In der Berliner Gedenkstätte "Topographie des Terrors" versammeln sich Gedenkstättenpädagogen zum Fachgespräch. Aus dem gesamten Bundesgebiet angereist, bilden sie die deutsche Gedenklandschaft ab.
Die Überschrift der Tagung lautet "Don't forget and don't repeat" und ist der zitierte Eintrag eines amerikanischen Besuchers in das Besucherbuch der Gedenkstätte Buchenwald im Jahr 2011. Um nicht zu vergessen und nicht zu wiederholen, wurden Gedenkstätten einst errichtet, deshalb werden sie bis heute betrieben. Auftrag und Anliegen der ersten Aufarbeitungsgeneration war es, die authentischen Orte überhaupt zu sichern, vor dem Verleugnen, Vergessen, dem Nicht-wahr-haben-Wollen zu bewahren. Und Orte zu schaffen, an die die Überlebenden gehen konnten, um dort ihrer Angehörigen zu gedenken. Diese Gedenkstättenarbeit ist längst getan. Heute stehen Gedenkstätten vor ganz neuen Herausforderungen – sagt die junge Historikerin Claudia Rudnick.
"Die Gedenkstättenarbeit befindet sich in einem sehr starken Wandel, und es kommt eine junge Generation von Gedenkstättenpädagogen, die auf die Gegenwart von Jugendlichen, die in die Gedenkstätten kommen, reagieren möchten. Die Jugendlichen werden konfrontiert mit Mobbing, sie werden konfrontiert mit Menschenrechtsverletzungen, mit der Asylproblematik, es gibt Rechtsextremismus, es gibt Rassismus. Und da fangen Gedenkstätten jetzt an, schon seit vielen Jahren muss man sagen, aber es entsteht mittlerweile ein sehr kontroverser Diskurs, wie können Gedenkstätten auf diese gegenwartsaktuellen Themen reagieren? Und ist Menschenrechtsbildung, Demokratie Lernen, ist das ein Weg, eine Brücke zu schlagen von Gegenwart in die Vergangenheit?"
Drei Tage lang wird über den "Gegenwartsbezug in der Bildungsarbeit an Gedenkstätten" gesprochen. Wo geht diese Bildungsarbeit über die pure Geschichtsvermittlung hinaus? Gibt es in Gedenkstätten Antworten auf und Beiträge zu aktuellen Debatten: zur Rechtsradikalengruppe NSU, zur Folter von Gefangenen in Guantanamo, zu Bullying und Cyber-Mobbing an Schulen? Wie kann die Vermittlung von NS-Geschichte sinnvoll auf die Lebenssituation und Fragen von Schülern bezogen werden? Können Gedenkstätten mit ihren Bildungsangeboten präventiv gegen Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus wirken? Vereinzelt sitzen auch Lehrer in den Diskussionsrunden.
"Ich komme zum Beispiel aus Sachsen, aus dem ländlichen Raum, und dort herrscht Rassismus, ohne dass jemand da ist, von dem man sich abgrenzen könnte. Wenn man Schüler fragt: 'Was denkt ihr denn, wie viel Ausländeranteil…?' – 'Ja, so 50 bis 70 Prozent.' Ist in Sachsen völlig utopisch, das Problem existiert einfach nicht, und trotzdem ist es da. Und das find ich noch viel schwerer zu greifen, weil diese diffuse Angst – man muss dann erstmal ergründen, wo das herkommt."
Gedenkstättenpädagogen kennen den Reflex vieler Lehrer, Schülern, die Schimpfworte wie "Du Jude" oder "Du Opfer" benutzen, als pädagogische Maßnahme einen Gedenkstättenbesuch zu verpassen. Gottfried Kößler erreichen als Historiker am Frankfurter Fritz-Bauer-Institut Anfragen von Lehrern, die sich von der Aufklärung in einer Gedenkstätte eine Art Impfung ihrer Schüler gegen Diskriminierung, Rassenhass, Antisemitismus und politische Intoleranz erhoffen.
"Wenn ich eine Anfrage bekomme von einer Lehrerin, die beschreibt, dass in ihrer Lerngruppe antisemitische Positionen bestehen, dann versuche ich, erstmal herauszufinden, was ist dort eigentlich los? Und sehr häufig kommt heraus, es gibt einen Konflikt, der sich ausdrückt in antisemitischen Äußerungen. Und die Arbeit gemeinsam mit der Lehrerin geht dann dahin, dass man schaut, welche Institution ist eigentlich zuständig? Geht es darum, Probleme der Gruppe zu bearbeiten, gibt es dort gruppendynamische Probleme?"
Wenn Jugendliche, die selbst Ausgrenzung erfahren, zu ihrer Selbstbehauptung andere als "Opfer" markieren, so weist das auf soziale Probleme, die nur politisch zu lösen sind, sagt Gottfried Kößler – was nicht heißt, dass eine Gedenkstättenfahrt keinen Sinn macht.
"Wir beschäftigen uns damit, warum jemand mitgemacht hat. Oder wir beschäftigen uns mit Leuten, die im Alltag Juden geholfen haben, also diese Helferthematik, das setzt sich gerade durch und kommt auch viel mehr in den Schulen an. Das ändert dann den Blick auf die Juden und auf die Mehrheitsgesellschaft, weil's nicht mehr darum geht, dass es die Juden als Andere gibt, die eben immer verfolgt werden, sondern es gibt eine Gesellschaft, aus der eine Gruppe ausgeschlossen wird, und es gibt dann in der Gesellschaft verschiedene Reaktionen. Dann ist die historische Information 'ne ganz andere."
Mittlerweile sind Gedenkstätten in Ost und West Orte sehr genauer Rekonstruktion der Vergangenheit. Sie sind Teil der Historiographie des Nationalsozialismus geworden. Hier wird nicht nur an Emotionen appelliert. Hier soll der Besucher nicht "überwältigt" oder gar moralisch belehrt werden über das "richtige Gedenken". Das geschichtspädagogische Bemühen zielt seit den 70er-Jahren vielmehr darauf, zu erläutern, zu erzählen, zu kontextualisieren und einen Raum für politische Diskussionen zu eröffnen. Viel ist auf der Tagung von jugendlichen Besuchern als der Facebook-Generation die Rede, wie man sie ermutigt, Fragen zu stellen, und vor allem, mit welcher Technik – ob mit Touchscreens, Audioguides, Hörstationen, Tonglocken – man sie am besten erreicht.
"Die Wirkungsforschung, die Besucherforschung ist, man kann sagen, ein Stiefkind der Gedenkstättenpädagogik, es ist eben ein junges Arbeitsgebiet. Das heißt, alles, was wir jetzt experimentell ausprobieren, auch mit dem Einsatz von Medien, mit der verstärkten Fokussierung auf Fotografien als Quelle, von Film und Zeitzeugenberichten als Quelle, wir wissen noch gar nicht, was da wirklich die Effekte sind. Es gibt immer nur einen gefühlten Eindruck, dass das wohl besonders eindrucksvoll ist, dass es besonders in Erinnerung bleibt, oder dass Jugendliche auch ihre Konzentration aufrecht halten, weil das Techniken sind, die sie kennen, dass Zugänge leichter sind, aber wir können es eigentlich noch gar nicht überprüfen."
Die Gedenkstätte Dachau verzeichnet eine Millionen Besucher jährlich, 23 Gruppen am Tag. Die Historikerin Waltraut Burger erinnert daran, dass etwa 40 Prozent der Besucher Erwachsene sind, die auch ihre Anliegen haben, ihre speziellen Interessen und Kenntnisse, biografischen Hintergründe, ihren eigenen "Gegenwartsbezug".
"Ich hab selbst letzten Samstag 'ne Themenführung gemacht. Ich war überrascht, wie viele Erwachsene zu diesem besonderen Thema gekommen sind, weil sie mehr dazu wissen wollten. Sie wollten nicht nur 'ne normale Rundgangsführung haben, die den Ort erschließt, sie wollten zu einer ganz bestimmten Häftlingsgruppe mehr wissen. Meine Fragestellung war: Warum sind sowjetische Kriegsgefangene in einem Konzentrationslager? Und da waren einige tatsächlich professionell interessiert, und andere waren neugierig geworden, weil sie noch nie von einem Kriegsgefangenenlager innerhalb des Konzentrationslagers Dachau gehört haben. Und wieder andere hatten russische Zwangsarbeiter gekannt oder auch sowjetische Kriegsgefangene gekannt. Und das zeigt, dass da ein Bedarf ist, und dass man noch viel passgenauere Informationen anbieten muss."
Gedenkstättenpädagogen heute sind an ihren Besuchergruppen orientiert. Irgendwann in der Zukunft werden es Besucher sein, die keinen Kontakt zur Erlebnisgeneration mehr haben, die Zeitzeugen nur noch auf Video kennen. Deren Gegenwartsbezug wird dann ein völlig anderer sein.
Die Überschrift der Tagung lautet "Don't forget and don't repeat" und ist der zitierte Eintrag eines amerikanischen Besuchers in das Besucherbuch der Gedenkstätte Buchenwald im Jahr 2011. Um nicht zu vergessen und nicht zu wiederholen, wurden Gedenkstätten einst errichtet, deshalb werden sie bis heute betrieben. Auftrag und Anliegen der ersten Aufarbeitungsgeneration war es, die authentischen Orte überhaupt zu sichern, vor dem Verleugnen, Vergessen, dem Nicht-wahr-haben-Wollen zu bewahren. Und Orte zu schaffen, an die die Überlebenden gehen konnten, um dort ihrer Angehörigen zu gedenken. Diese Gedenkstättenarbeit ist längst getan. Heute stehen Gedenkstätten vor ganz neuen Herausforderungen – sagt die junge Historikerin Claudia Rudnick.
"Die Gedenkstättenarbeit befindet sich in einem sehr starken Wandel, und es kommt eine junge Generation von Gedenkstättenpädagogen, die auf die Gegenwart von Jugendlichen, die in die Gedenkstätten kommen, reagieren möchten. Die Jugendlichen werden konfrontiert mit Mobbing, sie werden konfrontiert mit Menschenrechtsverletzungen, mit der Asylproblematik, es gibt Rechtsextremismus, es gibt Rassismus. Und da fangen Gedenkstätten jetzt an, schon seit vielen Jahren muss man sagen, aber es entsteht mittlerweile ein sehr kontroverser Diskurs, wie können Gedenkstätten auf diese gegenwartsaktuellen Themen reagieren? Und ist Menschenrechtsbildung, Demokratie Lernen, ist das ein Weg, eine Brücke zu schlagen von Gegenwart in die Vergangenheit?"
Drei Tage lang wird über den "Gegenwartsbezug in der Bildungsarbeit an Gedenkstätten" gesprochen. Wo geht diese Bildungsarbeit über die pure Geschichtsvermittlung hinaus? Gibt es in Gedenkstätten Antworten auf und Beiträge zu aktuellen Debatten: zur Rechtsradikalengruppe NSU, zur Folter von Gefangenen in Guantanamo, zu Bullying und Cyber-Mobbing an Schulen? Wie kann die Vermittlung von NS-Geschichte sinnvoll auf die Lebenssituation und Fragen von Schülern bezogen werden? Können Gedenkstätten mit ihren Bildungsangeboten präventiv gegen Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus wirken? Vereinzelt sitzen auch Lehrer in den Diskussionsrunden.
"Ich komme zum Beispiel aus Sachsen, aus dem ländlichen Raum, und dort herrscht Rassismus, ohne dass jemand da ist, von dem man sich abgrenzen könnte. Wenn man Schüler fragt: 'Was denkt ihr denn, wie viel Ausländeranteil…?' – 'Ja, so 50 bis 70 Prozent.' Ist in Sachsen völlig utopisch, das Problem existiert einfach nicht, und trotzdem ist es da. Und das find ich noch viel schwerer zu greifen, weil diese diffuse Angst – man muss dann erstmal ergründen, wo das herkommt."
Gedenkstättenpädagogen kennen den Reflex vieler Lehrer, Schülern, die Schimpfworte wie "Du Jude" oder "Du Opfer" benutzen, als pädagogische Maßnahme einen Gedenkstättenbesuch zu verpassen. Gottfried Kößler erreichen als Historiker am Frankfurter Fritz-Bauer-Institut Anfragen von Lehrern, die sich von der Aufklärung in einer Gedenkstätte eine Art Impfung ihrer Schüler gegen Diskriminierung, Rassenhass, Antisemitismus und politische Intoleranz erhoffen.
"Wenn ich eine Anfrage bekomme von einer Lehrerin, die beschreibt, dass in ihrer Lerngruppe antisemitische Positionen bestehen, dann versuche ich, erstmal herauszufinden, was ist dort eigentlich los? Und sehr häufig kommt heraus, es gibt einen Konflikt, der sich ausdrückt in antisemitischen Äußerungen. Und die Arbeit gemeinsam mit der Lehrerin geht dann dahin, dass man schaut, welche Institution ist eigentlich zuständig? Geht es darum, Probleme der Gruppe zu bearbeiten, gibt es dort gruppendynamische Probleme?"
Wenn Jugendliche, die selbst Ausgrenzung erfahren, zu ihrer Selbstbehauptung andere als "Opfer" markieren, so weist das auf soziale Probleme, die nur politisch zu lösen sind, sagt Gottfried Kößler – was nicht heißt, dass eine Gedenkstättenfahrt keinen Sinn macht.
"Wir beschäftigen uns damit, warum jemand mitgemacht hat. Oder wir beschäftigen uns mit Leuten, die im Alltag Juden geholfen haben, also diese Helferthematik, das setzt sich gerade durch und kommt auch viel mehr in den Schulen an. Das ändert dann den Blick auf die Juden und auf die Mehrheitsgesellschaft, weil's nicht mehr darum geht, dass es die Juden als Andere gibt, die eben immer verfolgt werden, sondern es gibt eine Gesellschaft, aus der eine Gruppe ausgeschlossen wird, und es gibt dann in der Gesellschaft verschiedene Reaktionen. Dann ist die historische Information 'ne ganz andere."
Mittlerweile sind Gedenkstätten in Ost und West Orte sehr genauer Rekonstruktion der Vergangenheit. Sie sind Teil der Historiographie des Nationalsozialismus geworden. Hier wird nicht nur an Emotionen appelliert. Hier soll der Besucher nicht "überwältigt" oder gar moralisch belehrt werden über das "richtige Gedenken". Das geschichtspädagogische Bemühen zielt seit den 70er-Jahren vielmehr darauf, zu erläutern, zu erzählen, zu kontextualisieren und einen Raum für politische Diskussionen zu eröffnen. Viel ist auf der Tagung von jugendlichen Besuchern als der Facebook-Generation die Rede, wie man sie ermutigt, Fragen zu stellen, und vor allem, mit welcher Technik – ob mit Touchscreens, Audioguides, Hörstationen, Tonglocken – man sie am besten erreicht.
"Die Wirkungsforschung, die Besucherforschung ist, man kann sagen, ein Stiefkind der Gedenkstättenpädagogik, es ist eben ein junges Arbeitsgebiet. Das heißt, alles, was wir jetzt experimentell ausprobieren, auch mit dem Einsatz von Medien, mit der verstärkten Fokussierung auf Fotografien als Quelle, von Film und Zeitzeugenberichten als Quelle, wir wissen noch gar nicht, was da wirklich die Effekte sind. Es gibt immer nur einen gefühlten Eindruck, dass das wohl besonders eindrucksvoll ist, dass es besonders in Erinnerung bleibt, oder dass Jugendliche auch ihre Konzentration aufrecht halten, weil das Techniken sind, die sie kennen, dass Zugänge leichter sind, aber wir können es eigentlich noch gar nicht überprüfen."
Die Gedenkstätte Dachau verzeichnet eine Millionen Besucher jährlich, 23 Gruppen am Tag. Die Historikerin Waltraut Burger erinnert daran, dass etwa 40 Prozent der Besucher Erwachsene sind, die auch ihre Anliegen haben, ihre speziellen Interessen und Kenntnisse, biografischen Hintergründe, ihren eigenen "Gegenwartsbezug".
"Ich hab selbst letzten Samstag 'ne Themenführung gemacht. Ich war überrascht, wie viele Erwachsene zu diesem besonderen Thema gekommen sind, weil sie mehr dazu wissen wollten. Sie wollten nicht nur 'ne normale Rundgangsführung haben, die den Ort erschließt, sie wollten zu einer ganz bestimmten Häftlingsgruppe mehr wissen. Meine Fragestellung war: Warum sind sowjetische Kriegsgefangene in einem Konzentrationslager? Und da waren einige tatsächlich professionell interessiert, und andere waren neugierig geworden, weil sie noch nie von einem Kriegsgefangenenlager innerhalb des Konzentrationslagers Dachau gehört haben. Und wieder andere hatten russische Zwangsarbeiter gekannt oder auch sowjetische Kriegsgefangene gekannt. Und das zeigt, dass da ein Bedarf ist, und dass man noch viel passgenauere Informationen anbieten muss."
Gedenkstättenpädagogen heute sind an ihren Besuchergruppen orientiert. Irgendwann in der Zukunft werden es Besucher sein, die keinen Kontakt zur Erlebnisgeneration mehr haben, die Zeitzeugen nur noch auf Video kennen. Deren Gegenwartsbezug wird dann ein völlig anderer sein.