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Eine afrikanische "Mutter Courage"

Die Demokratische Republik Kongo gehört trotz ihres Rohstoffreichtums zu den ärmsten Ländern der Welt. Diktator Mobuto wurde 1997 vom Rebellenführer Kabila gestürzt. Ein blutiger Bürgerkrieg folgte. Die US-amerikanische Dramatikerin Lynn Nottage bereiste das Land und verdichtete alles zu einem Stück. Die deutschsprachige Erstaufführung fand am Theater in Konstanz unter dem Titel "Ruiniert" statt.

Von Cornelie Üding |
    Mama Nadi leitet ein Bordell, keine Mission, wie sie trocken erklärt. Als Geschäftsfrau ist sie hart und muss es sein. Einen Puff mitten im Kriegsgebiet der Demokratischen Republik Kongo zu betreiben, ist nichts für Zartbeseitete. Doch Geschundene, Opfer von perversen Massenvergewaltigungen der Kriegskamarilla, finden bei ihr eine Bleibe. Madame kassiert – ist aber für die Mädchen eine Art kongolesischer Mutter Courage, eine auf ruppige Art zuverlässige Vertraute.

    Von ihren Lieferanten erwartet sie unbeschädigte 'Ware' und lässt sich doch auf Kompromisse ein. Auch, wer nur noch durch Singen zur Unterhaltung der Kunden beitragen kann, die sich aus Rebellentrupps und Regierungsmilizen rekrutieren, darf bleiben. Auch, wenn das Probleme schafft.

    Mamas Geschäftsprinzip: Den verrohten Kerlen beider Gruppierungen stellt sie gegen Bezahlung das zur Verfügung, was sie sich sonst in jedem Dorf nehmen, durch das sie marodierend, brandschatzend, vergewaltigend kommen. Und in diesem gesetzlosen Raum gibt es einen Ort, an dem ihre Regeln gelten sollen. Das ist mein Haus, sagt sie. Und meint damit meine Gegenwelt zu der da draußen. Doch das Gebäude steht auf Sand. Die Kleinschürfer, die in dem erzreichen Bergbaugebiet Diamanten, vor allem aber das weltweit begehrte Coltan gesucht haben, lassen sich kaum mehr sehen.

    Und als die Kriegsfront näher rückt, die Rebellen und die Milizen gleichzeitig bei Mama Nadi einkehren, hilft auch ihr geschicktes Lavieren nicht mehr. Das nach beiden Seiten offene Haus wird zur Falle, zur Todesfalle.

    Auch wenn ein Happy End für Mama und ihren langjährigen Geschäftspartner angedeutet, jedenfalls erträumt wird: Mamas Mädchen, für die es kein zurück zu ihren Familien mehr gibt, weil sie kaputtgemacht worden sind, werden endgültig von der Außenwelt eingeholt. Keine bleibt verschont.

    Verschont bleibt allein der Zuschauer. Statt nackter Gewalt – symbolische Andeutungen; statt allmählich eskalierender Bedrohung – von Anfang bis Ende eine nur diffuse Beklemmung; statt Fallhöhe – Gleichmaß. Statt Emotionen, Ambivalenzen, Lust und Schmerz – angestrengte und nur mit Anstrengung zu ertragende Bühnenkünstlichkeiten.

    Ambivalente Charaktere, auf die die Autorin Lynn Nottage ausdrücklich Wert legt, Figuren also, die sich zwischen Alltag und Exzess, Puffkitsch und Buschkrieg eingerichtet haben, sucht man vergebens.

    Regisseur Oliver Vorwerk zeigt nur torkelnde Lemuren, wo es im Stück um Figuren geht, für die dieses Leben mit all dem Ekel, der Angst, dem Neid, der Konkurrenz, dem Selbstekel und der Sehnsucht nach einem Retter "normal" geworden ist. Nonstop verzerrte oder erstarrte Gesichter, klaffende Münder, ebenso akrobatisch wie bedeutungsschwer verrenkte Körper, die brüllend oder still, expressionistisch deutend oder outriert leidend gruppiert werden.

    Mag sein, Vorwerk wollte einen tag- und nachtwandelnden Totentanz Geschändeter auf die Bühne bringen. Mag sein, dass er zeigen wollte, dass alle, Opfer, Täter, Mitläufer "ruiniert" sind, hilflos gefangen in der Maschinerie der Ausbeutung, der Plünderung, der Gewalt, der Vergewaltigung.

    Aber er hat nicht nur die Widersprüchlichkeit nivelliert. Er zerstört mit seiner statuarisch bleibenden, nur durch Musikeinspielungen rhythmisierten Regie nicht nur die kurzen Momente der Verständigung, die der Text enthält. Er hat selbst gelungene eigene Ansätze nur zerdehnt, aber nicht entfaltet, so, wenn eines der Mädchen eine andere mit ihrer Lebensgeschichte auch körperlich bedrängt, das ihr aus dem Mund quellende Blut der anderen ins Gesicht wischt. Und, natürlich, nur auf Ablehnung, Abwehrbewegungen trifft.

    Wohlwollend gelangweilt ließ das Premierenpublikum den Dauerexzesszustand passieren. Statt zynisches Gunstgewerbe, halb Frau Warren, halb Mutter Courage – eingefrorenes, dramatisches Kunstgewerbe. Statt fernes Afrika – ein blasses, weißes, irgendwo Nirgendwo.

    Die wirkliche deutschsprachige Erstaufführung dieses Stückes von Lynn Nottage steht noch bevor.