Zwar hat Bürokratie einen schalen Beigeschmack. Doch effiziente staatliche Verwaltungsstrukturen schätzen selbst jene, die vom Staat gemeinhin am wenigsten wissen wollen: die Unternehmer. Ansonsten beanspruchen diese regelmäßige Effizienz für sich alleine: Nur die Wirtschaft kann ordentlich wirtschaften. Wenn dann die Banken kollabieren, greift der Staat seinerseits wieder mit seiner Verwaltungsmacht ein. Sind somit beide, Staat und Wirtschaft hochmodern an rein sachlichen Methoden der Rationalisierung von Organisationsstrukturen orientiert?
Das bezweifelt Giorgio Agamben in seinem Buch "Herrschaft und Herrlichkeit", das den wunderlichen Untertitel trägt "Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung". Mag ja Politik und Theologie gelegentlich miteinander zu tun haben. Was aber hat Ökonomie mit Religion gemein? Doch dem hält Agamben entgegen:
"Indem die Moderne Gott aus der Welt verbannt hat, ist sie nicht nur nicht der Theologie entkommen, sondern hat gleichsam nichts anderes gemacht, als das Projekt (..) zu vollenden."
Dass Gott die Welt beherrscht, und zwar durch die lenkende göttliche Vorsehung, ein solcher Gedanke findet sich bereits bei antiken Philosophen. Doch die christlichen Vordenker entwickeln daraus eine konzentrierte göttliche Macht, die die Welt ordnet und erhält.
Aber was hat das mit der modernen Ökonomie zu tun, in der jeder seinen ökonomischen Vorteil sucht? Steht hier nicht das Chaos kapitalistischen Wirtschaftens jeder göttlichen Ordnung entgegen? Doch der klassische Liberalismus ging davon aus, dass dieses Chaos konkurrierender Interessen von einer hintergründigen Ordnung zum allgemeinen Wohl geführt wird. Adam Smith schreibt 1776:
"Jeder einzelne, hat (..), indem er seine Gewerbetätigkeit in solch einer Weise lenkt, dass ihr Ertrag den höchsten Wert erlangen kann, lediglich seinen eigenen Gewinn im Auge. Er wird hierbei wie in vielen anderen Fällen durch eine unsichtbare Hand geleitet, einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat."
Mag man im 18. Jahrhundert noch an eine unsichtbare hintergründig lenkende Hand glauben. Aber redet davon heute noch jemand?
Doch woher nimmt der Neoliberalismus des 20. Jahrhunderts, der staatliche Lenkung weitgehend ablehnt, das Vertrauen, dass durch dieses freie Spiel der Kräfte am Ende den allermeisten gedient sei? Agambens Antwort lautet, dass dergleichen auf Gottvertrauen beruht.
Nicht nur, dass die These von der unsichtbaren Hand schon Augustin formuliert und zwar mit den Worten:
So "regiert und verwaltet Gott die Welt im Kleinen wie im Großen mit einem versteckten Fingerzeig."
Ähnliches findet man bei Thomas von Aquin oder Martin Luther. So klingt es keineswegs absurd, wenn Agamben bemerkt:
"Bloß weil die Moderne den göttlichen Pol außer Kraft setzt, hat sich die daraus hervorgehende Ökonomie deshalb noch lange nicht vom Vorsehungsparadigma befreit."
Ob christliche mittelalterliche Ökonomie oder moderne Wissenschaften, beide gehen von einer Naturordnung aus, die durch Naturgesetze geregelt wird, die damit einer natürlichen Ökonomie folgt, in der selbst das scheinbar Böse, der Egoismus noch heute zum Guten, zum allgemeinen Wohl beiträgt.
Zugleich stellt das ein Grundproblem christlicher Dogmatik dar: Wieso lässt der allmächtige und liebende Gott das schlimmste Übel zu? Diese theologische Grundfrage führte nach Agamben zur christlichen Trinitätslehre und damit zur Trennung der Herrschaft Gottes, des Vaters, von der Regierung des Sohnes mittels heiligem Geist, genauer den Engeln als den Beamten der göttlichen Regierung, die überall in die Ökonomie der Welt unsichtbar eingreifen. Agamben schreibt:
"Ökonomische und theologische Denkweise müssen gleichsam als 'gegenstrebige Fügung' funktionieren, damit weder die Ökonomie des Sohns geleugnet noch eine Spaltung des Wesens Gottes bewirkt wird."
So treten souveräne Herrschaft Gottes und ökonomische Regierung des Sohnes auseinander, was sich in der Entwicklung der modernen Staaten spiegelt.
Agamben greift dabei auf die Lehre Carl Schmitts zurück, dass derjenige Souverän ist, der über den Ausnahmezustand entscheidet und damit zugleich über Freund und Feind eines Staates bzw. eines Volkes. Doch entgegen vieler Kritiker erweist sich dieser Rückgriff nicht als ein positiv zu verstehender Anschluss an Carl Schmitt:
"Unsere Untersuchung hat nämlich gezeigt, dass das wahre Problem (..) der Politik nicht die Souveränität, sondern die Regierung, nicht Gott, sondern die Engel, nicht der König, sondern die Minister, nicht das Gesetz, sondern die Polizei ist – kurz, die Regierungsmaschine, die letztere bilden und in Bewegung halten."
In der Trinitätslehre tritt Gottvater als Souverän in den Hintergrund und damit die Souveränität, die Carl Schmitt betont. In den Vordergrund rückt die ökonomische Verwaltungstätigkeit der Engel, die sich bis heute im liberalen Staat allerdings gerne des Ausnahmezustands bzw. der Ein- und der Ausgrenzung bedient. Doch diese theologische Erbschaft ist bisher kaum wahrgenommen worden. So warnt Agamben:
"Am unheilvollsten wirkte sich dieses im Gewand politischer Legitimierung auftretende theologische Dispositiv dadurch aus, dass es die demokratische Tradition dauerhaft daran hinderte, die Regierung und ihre Ökonomie (..) zu denken."
Agamben schließt damit an Michel Foucault an, der den modernen Staat primär als Verwaltungsstaat begreift, der seinen Bürgern dadurch dient, dass er sie ökonomisch, medizinisch oder polizeilich lenkt. Doch dort, wo Foucault diese Staatstätigkeit nur vage aus dem christlichen Pastorat herleitet – der Hirte, der seine Schafe hütet – geht Agamben erheblich weiter und präziser zurück in die christliche Theologie, leitet damit moderne Ökonomie und Staatstätigkeit genealogisch, das heißt aus ihrem vermeintlichen Gegenteil, eben der christlichen Trinitätslehre her. Agamben bemerkt:
"Um so merkwürdiger ist es, dass in der Vorlesung von 1977-1978 jeglicher Hinweis auf den Begriff der Vorsehung fehlt. Wie wir noch sehen werden, waren die Theorien Keplers, Galileis, (..), auf die Foucault sich bezieht, letztlich nichts anderes als eine Radikalisierung der Unterscheidung zwischen allgemeiner und besonderer Vorsehung, in die die Theologen den Gegensatz von Herrschaft und Regierung für ihre Zwecke übertragen hatten."
Daher verliert auch die Repräsentation dieser Herrschaft an Bedeutung, die Herrlichkeit, mit der sich Herrscher immer umgeben. Doch damit ist sie keineswegs verschwunden. Die nüchterne Administration bedarf der Vermittlung ihrer Tätigkeit, was heute die Medien übernehmen. So wirft Agamben Jürgen Habermas vor, dass seine Konzepte einer kommunikativen und konsensorientierten Demokratie
"die politische Macht in die Hände der Experten und der Medien geben. (..) In dieser Verflechtung laufen die 'demokratischen', laizistischen Theoretiker des kommunikativen Handelns Gefahr, sich Seite an Seite mit konservativen Denkern der Akklamation wie Schmitt (..) wiederzufinden."
Für Carl Schmitt erkennen die Bürger die politische Macht durch Akklamation an, die nach Agamben wesentlich eine liturgische Herkunft hat. Doch davon unterscheidet sich die moderne Demokratie der Meinungsumfragen nach Agamben nicht wesentlich. Er kritisiert also beide, die Vertreter eines autoritären Staates und die einer Konsens-Demokratie.
Carl Schmitt schreibt 1922 in seiner Schrift "Politische Theologie – Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität" den berühmten Satz:
"Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe."
Aus ihrer theologischen Herkunft ergibt sich für Carl Schmitt die eigentliche Wahrheit der politischen Begriffe. Wenn Agamben Ökonomie und Staat ebenfalls auf die christliche Vorsehungslehre zurückführt, zeigt sich darin jedoch nicht ihr wahrer Kern, sondern entlarvt sich ein modernes politisches Verständnis als auf Sand gebaut und nicht auf einen Felsen. Agamben ist also trotzdem von Schmitt viel weiter entfernt als von Habermas.
Agamben führt auch längst nicht alles auf religiöse Ursprünge zurück. In der kleinen Schrift "Das Sakrament der Sprache – eine Archäologie des Eides" führt er vielmehr die Eigenart der menschlichen Sprache auf die primär ethisch orientierte Kraft zurück, etwas zu versprechen und mit dem eigenen Leben dafür zu bürgen. Wer etwas verspricht, der tut damit etwas, besitzt die Sprache eine besondere Fähigkeit zu handeln, also eine performative Kraft. Doch jetzt erfolgt die überraschende Wende, wenn Agamben schreibt:
"Die Gelehrten haben das Institut des Eids auf mehr oder weniger explizite Art und Weise beständig unter Bezugnahme auf die magisch-religiöse Sphäre gedeutet, (..). Wir hingegen nehmen das genaue Gegenteil an: Die magisch-religiöse Sphäre geht dem Eid logisch nicht voraus, sondern umgekehrt vermag gerade der Eid als ursprüngliche performative Erfahrung des Wortes die Religion zu erklären."
So setzt Agamben das provokative Denken Michel Foucaults fort, mit dem man bei vielen etablierten Intellektuellen in Deutschland nach wie vor aneckt.
Giorgio Agamben: Herrschaft und Herrlichkeit – Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung
Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko
Suhrkamp Verlag, Berlin
Giorgio Agamben: Das Sakrament der Sprache – eine Archäologie des Eides
Aus dem Italienischen von Stefanie Günther
Suhrkamp Verlag, Berlin
Das bezweifelt Giorgio Agamben in seinem Buch "Herrschaft und Herrlichkeit", das den wunderlichen Untertitel trägt "Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung". Mag ja Politik und Theologie gelegentlich miteinander zu tun haben. Was aber hat Ökonomie mit Religion gemein? Doch dem hält Agamben entgegen:
"Indem die Moderne Gott aus der Welt verbannt hat, ist sie nicht nur nicht der Theologie entkommen, sondern hat gleichsam nichts anderes gemacht, als das Projekt (..) zu vollenden."
Dass Gott die Welt beherrscht, und zwar durch die lenkende göttliche Vorsehung, ein solcher Gedanke findet sich bereits bei antiken Philosophen. Doch die christlichen Vordenker entwickeln daraus eine konzentrierte göttliche Macht, die die Welt ordnet und erhält.
Aber was hat das mit der modernen Ökonomie zu tun, in der jeder seinen ökonomischen Vorteil sucht? Steht hier nicht das Chaos kapitalistischen Wirtschaftens jeder göttlichen Ordnung entgegen? Doch der klassische Liberalismus ging davon aus, dass dieses Chaos konkurrierender Interessen von einer hintergründigen Ordnung zum allgemeinen Wohl geführt wird. Adam Smith schreibt 1776:
"Jeder einzelne, hat (..), indem er seine Gewerbetätigkeit in solch einer Weise lenkt, dass ihr Ertrag den höchsten Wert erlangen kann, lediglich seinen eigenen Gewinn im Auge. Er wird hierbei wie in vielen anderen Fällen durch eine unsichtbare Hand geleitet, einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat."
Mag man im 18. Jahrhundert noch an eine unsichtbare hintergründig lenkende Hand glauben. Aber redet davon heute noch jemand?
Doch woher nimmt der Neoliberalismus des 20. Jahrhunderts, der staatliche Lenkung weitgehend ablehnt, das Vertrauen, dass durch dieses freie Spiel der Kräfte am Ende den allermeisten gedient sei? Agambens Antwort lautet, dass dergleichen auf Gottvertrauen beruht.
Nicht nur, dass die These von der unsichtbaren Hand schon Augustin formuliert und zwar mit den Worten:
So "regiert und verwaltet Gott die Welt im Kleinen wie im Großen mit einem versteckten Fingerzeig."
Ähnliches findet man bei Thomas von Aquin oder Martin Luther. So klingt es keineswegs absurd, wenn Agamben bemerkt:
"Bloß weil die Moderne den göttlichen Pol außer Kraft setzt, hat sich die daraus hervorgehende Ökonomie deshalb noch lange nicht vom Vorsehungsparadigma befreit."
Ob christliche mittelalterliche Ökonomie oder moderne Wissenschaften, beide gehen von einer Naturordnung aus, die durch Naturgesetze geregelt wird, die damit einer natürlichen Ökonomie folgt, in der selbst das scheinbar Böse, der Egoismus noch heute zum Guten, zum allgemeinen Wohl beiträgt.
Zugleich stellt das ein Grundproblem christlicher Dogmatik dar: Wieso lässt der allmächtige und liebende Gott das schlimmste Übel zu? Diese theologische Grundfrage führte nach Agamben zur christlichen Trinitätslehre und damit zur Trennung der Herrschaft Gottes, des Vaters, von der Regierung des Sohnes mittels heiligem Geist, genauer den Engeln als den Beamten der göttlichen Regierung, die überall in die Ökonomie der Welt unsichtbar eingreifen. Agamben schreibt:
"Ökonomische und theologische Denkweise müssen gleichsam als 'gegenstrebige Fügung' funktionieren, damit weder die Ökonomie des Sohns geleugnet noch eine Spaltung des Wesens Gottes bewirkt wird."
So treten souveräne Herrschaft Gottes und ökonomische Regierung des Sohnes auseinander, was sich in der Entwicklung der modernen Staaten spiegelt.
Agamben greift dabei auf die Lehre Carl Schmitts zurück, dass derjenige Souverän ist, der über den Ausnahmezustand entscheidet und damit zugleich über Freund und Feind eines Staates bzw. eines Volkes. Doch entgegen vieler Kritiker erweist sich dieser Rückgriff nicht als ein positiv zu verstehender Anschluss an Carl Schmitt:
"Unsere Untersuchung hat nämlich gezeigt, dass das wahre Problem (..) der Politik nicht die Souveränität, sondern die Regierung, nicht Gott, sondern die Engel, nicht der König, sondern die Minister, nicht das Gesetz, sondern die Polizei ist – kurz, die Regierungsmaschine, die letztere bilden und in Bewegung halten."
In der Trinitätslehre tritt Gottvater als Souverän in den Hintergrund und damit die Souveränität, die Carl Schmitt betont. In den Vordergrund rückt die ökonomische Verwaltungstätigkeit der Engel, die sich bis heute im liberalen Staat allerdings gerne des Ausnahmezustands bzw. der Ein- und der Ausgrenzung bedient. Doch diese theologische Erbschaft ist bisher kaum wahrgenommen worden. So warnt Agamben:
"Am unheilvollsten wirkte sich dieses im Gewand politischer Legitimierung auftretende theologische Dispositiv dadurch aus, dass es die demokratische Tradition dauerhaft daran hinderte, die Regierung und ihre Ökonomie (..) zu denken."
Agamben schließt damit an Michel Foucault an, der den modernen Staat primär als Verwaltungsstaat begreift, der seinen Bürgern dadurch dient, dass er sie ökonomisch, medizinisch oder polizeilich lenkt. Doch dort, wo Foucault diese Staatstätigkeit nur vage aus dem christlichen Pastorat herleitet – der Hirte, der seine Schafe hütet – geht Agamben erheblich weiter und präziser zurück in die christliche Theologie, leitet damit moderne Ökonomie und Staatstätigkeit genealogisch, das heißt aus ihrem vermeintlichen Gegenteil, eben der christlichen Trinitätslehre her. Agamben bemerkt:
"Um so merkwürdiger ist es, dass in der Vorlesung von 1977-1978 jeglicher Hinweis auf den Begriff der Vorsehung fehlt. Wie wir noch sehen werden, waren die Theorien Keplers, Galileis, (..), auf die Foucault sich bezieht, letztlich nichts anderes als eine Radikalisierung der Unterscheidung zwischen allgemeiner und besonderer Vorsehung, in die die Theologen den Gegensatz von Herrschaft und Regierung für ihre Zwecke übertragen hatten."
Daher verliert auch die Repräsentation dieser Herrschaft an Bedeutung, die Herrlichkeit, mit der sich Herrscher immer umgeben. Doch damit ist sie keineswegs verschwunden. Die nüchterne Administration bedarf der Vermittlung ihrer Tätigkeit, was heute die Medien übernehmen. So wirft Agamben Jürgen Habermas vor, dass seine Konzepte einer kommunikativen und konsensorientierten Demokratie
"die politische Macht in die Hände der Experten und der Medien geben. (..) In dieser Verflechtung laufen die 'demokratischen', laizistischen Theoretiker des kommunikativen Handelns Gefahr, sich Seite an Seite mit konservativen Denkern der Akklamation wie Schmitt (..) wiederzufinden."
Für Carl Schmitt erkennen die Bürger die politische Macht durch Akklamation an, die nach Agamben wesentlich eine liturgische Herkunft hat. Doch davon unterscheidet sich die moderne Demokratie der Meinungsumfragen nach Agamben nicht wesentlich. Er kritisiert also beide, die Vertreter eines autoritären Staates und die einer Konsens-Demokratie.
Carl Schmitt schreibt 1922 in seiner Schrift "Politische Theologie – Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität" den berühmten Satz:
"Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe."
Aus ihrer theologischen Herkunft ergibt sich für Carl Schmitt die eigentliche Wahrheit der politischen Begriffe. Wenn Agamben Ökonomie und Staat ebenfalls auf die christliche Vorsehungslehre zurückführt, zeigt sich darin jedoch nicht ihr wahrer Kern, sondern entlarvt sich ein modernes politisches Verständnis als auf Sand gebaut und nicht auf einen Felsen. Agamben ist also trotzdem von Schmitt viel weiter entfernt als von Habermas.
Agamben führt auch längst nicht alles auf religiöse Ursprünge zurück. In der kleinen Schrift "Das Sakrament der Sprache – eine Archäologie des Eides" führt er vielmehr die Eigenart der menschlichen Sprache auf die primär ethisch orientierte Kraft zurück, etwas zu versprechen und mit dem eigenen Leben dafür zu bürgen. Wer etwas verspricht, der tut damit etwas, besitzt die Sprache eine besondere Fähigkeit zu handeln, also eine performative Kraft. Doch jetzt erfolgt die überraschende Wende, wenn Agamben schreibt:
"Die Gelehrten haben das Institut des Eids auf mehr oder weniger explizite Art und Weise beständig unter Bezugnahme auf die magisch-religiöse Sphäre gedeutet, (..). Wir hingegen nehmen das genaue Gegenteil an: Die magisch-religiöse Sphäre geht dem Eid logisch nicht voraus, sondern umgekehrt vermag gerade der Eid als ursprüngliche performative Erfahrung des Wortes die Religion zu erklären."
So setzt Agamben das provokative Denken Michel Foucaults fort, mit dem man bei vielen etablierten Intellektuellen in Deutschland nach wie vor aneckt.
Giorgio Agamben: Herrschaft und Herrlichkeit – Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung
Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko
Suhrkamp Verlag, Berlin
Giorgio Agamben: Das Sakrament der Sprache – eine Archäologie des Eides
Aus dem Italienischen von Stefanie Günther
Suhrkamp Verlag, Berlin