinzu. Bei der Durchsicht des Katalogs muss man sich darüber im Klaren sein, dass es sich um digital konvertierte Negative handelt und nicht um Abzüge, die Rekadrierung, Vergrößerung und Dunkelkammerarbeiten durch den Fotografen durchlaufen haben. Die abgebildeten Personen wurden größtenteils identifiziert und mit einigen Erläuterungen zur Biografie versehen, Man Ray selbst hatte nie Buch geführt.
Der Band enthält auch rare Farbaufnahmen aus den 50er- und 60er-Jahren. Einige Effekte und Arrangements erscheinen dem Betrachter, wenn er sie sozusagen bei mehreren Personen immer wieder sieht, als weniger eindringlich als er sie ausgehend von einigen bekannten Einzelaufnahmen in Erinnerung behalten haben mag. Das zeigt den Werkstattcharakter des Buches, das in seiner nüchternen Art auch ein Stück weit zur Entzauberung des Mythos "Man Ray" beiträgt.
Man Ray: Portraits. Paris-Hollywood-Paris. Aus dem Man Ray Archiv des Centre Pompidou." Herausgegeben von Clément Chéroux, 313 Seiten, 517 Abbildungen, 58 Euro
Einen profunden Einblick in Man Rays Arbeitsweise gewährt die im Schirmer/Mosel Verlag erschienene Publikation "Man Ray. Portraits" aus dem Man Ray Archiv im Centre Pompidou. Gezeigt wird eine Auswahl von 500 Aufnahmen, begleitet von Essays, welche die Auswertung von mehr als 12.000 Negativen, die digital erfasst und archiviert wurden, erläutern. Vor allem Intellektuelle, Künstler und High Society-Größen, die in einem komplexen Beziehungsgefüge zueinander standen, legten Wert darauf, ein Porträt von Man Ray anfertigen zu lassen und so gehörte für manch einen Amerikaner ein Besuch im Studio zu den Selbstverständlichkeiten eines Parisaufenthaltes.
Man Rays Foto Archiv hält aber auch die körperliche Erscheinung einiger weniger stark in der Öffentlichkeit stehenden Personen in Erinnerung, wie zum Beispiel der Montparnasser Malermodelle. So avantgardistisch manch einer von Man Rays Auftraggebern sein eigenes Werk oder Leben zelebriert haben dürfte, so konservativ blieb indes auch diese Kundschaft, wenn es darum ging, mit einer Porträtaufnahme den Zeitgenossen und der Nachwelt ein Bild von sich selbst zu überliefern. Man Ray bewunderte besonders die Gemälde alteuropäischer Meister wie Holbein, Veronese oder Vermeer und studierte deren Raumauffassung.
Anders als die Fotografen des "Neuen Sehens", die beispielsweise auf gestochen scharfe Fotos Wert legten, arbeitete Man Ray mit seiner Vorliebe für weichzeichnende Effekte durchaus traditionell. Er hielt Distanz zu seinen Modellen und brachte ein Teleobjektiv zum Einsatz, um bestimmte Verzerrungen, wie sie die Nahaufnahme mit sich bringt, zu vermeiden. Auf den nun als Positive reproduzierten, digital konvertierten Negativen sieht man zum Teil den Arbeitsaufbau in Man Rays Studio: So positionierte er eine Glühbirne zwischen Person und Hintergrund auf einem Ständer, um die Gestalt mit einem Lichthof zu umgeben, vervielfältigte mit einer Lichterkette die Schatten oder gab mitunter dem zu Porträtierenden eine große reflektierende Platte in die Hand, um damit Gesichtsschatten zu neutralisieren. Man Ray vergrößerte und rekadrierte im Print sehr stark, zum Teil werden Ausschnitte gezeigt, die nur ein Viertel der im Negativ sichtbaren Aufnahmesituation wiedergeben.
Negative fanden in der Fotografiegeschichte bisher wenig Beachtung, sie galten lange lediglich als eine Art Arbeitsentwurf für den Print. Die begleitenden Essays schärfen den Blick dafür, dass Negative einen überaus interessanten Einblick in die Werkstatt geben können, vergleichbar den unterschiedlichen Werkstadien, die sich über die Manuskripte eines Schriftstellers einsehen lassen oder den Abformungen eines Bildhauers. Im Fall Man Rays wird erstmals ersichtlich, einen wie hohen Anteil an seinem Schaffen die - von ihm selbst in der Regel als reinen Broterwerb betrachteten - Porträts einnahmen: Sie machen zwei Drittel der noch vorhandenen Negative aus, wobei zu berücksichtigen ist, dass er eine Reihe von Negativen selbst zerstörte. Auch zeigt sich, dass er sich nach seiner Rückkehr aus Hollywood noch viel länger intensiv mit Fotografie beschäftigte, als es seine eigenen Aussagen bisher nahegelegt haben.
Erfolglos blieben leider Bemühungen, das legendäre Pariser Studio, das zum Zeitpunkt von Man Rays Tod im Jahr 1976 noch erhalten war, mit seiner Raumordnung und seiner Atmosphäre vor Ort zu bewahren und beispielsweise zu einem Museum umzuwidmen - oder zumindest originalgetreu im Centre Pompidou wieder aufzubauen. In den 90er-Jahren gelangten dann die Negative aus den Studiobeständen als Erblassung in den Besitz des Centre Pompidou, weitere Positionen aus einer Sammlung kamen als Schenkung hinzu. Bei der Durchsicht des Katalogs muss man sich darüber im Klaren sein, dass es sich um digital konvertierte Negative handelt und nicht um Abzüge, die Rekadrierung, Vergrößerung und Dunkelkammerarbeiten durch den Fotografen durchlaufen haben. Die abgebildeten Personen wurden größtenteils identifiziert und mit einigen Erläuterungen zur Biografie versehen, Man Ray selbst hatte nie Buch geführt.
Der Band enthält auch rare Farbaufnahmen aus den 50er- und 60er-Jahren. Einige Effekte und Arrangements erscheinen dem Betrachter, wenn er sie sozusagen bei mehreren Personen immer wieder sieht, als weniger eindringlich als er sie ausgehend von einigen bekannten Einzelaufnahmen in Erinnerung behalten haben mag. Das zeigt den Werkstattcharakter des Buches, das in seiner nüchternen Art auch ein Stück weit zur Entzauberung des Mythos "Man Ray" beiträgt.
Man Ray: Portraits. Paris-Hollywood-Paris. Aus dem Man Ray Archiv des Centre Pompidou." Herausgegeben von Clément Chéroux, 313 Seiten, 517 Abbildungen, 58 Euro