Mit historischen Aufnahmen von Theaterklassikern ist es so eine Sache: Schiller-, Goethe- und Kleistadaptionen aus der Glanzzeit des Radios in den 50er- und 60er-Jahren hören sich für heutige Ohren oft blechern an, und das ist keineswegs der Technik geschuldet. Der pathetische Deklamationsstil mit geschwollen klingenden Stimmbändern und rollendem "Rrrr" gehört einer lang vergangenen Epoche an. Aber kann es auch sein, dass eine historische Aufnahme etwas unwiederbringlich Verlorenes zu Gehör bringt?
Hienchensuppe! S'is wohl nich meglich. Na, da sag nur der Mutter, ich ließ mich auch recht vielmals schene bedanken, ja? Nu werd ich dir mal was sagen, Karlchen: Mir geht's nit gut, Junge, i wer wohl sterben. Kumme mal her, Karlchen. Gib emol Obacht, Herschte wie's tickt? Herschte wie's tickt im morschen Holze? Der Totenwurm tickt.
Ich fircht mich, Frau Henschel. Ich fircht mich!
Gerhart Hauptmanns Tragödie "Fuhrmann Henschel", Uraufführung 1898, war schon 1962 ein betagtes Stück, aber es konnte noch auf eine Weise zu Leben erweckt werden, die sich heute selbst bei größter Anstrengung nicht mehr realisieren lässt, nämlich wirklich naturalistisch. Es ist die Sprache der Figuren, die inzwischen keinen Widerhall in der Realität mehr hat.
Wenn ich nu sterbe, tätst se heiraten?
De Hanne? Natirlich! (lacht)
Ernstlich gesprochen.
Nu hern se bloß, Siebenhaar! Was soll eener da sagen? Du werscht ja eine sterben!
Und wenn ich nu sterbe?
Da nehm ich se och nich. Na siehste! Da weeßt es! Dass mal ma zuende kummen.
Kannstes versprechen?
Vor mir ooch versprechen!
Hier in de Hand?
Na ich sag dersch ja! Hier in de Hand. Nu ist aber gutt!
Der schlesische Dialekt von "Fuhrmann Henschel" ist untergegangen. Wer ihn heute auf die Bühne bringt, tut das vom Blatt und hat als Korrektiv keinen lebendigen Klang mehr im Ohr. Damit büßt der Naturalismus des Literaturnobelpreisträgers von 1912 ein wesentliches Wirkungsmoment ein, und das erklärt vielleicht auch, warum Hauptmann aus unserem Gedächtnis weitgehend entschwunden ist. Denn in ihren Handlungsverläufen sehen die Milieustücke Hauptmanns heute oft wie direkte Vorläufer trivialer Fernsehsoaps aus: Eng gezeichnete Figuren kleiner Leute in widrigen Lebensumständen, die mit Liebesverrat, sozialer Rohheit und Schicksalsschlägen zu kämpfen haben. Auf Papier wirkt das beinahe unerträglich klischiert, vom großen Schauspieler Walter Richter dagegen im schlesischen Dialekt vorgetragen, läuft einem eine Gänsehaut den Rücken herunter.
Verliert ma a Weib, verliert ma a Kind. Nee - ane Schlinge ward mir gelegt! Und in die Schlinge trat ich halt nein.
Wer hat Ihnen denn eine Schlinge gelegt?
Kann sein, der Deivel, kann sein ein anderer, aber wirgen muss ich, dass is gewiss!
Rührung? Nein, Ergriffenheit stellt sich beim Hören dieser 90-minüten Aufnahme ein. Das Schicksal des gutmütigen Fuhrmanns Henschel, der seiner ersten Frau auf dem Sterbebett verspricht, die geschäftstüchtige, aber kaltherzige Magd Hanne nicht zu heiraten, nimmt einer griechischen Tragödie gleich ihren Lauf. Indem Henschel sein Versprechen bricht, fühlt er sich schuldig für den folgenden Krankheitstod seines Kindes, holt zum Ausgleich heimlich das uneheliche Kind der Magd in die neue Familie und verstrickt sich mit seinen guten Taten immer mehr in die Dialektik einer nachgetragenen Liebe, die umso weniger Erwiderung findet, je stärker sie sich artikuliert. Die Magd betrügt ihn, die Leute im Ort meiden den vorher wohlgelittenen Mann, am Schluss bleibt nur noch eine Alternative:
Hanne? Eener von uns muss weichen, von uns zwee beeden. Jaja, is wahr, du kannst me ansehen, es is eine andersch!
Fort soll ich gehen? Fort willste mich jagen?
Des wird sich erscht zeigen, wer da wird gehen missen. Kann sein, ich muss, kann sein auch du. Wenn ich tät gehen, das weeß ich alleene. Dir wird deswegen nicht bange werden, du versorgst ja's Fuhrwesen wie a Mann! Wie jesagt, auf mich kummts nicht an.
... und so ergreift Henschel ein letztes Mal die Initiative: Er bringt sich um. Das ist erschütternd, wie großes Theater sein muss, und zugleich ein Abgesang auf eine schlesische Dialektliteratur, die mit Gerhart Hauptmann 1946 zu Grabe getragen wurde. Wie wirkungsmächtig sie einst gewesen ist, lässt sich an dieser Aufnahme des Hessischen und Saarländischen Rundfunks zusammen mit dem Schweizer Radio von 1962 ermessen. Ein akustisches Kulturerbe.
Gerhart Hauptmann:
Fuhrmann Henschel, Hörspiel von 1962, 2 CD, 90 Minuten, Christoph Merian Verlag
Hienchensuppe! S'is wohl nich meglich. Na, da sag nur der Mutter, ich ließ mich auch recht vielmals schene bedanken, ja? Nu werd ich dir mal was sagen, Karlchen: Mir geht's nit gut, Junge, i wer wohl sterben. Kumme mal her, Karlchen. Gib emol Obacht, Herschte wie's tickt? Herschte wie's tickt im morschen Holze? Der Totenwurm tickt.
Ich fircht mich, Frau Henschel. Ich fircht mich!
Gerhart Hauptmanns Tragödie "Fuhrmann Henschel", Uraufführung 1898, war schon 1962 ein betagtes Stück, aber es konnte noch auf eine Weise zu Leben erweckt werden, die sich heute selbst bei größter Anstrengung nicht mehr realisieren lässt, nämlich wirklich naturalistisch. Es ist die Sprache der Figuren, die inzwischen keinen Widerhall in der Realität mehr hat.
Wenn ich nu sterbe, tätst se heiraten?
De Hanne? Natirlich! (lacht)
Ernstlich gesprochen.
Nu hern se bloß, Siebenhaar! Was soll eener da sagen? Du werscht ja eine sterben!
Und wenn ich nu sterbe?
Da nehm ich se och nich. Na siehste! Da weeßt es! Dass mal ma zuende kummen.
Kannstes versprechen?
Vor mir ooch versprechen!
Hier in de Hand?
Na ich sag dersch ja! Hier in de Hand. Nu ist aber gutt!
Der schlesische Dialekt von "Fuhrmann Henschel" ist untergegangen. Wer ihn heute auf die Bühne bringt, tut das vom Blatt und hat als Korrektiv keinen lebendigen Klang mehr im Ohr. Damit büßt der Naturalismus des Literaturnobelpreisträgers von 1912 ein wesentliches Wirkungsmoment ein, und das erklärt vielleicht auch, warum Hauptmann aus unserem Gedächtnis weitgehend entschwunden ist. Denn in ihren Handlungsverläufen sehen die Milieustücke Hauptmanns heute oft wie direkte Vorläufer trivialer Fernsehsoaps aus: Eng gezeichnete Figuren kleiner Leute in widrigen Lebensumständen, die mit Liebesverrat, sozialer Rohheit und Schicksalsschlägen zu kämpfen haben. Auf Papier wirkt das beinahe unerträglich klischiert, vom großen Schauspieler Walter Richter dagegen im schlesischen Dialekt vorgetragen, läuft einem eine Gänsehaut den Rücken herunter.
Verliert ma a Weib, verliert ma a Kind. Nee - ane Schlinge ward mir gelegt! Und in die Schlinge trat ich halt nein.
Wer hat Ihnen denn eine Schlinge gelegt?
Kann sein, der Deivel, kann sein ein anderer, aber wirgen muss ich, dass is gewiss!
Rührung? Nein, Ergriffenheit stellt sich beim Hören dieser 90-minüten Aufnahme ein. Das Schicksal des gutmütigen Fuhrmanns Henschel, der seiner ersten Frau auf dem Sterbebett verspricht, die geschäftstüchtige, aber kaltherzige Magd Hanne nicht zu heiraten, nimmt einer griechischen Tragödie gleich ihren Lauf. Indem Henschel sein Versprechen bricht, fühlt er sich schuldig für den folgenden Krankheitstod seines Kindes, holt zum Ausgleich heimlich das uneheliche Kind der Magd in die neue Familie und verstrickt sich mit seinen guten Taten immer mehr in die Dialektik einer nachgetragenen Liebe, die umso weniger Erwiderung findet, je stärker sie sich artikuliert. Die Magd betrügt ihn, die Leute im Ort meiden den vorher wohlgelittenen Mann, am Schluss bleibt nur noch eine Alternative:
Hanne? Eener von uns muss weichen, von uns zwee beeden. Jaja, is wahr, du kannst me ansehen, es is eine andersch!
Fort soll ich gehen? Fort willste mich jagen?
Des wird sich erscht zeigen, wer da wird gehen missen. Kann sein, ich muss, kann sein auch du. Wenn ich tät gehen, das weeß ich alleene. Dir wird deswegen nicht bange werden, du versorgst ja's Fuhrwesen wie a Mann! Wie jesagt, auf mich kummts nicht an.
... und so ergreift Henschel ein letztes Mal die Initiative: Er bringt sich um. Das ist erschütternd, wie großes Theater sein muss, und zugleich ein Abgesang auf eine schlesische Dialektliteratur, die mit Gerhart Hauptmann 1946 zu Grabe getragen wurde. Wie wirkungsmächtig sie einst gewesen ist, lässt sich an dieser Aufnahme des Hessischen und Saarländischen Rundfunks zusammen mit dem Schweizer Radio von 1962 ermessen. Ein akustisches Kulturerbe.
Gerhart Hauptmann:
Fuhrmann Henschel, Hörspiel von 1962, 2 CD, 90 Minuten, Christoph Merian Verlag