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Eine Bilanz der "MaerzMusik"
Neue Klänge in der Hauptstadt

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Börsenmakler, die sich bei einer Party unterhalten über den jüngsten Crash. Der Filmemacher Daniel Kötter hat sie einen Arbeitstag lang filmisch begleitet. Die Gespräche am Telefon, auf Fluren, in der Bar werden live synchronisiert von zwei Sprechern, einem Geräuschemacher und weiteren Mitwirkenden, inklusive Chor.
    Als ästhetisches Labor will der neue Leiter Berno Odo Polzer sein neu gestaltetes Festival verstanden wissen, dabei vor allem Fragen der Gegenwart nachspüren. Ein gefilmtes Musiktheater wie das von Daniel Kötter und Hannes Seidl über die "Ökonomien des Handelns" war da noch der bislang eindrucksvollste Programmpunkt dieser MaerzMusik.
    Begonnen hatte das Festival lautstark mit einem "Liquid Room" genannten Konzert auf der Haupt- und den Seitenbühnen des Hauses der Berliner Festspiele. Auf vier Podien wechselten die Ensembles und Solisten nahtlos. Festivalleiter Polzer hasst Umbaupausen.
    Das Publikum konnte frei flottieren wie in einer Disco, im Klub, im Shoppingcenter; oder man konnte auch hinausdriften an die Bar, was nicht wenige bevorzugten. Akzentuiert war das vierstündige Programm mit Licht- und Video-Flashs oder akustischen Kuriositäten.
    "Musique d'ameublement" nannte Eric Satie ein solches Konzept zur Lockerung des Konzertrituals – vor hundert Jahren. Polzers "flüssiger Raum" klingt natürlich cooler und süffiger als Saties "Möblierungs-Musik":
    "Für mich ist Hören in erster Linie Haltung zur Welt. Eine Form, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, eine Haltung, die wir im Festivalprogramm in unterschiedlicher Weise entfalten."
    Ein Schwerpunkt: die Hommage an den aus Griechenland stammenden, in Paris lebenden Komponisten Georges Aperghis. Neben frühen Solostücken waren als Hauptwerk zu hören die "Situations". Musiker des Klangforums Wien spielten sie, eine Folge unterschiedlicher Klanggesten, in ihrer Cluster-Technik erinnernd an Aperghis' ebenfalls griechisch-stämmigen einstigen Mentor Iannis Xenakis.
    Daneben gab es auch Konzerte mit kleineren Stücken verschiedener Komponisten. Auch Uraufführungen: Zeena Parkins etwa erinnerte mit ihrer an den Sohn von Walter Benjamin.
    Begleitet wurde das Programm durch Begegnungsmöglichkeiten im Haus der Festspiele. Anfangs mit einer dreitägigen Konferenz unter dem Motto "Thinking Together". Diverse Redner, teils per Skype aus Übersee herangebeamt, präsentierten ihre Theorien über ein bunteres Leben nach Kapitalismus und Neoliberalismus.
    Münden wird dieses Festival in ein 30-stündiges Event im eiskellerartigen Kraftwerk-Mitte, Feldbetten- und Frühstücksservice inbegriffen. Neue Zeiträume und -dimensionen soll man da erträumen können. Titel: "The Long Now". Um luftige Sprechblasen ist die Leitung ja nicht verlegen.
    Aber das könnte vielleicht ein Thema sein für eine nächste MaerzMusik: Luft. Auch die geht uns alle an – und hat sogar was zu tun mit Musik. Am Rande. Und auch da dürfte das junge Publikum strömen, wie jetzt.