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Eine Frage der Haftung

Ob Sand, Geröll, Gras oder gar Bäume: Schlangen bewegen sich über fast jedes Terrain scheinbar mühelos. Wie sie das machen, interessiert besonders Roboterkonstrukteure, die von den Reptilien lernen wollen. Ein US-Forscher, der das Geschlängel untersucht, hat nun neue Einsichten präsentiert.

Von Ralf Krauter | 28.02.2012
    Mit einem Vortrag über Reibungskoeffizienten lockt man selbst auf einer Physikertagung eigentlich keinen hinterm Ofen hervor. Dass die Zuhörer dem Ingenieur Hamid Marvi dennoch gebannt lauschen, liegt an der Originalität seines Forschungsgebietes. Der Doktorand vom Georgia Institute of Technology in Atlanta untersucht, mit welchen Tricks sich Schlangen so effizient fortbewegen können. Dazu macht er Tierversuche, Computersimulationen und baut schlangenähnliche Roboter.

    Um energiesparend vorwärts zu kommen, müssen Schlangen die Bodenreibung jener Körperteile, die sie gerade vorwärts schieben, möglichst klein halten. Zugleich müssen sie aber die Reibung jener Körperpartien erhöhen, die gerade am Boden Halt suchen. Hamid Marvi wollte herausfinden, wie die Tiere das machen. Dazu hat er Kornnattern, die im Osten Nordamerikas verbreitet sind, auf eine schiefe Ebene gelegt und gemessen, ab welcher Neigung die Schlangen ins Rutschen kommen.

    "Im ersten Versuch haben wir betäubte Schlangen auf die schiefe Ebene gelegt. Der Neigungswinkel, bei dem die schlafenden Tiere anfangen, abwärts zu rutschen, verrät uns den statischen Reibungskoeffizienten."

    Und der hängt von der Orientierung ab. Lagen die Kornnattern mit dem Kopf nach unten auf der schiefen Ebene, kamen sie schon bei 15 bis 20 Grad ins Rutschen. Zeigte ihr Kopf nach oben, verloren die schlafenden Tiere erst bei über 45 Grad Neigung den Halt. Schuld daran sind die Schuppen der Schlangenhaut. Da sie in einem Winkel von etwa fünf Grad vom Körper abstehen, wirken sie, wie die Zähne eines Sägeblattes. Vorwärts gleitet der Schlangenbauch widerstandsarm dahin, doch bei Rückwärtsbewegungen verhakt er sich am Boden und sorgt so für Halt.

    "Dasselbe Experiment haben wir dann mit Schlangen gemacht, die nicht schliefen. Das war natürlich schwieriger, weil Schlangen nicht immer das tun, was man von ihnen will. Als wir die Reibungskoeffizienten für vorwärts und rückwärts Rutschen gemessen hatten, stellten wir fest: Die waren beide fast doppelt so groß wie bei bewusstlosen Schlangen. Die Tiere müssen die Reibung auf dem Untergrund also aktiv beeinflussen."

    Entscheidend für diese aktive Regulierung der Haftung ist der Anstellwinkel der Hautschuppen. Vergrößert man ihn um fünf Grad, erhöht sich der Reibungskoeffizient um 50 Prozent. Das haben Berechnungen gezeigt. In der Praxis nutzen Schlangen offenbar zwei Mechanismen, um ihre Schuppen bei Bedarf steiler im Boden zu verhaken.

    "In einem unserer Videofilme ist klar zu sehen, dass die Schlange Teile ihres Körpers von der Unterlage abhebt. Dadurch wird der Anstellwinkel der Schuppen, die noch am Boden haften, lokal vergrößert - und die Schlange verliert nicht den Halt. Außerdem wissen wir von Biologen, dass Schlangen für jeden einzelnen Schuppen auf ihrem Bauch einen speziellen Muskel haben, der seinen Anstellwinkel kontrolliert."

    Aktive Reibungskontrolle für effiziente Fortbewegung: Um zu zeigen, dass dieses Prinzip Vorteile bringt, haben die US-Forscher einen Kletterroboter gebaut, der wie eine Schlange eine schiefe Ebene hoch kriecht. 'Scalybot' besteht aus zwei über einen Pneumatikzylinder verbundenen Segmenten, deren Bodenhaftung sich über Plastikschuppen verändern lässt. Von der Natur lernen, um Roboterkonstrukteure auf neue Ideen zu bringen, das sei die eigentliche Triebfeder seiner Arbeit, sagt Hamid Marvi.

    "Es gibt heute schon schlangenähnliche Roboter, die bei Rettungsaktionen zum Einsatz kommen, um unwegsames Gelände zu erkunden. Doch diese Roboter verbrauchen viel Energie. Ihre Motoren laufen schnell heiß und sie brauchen eine externe Stromversorgung über Kabel. Das begrenzt die Einsatzmöglichkeiten. Mithilfe unserer Ergebnisse könnte man nun Schlangenroboter entwickeln, die diese Probleme nicht haben."