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Eine andere DDR-Literatur

Der Dichter Bert Papenfuß hat sich einen Pfad geschlagen durch das Dickicht des real existierenden Sozialismus. In seinen Werken berühren sich Regionen, die sonst streng geschieden sind, es aber nicht sein müssen: komplexe moderne Lyrik, brachialer Punkrock und früher Manierismus - jetzt erschienen als Buch mit CD.

Von Joachim Büthe | 27.04.2009
    Gröl der Erfahrungsmeute: Ohnmächtig, unbeholfen/ verblutet stolz & jung/ des Atems eis'ger Hauch/ erstarrter Augenblicke;/ umsonst uns alles troff,/ verlustiert uns zum Gewinn/: Nur zur Erfahrung,/ zur Erfahrung nur.

    Da war mal etwas, vor gut zwanzig Jahren, auf das sich das Feuilleton begierig stürzte. Eine andere DDR-Literatur, angeschlossen an die Ästhetik der Moderne und auch an die kurrenten französischen Diskurse, eine klandestine, untergründige Bewegung, von der man wenig wusste und die es zu entdecken galt. Die Texte waren jedoch ziemlich sperrig, zwar einzusortieren in den westlichen Bildungshintergrund, aber darin nicht aufgehend. Und als dann die Stasi-Enthüllungen kamen, da war man sichtlich froh, dieses seltsame und schwierige Zeug guten Gewissens entsorgen zu können. Nun ist es wieder da. Ein Dokument und eine Einladung zu prüfen, wie gut es die Jahre überstanden hat.

    "Es ist 20 Jahre Wende und im Zuge dieses Events wird ja noch mal viel DDR-Geschichte aufgearbeitet. Es war nicht intendiert, dass es da rein passt, aber es war eine Idee von Urs Engeler, das Buch zu machen und es auch in dieser Form zu machen. Ich hätte die Texte neu gesetzt, aber er fand die Manuskripte gut und hat es dann mit den Originalmanuskripten gestaltet, das Buch. Und ich bin im nachhinein auch zufrieden."

    Schreibmaschinensatz, laute Musik und Gedichte, die den Leser und Hörer fordern und herausfordern. Manche der Zyklen sind leicht zu entschlüsseln und zu genießen in ihrer spezifisch Papenfußschen Mischung aus Rotzigkeit, profunder literarischer Bildung und barocker Sprachlust. Barocker Umtriebe entkleidete Gedichte heißt einer von ihnen und diese Umtriebe wuchern besonders in den Wortgirlanden der Titel der Zyklen. Die Texte selbst aber sind unverkennbar gegenwärtig.

    ist es nun-gut dass ich weiß/ um der zukünfte bescheide/ insofern sie mich betreffen/ graut mir vor bewahrheitung/ & das ist wahrlich kein trost/
    all jenen bewußtseinsverlustigen/ ihr sinnenheil abzuschminken/ gibt's selbstverständlich/ kein wiedererlangen/ es sei denn ... /
    die sinne heilen aus vernunft

    Schwieriger wird es, wenn Papenfuß seiner Vorliebe für die Gaunersprache des Rotwelsch freien Lauf lässt. Zwar sind Worterklärungen beigegeben, doch reichen sie dann nicht mehr aus. Ein ausgestorbenes Idiom legt sich über zeitgenössische Probleme und Gedanken und verwandelt sie in eine konkrete, musikalische Poesie, die nicht den Sinn, aber den Geschmack der Rebellion besser transportiert als der plane hochdeutsche Ausgangstext, der ihm zugrunde lag.

    Uslerkönig's Acherponim gebaut, schäfftetet ihr lepoches uslerkönig... &'s wär hitschen innerkönig nopel so schikker. Fück aber finckelt im UrSchaum bauen wir verrucht.
    Ja Kuchen, aber nicht London.


    Kuchen, aber nicht London, das bedeutet gescheit, aber nicht weise. Das könnte man zum Lobe dieses Buchs auch sagen. Vereinnahmen und Verausgaben ist auch eines seiner wiederkehrenden Motive. Verausgaben als ein ungesundes Heilmittel gegen die Versuche der Vereinnahmung war immer eine der Strategien des Undergrounds. Einem anderen, hier anzuzeigenden Buch, hat Bert Papenfuß eine ironische Widmung an die Volksbildungsministerin Margot Honecker vorangestellt hat, die seine Bildungswut angestachelt habe. Bildungswut kann umschlagen in Gestaltungswut und speist sich aus der schlichten, aber nicht einfachen Wut. Besonders die CD führt es vor.

    Heraus aus den Machtverhältnissen!
    Machtmiß- & -nießbrauch sind ein & dasselbe/ Macht ist überhaupt unbrauchbar, es sei denn/
    Zum Selbstzweck, also: Selbst-Beherrschung./
    Ohnmacht als Entgegnung auf Administration,/ als Selbst-Behauptung in Machtverhältnissen,/ ist zwar noch ungebräuchlich, aber vergeblich.


    Vor diesem Hintergrund bekommt das mitunter Kryptische dieser Texte eine andere Dimension. Es war ein Protest, der sich nicht mehr einlassen wollte auf die vorgeschriebenen Diskurse, der dem Staat die Kenntnisnahme verweigert hat, so weit er es konnte. Und der die kulturpolitisch kanonischen Texte gegen den Strich gelesen hat, um sie brauchbar zu machen. Der Musiker und Maler Roland Lippok weiß es:

    "Es gab ja damals auch, das darf man nicht vergessen, einen großen Hunger nach dem Kryptischen und Irrationalen, weil die offizielle Kulturpolitik ein ganz andere Ausrichtung hatte. Ich habe den Lukacs gerade nach den Sachen ... Ich hab dann immer die Sachen gelesen, die er Scheiße fand. Schlegel, die Romantiker, das waren dann Sachen, die angefangen haben, mich zu interessieren."

    Bert Papenfuß und seine Mitstreiter haben sich einen Pfad geschlagen durch das Dickicht der Jahrhunderte und des real existierenden Sozialismus. In diesem Untergrund berühren sich Regionen, die sonst streng geschieden sind, es aber nicht sein müssen: komplexe moderne Lyrik, brachialer Punkrock und früher Manierismus, dessen Einfluss sich nicht nur, aber auch in Roland Lippoks Buchillustrationen offenbart. Diesen inzwischen leicht überwucherten, aber gut erkennbaren Pfad wieder zu entdecken, seinen Abzweigungen in Vergangenheit und Zukunft zu folgen, das ist auch ein amüsantes und gelegentlich anrührendes Vergnügen. In Rumbalotte continua hat Bert Papenfuß zum Beispiel eine Berliner Textversion des Dr. John - Klassikers "Walk on guilded splinters" geliefert, die ihrer Aufführung noch harrt. Und in Ation - Aganda finden sich auch zeitlos schöne Liebesgedichte.

    fast alles was du hast & bist, ist/ austauschbar - das ist der "strom"/ gegen den wir uns streicheln, doch/ nach oben vereinigen wir uns nach unten/ trennen wir uns hier ruhen wir uns aus.

    Literatur:
    - Bert Papenfuß: Ation - Aganda. Gedichte 1983/1990. Mit Zeichnungen von Ronald Lippok.
    Mit CD: Bert Papenfuß mit Bernd Jestram, Ronald Lippok und Stephan Hachtmann (knapp 60 Min.), Urs Engeler Editor ( Compact-Bücher Nr. 13), geb.,173 S., EUR: 29,-

    - Bert Papenfuß: Rumbalotte continua, 5. Folge. Mit Zeichnungen von Silka Teichert, Verlag Peter Engstler, brosch., 46 S., EUR 11,-