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"Eine durchaus problematische Redeweise"

Angesichts des verbalen Umgangs mit der Finanzkrise gerät vor allem die Rede von der Alternativlosigkeit der jeweiligen Politik in die Kritik. Sowohl der SPD-Politiker Wolfgang Thierse als auch der Politikwissenschaftler Herfried Münkler waren sich einig, dass der Begriff heikel sei, weil in einer Demokratie eine völlige Alternativlosigkeit per se undenkbar sei.

Wolfgang Thierse und Herfried Münkler im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Wie verkraftet es die Demokratie, dass ihre Akteure für sich keinen Handlungsspielraum sehen oder angeblich keinen Handlungsspielraum sehen. Darüber wollen wir diskutieren. Mir telefonisch zugeschaltet ist der stellvertretende Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), und ebenfalls in Berlin erreicht haben wir Herfried Münkler, er lehrt an der Humboldt-Universität Theorie der Politik. Herr Thierse, wenn das Handeln der Regierenden alternativlos ist, wie das jetzt immer wieder zu hören war, warum spielt es dann überhaupt eine Rolle, bei welcher Partei ich mein Kreuzchen mache?

    Wolfgang Thierse: Zunächst mal will ich ausführlich sagen, dass dieses Reden von Alternativlosigkeit eine durchaus problematische Redeweise von Politikern wie von Journalisten ist, aber sie wird ja formuliert im Streit der Meinungen der Parteien, um Nachdruck zu verleihen für die jeweils eigene Meinung, den jeweils eigenen Vorschlag. So zu reden, heißt ja gerade, abzuwehren, dass andere Alternativen vernünftig sind, dass wir von anderen Alternativen überzeugt sind. Es zeigt ja gerade, dass es eben nicht alternativlos ist, sondern dass man den eigenen Vorschlag, die eigene Alternative für die einzig mögliche und richtige hält. Normaler Streit, übertriebenes Argument, aber das ist doch Oberfläche, denke ich.

    Schulz: Finden Sie das überzeugend, Herr Münkler?

    Herfried Münkler: Na ja, Herr Thierse hat das jetzt schon ein bisschen zurückgenommen, was mit Alternativlosigkeit kommuniziert wird. Das ist das Vortragen von Sachzwang und Zeitdruck, indem einem im Prinzip nichts anderes übrig bleibe, als so zu agieren, wie man agiere. Das widerspricht aber eigentlich den Grundprinzipien von Politik und Demokratie, nämlich zu deliberieren, um auf der Grundlage des Nachdenkens, des Reflektierens, des Erwägens von Alternativen dann eine Entscheidung zu treffen. Wenn alles alternativlos ist, dann schellt man sozusagen zurück auf die Position eines Unternehmensmanagers oder eines Verwaltungsbeamten. Politik wäre aber eigentlich ein Drittes und davon zu unterscheiden.

    Schulz: Und wie unterscheidet sie sich, Herr Thierse?

    Thierse: Also ich glaube nicht, dass man von einer Ununterscheidbarkeit der Parteien sprechen kann, es sei denn, man trauert nach den großen Debatten über die Systemalternativen. In dieser Debatte sind wir offensichtlich nicht, nachdem der Kommunismus entsetzlich gescheitert ist. Aber dass es doch riesige Unterschiede gibt zwischen Parteien, im Spektrum etwa zwischen der marktradikalen Partei namens FDP, in der immer noch der Satz gilt, Privat im Zweifel vor Staat, und auf der anderen Seite des Spektrums die staatsfixierte Linkspartei. Also da von Ununterscheidbarkeit zu reden, das halte ich für falsch. Wir streiten doch heftig, für viele Bürger viel zu viel streiten wir. Und wenn man dann noch hinzufügt, dass wir in einem föderalen Land leben, also der Föderalismus eine Rolle spielt, das, was auf Bundesebene nach Streit entschieden worden ist, dann noch in die Mangel der Länderinteressen gerät, dann mag das Unübersichtlichkeit erzeugen und Ungeduld erzeugen. Aber da lobe ich die Langsamkeit der Demokratie, weil sie Entscheidungsprozesse ermöglicht, erzwingt, die immer dauern und die erst nach geraumer Zeit zu einer Entscheidung führen.

    Schulz: Aber wenn das, was kommt, uns doch als alternativlos verkauft wird, Herr Münkler, welchen Schaden nimmt dann die Demokratie?

    Münkler: Vermutlich werden schon Leute resignieren oder enttäuscht sein darüber, dass ihnen jedenfalls nicht hinreichend deutlich gemacht wird, was die Alternativen sind. Politische Kommunikation hat ja eigentlich die Aufgabe, unterschiedliche Ansätze, Herangehensweisen so zu konturieren, dass sie, auch wenn die Differenzen vielleicht eher klein sein mögen, für das Entscheidungs- und Wahlverhalten, die Präferenzbildung der Bürger klar und erkennbar sind. Also politische Kommunikation hat zu erklären und aufzuklären auf der einen Seite und zu begeistern und mitzureißen auf der anderen. Und das, glaube ich, kann man zurzeit sagen, das fehlt. Und das haben sie sehr schön aufgespießt in der Hypertrophie, also in dieser dramatischen Verbreitung des Worts alternativlos.

    Schulz: Herr Thierse, warum fällt denn diese Wendung im Moment so oft?

    Thierse: Also das scheint mir daran zu liegen, dass Politiker wie Wirtschaftsleute unter einem unerhörten Entscheidungsdruck stehen. Und wenn ich es richtig beobachte, ist es ja nicht so, dass die Alternative nicht genannt wird, egal, ob wir über die HSH, die Nordbank reden - dann wird gesagt, wenn wir nicht helfen, wenn der Staat nicht mit Bürgschaften und finanzieller Unterstützung eingreift, dann ist die Alternative, das Scheitern dieser Bank mit erheblichen Folgen für die Wirtschaft, für Arbeitsplätze, weil dann eben die Kreditvergabe nicht mehr funktioniert. Dasselbe gilt für den Fall Opel. Da debattieren wir seit Wochen darüber, was ist möglich, was ist sinnvoll und was ist vernünftig, und da werden die Unterschiede, also die Alternativen schon sehr deutlich: Nicht helfen, Arbeitsplätze in Gefahr bringen, oder helfen, und das heißt, die Staatsverschuldung erhöhen, den Staat gewissermaßen als einen Unternehmer agieren zu lassen. Also da werden die Alternativen schon deutlich. Aber dann im Moment, wo man sich entscheidet, dann sagt man, das ist die einzig vernünftige Alternative, gewissermaßen auch in der Situation, in der Politik immer ist, im Moment der Entscheidung nie hundertprozentig sicher zu sein, ob die Wirkungen eintreten, ob die Hoffnungen sich erfüllen, die man mit dieser konkreten Entscheidung verbindet.

    Schulz: Aber dieses Argument, dass Sie jetzt gerade erwähnt haben, nämlich dass es natürlich Alternativen gibt und die Regiereden aus diesen Alternativen auswählen, dieses Argument wird uns ja gerade unterschlagen. Warum ist das so?

    Thierse: Also ich habe es ja noch mal gesagt: Das hat sozusagen mit der Schwierigkeit und der Dramatik der Entscheidungssituation zu tun - und ich füge ja hinzu, ich halte ja diese Redeweise für durchaus problematisch -, sondern zu sagen, das ist die bessere Entscheidung, das ist vernünftiger aus diesem und diesem Grunde, weil das andere aus diesem und diesem Grunde schlechter ist. Politische Entscheidungen sind immer nur relativer Natur, niemals absoluter Natur. Das müssen Politiker und - wenn es denn irgend geht - auch Journalisten besser erklären, damit es auch verständlicher wird, gerade in einer Situation, wo die Probleme so überwältigend erscheinen, so bedrohlich, so komplex sind, dass nicht wenige Bürger auch Angst haben. Da hat die politische Klasse insgesamt, die Politiker und Journalisten gemeinsam, die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, ihre Entscheidung zu erklären und die Entscheidungssituation nicht zu vernebeln, dadurch, dass sie sagen, es gibt gar keine Alternative.

    Schulz: Überzeugt, Herr Münkler?

    Münkler: Nein, nicht wirklich. Also ich glaube auch, was sich in der gegenwärtigen Situation zeigt, ist das Zusammenkommen von zwei Entwicklungen, Veränderungen des Mediensystems, also im Prinzip, Politiker werden nicht mehr danach ausgewählt und nach vorne gebracht, dass sie in großen, argumentativ-rhetorischen Auseinandersetzungen brillieren, sondern es zählt Regionalproporz, von mir aus Quotierung und derlei mehr. Und dementsprechend führt das dann dazu, dass sie eigentlich ihre Bedeutsamkeit messen an der Medienpräsenz, also sozusagen eine Message im Fernsehen durchgebracht zu haben. Das ist aber natürlich keine Argumentation, sondern das ist dann der Satz "alternativlos". Ich glaube also, dass gewissermaßen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, also auch solche - wie wir ja wohl übereinstimmen, Wolfgang Thierse und ich - eher problematischen, um nicht zu sagen einfallslosen Formulierungen prämiert. Das ist eine. Und das andere ist, wenn man den Vergleich mit den USA und den Auftritten von Herrn Obama sich vor Augen führt, dann merkt man, es fehlt bei uns in Deutschland so etwas wie die Fähigkeit zur schonungslosen Lageanalyse, also das, was Obama gemacht hat, aber dann auch gleichzeitig das zu verbinden mit einem republikanischen Pathos, das die Leute mitnimmt und das ihnen Hoffnungen zeigt, also Politik wesentlich auf das Kommunizieren von Problemen gegenüber der Bevölkerung, um daraus dann auch deren Reaktionen zu steuern, zu betrachten ist, dann haben wir hier Defizite. Das, glaube ich, muss man schon konstatieren.

    Schulz: Herr Thierse, ohne Kulturpessimismus, auf welche Köpfe können wir hoffen?

    Thierse: Ach, wissen Sie, ich bin voller Respekt vor Obama, und ich habe wahrlich nichts gegen Pathos, aber warten wir ab. Eine solche Rede wie gestern kann Obama nur einmal halten. Schon in einem halben Jahr, schon in einem Jahr werden die politischen Gegner, die Journalisten das alles zerpflücken, was ist passiert, was ist an tatsächlichen Entscheidungen gefallen, wie bewegt sich Obama in der Mühsal der Ebenen, im Kleinkrieg der Auseinandersetzungen mit der Opposition, im Parlament, mit den US-Staaten etc., also das, was demokratischer Alltag auch in Deutschland ist.

    Schulz: Ja, und damit weichen Sie meiner Frage aber aus. Liegt das daran, dass Sie nicht antworten wollen oder nicht können?

    Thierse: Nein, das ist nicht der Punkt. Ich glaube auch nicht, dass rhetorische Qualitäten - und ich hoffe, ich gelte nicht als einer, der vom Reden nichts versteht -, dass rhetorische Qualitäten nur eine Qualität von Politikern sind. Und ich glaube auch, dass wir gegenwärtig immer noch auf der wirklichen Oberfläche debattieren. Worunter ganz viele Menschen bewusst oder unbewusst leiden, was sie irritiert, was sie ärgert, ist die Langsamkeit von Politik im Vergleich zu dem Tempo der Brutalität ökonomischer Prozesse und Entscheidungen. Und demgegenüber ist die demokratische Politik immer langsam. Und dieser Zwiespalt zwischen dem Tempo und der Reichweite ökonomischer Prozesse und Entscheidungen einerseits und der unausweichlichen Langsamkeit und Mühseligkeit und Begrenztheit demokratischer Politik, dieser Zwiespalt erzeugt Verdruss, Verärgerung. Und dieser Zwiespalt wird noch durch das eilige Medium Fernsehen natürlich noch mal forciert. Wenn ich in der nächsten Woche dieselbe Meinung habe wie vergangene Woche, wie langweilig, sagt mir dann der Journalist. Aber so ist demokratische Politik, und die muss man verteidigen und in diesen Mühseligkeiten unsere Entscheidungen viel, viel besser, erklären, begründen. Ausdrücklich betone ich, auch die Alternativen deutlich zu machen, damit der Streit, der demokratische Streit zwischen den Parteien und Meinungen verständlich wird und nicht als etwas Übelzunehmendes verstanden wird.

    Schulz: Herr Thierse, und deswegen haben wir diese Debatte heute Morgen im Radio geführt. Über den politischen Spielraum in Zeiten der Krise war das ein Streitgespräch. Herzlichen Dank an den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse und den Politikwissenschaftler Herfried Münkler! Gruß nach Berlin!