Die "Lange Nacht" führt an diese Orte und erforscht den Zusammenhang zwischen Städten, ihrer Subkultur, der Kulturindustrie, ihren Künstlern und ihrer Musiktradition. Der New Yorker Songschreiber John Sebastian erklärt, welche Wirkung die Rootsmusiker auf dem Washington Square Park in Greenwich Village auf junge Rockmusiker hatte.
Die Antwerpener Avantgarderocker Stef Kamil Carlens und Rudy Trouvé erzählen von den lebendigen Tagen in der Subkultur Antwerpens in den 80er- und 90er-Jahren. Viele andere bekannte Musiker - von Irma Thomas und Billy Bragg bis zu Wolfgang Niedecken und Bertrand Burgalat - sprechen über den Einfluss von Stadt und Land auf ihre Musik.
Doch am Ende stellt sich die Frage: Wenn Mieten immer teurer werden, wenn Rückzugsräume für Künstler schwinden, was bleibt dann noch von den kreativen Anstößen lokaler Szenen für die globale Popmusik?
Sound of the Cities
Von Philipp Krohn, Ole Löding
Eine Popmusikalische Entdeckungsreise. 7 Länder, 24 Städte, 500 Songs, 150 Bands, Solokünstler und Popexperten.
2015 Rogner & Bernhard
Wurde der Punk in London oder Detroit erfunden? Ist Liverpool wirklich die "Capital City of Pop"? Warum entstand der Grunge in Seattle? Philipp Krohn und Ole Löding glauben fest, dass Städte die Musik beeinflussen, die in ihnen entsteht. Ob Rock oder Pop, Soul oder Elektro. Auf der Suche nach Belegen für diese These haben sie Mitglieder von weltberühmten Bands wie The Velvet Underground, Genesis oder Einstürzende Neubauten ebenso befragt wie einflussreiche Produzenten, Nachwuchskünstler und Plattenladenbesitzer. In legendären Clubs und stickigen Backstageräumen, an historischen Plätzen und während persönlicher Stadtführungen, in Aufnahmestudios und Proberäumen haben sie sich von Musikern und Musikexperten ihre Stadt zeigen und erklären lassen. Playlists der 500 wichtigsten Songs und Adressen zentraler popmusikalischer Sehenswürdigkeiten ergänzen die Städteporträts. Ein Buch, das neben keiner Plattensammlung fehlen, darf eine einzigartige Mischung aus Popgeschichte, Erlebnisbericht, Reiseführer und Liebeserklärung an Musikmetropolen und ihren Sound.
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Auszug aus dem Manuskript der Langen Nacht
Alfred Hilsberg, Hamburg
Ich finde, die Urbanität ist schon eine wesentliche Voraussetzung für eine sich entwickelnde Kulturlandschaft, Musiklandschaft. Oftmals ist das - wie in Hamburg - geprägt von Zugezogenen, in Berlin ja übrigens noch mehr. Aber ohne die Strukturen in einer solchen Metropole wie Hamburg - Kneipen, Clubs, Theater, Galerien, Kunsthochschulen bis hin zu Mode, bis hin zu obskursten Erscheinungen wie beispielsweise Stripteaseclubs auf St. Pauli - all das hat ja Einfluss auf den Zusammenhang zwischen den Leuten.
Inga Humpe, Berlin:
Eigentlich ist das Zentralwort dafür: Ansteckung. Und das wird zum Beispiel, glaube ich, wirklich unterschätzt, wie wichtig dieser Faktor ‚Ansteckung‘ ist. Dass zum Beispiel in einer Stadt wie hier natürlich, wenn man sieht, es funktioniert in die eine Richtung oder die andere Richtung, dass davon Leute angesteckt werden, es mit aufbauen und weiterführen. Und es ist natürlich in einer so großen Stadt die Ansteckungsgefahr riesig.
Bernd Begemann, Hamburg:
Ja, man kann auch argumentieren, dass die tolle internationale Popmusik immer regional war, auch. Aber diese Verbindung von Stadt und Land ... Als ich nach Hamburg kam, hatte ich das Gefühl, dass die Kids aus der Vorstadt und der Provinz irgendwie heißer drauf waren, dass die Innenstädter defensiver waren. Weil sie hatten ihre Pfründe zu verteidigen. Naja, die Typen, die dann auf dem Tisch getanzt haben, das waren dann die Jungs aus Bergedorf. Das hätten die Innenstädter ja nie getan, weil das war ihr Tisch! Das ist immer dieses interessante Hin und Her. Du brauchst irgendwie so einen Sumpf, damit irgendetwas osmosiert oder gärt, aber dann musst Du das irgendwo in eine Flasche packen. Das ist dann meistens die Stadt. Das ist in vielen Richtungen so. Wahrscheinlich ist das im Ballet auch so, keine Ahnung, ich weiß nichts über Ballet. Aber wahrscheinlich müssen die Leute erst einmal zehn Jahre in ihrer Scheune rumgetanzt sein, bevor sie dann aufregendes Tanztheater in der Metropole machen.
Alfred Hilsberg, Hamburg
Ich finde, die Urbanität ist schon eine wesentliche Voraussetzung für eine sich entwickelnde Kulturlandschaft, Musiklandschaft. Oftmals ist das - wie in Hamburg - geprägt von Zugezogenen, in Berlin ja übrigens noch mehr. Aber ohne die Strukturen in einer solchen Metropole wie Hamburg - Kneipen, Clubs, Theater, Galerien, Kunsthochschulen bis hin zu Mode, bis hin zu obskursten Erscheinungen wie beispielsweise Stripteaseclubs auf St. Pauli - all das hat ja Einfluss auf den Zusammenhang zwischen den Leuten.
Inga Humpe, Berlin:
Eigentlich ist das Zentralwort dafür: Ansteckung. Und das wird zum Beispiel, glaube ich, wirklich unterschätzt, wie wichtig dieser Faktor ‚Ansteckung‘ ist. Dass zum Beispiel in einer Stadt wie hier natürlich, wenn man sieht, es funktioniert in die eine Richtung oder die andere Richtung, dass davon Leute angesteckt werden, es mit aufbauen und weiterführen. Und es ist natürlich in einer so großen Stadt die Ansteckungsgefahr riesig.
Bernd Begemann, Hamburg:
Ja, man kann auch argumentieren, dass die tolle internationale Popmusik immer regional war, auch. Aber diese Verbindung von Stadt und Land ... Als ich nach Hamburg kam, hatte ich das Gefühl, dass die Kids aus der Vorstadt und der Provinz irgendwie heißer drauf waren, dass die Innenstädter defensiver waren. Weil sie hatten ihre Pfründe zu verteidigen. Naja, die Typen, die dann auf dem Tisch getanzt haben, das waren dann die Jungs aus Bergedorf. Das hätten die Innenstädter ja nie getan, weil das war ihr Tisch! Das ist immer dieses interessante Hin und Her. Du brauchst irgendwie so einen Sumpf, damit irgendetwas osmosiert oder gärt, aber dann musst Du das irgendwo in eine Flasche packen. Das ist dann meistens die Stadt. Das ist in vielen Richtungen so. Wahrscheinlich ist das im Ballet auch so, keine Ahnung, ich weiß nichts über Ballet. Aber wahrscheinlich müssen die Leute erst einmal zehn Jahre in ihrer Scheune rumgetanzt sein, bevor sie dann aufregendes Tanztheater in der Metropole machen.
Wir sind zu einer Reise aufgebrochen. Einer popmusikalischen Entdeckungsreise. Wir wollen verstehen, was es braucht, damit gute Popmusik entsteht. Der Großteil der Musik, die wir lieben, ist in Städten aufgenommen worden. Warum ist das so? Und welche Rolle spielen die ländlichen Einflüsse für die Musik in der Stadt? Was passiert in der Metropole, wenn Provinzler und Großstadtkids aufeinanderprallen? Auf der Suche nach Antworten reisen wir in die Popmusikmetropolen der westlichen Welt. Dorthin, wo die Songs, die wir lieben, entstanden sind. Wir reisen nach Hamburg und Stockholm, nach London, Antwerpen und Manchester, nach New York, San Francisco und Memphis. Wir sprechen mit Musikern über die Kreativität der Provinz, den Reiz der Metropole und den zunehmenden Kampf um knappen Wohnraum, durch den sich die Freiräume verengen.
Sounds:
Bernd Begemann: St. Pauli hat uns ausgespuckt
Mark Stewart/The Pop Group: S.O.P.H.I.A.
Irma Thomas: Working in a Coal Mine
Kolkhorst: Immer so enttäuscht
Friska Viljor: In my Sofa I'm safe
John Sebastian: Darling be home soon
Billy Bragg: Waiting for the great Leap forwards
Bertrand Burgalat: Bardot's Dance
Mighty Oaks: Just one Day
Coldcut: Walk a Mile in my Shoes
Bertrand Burgalat: Bardot's Dance
Mighty Oaks: Just one Day
Coldcut: Walk a Mile in my Shoes
Weitere wichtige Links:
Der Sound der Staaten (FAZ):
Wassermusik. Warum Städte am Wasser so oft zu Musik-Metropolen geworden sind. (FAZ Magazin):
Gentrifizierung. Der Klang von Bulldozern und Bargeld tötet die Musik. (FAZ):
4) Wien
5) Antwerpen
Auszug aus dem Manuskript der Langen Nacht
Die belgische Hafenstadt Antwerpen ist ein internationaler Schmelztiegel. Angeblich leben hier mehr Nationalitäten zusammen als in New York. Zudem ist die Stadt perfekt aufgestellt, um ein echtes Popzentrum zu sein. Der Hafen hält Antwerpen am Puls des internationalen Zeitgeistes. Amsterdam, Brüssel und Paris sind nah genug, damit internationale Weltstars gerne einen Abstecher an die Schelde machen. Aus England sind die besten Radiosender zu empfangen. Und das große jüdische Viertel der Stadt sorgt für kulturelle Dynamik. Kein Wunder, dass in der Stadt mit gerade einmal 500.000 Einwohnern immer wieder spannende Popmusik entsteht. In den 80er-Jahren entwickelt sich hier der New Beat. Vorläufer für den Eurodance und den europäischen Techno. In den 90er-Jahren wird Antwerpen berühmt für seine innovative Rockmusik mit Bands wie K’s Choice, dEUS und Zita Swoon. Am Stadtrand, in einem mit Instrumenten vollgestellten Proberaum, treffen wir Stef Kamil Carlens - Gründungsmitglied von dEUS und heute Kopf des Musikkollektivs Zita Swoon. Er berichtet, wie er zur Musik gekommen ist, weil ihn sein Vater - ein großer Plattensammler - schon als junges Kind in die Plattenläden Antwerpens mitnahm."
Stef Kamil Carlens:
Mein Vater nahm meine Schwester und mich mit. In dem Geschäft gab es auch eine große Popmusikabteilung. Und ich erinnere mich, wie mich die Cover beeindruckten. Zum Beispiel das Cover der Woodstock-Schallplatte. Mit dem Schlagzeug im Hintergrund und den kleinen, trommelnden Kindern. Das war sehr faszinierend. Ich hörte diese Schallplatten und entwickelte ein Verlangen, in dieser Welt aus Musik zu leben. Ich wollte ein Teil dieser Welt werden. Aber was mich dann endgültig überzeugte, Musiker werden zu wollen, war ein Straßenmusiker, der in der Straßenbahn am Antwerpener Hauptbahnhof spielte. Dieser Typ spielte an der Bahnstation, spielte die Gitarre, nur Coversongs. Und ich setzte mich mit meinem Schulranzen daneben und hörte ihm zu. Ich war fasziniert von seiner Art zu spielen, aber auch von seiner Haltung. Diese Freiheit, einfach draußen auf der Straße zu sein, Musik zu spielen. Also dachte ich: Ich brauche eine Gitarre. Ich will ein Straßenmusiker werden. Ich besorgte mir eine Gitarre und nach einer Menge Zögern traute ich mich auch endlich, den Typen zu bitten, mir ein paar Akkorde beizubringen. An meiner Schule hatte ich ein paar Freunde, die auch Instrumente spielten. Mit ihnen habe ich dann angefangen, Musik zu machen. Wir gründeten eine Band namens The Zoom und fingen sofort an, Songs zu schreiben. Vermutlich, weil wir keine Ahnung hatten, wie man die Songs anderer Leute spielt, schrieben wir unsere Songs selbst. Und ich nahm das alles von Anfang an sehr ernst, es wurde mein Leben. Und das hat sich bis heute nicht geändert.
Stef Kamil Carlens spielt in Clubs und Cafés der Stadt. Die wichtigste Bühne ist "De Muziekdoos". Hier treffen Straßenmusiker auf ambitionierte Songwriter aus der ganzen Welt. Eine Atmosphäre der gegenseitigen Befruchtung entsteht. "De Muziekdoos" ist der Ort, an dem Erfahrungen und musikalische Vorlieben aufeinandertreffen. Hier finden die Musiker der Band dEUS zueinander. Gemeinsam ziehen sie durch die Clubs der Stadt und erleben Musik. Auch Rudy Trouvé gehört in den ersten Jahren dazu. Im Gespräch erzählt er, woher die bahnbrechenden Stilvermischungen von dEUS kommen.
Rudy Trouvé:
Ich zog aus einem Vorort nach Antwerpen. Dort mieteten wir ein Haus, anscheinend ein ehemaliges Bordell. Dort wohnten wir, aber das hielt sich nur ein Jahr lang. Im Grunde machten wir nichts anderes als zu proben, Bilder zu malen, Videos zu drehen und Leute einzuladen, rumzukommen und mit uns zu jammen. In der Zeit war Stef Kamil in einer ähnlichen Situation. Zusammen mit dem Geiger Klaas Janzoons und dem Songschreiber Tom Barman lebte er ebenfalls in einem Haus, in dem sie nichts anderes taten als zu proben und zu feiern. Wir gingen alle in dieselben Bars. Eine von denen, die ich häufig besuchte, nannte sich "De Muziekdoos". Die Bar lag an der Schelde im alten Teil der Stadt. In der Gegend gab es ziemlich viele Kneipen, sodass man mehrere Läden in einer Nacht besuchen konnte. Dort traf man spannende Leute: Dave Robertson, der später mit mir in Kiss My Jazz spielte. Craig Ward, der in Kiss My Jazz und dEUS spielte. Marc Meyers, der bei dEUS anfing und dann bei Kiss My Jazz landete. Viele von diesen Leuten lebten von der Straßenmusik. Aber man konnte eben auch im "Muziekdoos" für eine Viertelstunde auf die Bühne. Stef Kamil machte das häufig und ging danach mit einem Hut herum. Mit dem verdienten Geld konnte man dann durch die Nacht kommen. Das war eine tolle Atmosphäre, denn man selbst war in Bands, unterhielt sich mit Leuten, die auch in Bands waren. Also gründete man neue Bands und schnell entwickelte sich eine Szene. Nicht alle, aber viele Leute tauschten sich aus, besonders meine Freunde und ich, weil wir es liebten, auszugehen. Wir mochten Drogen, vor allem Speed, und wir waren arm. In manchen Bars und Clubs gab es ab vier Uhr nachts freien Eintritt. Was taten wir also? Wir starteten um zehn Uhr, erst einmal im "Muziekdoos". Dann in ein paar andere Bars, dann in einen Punkschuppen namens "Cinderella": Und um vier Uhr nachts ging es in die Techno- und House-Clubs. Wir sogen das alles auf. An einem Abend hörten wir Folk, klassische Musik, Punk, New Wave und Techno. All das hinterließ seine Spuren in uns.
6) Glasgow
7) Düsseldorf
8) Austin
9) Paris
10) Stockholm
Auszug aus dem Manuskript der Langen Nacht
Joan Wasser, New York:
Um heute in bestimmten Teilen von Brooklyn zu wohnen, muss man zu den reichsten Leuten der Welt gehören, weil die ganzen Kinder von berühmten Schauspielern jetzt hier wohnen. Leute, die mit Geld aufgewachsen sind und hip sein wollen, sodass keiner mehr Musik macht. Wir wissen alle, dass das ein schlecht bezahlter Beruf ist. Leute, die Musik machen, können heute in bestimmten Teilen von Brooklyn nicht mehr leben. Sie werden unattraktiv zum Leben - all diese Leute, die sich nicht für Musik interessieren, sind hergezogen.
Bill Gould von Faith No More, San Francisco:
Faith No More wurden richtig groß in den Neunzigern. So konnte ich mir ein Haus leisten. Ohne das würde ich nicht hier sein. Es steht in der Lower Haight. Ich lebe hier seit 30 Jahren. Es hat immer noch den alten Geschmack. Aber es stirbt, weil hier so viel Geld ist. Es verändert sich schnell.
John Herndon, Tortoise, Chicago:
Obwohl Chicago so groß ist, finden die Jugendlichen immer noch Wege heraus aus Wicker Park, das inzwischen vollständig gentrifiziert ist. Es gibt einen Marc Jacobs Klamottenladen und so. Aber es gibt auch Viertel wie Bridgeport im Süden. Einige Zeit war Pilsen sehr angesagt. Ich denke, es gibt immer noch eine Auswahl an bezahlbarem Raum, und Leute machen verrückte Sachen. Ich bin aber nicht sicher, wie lange noch. Momentan noch gibt es einige Gegenden, in denen Jugendliche ihre Freakiness ausprobieren können.
Auszug aus dem Manuskript:
Von Gentrifizierung erzählen uns Musiker in fast allen Städten. In Stockholm, wo junge Musiker immer weiter in den tiefen Süden der Stadt vertrieben werden. In Hamburg, wo in den letzten Jahren Club nach Club geschlossen wurde. In Paris, wo es heutzutage so gut wie keine Bandszene mehr gibt. Der Produzent und Songschreiber Bertrand Burgalat erzählt, warum die steigenden Preise in den Metropolen selbst die Instrumente verteuern.
Bertrand Burgalat:
Die Leute idealisieren das Leben von Musikern in Paris. Es gibt die Gentrifizierung von Städten. Nicht nur in Paris, in London ist es schon früher losgegangen. Bei solchen sozialen Phänomenen hat London oft zehn Jahre Vorsprung. Ich erinnere mich daran, wie ich Ende der 90er-Jahre London besuchte. Das Hotel, in dem ich sonst immer für 60 Pounds die Nacht war, kostete jetzt plötzlich 500 Pounds und hatte ein blödes neues Design. Ich dachte mir: Was passiert hier gerade? Und genau das Gleiche ist in Paris passiert. Hinzu kommt: Wenn die Leute aus meiner Generation anfangen, Geld zu verdienen, dann versuchen sie, sich ihre Kindheitsträume zu erfüllen. Das ist natürlich berührend. Sie arbeiten in einer Bank und dann kaufen sie sich eine Gipson-Gitarre. Dafür zahlen sie 10.000 Euro. Also verteuern sie letztlich nicht nur die Immobilienpreise, sondern sogar den Preis von Musikinstrumenten.
Nicht alle Städte sind bislang so stark von Gentrifizierung betroffen wie Paris, London oder New York. Städte wie Berlin bieten immer noch Freiräume für Musiker, sich Orte zu suchen.
Ian Hooper:
In den letzten fünf Jahren, die ich jetzt hier bin, hat sich Berlin die ganze Zeit verändert. Ständig kommen neue Leute und ständig verlassen andere die Stadt. So viele junge Menschen, die nach Berlin kommen, um hier kreativ zu sein und dann all ihr Geld und all ihre Zeit im "Berghain" verschwenden und wieder abhauen. Es ist wirklich einfach, in Berlin verloren zu gehen. Du kannst mit einer Idee im Kopf hierherkommen und dann gar nichts erreichen. Und es ist einfach, lange nichts zu erreichen, weil man für eine ganze Weile, ohne ernstlich Geld zu verdienen, durchkommen kann. Ich kenne eine Menge Leute, die hier einfach abhängen. Das ist aber auch auf irgendeine Weise inspirierend: Man schaut auf diese Leute und sagt sich: Das wird mir nicht passieren. Für uns als Band war Berlin eine logische Wahl. Weißt du: Wir saßen immer gegenüber des Universal-Music-Gebäudes am gegenüberliegenden Ufer der Spree und tranken Bier. Wir schauten auf das Haus und fragten uns, ob wir dort jemals dort hineinkämen. So etwas ist machbar in Berlin, wenn du es versuchst und wenn du Ideen hast. In anderen Städten ist das schwerer. In New York beispielsweise fühle ich mich überfordert. Als wäre ich ein Nichts. Ein Niemand, der niemals irgendjemand sein wird. In Berlin hingegen habe ich das Gefühl, etwas erreichen zu können. Ich kann ein Teil dieser Stadt sein. Ich kann mich mit der Stadt verknüpfen. Ich kann Berlin auf die Landkarte der Folkmusik setzen. Man hat einfach das Gefühl, an der Geschichte der Stadt mitschreiben zu können, weil hier Geschichte weiterhin jeden Tag geschrieben wird.
Urbanität ist eine Voraussetzung dafür, dass Neues in der Popmusik entsteht. In Städten spielt sich die Geburt, die Glanzzeit und das Sterben von Szenen ab, die stete Wiederkehr neuer Pophelden aus dem Geist des Underground, der sich auf den kleinen, dunklen Bühnen der urbanen Zentren seit Mitte der 1950er-Jahre bis heute lebendig hält. Für die Vielzahl unangepasster, kleinerer Bands, die sich ihr Publikum erst noch erspielen müssen, aber ist es weiterhin schwer. Zwischen Brotjob, Clubsterben und einem zunehmend übersättigten Livemarkt suchen sie nach Einnahmemöglichkeiten. Die ökonomischen Umstände sind der Grund dafür, was wir heute für Konzertproduktionen zu sehen bekommen: DJs mit nur einer Laptoptasche, Singer-Songwriter und Solisten mit akustischer Gitarre, Duos, die sich im besten Fall das Hotelzimmer teilen können. Für junge Musiker sind es gegenwärtig unbestritten schwierige, krisendurchströmte Zeiten. Im Großen und Ganzen aber zeigt die Popgeschichte, dass Chancenlosigkeit, Armut, Existenznot, Wut und Mut hervorragende Katalysatoren für musikalische Innovation sind. Sie wird sich auch zukünftig weiter in Städten abspielen.