Peter Kapern: Heute Morgen bei Frühstücks- und Zeitungslektüre, da dürften sich wohl viele Menschen im Lande gefragt haben, was er da wohl sagt, der Eiserne Kanzler, und wie hört er sich wohl an - Fragen, die sich aufdrängen, wenn man in der Zeitung liest, dass eine Tonaufnahme Otto von Bismarcks in einem amerikanischen Archiv aufgetaucht ist. Vor einer halben Stunde haben wir ihnen schon einmal eine Kostprobe daraus vorgespielt, das machen wir jetzt noch einmal, aber nicht ohne die Vorwarnung, dass die Fragen, die sie sich heute Morgen am Frühstückstisch gestellt haben, dass die auch danach wohl kaum beantwortet sein dürften.
Was hat es nun mit dieser Aufnahme auf sich? - Ende der 1880er-Jahre hat Thomas Alva Edison in den USA einen Apparat erfunden, mit dem man Stimmen aufnehmen konnte - den sogenannten Phonographen. Der legendäre Erfinder schickte dann einen Mitarbeiter, den deutschstämmigen Ingenieur Adalbert Theodor Edward Wangemann durch die Welt, um diese Wunderkiste vorzuführen. Dass auch Bismarck sich den Phonographen zeigen ließ, das wusste man bereits. Die Tonaufnahme galt aber als verschollen. Jetzt aber ist sie in einer Holzkiste im Edison-Archiv in den USA aufgetaucht. - Bei uns am Telefon ist jetzt Professor Ulrich Lappenküper, der Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh. Guten Tag.
Ulrich Lappenküper: Ich grüße Sie.
Kapern: Herr Lappenküper, was war Ihr erster Gedanke, als Sie gehört haben, dass es da eine Tonaufnahme von Bismarck geben soll?
Lappenküper: Ich war völlig begeistert, zumal wir uns seit Jahren selbst darum bemüht haben, diese Tonaufnahme wieder ausfindig zu machen. Wir wussten ja um die Existenz, aber alle Bemühungen, diesen Zylinder, diese Kiste wieder aufzufinden, waren leider bisher vergeblich. Glücklicherweise ist nun die Suche zu einem glücklichen Ende geführt worden.
Kapern: Wissen Sie, warum sich Bismarck diesen Phonographen zeigen ließ?
Lappenküper: Der Hintergrund war eine Ausstellung in Berlin, eine große Technikausstellung in Berlin, und Thomas Alva Edison hat seinen Mitarbeiter Wangemann nach Europa auf eine, ich nenne es einmal so, Promotiontour geschickt, um dieses Gerät, den Phonographen, der ja für die damalige Zeit sensationell modern war, vorzuführen. Wangemann hat dort offensichtlich ob seiner sehr guten Kontakte mit verschiedenen hochmögenden Persönlichkeiten Kontakt aufgenommen, unter anderem beim Kaiser vorgesprochen, bei den Kronprinzen, bei Generalfeldmarschall Moltke und unter anderem auch bei Bismarck, der zu dem Zeitpunkt hier in Friedrichsruh weilte, und deshalb hat Wangemann ihn hier in Friedrichsruh bei Hamburg aufgesucht.
Kapern: Otto von Bismarck - das Bild, das man vor sich sieht, ist das eines knorrigen Junkers, stockkonservativ. Hatte der was übrig für neumodische Dinge wie einen Phonographen? War er technikaffin, wie man heute sagen würde?
Lappenküper: Ob er technikaffin war, mag ich so nicht zu beantworten. Gleichwohl wird man sagen müssen, dass er sich selbst sehr wohl der neuen technischen Möglichkeiten in der Industrie und in auch anderen Lebensbereichen bedient hat. Man denke nur daran, dass er ja nicht nur Staatsmann war, sondern auch ein Unternehmer, ein Unternehmer in der Holzwirtschaft, und mit seinen eigenen Fabriken in Varzin oder auch in Friedrichsruh, Sägewerke, Wasserwerke, hat er sich neuer technischer Möglichkeiten bedient. Und die Tatsache, dass er den Herrn Wangemann in Friedrichsruh empfangen hat, deutet ja darauf hin, dass er sehr wohl ein besonderes Interesse gegenüber diesem neuen Medium einer Tonaufnahme besessen hat.
Kapern: Wir haben uns hier, Herr Lappenküper, in der Redaktion wirklich alle Mühe gegeben, herauszuhören, was Bismarck da sagt. Geschafft haben wir es nicht. Was genau ist auf der Walze, die zur Aufzeichnung benutzt wurde, zu hören?
Lappenküper: Die Aufnahme selbst dauert ja nur eine gute Minute, und es sind im Prinzip fünf kurze Stücke. Bismarck beginnt mit einem amerikanischen Volkslied, was ganz offensichtlich als Referenz an seinen Gast zu werten sein dürfte.
Kapern: Singt er es?
Lappenküper: Nein, er singt es nicht. - Nein, er singt es nicht, sondern er zitiert es, er rezitiert das Gedicht. - Danach kommt ein deutsches Gedicht, Kaiser Rotbart lobesam, ein Studentenlied, berühmt und gewissermaßen auch berüchtigt, "Gaudeamus igitur" - auch das singt er nicht, sondern er rezitiert. Schließlich - und das ist für uns als Wissenschaftler und als Stiftung gewissermaßen das Elektrisierendste - die Marseillaise, also die französische Nationalhymne, die er auch nicht singt, sondern rezitiert. Und zum Schluss, zum Abschluss ein Rat des Vaters an einen Sohn - so hat er das selbst genannt, ohne einen Namen zu nennen, aber er dürfte dabei seinen ältesten Sohn Herbert von Bismarck, damals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, gemeint haben.
Kapern: Schauen wir zunächst noch mal auf das Zitat aus der Marseillaise. Warum elektrisiert Sie das so sehr?
Lappenküper: Die Tatsache, dass ausgerechnet der deutsche Staatsmann, der die Reichsgründung auf dem Wege verschiedener Kriege und eben auch eines Krieges gegen Frankreich errungen hat, nun sich hier der französischen Sprache bedient - er zitiert, rezitiert die Marseillaise in französischer Sprache -, ist ja durchaus nicht gewöhnlich. Man könnte sich ja die Frage stellen, warum hat sich Bismarck ausgerechnet auf dieses französische Lied hier im Rahmen seines kleinen lyrischen Kanons und Spaziergangs gestützt. Die Frage ist im Prinzip nicht zu beantworten. Ganz generell wird man sicherlich sagen können, dass er hier in verschiedenen, immerhin drei Sprachen spricht, Amerikanisch, Deutsch, Latein und Französisch, also seine Sprachmächtigkeit, seine Französisch- oder Fremdsprachmächtigkeit dokumentiert, und darüber hinaus, meine Vermutung, wird man ohnehin alle Kurzzitate mit einem gewissen Augenzwinkern sehen müssen. Es gibt keine politischen Ratschläge, die der Reichskanzler hier auf die Walze bringt und dann in die Ewigkeit hinaussendet, sondern es sind ja Anwandlungen beziehungsweise Verbindungen zur "literarischen Szene", Gedichte, Lieder, die Marseillaise und zum Abschluss eben der Rat an den Sohn.
Kapern: Hinter der Marseillaise, steckt da tatsächlich ein Augenzwinkern dahinter, oder klingt da die Häme des Siegers durch?
Lappenküper: Ich sehe keine Häme und auch nicht die Häme des Siegers. Nein, ich glaube nicht, dass Bismarck hier in der Tat subkutan ein politisches Signal glaubte, senden zu müssen.
Kapern: Welchen Rat erteilt Bismarck denn seinem ältesten Sohn?
Lappenküper: In besonderer Weise den Rat zum Maßhalten, was ja fast an Ludwig Erhard erinnern mag - das Maßhalten in Bezug auf die Arbeit, aufs Trinken und aufs Essen. Auch das - ich sagte vorhin schon, alles wird mit einem gewissen Augenzwinkern gehört werden müssen - insofern besonders interessant, weil ja Bismarck selbst nicht unbedingt als ein Mann des Maßhaltens in Bezug auf die Arbeit, auf das Essen und aufs Trinken in die Weltgeschichte eingegangen ist.
Kapern: Champagner war sein Lieblingsgetränk, wenn ich mich recht entsinne?
Lappenküper: So hört man und so liest man.
Kapern: War er eigentlich nach heutigen Maßstäben alkoholkrank?
Lappenküper: Nein. Er war in der Tat von vielen Krankheiten, ob eingebildeten oder tatsächlichen, heimgesucht. Aber aus meiner Sicht, soweit ich es zumindest aus den Quellen entnommen habe, wird man hier nicht von einer Alkoholkrankheit sprechen können.
Kapern: Nun gibt es viele Urteile über Bismarck, Urteile seiner Zeitgenossen. Eines beispielsweise lautet, er war ein furchtbar schlechter Redner gewesen und habe eine Fistelstimme gehabt, eine hohe Fistelstimme, die überhaupt nicht zu seiner Körperfülle und seiner Statur passte. Deckt sich das mit dem, was Sie da auf der Walze hören?
Lappenküper: Also man wird das sicherlich mit aller Vorsicht beantworten müssen. Aber so wie ich diese natürlich von der Qualität her wirklich schlechte Aufnahme gehört habe, fühle ich mich hier nicht bestätigt in dem Bild, das ich bisher von Bismarcks Stimme gehabt habe. Es ist aus meiner Sicht keine hohe, mitunter sagt man ja sogar feminine oder fistelige Stimme, sondern ich höre sie durchaus als kräftige Stimme. Ob sie hoch oder tief klang, das soll jeder für sich selbst entscheiden, aber aus meiner Sicht wird dieses Bild, das man bisher von der Stimme aus den Quellen - und andere Möglichkeiten haben wir nicht -, aus den verschriftlichten Quellen gehabt hat, nicht bestätigt.
Kapern: Herr Lappenküper, haben Sie jetzt, nachdem Sie diese kurze Tonaufnahme gehört haben, vor Ihrem inneren Auge einen anderen Bismarck als vorher?
Lappenküper: Es ist ein Bismarck, der in Bezug auf die Stimme anders einzuschätzen sein dürfte - mit aller Vorsicht zu versehen -, und zum Zweiten ein Bismarck, der hier durchaus ja auch eine humoristische Seite demonstriert. Es ist von daher kein für mich vollständig neues Bismarck-Bild - das könnte auch von einer solchen einzigen Aufnahme kaum zu erwarten sein -, aber es ist ein Element, eine Facette, die Bismarck durchaus bereichert, oder das Bismarck-Bild, das wir bisher oder das ich persönlich bisher von ihm gehabt habe.
Kapern: Professor Ulrich Lappenküper, der Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh. Herr Lappenküper, danke für Ihre Eindrücke und Informationen. Auf Wiederhören!
Lappenküper: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Linktipp
Auf der Webseite der US-Nationalparks finden sich ein ausführliches Transkript der Tonaufnahmen, eine historische Einordnung auf Englisch sowie MP3s zum Nachhören und Herunterladen: Prince Bismarck and Count Moltke Before the Recording Horn: The Edison Phonograph in Europe, 1889-1890
Was hat es nun mit dieser Aufnahme auf sich? - Ende der 1880er-Jahre hat Thomas Alva Edison in den USA einen Apparat erfunden, mit dem man Stimmen aufnehmen konnte - den sogenannten Phonographen. Der legendäre Erfinder schickte dann einen Mitarbeiter, den deutschstämmigen Ingenieur Adalbert Theodor Edward Wangemann durch die Welt, um diese Wunderkiste vorzuführen. Dass auch Bismarck sich den Phonographen zeigen ließ, das wusste man bereits. Die Tonaufnahme galt aber als verschollen. Jetzt aber ist sie in einer Holzkiste im Edison-Archiv in den USA aufgetaucht. - Bei uns am Telefon ist jetzt Professor Ulrich Lappenküper, der Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh. Guten Tag.
Ulrich Lappenküper: Ich grüße Sie.
Kapern: Herr Lappenküper, was war Ihr erster Gedanke, als Sie gehört haben, dass es da eine Tonaufnahme von Bismarck geben soll?
Lappenküper: Ich war völlig begeistert, zumal wir uns seit Jahren selbst darum bemüht haben, diese Tonaufnahme wieder ausfindig zu machen. Wir wussten ja um die Existenz, aber alle Bemühungen, diesen Zylinder, diese Kiste wieder aufzufinden, waren leider bisher vergeblich. Glücklicherweise ist nun die Suche zu einem glücklichen Ende geführt worden.
Kapern: Wissen Sie, warum sich Bismarck diesen Phonographen zeigen ließ?
Lappenküper: Der Hintergrund war eine Ausstellung in Berlin, eine große Technikausstellung in Berlin, und Thomas Alva Edison hat seinen Mitarbeiter Wangemann nach Europa auf eine, ich nenne es einmal so, Promotiontour geschickt, um dieses Gerät, den Phonographen, der ja für die damalige Zeit sensationell modern war, vorzuführen. Wangemann hat dort offensichtlich ob seiner sehr guten Kontakte mit verschiedenen hochmögenden Persönlichkeiten Kontakt aufgenommen, unter anderem beim Kaiser vorgesprochen, bei den Kronprinzen, bei Generalfeldmarschall Moltke und unter anderem auch bei Bismarck, der zu dem Zeitpunkt hier in Friedrichsruh weilte, und deshalb hat Wangemann ihn hier in Friedrichsruh bei Hamburg aufgesucht.
Kapern: Otto von Bismarck - das Bild, das man vor sich sieht, ist das eines knorrigen Junkers, stockkonservativ. Hatte der was übrig für neumodische Dinge wie einen Phonographen? War er technikaffin, wie man heute sagen würde?
Lappenküper: Ob er technikaffin war, mag ich so nicht zu beantworten. Gleichwohl wird man sagen müssen, dass er sich selbst sehr wohl der neuen technischen Möglichkeiten in der Industrie und in auch anderen Lebensbereichen bedient hat. Man denke nur daran, dass er ja nicht nur Staatsmann war, sondern auch ein Unternehmer, ein Unternehmer in der Holzwirtschaft, und mit seinen eigenen Fabriken in Varzin oder auch in Friedrichsruh, Sägewerke, Wasserwerke, hat er sich neuer technischer Möglichkeiten bedient. Und die Tatsache, dass er den Herrn Wangemann in Friedrichsruh empfangen hat, deutet ja darauf hin, dass er sehr wohl ein besonderes Interesse gegenüber diesem neuen Medium einer Tonaufnahme besessen hat.
Kapern: Wir haben uns hier, Herr Lappenküper, in der Redaktion wirklich alle Mühe gegeben, herauszuhören, was Bismarck da sagt. Geschafft haben wir es nicht. Was genau ist auf der Walze, die zur Aufzeichnung benutzt wurde, zu hören?
Lappenküper: Die Aufnahme selbst dauert ja nur eine gute Minute, und es sind im Prinzip fünf kurze Stücke. Bismarck beginnt mit einem amerikanischen Volkslied, was ganz offensichtlich als Referenz an seinen Gast zu werten sein dürfte.
Kapern: Singt er es?
Lappenküper: Nein, er singt es nicht. - Nein, er singt es nicht, sondern er zitiert es, er rezitiert das Gedicht. - Danach kommt ein deutsches Gedicht, Kaiser Rotbart lobesam, ein Studentenlied, berühmt und gewissermaßen auch berüchtigt, "Gaudeamus igitur" - auch das singt er nicht, sondern er rezitiert. Schließlich - und das ist für uns als Wissenschaftler und als Stiftung gewissermaßen das Elektrisierendste - die Marseillaise, also die französische Nationalhymne, die er auch nicht singt, sondern rezitiert. Und zum Schluss, zum Abschluss ein Rat des Vaters an einen Sohn - so hat er das selbst genannt, ohne einen Namen zu nennen, aber er dürfte dabei seinen ältesten Sohn Herbert von Bismarck, damals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, gemeint haben.
Kapern: Schauen wir zunächst noch mal auf das Zitat aus der Marseillaise. Warum elektrisiert Sie das so sehr?
Lappenküper: Die Tatsache, dass ausgerechnet der deutsche Staatsmann, der die Reichsgründung auf dem Wege verschiedener Kriege und eben auch eines Krieges gegen Frankreich errungen hat, nun sich hier der französischen Sprache bedient - er zitiert, rezitiert die Marseillaise in französischer Sprache -, ist ja durchaus nicht gewöhnlich. Man könnte sich ja die Frage stellen, warum hat sich Bismarck ausgerechnet auf dieses französische Lied hier im Rahmen seines kleinen lyrischen Kanons und Spaziergangs gestützt. Die Frage ist im Prinzip nicht zu beantworten. Ganz generell wird man sicherlich sagen können, dass er hier in verschiedenen, immerhin drei Sprachen spricht, Amerikanisch, Deutsch, Latein und Französisch, also seine Sprachmächtigkeit, seine Französisch- oder Fremdsprachmächtigkeit dokumentiert, und darüber hinaus, meine Vermutung, wird man ohnehin alle Kurzzitate mit einem gewissen Augenzwinkern sehen müssen. Es gibt keine politischen Ratschläge, die der Reichskanzler hier auf die Walze bringt und dann in die Ewigkeit hinaussendet, sondern es sind ja Anwandlungen beziehungsweise Verbindungen zur "literarischen Szene", Gedichte, Lieder, die Marseillaise und zum Abschluss eben der Rat an den Sohn.
Kapern: Hinter der Marseillaise, steckt da tatsächlich ein Augenzwinkern dahinter, oder klingt da die Häme des Siegers durch?
Lappenküper: Ich sehe keine Häme und auch nicht die Häme des Siegers. Nein, ich glaube nicht, dass Bismarck hier in der Tat subkutan ein politisches Signal glaubte, senden zu müssen.
Kapern: Welchen Rat erteilt Bismarck denn seinem ältesten Sohn?
Lappenküper: In besonderer Weise den Rat zum Maßhalten, was ja fast an Ludwig Erhard erinnern mag - das Maßhalten in Bezug auf die Arbeit, aufs Trinken und aufs Essen. Auch das - ich sagte vorhin schon, alles wird mit einem gewissen Augenzwinkern gehört werden müssen - insofern besonders interessant, weil ja Bismarck selbst nicht unbedingt als ein Mann des Maßhaltens in Bezug auf die Arbeit, auf das Essen und aufs Trinken in die Weltgeschichte eingegangen ist.
Kapern: Champagner war sein Lieblingsgetränk, wenn ich mich recht entsinne?
Lappenküper: So hört man und so liest man.
Kapern: War er eigentlich nach heutigen Maßstäben alkoholkrank?
Lappenküper: Nein. Er war in der Tat von vielen Krankheiten, ob eingebildeten oder tatsächlichen, heimgesucht. Aber aus meiner Sicht, soweit ich es zumindest aus den Quellen entnommen habe, wird man hier nicht von einer Alkoholkrankheit sprechen können.
Kapern: Nun gibt es viele Urteile über Bismarck, Urteile seiner Zeitgenossen. Eines beispielsweise lautet, er war ein furchtbar schlechter Redner gewesen und habe eine Fistelstimme gehabt, eine hohe Fistelstimme, die überhaupt nicht zu seiner Körperfülle und seiner Statur passte. Deckt sich das mit dem, was Sie da auf der Walze hören?
Lappenküper: Also man wird das sicherlich mit aller Vorsicht beantworten müssen. Aber so wie ich diese natürlich von der Qualität her wirklich schlechte Aufnahme gehört habe, fühle ich mich hier nicht bestätigt in dem Bild, das ich bisher von Bismarcks Stimme gehabt habe. Es ist aus meiner Sicht keine hohe, mitunter sagt man ja sogar feminine oder fistelige Stimme, sondern ich höre sie durchaus als kräftige Stimme. Ob sie hoch oder tief klang, das soll jeder für sich selbst entscheiden, aber aus meiner Sicht wird dieses Bild, das man bisher von der Stimme aus den Quellen - und andere Möglichkeiten haben wir nicht -, aus den verschriftlichten Quellen gehabt hat, nicht bestätigt.
Kapern: Herr Lappenküper, haben Sie jetzt, nachdem Sie diese kurze Tonaufnahme gehört haben, vor Ihrem inneren Auge einen anderen Bismarck als vorher?
Lappenküper: Es ist ein Bismarck, der in Bezug auf die Stimme anders einzuschätzen sein dürfte - mit aller Vorsicht zu versehen -, und zum Zweiten ein Bismarck, der hier durchaus ja auch eine humoristische Seite demonstriert. Es ist von daher kein für mich vollständig neues Bismarck-Bild - das könnte auch von einer solchen einzigen Aufnahme kaum zu erwarten sein -, aber es ist ein Element, eine Facette, die Bismarck durchaus bereichert, oder das Bismarck-Bild, das wir bisher oder das ich persönlich bisher von ihm gehabt habe.
Kapern: Professor Ulrich Lappenküper, der Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh. Herr Lappenküper, danke für Ihre Eindrücke und Informationen. Auf Wiederhören!
Lappenküper: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Linktipp
Auf der Webseite der US-Nationalparks finden sich ein ausführliches Transkript der Tonaufnahmen, eine historische Einordnung auf Englisch sowie MP3s zum Nachhören und Herunterladen: Prince Bismarck and Count Moltke Before the Recording Horn: The Edison Phonograph in Europe, 1889-1890