Bettina Klein: Mit Blick auf die bevorstehenden Probleme in der Kranken- und vor allem in der Pflegeversicherung bleibt für einen Bundesgesundheitsminister jede Menge Arbeit. Die alternde Gesellschaft, die höhere Lebenserwartung, die demografischen Probleme rufen immer wieder die Warnungen der Fachwelt hervor. Daniel Bahr von der FDP ist jetzt genau 100 Tage im Amt, nachdem es vor einigen Monaten einen Personal- und Führungswechsel in seiner Partei gegeben hat. Ich habe ihn gefragt, was er persönlich für seine größte Leistung bisher hält.
Daniel Bahr: Die ersten 100 Tage waren geprägt von großen Bewältigungen bei EHEC. Da haben wir es hingekriegt, dass wir in kurzer Zeit rausgefunden haben, wo die Ursache liegt - das ist weltweit nicht selbstverständlich, in 90 Prozent der Fälle wird es nicht gefunden - und wir haben auch innerhalb meiner ersten 100 Tage als Gesundheitsminister Konsequenzen daraus gezogen, denn wir werden jetzt die Meldefristen verkürzen, sodass uns früher beim zuständigen Robert-Koch-Institut die Meldungen aus den Krankenhäusern künftig vorliegen und wir schneller agieren können. Und das zweite große Thema war für mich natürlich die Situation der Versicherten bei der City BKK, die pleite gegangen war, dort hinzukriegen, dass sie nicht abgewimmelt werden. Das war ein unwürdiges Verhalten, das einige Krankenkassen gezeigt haben. Auch da haben wir Konsequenzen draus gezogen. Und ich kann ja sogar vermelden: In meinen ersten 100 Tagen ist ein großes Gesetz, was die Versorgung der Menschen vor Ort verbessert, mit dem Versorgungsstrukturgesetz jetzt auf den Weg gebracht worden. Also das war schon ein ganz schönes Arbeitsprogramm in den ersten 100 Tagen.
Klein: Lassen Sie uns kurz bei dem letztgenannten Punkt bleiben. Es gab da natürlich auch Kritik daran. Eine, die sich daran entzündet hat, dass möglicherweise das nicht ausreichend sei – die Kritik kommt natürlich immer schnell – und speziell der Punkt: Es wird eben nicht nur Anreize geben, dass Ärzte sich eben verstärkt in ländlichen Regionen zum Beispiel ansiedeln, also da, wo es zu wenig Ärzte gibt, sondern eben es hätte auch eine Art von Malus geben müssen, dass sozusagen ein Negativanreiz da ist, dass eben man nicht in die attraktiven Städte geht, in die Metropolen vielleicht, wo es besonders viele Ärzte gibt. Weshalb halten Sie das für nicht gerechtfertigt?
Bahr: Wir machen das ja. Wir setzen auch Anreize, dass Überversorgung in Großstädten abgebaut wird, dort, wo Überversorgung festgestellt wird. Also dort, wo wir zu viele Ärzte haben, haben jetzt die kassenärztlichen Vereinigungen die Möglichkeit, frei werdende Arztsitze aufzukaufen, so dass die nicht wieder besetzt werden. Das heißt, die Mediziner, die jetzt überlegen, wo sie sich niederlassen, haben dadurch noch mehr und bessere Anreize, in die Fläche zu gehen. Wovon wir nichts halten, ist die Regelung, die lange im Gesetz stand, aber nie angewandt wurde - aus guten Gründen -, ist, dass man einfach den Ärzten in den Großstädten das Honorar kürzt, weil keiner deswegen seine Praxis von Berlin in die Uckermark verlegt oder keiner von Stuttgart auf die Schwäbische Alb geht oder keiner aus Köln seine Praxis ins Oldenburger Münsterland verlegt, nur weil es gewisse Honorarkürzungen gibt. Diese Regelung stand lange im Gesetz, die wenden wir nicht an, weil wir die richtigen Anreize setzen wollen, um jemanden zu locken auf die Fläche, und das sind Zuschläge, das ist der Abbau von Bürokratie, das ist, Sorge zu nehmen, wenn ich mehr Patienten habe, werde ich immer schlechter für den einzelnen Patienten vergütet, oder die Sorge, dann werde ich in Regress genommen für zu viele Arzneimittel. Ich glaube, das sind die richtigen Maßnahmen, die man ergreifen muss.
Klein: Da sind wir beim Kostenfaktor, das wird eine Menge Geld kosten. Was sagen Sie den Kritikern, die sagen, so viele Milliarden – und Wolfgang Schäuble war einer von denen, der das wirklich beklagt hat, der Bundesfinanzminister –, das ist einfach nicht finanzierbar auf Dauer?
Bahr: Also es wäre auf Dauer viel teurer, wenn wir nichts täten. Wir sehen das in Brandenburg, das ist das Land, was die geringste Arzt-Patienten-Dichte hat, die haben also die wenigsten niedergelassenen Ärzte pro Einwohner, haben aber die höchsten Krankenhauskosten, die höchsten Rettungsdienstkosten und Krankentransportkosten. Das heißt, wenn ich nicht vor Ort einen Arzt habe, werden die Kosten größer, weil die Leute dann vielleicht länger fahren müssen, teurere Untersuchungen machen müssen und dann erst recht ins Krankenhaus kommen. Das heißt, ich spare Geld, wenn ich jetzt gegen diesen drohenden Ärztemangel arbeite, ich investiere, dass eine alternde Bevölkerung ... dass diese demografische Entwicklung, die wir festzustellen haben in Deutschland, dazu führend wird, dass in den nächsten Jahrzehnten Gesundheit nicht billiger wird, das ist, finde ich, eine Erkenntnis, die jemand nur bösartig zerstreuen kann. Also ich bin nicht der Gesundheitsminister, der verspricht, es kann alles billiger werden, weil wir wissen: Eine alternde Bevölkerung wird Kosten steigen lassen. Deswegen müssen wir ja jetzt richtige Strukturen schaffen, um Kosten nachher zu vermeiden, müssen wir auf Vorsorge setzen, müssen wir auf Eigenverantwortung setzen, damit Gesundheit nicht exorbitant teurer wird.
Klein: Stichwort alternde Gesellschaft: Das nächste Projekt, was die Koalition wohl angehen wird, ist die Reform der Pflegeversicherung. Sie haben angekündigt, Sie werden in den kommenden Wochen Eckpunkte zur Reform der Pflegeversicherung herausbringen. Können Sie schon andeuten, welche das sein werden, von welchem Zeitraum Sie da ausgehen?
Bahr: Wir haben gesagt, dass wir die im Sommer vorlegen, und der Sommer dauert bis zum 23. September. Insofern haben wir noch Zeit. Wir sind noch mitten in den Beratungen, die sehr gut verlaufen. Da ist noch nichts vorentschieden, aber die Koalition hat sich ja im Koalitionsvertrag darauf vereinbart, dass wir eine Pflegereform machen wollen. Andere Regierungen haben in ihren Legislaturperioden gar nichts bei der Pflege gemacht, beispielsweise Rot-Grün, zwei Legislaturperioden, hat gar nichts gemacht. Wir gehen das an, wir wollen Verbesserungen für Angehörige, Pflege wird sehr stark in der Familie gemacht, viele in der Familie sind aber überfordert, brauchen Unterstützung. Wir wollen ambulante Pflege vor stationärer Unterstützung, weil die Menschen so lange wie möglich zu Hause bleiben wollen und nicht ins Heim abgeschoben werden sollen. Leider sind teilweise die Anreize so, dass ambulant vor stationär nicht genügend der Anreiz gesetzt wird. Wir wollen auch etwas tun, dass die Bürokratie, die wir in der Pflege besonders zu beklagen haben, zurückgeführt wird, und vor allem wollen wir die Finanzierung so stärken, dass sie Vorsorge trifft für die steigenden Kosten einer alternden Bevölkerung und damit Vorsorge stärkt für die steigenden Kosten von immer mehr Pflegebedürftigen.
Klein: Mehrere Punkte haben Sie jetzt genannt, wichtige Punkte. Können Sie das an einem Beispiel konkretisieren, was zum Beispiel Unterstützung von Angehörigen angeht?
Bahr: Ich will ja noch nichts vorwegnehmen, weil wir sind ja noch mitten in den Beratungen, aber wir haben ja auch in Dialogen mit vielen Experten und auch Betroffenen darüber gesprochen, da sagten Angehörige, sie brauchen eine bessere Information: Wo sind die Leistungen, die ich in Anspruch nehmen kann? Wir müssen auch mal eine Auszeit nehmen können, wir wollen Hilfe haben, dass wir nicht das Gefühl haben, wir müssen illegale Beschäftigung nutzen, um überhaupt unsere Angehörigen, unseren Großvater, unsere Großmutter, unsere Mutter, unseren Vater pflegen zu können. Wir wollen das nicht, dass das in illegalen Beschäftigungsverhältnissen ist, sondern dass es regulär ist. Dafür muss man entsprechende Anreize setzen und auch Regelungen verändern. Ich kann das noch nicht abschließend sagen, weil wir noch mitten in den Beratungen sind, aber um diese Themen kümmern wir uns.
Klein: Die Caritas zum Beispiel bietet ja inzwischen, ich sage mal, Haushaltshilfen aus Polen an, die legal angemeldet sind, die Vorbereitungskurse bekommen, Deutschkurse bekommen, wo man sich sozusagen auch um die Herkunftsfamilie in Polen zum Beispiel kümmert. Das ist nicht illegal, das ist legal, das ist teurer als die illegalen Pfleger. Ist das eine Alternative, wo Sie sagen, darauf sollte man setzen, obwohl das Pflegekräfte sind, die nicht voll und nicht so gut ausgebildet sind wie die deutschen, dafür aber deutlich günstiger in den Preisen sind? Ist das eine Alternative für Sie?
Bahr: Ich halte nichts davon, dass wir jetzt ein Dumping bei Pflegelöhnen erleben. Das ist auch nicht gerechtfertigt für das, was dort geleistet wird – und das, was die Menschen, die in der Pflege arbeiten, leisten, ist nicht zu unterschätzen, das ist eine große Bedeutung, das verdient auch einen anständigen Lohn. Und die Regierung hat ja auch einen Pflegemindestlohn eingeführt, um auch nach unten eine Grenze zu setzen und nicht ein Dumping nach unten zu haben. Aber gleichwohl ist das auch in einem europäischen Arbeitsmarkt sinnvoll, wenn auch Leute aus Osteuropa, aus Polen oder Tschechien hier herkommen, hier arbeiten und ihre Beschäftigung suchen, dass wir auch verhindern durch gezielte Maßnahmen, dass es zu illegaler Beschäftigung kommt. Auch heute schon gibt es Anreize, dass nicht illegal beschäftigt werden muss, es gibt besondere Förderprogramme, es gibt Ansprüche. Ein Problem ist, dass viele nicht wissen, was sie nutzen können, da braucht es bessere Information, auch dazu soll diese Reform beitragen.
Klein: Sie sagen, es gibt sozusagen zwei Probleme, die eigentlich im Gegensatz zueinander stehen: Auf der einen Seite können sich viele Familien nicht leisten, privat Pflegekräfte zu engagieren, auf der anderen Seite ist der Beruf der Pflegenden unterbezahlt in der Gesellschaft, zu wenig angesehen. Ja, im Prinzip, die Lösungen für diese beiden Probleme schließen sich ja scheinbar aus: Wir brauchen mehr Geld, um Pflegende zu bezahlen, möglicherweise die Löhne auch zu erhöhen. Auf der anderen Seite ist die Frage: Wie ist das finanzierbar?
Bahr: Das ist der Interessenausgleich, den wir schaffen müssen. Es ist richtig, man kann nicht nur einfach ein Problem lösen und damit schafft man sich viele neue Probleme. Der Koalition geht es deswegen darum, dass wir hier nicht etwas überstürzen, sondern dass wir hier einen fairen Interessenausgleich finden. Ich sage aber auch: Die Pflege wird in Deutschland überwiegend von Familien gemacht, das ist auch richtig so, denn es geht bei der Pflege mir auch um den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Nämlich um die Frage: Wie gehen wir in einer Bevölkerung, in der immer weniger Kinder sind und Nachwuchs kommt, mit einer menschenwürdigen Pflege und menschenwürdigem Altern um? Und diesen Zusammenhalt in der Gesellschaft wollen wir leisten, dafür ist Familie übrigens auch da. Familie heißt ja nicht nur, dass man in guten Zeiten füreinander da ist, sondern dass man auch in schwierigen Zeiten füreinander da ist. Und wenn man jemanden in der Familie hat, wie ich es auch erlebt habe, jemand, der pflegebedürftig ist, dann muss man sich gegenseitig unterstützen, dann müssen wir als Politik die Rahmenbedingungen so setzen, dass Familien das auch leisten können.
Klein: Abschließend, Herr Bahr: In Ihrer Partei hat es vor einigen Monaten einen Führungswechsel gegeben, Sie selbst sind, wir haben es gerade gesagt, 100 Tage jetzt im Amt. Ein Ziel war, dass man die Wahrnehmung der FDP, die sich ja auch gerne in Umfragewerten niederschlägt, verbessert, den Zuspruch, den Ihre Partei hat, erhöht. Jetzt haben wir sozusagen über Umfragewerten zwischen vier und fünf Prozent, das ist, ich sage mal, verglichen mit dem Wahlergebnis von vor zwei Jahren einiges weniger. Sind Sie zufrieden mit dem, was da bisher passiert ist?
Bahr: Ja, weil ich nie die Erwartung hatte, dass wir innerhalb von 100 Tagen wieder auf das alte Bundestagswahlergebnis kommen. Das braucht länger, denn dass die Umfragen wieder besser werden, das kommt immer danach, wenn die Stimmung schon besser ist. Insofern sage ich, zur Hälfte der Legislatur ist das Spiel noch nicht zu Ende, wir haben noch die zweite Spielhälfte, und die müssen wir jetzt nutzen, um den Rückstand aufzuholen.
Klein: Geben Sie uns ein Beispiel, wie wollen Sie es nutzen?
Bahr: Wir müssen in diesen zwei Jahren die Reformen, die wir entschieden haben, wirken lassen, wir müssen zeigen, dass wir besser mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger umgehen können als andere Parteien, das zeigt sich jetzt: Wir haben die Euro-Bonds, als Beispiel, verhindert, wir schaffen es, dass die Schulden gesenkt werden in Deutschland, während beispielsweise in Nordrhein-Westfalen die Landesregierung unter Rot-Grün die Schulden immer weiter erhöht hat. Wir kriegen bei der Steuerentlastung glaube ich auch etwas auf den Weg, was alles miteinander verbindet, Haushaltskonsolidierung, Währungsstabilität, aber trotzdem noch den Spielraum lässt, dass die, die den Wirtschaftsaufschwung erarbeiten, auch etwas davon zurückbekommen und nicht hauptsächlich der Staat von Gehaltserhöhungen profitiert.
Klein: Vielen Dank, Herr Bahr!
Bahr: Vielen Dank Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Daniel Bahr: Die ersten 100 Tage waren geprägt von großen Bewältigungen bei EHEC. Da haben wir es hingekriegt, dass wir in kurzer Zeit rausgefunden haben, wo die Ursache liegt - das ist weltweit nicht selbstverständlich, in 90 Prozent der Fälle wird es nicht gefunden - und wir haben auch innerhalb meiner ersten 100 Tage als Gesundheitsminister Konsequenzen daraus gezogen, denn wir werden jetzt die Meldefristen verkürzen, sodass uns früher beim zuständigen Robert-Koch-Institut die Meldungen aus den Krankenhäusern künftig vorliegen und wir schneller agieren können. Und das zweite große Thema war für mich natürlich die Situation der Versicherten bei der City BKK, die pleite gegangen war, dort hinzukriegen, dass sie nicht abgewimmelt werden. Das war ein unwürdiges Verhalten, das einige Krankenkassen gezeigt haben. Auch da haben wir Konsequenzen draus gezogen. Und ich kann ja sogar vermelden: In meinen ersten 100 Tagen ist ein großes Gesetz, was die Versorgung der Menschen vor Ort verbessert, mit dem Versorgungsstrukturgesetz jetzt auf den Weg gebracht worden. Also das war schon ein ganz schönes Arbeitsprogramm in den ersten 100 Tagen.
Klein: Lassen Sie uns kurz bei dem letztgenannten Punkt bleiben. Es gab da natürlich auch Kritik daran. Eine, die sich daran entzündet hat, dass möglicherweise das nicht ausreichend sei – die Kritik kommt natürlich immer schnell – und speziell der Punkt: Es wird eben nicht nur Anreize geben, dass Ärzte sich eben verstärkt in ländlichen Regionen zum Beispiel ansiedeln, also da, wo es zu wenig Ärzte gibt, sondern eben es hätte auch eine Art von Malus geben müssen, dass sozusagen ein Negativanreiz da ist, dass eben man nicht in die attraktiven Städte geht, in die Metropolen vielleicht, wo es besonders viele Ärzte gibt. Weshalb halten Sie das für nicht gerechtfertigt?
Bahr: Wir machen das ja. Wir setzen auch Anreize, dass Überversorgung in Großstädten abgebaut wird, dort, wo Überversorgung festgestellt wird. Also dort, wo wir zu viele Ärzte haben, haben jetzt die kassenärztlichen Vereinigungen die Möglichkeit, frei werdende Arztsitze aufzukaufen, so dass die nicht wieder besetzt werden. Das heißt, die Mediziner, die jetzt überlegen, wo sie sich niederlassen, haben dadurch noch mehr und bessere Anreize, in die Fläche zu gehen. Wovon wir nichts halten, ist die Regelung, die lange im Gesetz stand, aber nie angewandt wurde - aus guten Gründen -, ist, dass man einfach den Ärzten in den Großstädten das Honorar kürzt, weil keiner deswegen seine Praxis von Berlin in die Uckermark verlegt oder keiner von Stuttgart auf die Schwäbische Alb geht oder keiner aus Köln seine Praxis ins Oldenburger Münsterland verlegt, nur weil es gewisse Honorarkürzungen gibt. Diese Regelung stand lange im Gesetz, die wenden wir nicht an, weil wir die richtigen Anreize setzen wollen, um jemanden zu locken auf die Fläche, und das sind Zuschläge, das ist der Abbau von Bürokratie, das ist, Sorge zu nehmen, wenn ich mehr Patienten habe, werde ich immer schlechter für den einzelnen Patienten vergütet, oder die Sorge, dann werde ich in Regress genommen für zu viele Arzneimittel. Ich glaube, das sind die richtigen Maßnahmen, die man ergreifen muss.
Klein: Da sind wir beim Kostenfaktor, das wird eine Menge Geld kosten. Was sagen Sie den Kritikern, die sagen, so viele Milliarden – und Wolfgang Schäuble war einer von denen, der das wirklich beklagt hat, der Bundesfinanzminister –, das ist einfach nicht finanzierbar auf Dauer?
Bahr: Also es wäre auf Dauer viel teurer, wenn wir nichts täten. Wir sehen das in Brandenburg, das ist das Land, was die geringste Arzt-Patienten-Dichte hat, die haben also die wenigsten niedergelassenen Ärzte pro Einwohner, haben aber die höchsten Krankenhauskosten, die höchsten Rettungsdienstkosten und Krankentransportkosten. Das heißt, wenn ich nicht vor Ort einen Arzt habe, werden die Kosten größer, weil die Leute dann vielleicht länger fahren müssen, teurere Untersuchungen machen müssen und dann erst recht ins Krankenhaus kommen. Das heißt, ich spare Geld, wenn ich jetzt gegen diesen drohenden Ärztemangel arbeite, ich investiere, dass eine alternde Bevölkerung ... dass diese demografische Entwicklung, die wir festzustellen haben in Deutschland, dazu führend wird, dass in den nächsten Jahrzehnten Gesundheit nicht billiger wird, das ist, finde ich, eine Erkenntnis, die jemand nur bösartig zerstreuen kann. Also ich bin nicht der Gesundheitsminister, der verspricht, es kann alles billiger werden, weil wir wissen: Eine alternde Bevölkerung wird Kosten steigen lassen. Deswegen müssen wir ja jetzt richtige Strukturen schaffen, um Kosten nachher zu vermeiden, müssen wir auf Vorsorge setzen, müssen wir auf Eigenverantwortung setzen, damit Gesundheit nicht exorbitant teurer wird.
Klein: Stichwort alternde Gesellschaft: Das nächste Projekt, was die Koalition wohl angehen wird, ist die Reform der Pflegeversicherung. Sie haben angekündigt, Sie werden in den kommenden Wochen Eckpunkte zur Reform der Pflegeversicherung herausbringen. Können Sie schon andeuten, welche das sein werden, von welchem Zeitraum Sie da ausgehen?
Bahr: Wir haben gesagt, dass wir die im Sommer vorlegen, und der Sommer dauert bis zum 23. September. Insofern haben wir noch Zeit. Wir sind noch mitten in den Beratungen, die sehr gut verlaufen. Da ist noch nichts vorentschieden, aber die Koalition hat sich ja im Koalitionsvertrag darauf vereinbart, dass wir eine Pflegereform machen wollen. Andere Regierungen haben in ihren Legislaturperioden gar nichts bei der Pflege gemacht, beispielsweise Rot-Grün, zwei Legislaturperioden, hat gar nichts gemacht. Wir gehen das an, wir wollen Verbesserungen für Angehörige, Pflege wird sehr stark in der Familie gemacht, viele in der Familie sind aber überfordert, brauchen Unterstützung. Wir wollen ambulante Pflege vor stationärer Unterstützung, weil die Menschen so lange wie möglich zu Hause bleiben wollen und nicht ins Heim abgeschoben werden sollen. Leider sind teilweise die Anreize so, dass ambulant vor stationär nicht genügend der Anreiz gesetzt wird. Wir wollen auch etwas tun, dass die Bürokratie, die wir in der Pflege besonders zu beklagen haben, zurückgeführt wird, und vor allem wollen wir die Finanzierung so stärken, dass sie Vorsorge trifft für die steigenden Kosten einer alternden Bevölkerung und damit Vorsorge stärkt für die steigenden Kosten von immer mehr Pflegebedürftigen.
Klein: Mehrere Punkte haben Sie jetzt genannt, wichtige Punkte. Können Sie das an einem Beispiel konkretisieren, was zum Beispiel Unterstützung von Angehörigen angeht?
Bahr: Ich will ja noch nichts vorwegnehmen, weil wir sind ja noch mitten in den Beratungen, aber wir haben ja auch in Dialogen mit vielen Experten und auch Betroffenen darüber gesprochen, da sagten Angehörige, sie brauchen eine bessere Information: Wo sind die Leistungen, die ich in Anspruch nehmen kann? Wir müssen auch mal eine Auszeit nehmen können, wir wollen Hilfe haben, dass wir nicht das Gefühl haben, wir müssen illegale Beschäftigung nutzen, um überhaupt unsere Angehörigen, unseren Großvater, unsere Großmutter, unsere Mutter, unseren Vater pflegen zu können. Wir wollen das nicht, dass das in illegalen Beschäftigungsverhältnissen ist, sondern dass es regulär ist. Dafür muss man entsprechende Anreize setzen und auch Regelungen verändern. Ich kann das noch nicht abschließend sagen, weil wir noch mitten in den Beratungen sind, aber um diese Themen kümmern wir uns.
Klein: Die Caritas zum Beispiel bietet ja inzwischen, ich sage mal, Haushaltshilfen aus Polen an, die legal angemeldet sind, die Vorbereitungskurse bekommen, Deutschkurse bekommen, wo man sich sozusagen auch um die Herkunftsfamilie in Polen zum Beispiel kümmert. Das ist nicht illegal, das ist legal, das ist teurer als die illegalen Pfleger. Ist das eine Alternative, wo Sie sagen, darauf sollte man setzen, obwohl das Pflegekräfte sind, die nicht voll und nicht so gut ausgebildet sind wie die deutschen, dafür aber deutlich günstiger in den Preisen sind? Ist das eine Alternative für Sie?
Bahr: Ich halte nichts davon, dass wir jetzt ein Dumping bei Pflegelöhnen erleben. Das ist auch nicht gerechtfertigt für das, was dort geleistet wird – und das, was die Menschen, die in der Pflege arbeiten, leisten, ist nicht zu unterschätzen, das ist eine große Bedeutung, das verdient auch einen anständigen Lohn. Und die Regierung hat ja auch einen Pflegemindestlohn eingeführt, um auch nach unten eine Grenze zu setzen und nicht ein Dumping nach unten zu haben. Aber gleichwohl ist das auch in einem europäischen Arbeitsmarkt sinnvoll, wenn auch Leute aus Osteuropa, aus Polen oder Tschechien hier herkommen, hier arbeiten und ihre Beschäftigung suchen, dass wir auch verhindern durch gezielte Maßnahmen, dass es zu illegaler Beschäftigung kommt. Auch heute schon gibt es Anreize, dass nicht illegal beschäftigt werden muss, es gibt besondere Förderprogramme, es gibt Ansprüche. Ein Problem ist, dass viele nicht wissen, was sie nutzen können, da braucht es bessere Information, auch dazu soll diese Reform beitragen.
Klein: Sie sagen, es gibt sozusagen zwei Probleme, die eigentlich im Gegensatz zueinander stehen: Auf der einen Seite können sich viele Familien nicht leisten, privat Pflegekräfte zu engagieren, auf der anderen Seite ist der Beruf der Pflegenden unterbezahlt in der Gesellschaft, zu wenig angesehen. Ja, im Prinzip, die Lösungen für diese beiden Probleme schließen sich ja scheinbar aus: Wir brauchen mehr Geld, um Pflegende zu bezahlen, möglicherweise die Löhne auch zu erhöhen. Auf der anderen Seite ist die Frage: Wie ist das finanzierbar?
Bahr: Das ist der Interessenausgleich, den wir schaffen müssen. Es ist richtig, man kann nicht nur einfach ein Problem lösen und damit schafft man sich viele neue Probleme. Der Koalition geht es deswegen darum, dass wir hier nicht etwas überstürzen, sondern dass wir hier einen fairen Interessenausgleich finden. Ich sage aber auch: Die Pflege wird in Deutschland überwiegend von Familien gemacht, das ist auch richtig so, denn es geht bei der Pflege mir auch um den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Nämlich um die Frage: Wie gehen wir in einer Bevölkerung, in der immer weniger Kinder sind und Nachwuchs kommt, mit einer menschenwürdigen Pflege und menschenwürdigem Altern um? Und diesen Zusammenhalt in der Gesellschaft wollen wir leisten, dafür ist Familie übrigens auch da. Familie heißt ja nicht nur, dass man in guten Zeiten füreinander da ist, sondern dass man auch in schwierigen Zeiten füreinander da ist. Und wenn man jemanden in der Familie hat, wie ich es auch erlebt habe, jemand, der pflegebedürftig ist, dann muss man sich gegenseitig unterstützen, dann müssen wir als Politik die Rahmenbedingungen so setzen, dass Familien das auch leisten können.
Klein: Abschließend, Herr Bahr: In Ihrer Partei hat es vor einigen Monaten einen Führungswechsel gegeben, Sie selbst sind, wir haben es gerade gesagt, 100 Tage jetzt im Amt. Ein Ziel war, dass man die Wahrnehmung der FDP, die sich ja auch gerne in Umfragewerten niederschlägt, verbessert, den Zuspruch, den Ihre Partei hat, erhöht. Jetzt haben wir sozusagen über Umfragewerten zwischen vier und fünf Prozent, das ist, ich sage mal, verglichen mit dem Wahlergebnis von vor zwei Jahren einiges weniger. Sind Sie zufrieden mit dem, was da bisher passiert ist?
Bahr: Ja, weil ich nie die Erwartung hatte, dass wir innerhalb von 100 Tagen wieder auf das alte Bundestagswahlergebnis kommen. Das braucht länger, denn dass die Umfragen wieder besser werden, das kommt immer danach, wenn die Stimmung schon besser ist. Insofern sage ich, zur Hälfte der Legislatur ist das Spiel noch nicht zu Ende, wir haben noch die zweite Spielhälfte, und die müssen wir jetzt nutzen, um den Rückstand aufzuholen.
Klein: Geben Sie uns ein Beispiel, wie wollen Sie es nutzen?
Bahr: Wir müssen in diesen zwei Jahren die Reformen, die wir entschieden haben, wirken lassen, wir müssen zeigen, dass wir besser mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger umgehen können als andere Parteien, das zeigt sich jetzt: Wir haben die Euro-Bonds, als Beispiel, verhindert, wir schaffen es, dass die Schulden gesenkt werden in Deutschland, während beispielsweise in Nordrhein-Westfalen die Landesregierung unter Rot-Grün die Schulden immer weiter erhöht hat. Wir kriegen bei der Steuerentlastung glaube ich auch etwas auf den Weg, was alles miteinander verbindet, Haushaltskonsolidierung, Währungsstabilität, aber trotzdem noch den Spielraum lässt, dass die, die den Wirtschaftsaufschwung erarbeiten, auch etwas davon zurückbekommen und nicht hauptsächlich der Staat von Gehaltserhöhungen profitiert.
Klein: Vielen Dank, Herr Bahr!
Bahr: Vielen Dank Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.