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Eindrücke der beiden Systeme in einem nicht entwirrbarem Ganzen

Ohne eine wirkliche Handlung verknüpft Oliver Kluck in seinem Stück Ost-West-Biografisches aus dem Leben eines imaginären Ichs, identifiziert das weibliche Geschlecht als einzige Antriebsfeder des westdeutschen Wirtschaftssystems. Der Seelenstriptease bleibt aber vor allem langweilig.

Von Alexander Kohlmann | 09.12.2012
    Er lebe hauptsächlich von Erinnerungen, heißt es im Programmheft über Oliver Kluck, der 1980 in Bergen auf der Insel Rügen geboren wurde. Und wie ein unendliches Band von ungefilterten Erinnerungen kommt auch sein neuer Text "Männer Frauen Arbeit" daher, der am Freitag im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Premiere hatte.

    "Als ich zehn war, da waren alle zwölf. Als ich 14 war, da waren alle 18. Und Anfang 20 hatte ich immer noch nicht begriffen, was alle längst wussten. Mitte 20 war die schlimmste Zeit, mit 30 wurde es besser. Manchmal wache ich auf und denke, dass ich alles hinbekomme, dass ich ein besonderer Mensch bin, eine außergewöhnliche Figur der Zeitgeschichte, jemand, über den erst alle gelacht haben, über den bald niemand mehr lacht. Wie hat er das nur gemacht, werden die Leute fragen, wo er doch früher nichts anderes als der Idiot für uns war."

    Ohne eine wirkliche Handlung verknüpft Kluck in einer Art magischer Biografie Szenen aus dem Leben eines imaginären Ichs, Szenen aus seinem Leben, wie unschwer zu mutmaßen ist. Privates verschwimmt hier mit dem Politischen. Mit dem prägenden Zusammenbruch eines Systems namens DDR, welches für das Ich immer noch der Bezugsrahmen für die Probleme von heute ist. Margot Honecker tritt auf, Erich Honecker auch, später noch Helmut Schmidt. Dazwischen geht es um Muschis und Mösen. Das weibliche Geschlecht als einzige und wichtigste Antriebsfeder des westdeutschen Wirtschaftssystems.

    "- "Also, ich muss die ganze Zeit an deine Scheide denken."
    - "Ich hör wohl nicht richtig."
    - "Also wie schön sie ist und wie gut sie schmeckt."
    - "Na toll."
    - "Ja, das ist wirklich toll. Und wenn ich Glück habe, dann wache ich morgen früh auf und bin immer noch nicht tot. Und dann denke ich natürlich gleich an dich, aber eben auch an deine herrliche Möse, die zwischen deinen Beinen verborgen liegt.""

    Im Wechsel springt der sperrige Text von Szenen aus der DDR der 80er-Jahre in Büroszenen aus der Bundesrepublik der Gegenwart, in denen grotesk überzeichnete Wirtschaftsführer ihre eigene Bedeutung an der Größe des ihnen zugewiesenen Schreibtisches bemessen. Trotz dieser tristen bundesdeutschen Realität, hegt das klucksche Individuum bereits in der DDR Fluchtgedanken. Verständlich, angesichts Apparatschik-Willkür und eines greisen Genossen Generalsekretärs, der von einem Frau-Holle-Schloss aus Pappmaschee mit sich überschlagender Stimme eine Rede hält. Dazwischen immer wieder Ausflüge ins Private, die Auseinandersetzung mit dem weiblichen Geschlecht, die ebenso scheitert, wie die Einfügung in eines der beiden Wirtschaftssysteme.

    Neben der zunehmend auseinanderfallenden Pappmaschee-Burg operiert Regisseur Markus Heinzelmann mit allen verfügbaren Mitteln des Regietheaters. Schauspieler sprechen vor aufgestellten Mikros, ziehen sich aus und wieder an, filmen sich gegenseitig beim Sex und stolpern schließlich in weißen, schlecht sitzenden Unterhosen über die Bühne. Und kämpfen mit aller Gewalt gegen einen Text, der sich einfach nicht zu einem sinnvollen Ganzen zusammensetzen will. Und seltsam antiquiert wirkt. Etwa, wenn an das Publikum DDR-Fähnchen ausgeteilt werden, es auch noch Bananen gibt und man plötzlich das gespenstische Gefühl bekommt, in einer Zeitmaschine in die 90er-Jahre zurückgereist zu sein. In eine Zeit, als die Auseinandersetzung mit der untergegangenen DDR noch nicht von den Problemen der Gegenwart verdrängt war.

    "Soljanka für alle, wer möchte Soljanka. Lecker, Lecker, Lecker. Soljanka. So, hier haben wir auch die Winkelemente. Möchtet ihr ein bisschen Soljanka haben? Lecker, Lecker? Wieso, hat euch doch immer geschmeckt. Und nun nicht mehr, Mensch? Lecker, Lecker, Lecker."

    In einer "Vergangenheit, die nicht vergehen will" ist offenbar auch das klucksche Individuum gefangen. In seinem Text verschwimmen die Eindrücke der beiden Systeme zu einem nicht mehr entwirrbaren Ganzen. Bis hin zum finalen Fazit, "ich glaube dieser Staat ist genauso beschissen wie der andere". Radikal persönlich ist diese Innenschau eines verwirrten Geistes. Und sehr langweilig. Mit einem Seelenstriptease wie diesem, beweist das Theater jedenfalls nicht, dass es auch zu den Problemen der Gegenwart noch etwas zu sagen hat.