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Eine Chance für Ferrat

Seit Jahren scheuen sich viele Unternehmen in Deutschland, Auszubildende aufzunehmen. Vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund bleiben auf der Strecke. Der Bund Türkisch-Europäischer UnternehmerInnen e.V. startete deshalb eine besondere Ausbildungsplatzinitiative: Ausländisch geführte Unternehmen sollen mehr als zuvor jungen Leuten eine Chance geben.

Von Michael Engel | 14.07.2007
    Exitcom Recycling GmbH in Lehrte bei Hannover. 25 Mitarbeiter zerlegen in der riesigen Demontagehalle Fernseher, Handys und Computer: Die Einzelteile - Platinen, Kunststoffverkleidungen und Kabel - landen sortiert in Gitterboxen. Der 17-Jährige Ferrat Kümet schafft mehr als 100 PC am Tag.
    "Es gibt verschiedene PC. Es gibt manche, die sind kompliziert, also schwer zu zerlegen. Dauert mehr als fünf Minuten. Ansonsten - die lockeren - die dauern nur zwei, drei Minuten."

    Seit einem Jahr absolviert der türkischstämmige junge Mann eine Ausbildung zum Lageristen. Dabei waren seine Chancen so gut wie null. Hauptschule abgebrochen, schon mit 16 ein Jahr arbeitslos, rumhängen, keine Perspektive. Heute ist der Junge wie gewandelt, sagt Michael Knigge, der das türkische Unternehmen leitet:

    "Ich bin eigentlich froh, dass ich mich für Ferrat entschieden habe, der doch hier einen ganz anderen Eindruck hinterlässt als das, was ich vorher von ihm gehört habe. Er strengt sich an, er hat eingesehen, er lernt nicht für mich oder für sonst irgendjemanden, sondern für sich selber. Also ich bin positiv überrascht und freue mich eigentlich, dass meine Nase hier mal wieder den richtigen Riecher hatte."

    Kurt Zeitarbeit GmbH ist nur einen Steinwurf entfernt: Marmorboden, großzügige Büros, alles vom Feinsten. Ela Bill ist seit einem Jahr dabei. Die 20-Jährige, die mit ihren Eltern von Kasachstan nach Deutschland kam, lässt sich zur "Kauffrau für Bürokommunikation" ausbilden.

    "Ich mache gerade eine Rechnungskontroll-Liste. Da werden von Mitarbeitern die Fehlzeiten eingetragen. Ich mache auch Einstellungsakten, also wo die eingesetzt sind, wo sie leben, alles mögliche."

    Mehr als hundert Bewerbungsschreiben hatte die ehemalige Realschülerin geschrieben. Trotz guter Noten kassierte sie immer wieder Absagen. "Zu wenig Ausbildungsplätze", lautet ihre Erklärung. Ihr Chef, der türkischstämmige Hasan Kurtulus weiß es besser: Junge Menschen mit ausländischem Hintergrund haben es in Deutschland schwerer, eine Ausbildung zu finden

    "Die persönliche Meinung meinerseits, ich habe ja selber einen Migrationshintergrund, dass wir mal gesagt haben, wir probieren es mal mit einer Dame oder auch mit einem jungen Mann, die selbst auch einen Migrationshintergrund hat, die selbst auch noch nicht hundertprozentig der deutschen Sprache mächtig ist, und wir haben auf jeden Fall die Erfahrung gemacht, dass ein Mensch, der eine abgeschlossene Berufsausbildung haben möchte, dass es in keiner Weise eine Behinderung ist, dass sie eben einen Migrationshintergrund hat. Im Gegenteil: Wir sehen das eher als eine Bereicherung."

    Beide Lehrstellen wären ohne den Bund Türkisch-Europäischer Unternehmer und Unternehmerinnen nicht denkbar. Seit nunmehr zwei Jahren müht sich der Verein unter anderem mit Sitz in Hannover um die Schaffung neuer Ausbildungsplätze in den 350 Mitgliedsunternehmen der Region. 86 Auszubildende wurden seitdem schon vermittelt. Zum Jahresende sollen es 100 sein. Und dies, obwohl Projektleiter Cengiz Tamak weiß, dass ausländisch geführte Unternehmen in Sachen Ausbildungsplatzangebot eher zurückhaltend reagieren:

    "Wir haben es hier in der Regel mit türkischstämmigen Arbeitgebern zu tun. Da greifen wir natürlich auf die Moral und auf die Verantwortung der Unternehmer zurück. Wir versuchen ihnen weiszumachen, dass sie eine Verantwortung tragen, sie selber haben auch Kinder. Das ist einer der Hauptfaktoren, was den ersten Schritt bewegt, und danach kommen natürlich die Qualifikationen ins Spiel. Das heißt, auch ein türkischstämmiger oder italienischstämmiger oder russischstämmiger Unternehmer schaut immer als nächstes schon auf die Qualifikation. Aber der erste Schritt ist immer so das Gewissen."

    Es sind vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund, die durch die Vermittlungsbemühungen des Vereins eine neue Chance bekommen. Aber auch Deutsche, die anderswo - ohne Hauptschulabschluss - keine Chance bekommen hätten. Ela Bill aus Kasachstan macht sich keine Sorgen mehr - blickt optimistisch in die Zukunft. Auch Ferrat Kümet hat den Kopf voller Pläne.


    Bill: "Ich will jetzt meine Ausbildung zu Ende machen. Und wenn es dann klappt, dann hier auch weiter arbeiten. Und dann werden wir mal sehen."

    Kümet: "Wenn man seine Ausbildung geschafft hat, halt einen Job, wo man vielleicht mal mehr verdient. Oder wenn es nicht geht, dann weiter Schule machen, damit man einen höheren Abschluss hat. Ja!"