Archiv


Eine deutsche Mesalliance

Klaus Harpprecht ist Journalist, Redakteur und politischer Korrespondent verschiedener Rundfunkanstalten, Verlagslektor und Autor wichtiger Biographien über Georg Forster oder Thomas Mann. Ein üppiges Archiv ist über Jahrzehnte entstanden, das die Akademie der Künste in Berlin jetzt übernommen hat. Zur offiziellen Übergabe diskutierte er mit Michael Naumann und Jan Philipp Reemtsma über Literatur- und Politiksucht.

Von Arno Orzessek |
    Der Abend in der Akademie der Künste zerfiel nicht etwa in zwei Teile, sondern fügte sich aus beiden zu einem einzigen Triumph – nämlich dem Triumph von Sprachgewalt, Witz und Geistesgegenwärtigkeit, die indessen manchmal von Hochmut, Rabulistik und Besserwisserei kaum zu unterscheiden sind.

    Anlässlich der Übergabe des Archivs war es nur angemessen, dass Literaturwissenschaftler Joachim Kersten eine grandiose Laudatio auf Klaus Harpprecht als dem Alleskönner des historischen und literarischen Essayismus hielt. Kersten bewanderte und bestaunte die geistige Topographie Harpprechts, der als geborener Tübinger der schwäbischen Gemengelage von Protestantismus, Idealismus und Frankreichnähe entstammt, und dem – nun wirklich sehr lutherisch – allein das Wort "Heimat" und "Leben" ist. Joachim Kersten:

    "Johann Sebastian erklärte, Klavierspielen sei sehr einfach, man müsse nur die richtige Taste zur rechten Zeit mit dem rechten Nachdruck betätigen. Klaus Harpprecht kann das."

    Der so in Bachsche Höhen erhobene Harpprecht sagte in seinen Dankesworten, er werde womöglich den Rest seines Lebens brauchen, um sich von der positiven Beschämung zu erholen. Dann kam es unter der Moderation von Schriftstellerin Eva Menasse und der notorischen Beihilfe von Zeit-Herausgeber Michael Naumann zum Stimmungsumschwung: Das literarische Pathos verglühte, das Circensische und die Turbulenz machten sich breit… und zwar von dem Moment an, in dem Naumann Harpprecht in die Parade fuhr.

    "Die großen Stilisten unter unseren Historikern sind.." – "Tot" [Naumann, Lachen]"

    Natürlich war allen Anwesenden bekannt, dass man – wie der Lyriker Mao Zedong, der Literaturliebhaber Josef Stalin und der Bestsellerautor Adolf Hitler – viel von Büchern halten kann und wenig von Menschlichkeit. Weshalb der Mesalliance von Politik und Literatur nicht notwendig schöne Kinder entspringen.

    Andererseits hat Vaclav Havel gezeigt, das Dichter Staaten lenken können, und im aufgerührten Frankreich kommt der Feingeist Dominique de Villepin als Premier besser beim Volk an als der gelegentlich Rottweiler-artige Innenminister Nicolas Sarkozy.

    Wir hier hatten den seligen Willy Brandt, dem Klaus Harpprecht eine Weile die Reden geschrieben hat und dem Günter Grass die Fahne schwenkte. Aber das ist Geschichte… Angela Merkel hat die Macht und Michael Naumann das Bonmot.

    "Zum Beispiel, wie heute der neue Regierungschef, die Kanzlerin sagt, sehr wohlwollend zu Gerhard Schröder: Er habe mehrere Marksteine hinterlassen, Komma, an die man anknüpfen kann. Wie macht man das? [Lachen]"

    Was weiter passierte, war mal großes, mal selbstgefälliges Kabarett. Unzählige abwesende Prominente, ob tot oder lebendig, erhielten von dem hohen Literatur- und Sprachgericht in der Akademie ihr Urteil, das selten unter ein, zwei vernichtenden Pointen bemessen wurde. Von Konrad Adenauer zum Beispiel wurde behauptet, er habe nicht mehr als fünf- bis achthundert Wörter gekannt.

    "Darf ich ein Beispiel geben? Sehr kompakt, aber original! ‚Heute Vormittag mach et die Rosn, heut Mittag mach ich nach Paris.’ Also, er hat sich die Sprache dienstbar gemacht, in einer Art und Weise, dass die keine Chance mehr hatte."

    Die Ära Adenauer, die umspannte Klaus Harpprechts junge Jahre. Weshalb auch ihm noch die politische Sprache dieser Zeit in den Ohren klingt.

    "Ich erinnere mich an seine Bemerkung über Herrn Kiesinger, der gern auch sich in großer lyrischer Rhetorik erging. Hat er gesagt: ‚Wat, der Kiesinger ist katholisch, der hat son evangelisches Gesicht’ [Lachen]…. ‚Haben wir jetzt auch wieder im Kanzleramt, ein richtig evangelisches Gesicht.’ – ‚Aber diesmal echt, nicht!’ – ‚Ja, na klar!’ – ‚Und wie viel hat sie gelesen?’ ‚Das weiß ich nicht.’"

    Und Jan Phillip Reemtsma? – ein Mann, dem der Leichtsinn nicht auf der Zunge liegt, um das wenigste zu sagen. Reemtsma suchte im Anekdoten-Gewitter gelegentlich die Höhlen der Reflexion, aber dann wurde auch er mitgerissen und berichtete, dass Marcel Reich-Ranicki kolportiert habe, Horst Köhler lese keine Roman und eine eigentümliche Begegnung mit dem Denkmal des deutschen Großbürgertums, Richard von Weizsäcker, überliefert. Jan Phillip Reemtsma in indirekter Rede.

    "Weizsäcker hat mir irgendwann mal gestanden, er kenne Thomas Mann nicht, nicht mir, Reich-Ranicki, und darauf hin habe er, Reich-Ranicki, gesagt: So geht das aber nicht, das lassen sie erst mal niemanden hören und zweitens, bis nächstes Jahr haben Sie folgende Roman gelesen."

    ‚Haben wir etwa noch jemanden vergessen? Oder haben wir jetzt alle beleidigt?’ – diese Harald Schmidtsche Frage lag im Raum, als Klaus Harpprecht auf den ersten Band der Kohl-Biographie losging und sich sogleich daran erinnerte, dass Helmut Kohl mit Martin Walser einen Widergänger in der Literatur habe – wie auch die Paulskirchenrede zeigt.

    "Es war ein Generalappell an ein Grundressentiment des deutschen Kleinbürgertums, das Walser in seiner Literatur in meinen Augen eh verkörpert. Ich halte ihn in der Literatur für das, was Kohl in der deutschen Politik gewesen ist, nämlich der König des Kleinbürgertums."

    Einige Fragen blieben ungestellt. Zum Beispiel: Ist Literatur-Kenntnis eigentlich identisch mit Bildung? Sind Großbürger von Familie, mit ihrer Wiege unter den Bücherregalen, tatsächlich das Ideal aller Literatur? Und ist Michael Naumann der größte Literaturkenner der Geschichte? Es sei, wie es sei. Sicher dürfte sein, dass der gefeierte Klaus Harpprecht in einem Punkt nicht enttäuscht worden ist von der Treibjagd nach der fettesten Anekdote an diesem Abend in der Akademie der Künste.

    "Erstens wird von Stendahl gesagt, dass er nicht zwischen einem Mörder und einem Langeweiler entscheiden konnte, denn, sagte er, beide trachteten ihn nach dem Leben. Das war mir ein wichtiges Motto."