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Eine Königin will fun

Marie Antoinette starb auf der Guillotine als verhasste Ikone des "Ancien Regime". Jetzt kehrt sie als Popikone zurück, in einem Film von Sofia Coppola. War Marie Antoinette die erste Queen of Pop?

Von Josef Schnelle | 02.11.2006
    Die österreichische Prinzessin Marie Antoinette war 14, als sie 1768 als künftige Königin an den Hof von Versailles kam. Ständig umgeben von der Dekadenz des höfischen Lebens entwickelte sich zu einer verschwenderischen Partyqueen, während draußen in Frankreich sich zwischen den Hungersnöten die Französische Revolution zusammenbraute. Sie starb mit 38 Jahren unter der scharfen Klinge der Guillotine und galt als Inbegriff des verhassten "Ancien Regimes".

    Sofia Coppola, die Tochter des Kinopaten Francis Ford Coppola, war 16, als sie zum ersten Mal im Gefolge ihres Vaters zur den roten Teppich von Cannes betrat. Gefeiert wie eine Prinzessin verbrachte sie ihre Leben zwischen Überfluss und Überdruss in New Yorker Hotelzimmern mit Privatdiener und Chauffeur. Mit 16 schrieb sie auch ihr erstes Drehbuch, das Papa Coppola 1989 verfilmte, als 30-minütiger Teil des Episodenfilms "New York Stories". Eine der Hauptrollen in diesem Film "Leben ohne Zoe" über ein verwöhntes Partygirl spielte der damalige Kinderstar Kirsten Dunst. Sofia Coppola selbst wurde in "Der Pate" als Baby getauft und agierte glücklos in "Der Pate III". Dann wurde sie Filmemacherin und spezialisierte sich auf Filme über Jungmädchenfantasien. 2003 bekam sie für das Drehbuch von "Lost in Translation" einen Oscar. Sie gilt als Wunderkind des Coppola-Clans, zu dem zum Beispiel auch Nicholas Cage - eigentlich Nicholas Kim Coppola - gehört.

    Wenn sich ihre Eltern im Taxi stritten, dann rief Sofia einfach "Cut", wie ein Filmregisseur, der eine Szene beendet. Die Eltern unterbrachen ihren Streit und schauten sich ertappt um. Das ist eine der Lieblingsanekdoten, die Sofia Coppola immer dann erzählt, wenn die Rede auf ihre Eltern kommt. Sie muss sich schon damals entschieden haben, einmal Filmemacherin zu werden. Und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis sie sich an die Geschichte der wohl berühmtesten Party-Prinzessin der Weltgeschichte interessieren würde. Marie Antoinette – gespielt von Kirsten Dunst, die ihre gesamte Karriere bis jetzt begleitet hat.

    "Dann sollen sie Kuchen essen – lächerlich, das soll ich gesagt haben."

    Wüssten wir gar nichts über Marie Antoinette, dieser eine Satz, hätte sie zugleich besonders früh sterblich aber auch unsterblich gemacht. Vielleicht war es aber auch nur ein besonders gut erfundener Spruch fürs Revolutionsmarketing. Das ist die These der Autorin populärer Geschichtsbestseller Antonia Fraser, an deren Marie-Antoinette-Biografie sich Sofia Coppola orientiert hat. Man darf sich ihren Film "Marie Antoinette" trotzdem nicht wie einen der üblichen Historienschinken vorstellen. Nicht die historisch folgenreiche Politik des letzten französischen Königspaares vor der großen Revolution hat sie interessiert. Eher schon die Geburt dessen, was wir heute Pop nennen.

    Wahrscheinlich hat es am Hofe des letzten Ludwigs in Versailles ja gar nicht so ausgesehen. Jedenfalls bekam man dort sicher weder Glam-Rock noch Punk-Musik zu hören, auch edle bunte amerikanische Turnschuhe der 30er Jahre haben sich sicher nie wie im Film in die Modeschauen der echten Marie Antoinette verirrt. Die Champagnerkaskaden zitieren auch eher das Paris der Proust-Ära herbei und die Konditoreiwaren stammen sichtlich auch New Yorker Nobelpatisserien. Inmitten dieser Verfremdungseffekte unter anderem von "The Cure", "Siouxie and the Banshies" und "Gang of Four" beschreibt Sofia Coppola in den Bonbonpastellfarben ihrer Bildgestaltung den Celebrity-Cult so mitreißend, dass eigentlich nur noch die Paparazzi auf der Jagd nach Lady Diana fehlen, um den Film im Hier und Jetzt ankommen zu lassen.

    Marie Antoinette: "Das ist lächerlich."

    Madame de: "Das ist Versailles."

    Die Irrlichter des Kults um die Schönen und Reichen haben heute mit Pop-Ikonen Marke Paris Hilton neue Rekordwerte der Inhaltsleere erreicht. Auch wenn Sofia Coppola die Keyboard-Taste "Girls Wanna Have Fun" ein wenig überstrapaziert, ist ihr doch ein sehr interessanter Film gelungen: kein Alles wissender Blick zurück auf die Historie, eher ein tastendes unsicheres Nachbuchstabieren von Schlüsselsituationen. Komplizierte Intrigen noch beim Abendessen. Nackt frieren bis die richtige Hofdame fürs Ankleiden kommt. Großer Seitensprung im Kleinen Trianon. "24-Hour-Partypeople" tanzen auf einem Vulkan, von dessen Existenz sie gar nichts ahnen.

    Die Sinnlichkeit historischer Situation im Film ist immer pures Hier und Jetzt. Nur was wir selbst erfahren haben, können wir darin wieder erkennen. Vielleicht war Marie Antoinette ja wirklich die erste Queen of Pop. Sie hatte nur keine Fans. Und vielleicht war sie genauso unglücklich und verloren, wie Sofia Coppola sie darstellt. Auf dem roten Teppich in Cannes ließ Papa Coppola ihr jedenfalls bei der Premiere von "Marie Antoinette" erstmals den Vortritt, blieb aber im Mittelpunkt es Interesses. Die Verhältnisse beim Film sind doch gar nicht so verschieden von denen damals am Hof von Versailles.