"Einigkeit und Recht und Freiheit…"
Hätte der Bezirk Neukölln nicht extra eine professionelle Sängerin für die Nationalhymne engagiert, der Gesang der 49 frisch gebackenen Deutschen hätte dann doch etwas dünn geklungen, hier im großen Saal des Rathauses Neukölln.
Doch: keine voreiligen Rückschlüsse. Wenn auch die wenigsten Neu-Deutschen die Nationalhymne aus voller Kehle schmettern – nach dem bestandenen Einbürgerungstest schlägt auch bei vielen das Herz für Deutschland.
"Deutschland freut mich sehr. Die deutsche Leute sehr nett. Der Staat ist auch sehr nett. Die Behörde ist sehr nett und hat für uns viel viel viel getan und viel gemacht. Deutschland für mich ist das Erste und Deutschland ist das Letzte."
Bevor sie selber die deutsche Nationalhymne singen, dürfen die Brasilianer, Koreaner, Kolumbianer, Briten, Afghanen, Vietnamesen, Franzosen und all die anderen noch einmal ihren bisherigen Nationalhymnen lauschen.
Schwer zu sagen, was in den Köpfen und Herzen vorgeht. Der junge Brite zum Beispiel in der letzten Reihe scheint unbewegt – für ihn ist der neue Pass keine Gefühlssache. Wegen des anstehenden Brexits nimmt er sicherheitshalber auch die deutsche Staatsbürgerschaft an. Anders die Kolumbianerin Claudia Marmoleyo und ihr Sohn Juan David. Zwei Tage vor der Einbürgerungsfeier mussten sie ihren kolumbianischen Pass abgeben.
"Ja, das war sehr schwer, ich bin immer noch Kolumbianer, aber ich liebe Deutschland auch."
"Also ich hätte lieber beide, es eben ein Teil von mir, dass ich Kolumbianer bin."
In beiden Ländern zu Hause
Der 16-jährige Khamel El Ahmad dagegen darf seinen libanesischen Pass behalten. Er muss ihn sogar behalten, sein Land entlässt ihn nicht aus der Staatsbürgerschaft. Sich für ein Land entscheiden? Khamel schüttelt den Kopf.
"Nee, ich würd sagen, es geht beides. Also ich geh einmal pro Jahr für einhalb Monate in den Libanon. Da fühle ich mich wirklich wohl, genauso wie ich mich hier fühle, fühle ich mich auch da. Also: Ich bin dort in meinem Land und hier in meinem Land."
Dann werden Khamel und die anderen nach vorne gerufen zur Bezirksbürgermeisterin. Franziska Giffey – schwarzes Spitzenkleid, um den Hals die schwere goldene Amtskette - hat zuvor allen zugerufen: "Unser Land sagt Ja zu Ihnen." Und sie hat versprochen, dass die neuen Deutschen ihre alte Heimat nicht aufgeben müssen. Dann nimmt Franziska Giffey den 49 neuen Deutschen den Eid ab.
"Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten und alles unterlassen werde, was ihr schaden könnte."
"Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten und alles unterlassen werde, was ihr schaden könnte." "Na dann herzlichen Glückwunsch!"
Ein Händedruck, das Grundgesetz und die Berliner Landesverfassung für die Großen, ein Teddy für die Kleinen, ein Foto mit der Bürgermeisterin. Nach der feierlichen Zeremonie dann Brot und Salz als Willkommensgruß für alle. Joon-Hye Suk kaut und schluckt – sie ist ab sofort nur noch Deutsche und nicht mehr Südkoreanerin. Ist das besser so – kann man nur einem Land gegenüber loyal sein?
"Wenn Sie zwei Pässe haben dürfen, wäre das gut. Aber irgendwann muss man eine Entscheidung treffen. Also das ist wirklich eine schwierige Frage und eine gute Frage. Das ist wirklich schwer."
Integration braucht mehr als ein Stück Papier
Juan David Marmoleyo – vor zwei Tagen noch Kolumbianer, jetzt nur noch Deutscher – hat eine eindeutige Haltung zu dieser Frage.
"Eine doppelte Staatsangehörigkeit ist keine Behinderung für die Integration, glaube ich persönlich. Sondern es kommt mehr darauf an, wie man auf anderen Wegen versucht, die Integration zu fördern, nicht über das Stück Papier."
100 Personen lassen sich monatlich im Bezirk Neukölln einbürgern – einige geben ihren alten Pass freiwillig ab, andere müssen ihn abgeben. Einige entscheiden sich bewusst nur für Deutschland, andere haben zwei Länder in ihrem Herzen und stehen dazu.
Das Bild ist vielfältig – genau wie der Berliner Bezirk Neukölln, in dem offiziell 150 Nationen zuhause sind. Bürgermeisterin Franziska Giffey sagt: Der Doppelpass ist beileibe nicht nur ein türkisch-deutsches Thema.
"Wir haben ja auch Menschen, die nicht von ihrem Ursprungsland entlassen werden aus ihrer Staatsangehörigkeit, die sich aber trotzdem gerne zu Deutschland bekennen wollen. Und so kann man per se nicht die verurteilen, die zwei Pässe haben. Sondern man muss schon genau hinschauen auf den Einzelnen. Und so leicht, dass wir sagen, dass ist der Ausweis für Nicht-Integration, wenn man zwei Pässe hat, da machen wir es uns ein Stück weit zu einfach."