Wenn der Diplom-Informatiker Amir Madany-Mamlouk einen Vortrag hält, dann sprüht er zunächst einmal zehn Flüssigkeiten in die Luft. Die Zuhörerschaft ordnet sie schnell drei verschiedenen Geruchsklassen zu: Desinfektionsmittel, Seife, Fruchtaroma. Ganz verschiedene Düfte also, dabei sind sie chemisch ähnlich, einfache Alkohole, die sich nur in der Moleküllänge unterscheiden.
Generell ist es so, dass wir im Grunde genommen noch nicht einmal in der Lage sind, wenn wir die Strukturformel einer unbekannten Chemikalie haben, vorauszusagen, ob dieser Stoff überhaupt riecht. Und andererseits gibt es kleine Unterschiede, die schon zu großen Wahrnehmungsunterschieden führen. Zum Beispiel wenn ein Molekül gespiegelt ist, dann riecht es plötzlich nicht mehr nach Orange sondern nach Terpentin.
Wie Geruch und Chemie zusammenhängen, das würden Parfum- und Lebensmittelindustrie nur allzu gerne wissen. Schließlich wirken Düfte direkt auf die Gefühls und Gedächtnisschleifen des Gehirns und können so Kaufentscheidungen wirksam beeinflussen. Doch obwohl inzwischen über 1000 Gene für Geruchsrezeptoren bekannt sind, vermochte noch niemand den Duftcode zu knacken. Um den Zusammenhang von Chemie, Geruch und Gefühl besser zu verstehen, analysiert Amir Madany-Mamlouk am Institut für Neuroinformatik der Universität Lübeck, jetzt nicht Gensequenzen und neuronale Erregungen sondern den subjektiven Dufteindruck.
Bei dem Geruchssinn haben wir den Vorteil, dass große Chemiekompanien, die Duftstoffe und für die Lebensmittelproduktion Substanzen verkaufen, große Kataloge angelegt haben, um die Qualität, also die Wahrnehmung, die wir mit diesen Substanzen assoziieren, möglichst gut zu katalogisieren. Natürlich, denn wenn Sie diese Substanzen verkaufen, dann wollen die Leute auch wirklich das bekommen, was sie bestellen.
Aldrichs Aromen- und Duft-Katalog listet für 851 Chemikalien ganz genau auf, wie sie Testpersonen anhand von 278 Kriterien einordnen. Das geht von eher allgemeinen Eindrücken wie angenehm oder unangenehm über breite Gruppen wie fruchtig bis hin zu Einzelbeschreibungen wie Apfel, Banane oder Ananas. Amir Madany-Mamlouk hat mit Hilfe des Computers analysiert, welche Bezeichnungen häufig gemeinsam zur Charakterisierung eine Duftes genannt werden. Herausgekommen ist eine Geruchskarte, die ähnlich wie der Farbenkreis funktioniert. So wie da orange zwischen gelb und rot eingeordnet ist, liegt auf der Duftkarte Apfel zwischen Kirsche und Banane.
Für uns war sehr aufregend, dass wir festgestellt haben, dass es bestimmte Komponenten gibt, wie zum Beispiel Schwefel oder Stickstoff in den Molekülen, die dazu führen, dass wir Gruppenbildung auf unseren Karten haben. Also es sieht so aus, als ob solche chemischen Charakteristiken, dass ein Molekül Stickstoff oder Schwefel zum Beispiel enthält, eine Signifikanz haben für die Wahrnehmungsqualität. Das heißt also, wir haben es geschafft, auf diesen Karten den Link zurück zu den Chemikalien zu machen.
Allerdings hängt der Geruch einer Substanz weniger von der chemischen Stoffklasse ab. Entscheidender ist, in welchen Stoffwechselwegen sie in der Natur auftritt.
Es scheint, als ob der Wahrnehmungsapparat dazu da ist, diese Zyklen zu erkennen, das heißt, wir nehmen nicht ein Molekül, sondern eine bestimmte Molekülfamilie wahr. Zum Beispiel Olivenöl. Es gibt 50 verschiedene Derivate aus Olivenöl, die alle chemisch unterschiedlich sind, aber alle ungefähr gleich riechen.
Das macht auch aus Sicht der Evolution Sinn. Düfte sind wichtig für die Entscheidung, essbar oder nicht. Deshalb lösen chemisch verschiedene Stoffe der Erdbeere eine ähnliche angenehme Duftempfindung aus, während unterschiedliche Stoffe im Schimmel eine genauso eindeutige, nur eben negative Reaktion hervorrufen. Wenn sich die Geruchskarte von Amir Madany-Mamlouk bestätigt, macht es keinen Sinn, den Duftcode einfach in der chemischen Struktur zu suchen, er wird in biochemischen Zusammenhängen zu finden sein. Und die dürften zumindest im Fall von Kerzen-, Plätzchen- und Tannenduft auch noch von den erlernten kulturellen Eindrücken des Phänomens Weihnachten überlagert sein.