Ihre Künstlerkolonie dient ihnen als idealisierte Gegenwelt zu verschulten Akademien und zunehmender Industrialisierung. Der Maler Fritz Mackensen widmet sich in seinen Gemälden den Bauern der Gegend, unterrichtet Paula (Modersohn-)Becker und Clara (Rilke-)Westhoff, die voller Übermut die Kirchenglocken läuten.
Der Jugendstilkünstler Heinrich Vogeler schafft sich auf seinem Barkenhoff eine bis ins Detail durchgestaltete Lebenswelt, von märchenhaften Illustrationen über das Reformkleid der Ehefrau bis zur hauseigenen Gabel. Doch auf Utopien folgen Ernüchterungen und getrennte Lebenswege. Der Gründer der Künstlerkolonie, Fritz Mackensen, wird in den 30er-Jahren örtlicher Vertrauensmann der Reichskulturkammer des NS-Regimes, kommt auf die Führerliste und gehört somit zu den 100 wichtigsten deutschen Künstlern. Der Visionär Heinrich Vogeler geht als Kommunist nach Russland, gerät in den 40er-Jahren auf die Fahndungsliste der SS und verhungert elendig.
Nach dem Zweiten Weltkrieg suchen auch die Künstler in Worpswede nach einem Neuanfang. Der Einfluss der ersten Künstlergeneration ist bis heute spürbar. Sie legte den Grundstein für ein kulturelles Leben, das bis heute viele Besucher anzieht. Eine 'Lange Nacht' über einen Ort zwischen Mythos und Gegenwart.
Auszug aus dem Manuskript der Sendung:
Paula Modersohn-Becker:
Worpswede, Worpswede, Worpswede … es ist ein Wunderland, ein Götterland.
Worpswede, Worpswede, Worpswede, Du liegst mir im Sinn. Das war Stimmung bis in die kleinste Fingerspitze. Leben! Leben! Leben!
Rainer Maria Rilke:
Diese Häuser liegen an den langen, geraden "Dämmen" weit zerstreut; sie sind rot mit grünem oder blauem Fachwerk, überhäuft von dicken, schweren Strohdächern und gleichsam in die Erde hineingedrückt von ihrer massigen, pelzartigen Last. Manche kann man von den Dämmen aus kaum sehen, sie haben sich die Bäume vors Gesicht gezogen, um sich zu schützen vor den immerwährenden Winden. Ihr Fenster blitzen durch das lichte Laub wie eifersüchtige Augen, die aus einer dunklen Maske schauen.
Heinrich Vogeler:
Aber über allen anderen Eindrücken waren es die Lüfte, das sommerliche Ziehen der weißen Wolken über das Land, der graue Herbststurm, der die Bäume peitschte, und die nie gesehene Kraft der Farben, die der Moorlandschaft eigen ist, wenn sich die Natur, vor allem die Luft, in dem dunklen Schwarzspiegel der Torfgräben und Moorsümpfe spiegelt.
"Die wilden Zwanziger" in Worpswede
Beate Arnold:
"Ich glaube, an dem Lebensweg Vogelers spiegelt sich elementar vieles, was wir in den letzten 130 Jahren erfahren haben. Da spiegelt sich zum einen der Künstler seiner Zeit, der Jugendstil als berühmte Kunstrichtung. Des Weiteren spiegelt sich eine politische Ordnung, eine gesellschaftliche Ordnung, eine gesellschaftliche Entwicklung. // Er hat im Prinzip alles das, was wir an Umwälzungen im späten 19. oder frühen 20. oder 21. Jahrhundert auch erlebt haben, in seinem Leben gelebt. Und das macht ihn wirklich als ganz besondere Person aus. Und das macht sein Leben auch so spannend und deswegen könnte man da wirklich mehrere Stunden darüber erzählen, weil das bildet alle Facetten ab, die wir künstlerisch, gesellschaftspolitisch sozial entdecken könne, wenn wir genauer hinschauen. Und das ist sein Leben gewesen.
Kurator Björn Herrmann über Heinrich Vogelers einstigen Gefährten und späteren Gegenspieler, den Maler Fritz Mackensen:
Björn Herrmann: "Er war ein fantastischer Menschenmaler. Er war ein Menschenmaler, der Menschen auch so dokumentieren konnte, dass diese Bilder berührt haben, aber jemand, der sich nicht im Geringsten in eine künstlerische Moderne bewegt hat. Jemand, der selber hermetisch geblieben ist, jemand der selber als Person eigentlich immer nicht greifbar geblieben ist, immer verschlüsselt hat. Er war streitbar, er war stockkonservativ, persönlich mit zunehmendem Alter immer schwieriger und dann jemand, der dann sicherlich auch selber über seine Haltung im Nationalsozialismus gestolpert ist, sich im Nationalsozialismus nicht einwandfrei verhalten hat. Und von daher ist Mackensen jemand, der große Verdienste um die Künstlerkolonie Worpswede hat, der in der Gründerzeit künstlerisch absolut zur obersten Kategorie dessen, was in Worpswede gefertigt worden ist, gehört, wo aber dieser Schatten liegen bleibt.
Der Eine verhungert elendig, der Andere erhält das Bundesverdienstkreuz. Nach dem 2. Weltkrieg versuchen die Künstler in Worpswede den Neuanfang.
Kunsthistorikerin Katharina Groth: "Es kamen ja kontinuierlich Künstler nach, kamen kontinuierlich neue Geister, neue Einflüsse dazu, andere Personen, die den Ort geprägt haben."
Gespräch mit der Kuratorin Katharina Groth
Worpswede, Worpswede, Worpswede … es ist ein Wunderland, ein Götterland.
Worpswede, Worpswede, Worpswede, Du liegst mir im Sinn. Das war Stimmung bis in die kleinste Fingerspitze. Leben! Leben! Leben!
Rainer Maria Rilke:
Diese Häuser liegen an den langen, geraden "Dämmen" weit zerstreut; sie sind rot mit grünem oder blauem Fachwerk, überhäuft von dicken, schweren Strohdächern und gleichsam in die Erde hineingedrückt von ihrer massigen, pelzartigen Last. Manche kann man von den Dämmen aus kaum sehen, sie haben sich die Bäume vors Gesicht gezogen, um sich zu schützen vor den immerwährenden Winden. Ihr Fenster blitzen durch das lichte Laub wie eifersüchtige Augen, die aus einer dunklen Maske schauen.
Heinrich Vogeler:
Aber über allen anderen Eindrücken waren es die Lüfte, das sommerliche Ziehen der weißen Wolken über das Land, der graue Herbststurm, der die Bäume peitschte, und die nie gesehene Kraft der Farben, die der Moorlandschaft eigen ist, wenn sich die Natur, vor allem die Luft, in dem dunklen Schwarzspiegel der Torfgräben und Moorsümpfe spiegelt.
"Die wilden Zwanziger" in Worpswede
Beate Arnold:
"Ich glaube, an dem Lebensweg Vogelers spiegelt sich elementar vieles, was wir in den letzten 130 Jahren erfahren haben. Da spiegelt sich zum einen der Künstler seiner Zeit, der Jugendstil als berühmte Kunstrichtung. Des Weiteren spiegelt sich eine politische Ordnung, eine gesellschaftliche Ordnung, eine gesellschaftliche Entwicklung. // Er hat im Prinzip alles das, was wir an Umwälzungen im späten 19. oder frühen 20. oder 21. Jahrhundert auch erlebt haben, in seinem Leben gelebt. Und das macht ihn wirklich als ganz besondere Person aus. Und das macht sein Leben auch so spannend und deswegen könnte man da wirklich mehrere Stunden darüber erzählen, weil das bildet alle Facetten ab, die wir künstlerisch, gesellschaftspolitisch sozial entdecken könne, wenn wir genauer hinschauen. Und das ist sein Leben gewesen.
Kurator Björn Herrmann über Heinrich Vogelers einstigen Gefährten und späteren Gegenspieler, den Maler Fritz Mackensen:
Björn Herrmann: "Er war ein fantastischer Menschenmaler. Er war ein Menschenmaler, der Menschen auch so dokumentieren konnte, dass diese Bilder berührt haben, aber jemand, der sich nicht im Geringsten in eine künstlerische Moderne bewegt hat. Jemand, der selber hermetisch geblieben ist, jemand der selber als Person eigentlich immer nicht greifbar geblieben ist, immer verschlüsselt hat. Er war streitbar, er war stockkonservativ, persönlich mit zunehmendem Alter immer schwieriger und dann jemand, der dann sicherlich auch selber über seine Haltung im Nationalsozialismus gestolpert ist, sich im Nationalsozialismus nicht einwandfrei verhalten hat. Und von daher ist Mackensen jemand, der große Verdienste um die Künstlerkolonie Worpswede hat, der in der Gründerzeit künstlerisch absolut zur obersten Kategorie dessen, was in Worpswede gefertigt worden ist, gehört, wo aber dieser Schatten liegen bleibt.
Der Eine verhungert elendig, der Andere erhält das Bundesverdienstkreuz. Nach dem 2. Weltkrieg versuchen die Künstler in Worpswede den Neuanfang.
Kunsthistorikerin Katharina Groth: "Es kamen ja kontinuierlich Künstler nach, kamen kontinuierlich neue Geister, neue Einflüsse dazu, andere Personen, die den Ort geprägt haben."
Gespräch mit der Kuratorin Katharina Groth
Im 21.Jahrhundert suchen die Künstler ihren Platz zwischen Tourismus, Tradition und Gegenwart, so wie der Künstler David Didebulize: "Es heißt Künstlerdorf, ist aber kein Künstlerdorf. Hier leben nur viele Künstler, aber die Illusion von Künstlerdorf und die Künstler bestimmen den Ort, das ist das nicht. Hier regiert etwas anderes."
Heinrich Vogeler:
Wir Maler lagerten uns bei dem Obelisken. Die drei älteren, die Entdecker des Moores, Fritz Mackensen, Hans am Ende und Otto Modersohn, erzählten von den vergangenen Jahren, wie Fritz Mackensen zuerst durch Freundschaft mit einer Dienstmagd, die aus dem Dorf Worpswede stammt, hier her gekommen waren. Mackensen hatte nach Düsseldorf in München studiert, und die anderen beiden Maler, die auch dort lernten, folgten ihm nach Worpswede.
Paula Moderson-Becker:
Vogeler und seine kleine Braut, Otto Modersohn und ich, und Clara Westhoff. Wir nennen uns: die Familie. Wir sind immer sonntags beieinander und freuen uns aneinander, und teilen viel miteinander.
Vor dem 1. Weltkrieg: Die Künstlergemeinschaft Worpswede existiert nicht mehr, das Leben auf dem Barkenhoff verändert sich:
Heinrich Vogeler:
Die materiellen Mittel aus meinen Einkünften als Künstler erlaubten es, alles breit und solide zu ordnen. Viele Freunde kamen, Schriftsteller, Dichter und Musiker und bereicherten das kulturelle Leben, das sich auf dem Hofe abspielte. Die Gastfreundschaft des Barkenhoffs war bekannt und bot manchem jungen Künstler, der zeitweilig auf Strand geraten war, ein Obdach, bis er wieder flott war und sich eine eigene Existenz im Dorfe aufbauen konnte.
Der erste Weltkrieg und die Folgen
Heinrich Vogeler:
Es war Krieg. Deutsche Truppen waren in Belgien einmarschiert.
Es dunkelte mehr und mehr. Aus den rötlichvioletten Tönen des Abendhimmels über dem Horizont blinzelte die Venus, allmählich verwandelten sich die Töne in ein tiefes Blau. Langsam schritt ich zwischen den Blumenbeeten dem Hause zu.
Da hörte ich meinen Namen rufen. Seitlich durch das Gras, von der Landstraße her, kam Martha. "Schlafen die Kinder?"
"Sie schlafen."
Sie nahm meine Schritte auf, ging hinter mir. Ich wendete mich ihr zu: "Was wird nun werden?"
"Eins weiß ich", kam es hart von ihren Lippen, "was auch kommen mag, nie werde ich mit Dir leben, nie, nie. Du hast keine Zeit fürs Leben, bist ein Märtyrer deiner Kunst und fühlst Dich auch noch wohl dabei."
Heinrich Vogeler:
"Der Krieg hat aus mir einen Kommunisten gemacht, es war für mich nach meinen Kriegserlebnissen nicht mehr tragbar, einer Klasse von Menschen anzugehören, die Millionen Menschen in den Tod treiben aus Gründen, die lediglich der Profitsucht einzelner ihre Wurzeln haben. Dem arbeitenden Volk wurden immer schwerere Lasten durch den Krieg aufgebürdet; das Volk hatte nur Verluste und Elend durch den Krieg, es war nicht mehr gewillt, sich durch die Herrschenden ausbeuten zu lassen. Die Arbeiter sagen richtig, dass Privatbesitz die Quelle der Profitsucht ist."
Heinrich Vogelers Ende in Russland:
Am 17. April waren vor allem meine Nerven so heruntergekommen, dass jedes Geräusch mir physische Schmerzen machte, als ginge das alles in meinem Gehirn vor sich. Das Wetter war schlecht, die Wege unergründlich. Unter dem Schnee stand Wasser. Geld, um meine Schuhe reparieren zu lassen, hatte ich nicht; immer mit kalten, nassen Füßen zu leben erhöhte meine Qualen. Ich fror, fror und fror.
Jetzt ging ich betteln bei Evakuierten.
Heinrich Vogeler:
So war die Situation im April 1942. Mein Krankheitszustand hat sich sehr verschlimmert, die Körperschwäche hat so zugenommen, dass mein Gang sehr unsicher war von Schwindel, so dass die Menschen mich für betrunken halten müssten, wenn ich durch das Dorf langsam dahinwankte. .
Miene Schuhe sind völlig verfallen, so dass ich nur auf besseres Wetter warten kann, um das Zimmer verlassen zu können. Aber kalte Schneestürme, kalter stürmischer Frühlingsregen, rauschende Frühlingshochwasser verhindern den Verkehr im Dorf, uns so wird man - lebensmüde – da jede Aussicht auf Besserung verbaut ist und die Initiative erlahmt.
Da ich gar kein Fett bekomme und Tag für Tag der Hunger sich steigert und nicht befriedigt wird, bekam ich auf dem Bauch ein typisches Hungergeschwür, einen Furunkel, der mich sehr quält.
Hinzu kommt, dass mein alter Körper, der alle Fettpolster verloren hat, derartig schmerzt an allen Stellen, auf denen man liegen kann, dass ich mit Grauen jeder anbrechenden Nacht entgegensehe.
Heinrich Vogeler:
Dann kommen wieder Momente, wo eine Hoffnung aufblüht, Momente, dass ich noch erlebe, wie unser sowjetisches Vaterland vom Faschismus befreit wird und die ganze fortschrittliche Welt der sadistischen Parasiten bis zum letzten Mann vernichtet.
Heinrich Vogeler stirbt am 14. Juni 1942.
Auch Heinrich Vogeler und Fritz Mackensen trennen ideell Gräben. Der strenge Malerfürst auf der einen Seite, der weltoffene Heinrich Vogeler auf der anderen Seite, nicht nur ideologisch, sondern auch geografisch:
Björn Herrmann
Das sind die beiden Antagonisten, die sich nicht viel zu sagen hatten, die dann auch entfernt voneinander gebaut hatten, aber beide sich an der entsprechenden Stelle sich inszeniert haben. Vogeler, der hier dann mit dem Vierspänner durch Worpswede gefahren ist, Mackensen, der mit seinem entsprechenden Bau hier dann auch durchaus deutlich gemacht hat, dass wir es hier mit dem Malerfürsten von Worpswede zu tun haben.
Mackensen ist ja in Weimar Direktor der Kunsthochschule geworden. Weimar war zu der Zeit eher ein konservatives Pflaster. Das heißt, da passte er auch stilistisch rein, da war das Bauhaus später eher der Störfaktor Mackensen war da durchaus jemand, und er war als Direktor dieser Kunsthochschule in der Goethestadt Weimar war er schon die größte Nummer in Worpswede bis 1918.
Unter den Nationalsozialisten
Mackensen sympathisiert schnell mit dem rückwärtsgewandten Begriff von heimatverbundener Kunst und der Ablehnung alles Modernen der Nationalsozialisten, aber auch mit ihren ideellen Vorstellungen:
Björn Herrmann
Es gibt Briefe, die das auch sehr deutlich dokumentieren, die auch dokumentieren, welche Geisteshaltung er eingenommen hat. Wie er in seinen privaten Briefen über seine ukrainische Haushälterin schreibt, sie ist vom ostischen Wesen ein Typ, wie der Führer sie beschrieben hat in einem Privatbrief von 1943. Der hat das Regime auch aufgesogen und er hat auch die Weltsicht aufgesogen
Nach dem Ende der NS-Herrschaft
Mai 1945, der 2. Weltkrieg ist vorbei, das NS-Regime am Ende. Fritz Mackensen, 79 Jahre alt, verliert alle Vergünstigungen, alle Anerkennungen.
Björn Herrmann
Er ist dann jemand, der erstmal aufgrund seiner NS-Verflechtungen unter den Tisch fällt. Er muss aus seinem Haus ausziehen, wird dann, wie er sich in Briefen beklagt, in einem Nebengebäude in die Kellerräumlichkeiten erstmal verbannt. In sein Haus, das ja stattlich ist, zieht erstmal die US-Army ein, die dann sich entsprechend einrichten.
Er hat auch in den ersten Jahren erstmal Ausstellungsverbot und taucht erst dann 1947/48 auf Ausstellungslisten auf.
Worpswede heute:
David Didebulize:
Sehr merkwürdiges und interessantes Dorf für meine Augen. Ich habe vorher noch nirgendswo auch nicht in Deutschland // so etwas gesehen. Ich fand das interessant, Artistendorf sozusagen, leicht clowneske Stimmung.
Es gibt die Meinung, dass so ein Ort Aura hat. Ich glaube so einen Quatsch nicht. Für mich ist das Quatsch. Ich glaube, dass jeder Ort eine Aura hat. Das, was es auch macht, das sind die Individuen, das sind die Menschen, die die Zeit, das Geschehen schaffen. 26´30 Es gibt für diesen kleinen Ort ziemlich viele Künstler, die lebendig sind. Aber größtenteils, unter 140 Künstler ist für mich kein Künstler, ist kein Leben vorhanden.
Worpsweder Gegenwartskunst
Katharine Groth:
Der Tourismus ist heute bestimmt fast das Wichtigste für den Ort, um überleben zu können. Alles ist ja auch auf die Gäste von außen ausgerichtet. Es gibt ja unheimlich viele Cafés und Restaurants entlang der Bergstraße, die Läden, die sich speziell auch auf diese Tagestouristen ausgerichtet haben um kunsthandwerkliche Arbeiten für kleinere Geldbeutel anzubieten. Natürlich gibt es auch die Museen, die wechselndes Programm machen. Man merkt schon ganz deutlich, wenn die Reisesaison beginnt, so ab Ostern etwa, dass natürlich viel mehr Leute im Ort sind und schon ist viel mehr Leben im Ort. Die Geschäfte haben länger geöffnet, die Museen haben sieben Tage die Woche von zehn bis 18 Uhr geöffnet. Es richtet sich schon sehr viel darauf. Es sollen viele Leute die Ausstellungen sehen, es sollen viele Gäste Übernachtungen buchen in Worpswede und hier bleiben.
Heinrich Vogeler:
Wir Maler lagerten uns bei dem Obelisken. Die drei älteren, die Entdecker des Moores, Fritz Mackensen, Hans am Ende und Otto Modersohn, erzählten von den vergangenen Jahren, wie Fritz Mackensen zuerst durch Freundschaft mit einer Dienstmagd, die aus dem Dorf Worpswede stammt, hier her gekommen waren. Mackensen hatte nach Düsseldorf in München studiert, und die anderen beiden Maler, die auch dort lernten, folgten ihm nach Worpswede.
Paula Moderson-Becker:
Vogeler und seine kleine Braut, Otto Modersohn und ich, und Clara Westhoff. Wir nennen uns: die Familie. Wir sind immer sonntags beieinander und freuen uns aneinander, und teilen viel miteinander.
Vor dem 1. Weltkrieg: Die Künstlergemeinschaft Worpswede existiert nicht mehr, das Leben auf dem Barkenhoff verändert sich:
Heinrich Vogeler:
Die materiellen Mittel aus meinen Einkünften als Künstler erlaubten es, alles breit und solide zu ordnen. Viele Freunde kamen, Schriftsteller, Dichter und Musiker und bereicherten das kulturelle Leben, das sich auf dem Hofe abspielte. Die Gastfreundschaft des Barkenhoffs war bekannt und bot manchem jungen Künstler, der zeitweilig auf Strand geraten war, ein Obdach, bis er wieder flott war und sich eine eigene Existenz im Dorfe aufbauen konnte.
Der erste Weltkrieg und die Folgen
Heinrich Vogeler:
Es war Krieg. Deutsche Truppen waren in Belgien einmarschiert.
Es dunkelte mehr und mehr. Aus den rötlichvioletten Tönen des Abendhimmels über dem Horizont blinzelte die Venus, allmählich verwandelten sich die Töne in ein tiefes Blau. Langsam schritt ich zwischen den Blumenbeeten dem Hause zu.
Da hörte ich meinen Namen rufen. Seitlich durch das Gras, von der Landstraße her, kam Martha. "Schlafen die Kinder?"
"Sie schlafen."
Sie nahm meine Schritte auf, ging hinter mir. Ich wendete mich ihr zu: "Was wird nun werden?"
"Eins weiß ich", kam es hart von ihren Lippen, "was auch kommen mag, nie werde ich mit Dir leben, nie, nie. Du hast keine Zeit fürs Leben, bist ein Märtyrer deiner Kunst und fühlst Dich auch noch wohl dabei."
Heinrich Vogeler:
"Der Krieg hat aus mir einen Kommunisten gemacht, es war für mich nach meinen Kriegserlebnissen nicht mehr tragbar, einer Klasse von Menschen anzugehören, die Millionen Menschen in den Tod treiben aus Gründen, die lediglich der Profitsucht einzelner ihre Wurzeln haben. Dem arbeitenden Volk wurden immer schwerere Lasten durch den Krieg aufgebürdet; das Volk hatte nur Verluste und Elend durch den Krieg, es war nicht mehr gewillt, sich durch die Herrschenden ausbeuten zu lassen. Die Arbeiter sagen richtig, dass Privatbesitz die Quelle der Profitsucht ist."
Heinrich Vogelers Ende in Russland:
Am 17. April waren vor allem meine Nerven so heruntergekommen, dass jedes Geräusch mir physische Schmerzen machte, als ginge das alles in meinem Gehirn vor sich. Das Wetter war schlecht, die Wege unergründlich. Unter dem Schnee stand Wasser. Geld, um meine Schuhe reparieren zu lassen, hatte ich nicht; immer mit kalten, nassen Füßen zu leben erhöhte meine Qualen. Ich fror, fror und fror.
Jetzt ging ich betteln bei Evakuierten.
Heinrich Vogeler:
So war die Situation im April 1942. Mein Krankheitszustand hat sich sehr verschlimmert, die Körperschwäche hat so zugenommen, dass mein Gang sehr unsicher war von Schwindel, so dass die Menschen mich für betrunken halten müssten, wenn ich durch das Dorf langsam dahinwankte. .
Miene Schuhe sind völlig verfallen, so dass ich nur auf besseres Wetter warten kann, um das Zimmer verlassen zu können. Aber kalte Schneestürme, kalter stürmischer Frühlingsregen, rauschende Frühlingshochwasser verhindern den Verkehr im Dorf, uns so wird man - lebensmüde – da jede Aussicht auf Besserung verbaut ist und die Initiative erlahmt.
Da ich gar kein Fett bekomme und Tag für Tag der Hunger sich steigert und nicht befriedigt wird, bekam ich auf dem Bauch ein typisches Hungergeschwür, einen Furunkel, der mich sehr quält.
Hinzu kommt, dass mein alter Körper, der alle Fettpolster verloren hat, derartig schmerzt an allen Stellen, auf denen man liegen kann, dass ich mit Grauen jeder anbrechenden Nacht entgegensehe.
Heinrich Vogeler:
Dann kommen wieder Momente, wo eine Hoffnung aufblüht, Momente, dass ich noch erlebe, wie unser sowjetisches Vaterland vom Faschismus befreit wird und die ganze fortschrittliche Welt der sadistischen Parasiten bis zum letzten Mann vernichtet.
Heinrich Vogeler stirbt am 14. Juni 1942.
Auch Heinrich Vogeler und Fritz Mackensen trennen ideell Gräben. Der strenge Malerfürst auf der einen Seite, der weltoffene Heinrich Vogeler auf der anderen Seite, nicht nur ideologisch, sondern auch geografisch:
Björn Herrmann
Das sind die beiden Antagonisten, die sich nicht viel zu sagen hatten, die dann auch entfernt voneinander gebaut hatten, aber beide sich an der entsprechenden Stelle sich inszeniert haben. Vogeler, der hier dann mit dem Vierspänner durch Worpswede gefahren ist, Mackensen, der mit seinem entsprechenden Bau hier dann auch durchaus deutlich gemacht hat, dass wir es hier mit dem Malerfürsten von Worpswede zu tun haben.
Mackensen ist ja in Weimar Direktor der Kunsthochschule geworden. Weimar war zu der Zeit eher ein konservatives Pflaster. Das heißt, da passte er auch stilistisch rein, da war das Bauhaus später eher der Störfaktor Mackensen war da durchaus jemand, und er war als Direktor dieser Kunsthochschule in der Goethestadt Weimar war er schon die größte Nummer in Worpswede bis 1918.
Unter den Nationalsozialisten
Mackensen sympathisiert schnell mit dem rückwärtsgewandten Begriff von heimatverbundener Kunst und der Ablehnung alles Modernen der Nationalsozialisten, aber auch mit ihren ideellen Vorstellungen:
Björn Herrmann
Es gibt Briefe, die das auch sehr deutlich dokumentieren, die auch dokumentieren, welche Geisteshaltung er eingenommen hat. Wie er in seinen privaten Briefen über seine ukrainische Haushälterin schreibt, sie ist vom ostischen Wesen ein Typ, wie der Führer sie beschrieben hat in einem Privatbrief von 1943. Der hat das Regime auch aufgesogen und er hat auch die Weltsicht aufgesogen
Nach dem Ende der NS-Herrschaft
Mai 1945, der 2. Weltkrieg ist vorbei, das NS-Regime am Ende. Fritz Mackensen, 79 Jahre alt, verliert alle Vergünstigungen, alle Anerkennungen.
Björn Herrmann
Er ist dann jemand, der erstmal aufgrund seiner NS-Verflechtungen unter den Tisch fällt. Er muss aus seinem Haus ausziehen, wird dann, wie er sich in Briefen beklagt, in einem Nebengebäude in die Kellerräumlichkeiten erstmal verbannt. In sein Haus, das ja stattlich ist, zieht erstmal die US-Army ein, die dann sich entsprechend einrichten.
Er hat auch in den ersten Jahren erstmal Ausstellungsverbot und taucht erst dann 1947/48 auf Ausstellungslisten auf.
Worpswede heute:
David Didebulize:
Sehr merkwürdiges und interessantes Dorf für meine Augen. Ich habe vorher noch nirgendswo auch nicht in Deutschland // so etwas gesehen. Ich fand das interessant, Artistendorf sozusagen, leicht clowneske Stimmung.
Es gibt die Meinung, dass so ein Ort Aura hat. Ich glaube so einen Quatsch nicht. Für mich ist das Quatsch. Ich glaube, dass jeder Ort eine Aura hat. Das, was es auch macht, das sind die Individuen, das sind die Menschen, die die Zeit, das Geschehen schaffen. 26´30 Es gibt für diesen kleinen Ort ziemlich viele Künstler, die lebendig sind. Aber größtenteils, unter 140 Künstler ist für mich kein Künstler, ist kein Leben vorhanden.
Worpsweder Gegenwartskunst
Katharine Groth:
Der Tourismus ist heute bestimmt fast das Wichtigste für den Ort, um überleben zu können. Alles ist ja auch auf die Gäste von außen ausgerichtet. Es gibt ja unheimlich viele Cafés und Restaurants entlang der Bergstraße, die Läden, die sich speziell auch auf diese Tagestouristen ausgerichtet haben um kunsthandwerkliche Arbeiten für kleinere Geldbeutel anzubieten. Natürlich gibt es auch die Museen, die wechselndes Programm machen. Man merkt schon ganz deutlich, wenn die Reisesaison beginnt, so ab Ostern etwa, dass natürlich viel mehr Leute im Ort sind und schon ist viel mehr Leben im Ort. Die Geschäfte haben länger geöffnet, die Museen haben sieben Tage die Woche von zehn bis 18 Uhr geöffnet. Es richtet sich schon sehr viel darauf. Es sollen viele Leute die Ausstellungen sehen, es sollen viele Gäste Übernachtungen buchen in Worpswede und hier bleiben.
Literaturtipps:
Mythos und Moderne
125 Jahre Künstlerkolonie Worpswede Taschenbuch
Wienand Verlag 2014
Herausgegeben von Katharina Groth, Björn Herrmann und den Worpsweder Museen
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Siegfried Bresler
Auf den Spuren von Heinrich Vogeler
Carl Schünemann Verlag 2009
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Rainer Maria Rilke
Worpswede: Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck, Hans am Ende, Heinrich Vogeler
Insel Verlag 2003
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Klaus Modick
Konzert ohne Dichter
Roman
Kiepenheuer&Witsch 2015
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Mythos Heimat
Worpswede und die europäischen Künstlerkolonien
Hrsg. von Thomas Andratschke und Niedersächsisches Landesmuseum Hannover
Sandstein Kommunikation 2016
Worpswede und die europäischen Künstlerkolonien
Hrsg. von Thomas Andratschke und Niedersächsisches Landesmuseum Hannover
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Frauke Berchtig, Herausgeber Künstlerkolonie Worpswede
Edition Braus 2015
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Friederike Schmidt-Möbus
Worpswede: Leben in einer Künstlerkolonie
Reclam-Verlag 2012
Worpswede: Leben in einer Künstlerkolonie
Reclam-Verlag 2012
Sabine Schlenker und Beate Ch. Arnold
Heinrich Vogeler: Künstler - Träumer – Visionär
Katalogbuch zur Ausstellung in Worpswede
Der Barkenhoff - Große Kunstschau
Hirmer-Verlag 2012
Heinrich Vogeler: Künstler - Träumer – Visionär
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Hirmer-Verlag 2012