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Eine Lange Nacht über Spitzbergen
Eisbären, Polarlicht und arktischer Jazz

Der 1920 in Paris unterzeichnete Spitzbergenvertrag gesteht Norwegen die volle Souveränität über den 62.450 Quadratkilometer großen Archipel im Polarmeer zu. Alle 40 Unterzeichnerstaaten haben allerdings die gleichen Rechte wie Norwegen, was die Ausbeutung von Bodenschätzen und jede andere Nutzung des Landes betrifft.

Von Harald Brandt | 17.10.2015
    Die Siedlung Longyearbyen auf Spitzbergen.
    Die Siedlung Longyearbyen auf Spitzbergen. (Deutschlandradio / Kerstin Hildebrandt )
    Der 1920 in Paris unterzeichnete Spitzbergen-Vertrag gesteht Norwegen die volle Souveränität über den 62.450 Quadratkilometer großen Archipel im Polarmeer zu. Alle 40 Unterzeichnerstaaten haben allerdings die gleichen Rechte wie Norwegen, was die Ausbeutung von Bodenschätzen und jede andere Nutzung des Landes betrifft. Lange Zeit war der Kohlebergbau der wirtschaftliche Motor. Die staatliche Firma Store Norsk ist auch heute noch der größte Arbeitgeber auf der Insel. Aber Tourismus und Forschung werden immer wichtiger.
    Etwa 2000 Menschen aus über 40 Nationen leben in der ehemaligen Minenarbeitersiedlung Longyearbyen, die sich zu einem modernen Gemeinwesen entwickelt hat, in der es eine Schule, eine Schwimmhalle, ein Kino und ein eigenes Konzerthaus gibt. Über ein Viertel der Einwohner sind Studenten aus verschiedenen Ländern, die an der nördlichsten Universität der Welt arktische Wissenschaften studieren. Durch den Rückgang des Packeises in der gesamten Arktis verstärkt sich die Navigation im hohen Norden und auch bei der Suche nach Öl- und Gasvorkommen im Polarmeer entwickelt sich Spitzbergen zu einem wichtigen Standort für arktische Logistik.
    Die Hauptstrasse Longyearbyen, Spitzbergen
    Die Hauptstrasse Longyearbyen, Spitzbergen (Harald Brandt)
    Auszug aus dem Manuskript der ersten Stunde:
    Potsdam, Telegraphenberg, Alfred-Wegener-Institut für Polar-und Meeresforschung: Die Kisten sind schon gepackt, die Polarweste liegt neben dem Schreibtisch und am Telefon gibt Roland Neuber die letzten Anweisungen. In wenigen Stunden wird der Klima- und Atmosphärenforscher das frühsommerlich warme Potsdam verlassen und in seine zweite Heimat nördlich des Polarkreises reisen. Roland Neuber ist Leiter der deutsch-französischen Forschungsstation AWIPEV in Ny Ålesund auf Spitzbergen: "Ich bin morgen an einer Flugzeugkampagne beteiligt, wo wir mit unseren beiden Polarflugzeugen, die das Institut hat - die Polar 5 und die Polar 6 - eine Expedition machen, die von Spitzbergen über Grönland und die kanadische Arktis bis nach Alaska reicht. Wo es um zwei Themen geht. Zum einen um die Vermessung der Dicke des arktischen Meereises und zum anderen um die Zusammensetzung der arktischen Atmosphäre. Da insbesondere geht es um Schwebteilchen in der arktischen Atmosphäre und um - möglicherweise - Verschmutzung durch Abgase im weitesten Sinne."
    Adventdalen bei Longyearbyen
    Adventdalen bei Longyearbyen (Harald Brandt)
    Ny Ålesund ist auch das Ziel der österreichischen Malerin Christiane Ritter, als sie 1934 in Hamburg an Bord eines Kreuzfahrtschiffes geht. Im Gegensatz zu ihren Mitreisenden will sie auf Spitzbergen überwintern. Im kleinen Ort Ny Ålesund, das damals noch eine Minenarbeitersiedlung ist, will sie ihren Mann treffen und mit ihm weiter nach Norden fahren. Hermann Ritter hatte auf Spitzbergen an verschiedenen wissenschaftlichen Expeditionen teilgenommen und schon einige Winter in einsamen Hütten als Jäger und Fallensteller verbracht:
    "Es kommen die Fjorde, die typischen Nordlandfjorde, gletschergrünes Wasser, daraus herauswachsende steile dunkle Felsen, Wasserfälle, die von den Bergen wehen wie weiße Fahnen. Jeden Morgen, oh welche Lust, stehen Bett und Zahnbürste in einem anderen Fjord. Die Passagiere werden ausgebootet, im Auto gefahren, in den romantischsten Winkeln abgesetzt, dürfen in Gletscherbächen von einem Stein zum andern springen, dürfen die wilden Bergziegen necken, haben Fresspakete, knipsen, schreiben und kaufen Reiseandenken. Am Abend kommen wir zurück auf den von Maschinen, Küchenbetrieb und Komfort zitternden Schiffskoloss, werden gefüttert, gebettet und weitergeschifft. Man tanzt, flirtet, isst und trinkt sich an berühmt-schönen Küsten entlang, bis man eines Tages deutlich merkt, wie die Welt nach Norden zu immer heller und heller und kahler und einsamer wird. Abendhell bleibt die Nacht. Klippen und kahle Bergköpfe ragen aus dem fahlen Licht des Wassers. Ein fremder, kühler Hauch weht mich an aus dieser Urweltlandschaft. Wie die Erde im vorletzten Stadium der Sintflut sieht die Gegend hier aus. Hinter den Glastüren des Promenadendecks, in den erleuchteten Kaffeesalons sitzen die Menschen. Sie rauchen, trinken und tanzen, sie denken und sprechen genau so, wie sie es am Abend in ihren Großstadtlokalen tun. Sie merken wohl nicht viel von der fremd werdenden Welt, aus der sie in wenigen Wochen rundgegessen und ausgeschlafen zurückkommen werden."
    http://www.awi.de - Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI)
    Svalbards Kirke, Longyearbyen
    Svalbards Kirke, Longyearbyen (Harald Brandt)
    Ein Sonntag im Oktober in der ehemaligen Minenarbeitersiedlung Longyearbyen. Pfarrer Leif Magne Helgesen hat gerade ein Kind getauft und zum Abschluss des Gottesdiensts singt er mit den beiden anderen Mitgliedern des Svalbard-Kirkes-Trio ein Lied. Danach gibt es Kaffee und Kuchen im Gemeindesaal, der sich wie ein gemütliches Wohnzimmer direkt an den Kirchenraum anschließt. Die Kirche ist immer offen, auch wer um 3 Uhr morgens hier beten, meditieren oder einfach nur in Ruhe am Kamin sitzen und ein Buch lesen will, kann das tun.
    Taufbecken in Svalbards Kirke, Longyearbyen
    Taufbecken in Svalbards Kirke, Longyearbyen (Harald Brandt)
    Longyearbyen ist heute die größte Ansiedlung auf Spitzbergen und das Verwaltungszentrum des Archipels. Ein besonderer Ort, meint Pfarrer Helgesen. Früher war das eine einfache Siedlung für Ingenieure und Grubenarbeiter, die in den Berghängen direkt hinter der Kirche die Kohleflöze abbauten. Die Versorgungsschiffe kamen nur im Sommer, während der Polarnacht waren die Menschen mehrere Monate ganz auf sich gestellt. Aber seit der Eröffnung des neuen Flughafens 1975 gibt es das ganze Jahr über Flüge nach Tromsø und die ehemalige Grubensiedelung hat sich zu einem modernen Gemeinwesen entwickelt, in dem es sich gut leben lässt. Leif Magne Helgesen:
    "Es ist es eine sehr dynamische Gemeinschaft hier, die sich immer verändert. Jedes Jahr ziehen etwa 25 Prozent der Einwohner weg, dafür kommen andere. Es ist also kein Ort, wo man sein ganzes Leben verbringt. Die Menschen stammen aus ganz Norwegen, aber auch aus über 40 anderen Ländern. Das ist ein internationaler Platz. Es gibt keinen spezifischen Svalbarddialekt; die Kinder und Jugendlichen, die hier aufwachsen, haben keinen speziellen Dialekt, weil ihre Eltern von allen möglichen Orten in Norwegen kommen. Die Bevölkerung ist jung und alle sind produktiv. Entweder gehen sie in die Schule oder sie haben eine Arbeit. Keiner braucht eine Aufenthalts- oder Arbeitsgenehmigung, um hier zu leben. Aber wenn man kein Norwegisch und kein Englisch spricht, ist es sehr schwer, einen Job zu finden. Und das Leben ist sehr, sehr teuer hier. Auch der Wechsel von den langen Perioden der Polarnacht zur ständigen Helligkeit im Sommer ist für viele nicht einfach. Die Natur ist sehr mächtig."
    Die Wissenschaftler, um deren Ausrüstung sich Terje Aunevik kümmert, gehen meist in Tromsø an Bord. Die kleine Universitätsstadt auf einer Insel im Grindøysund ist der Heimathafen der norwegischen Forschungsflotte.
    Anderthalb Stunden dauert der Flug von Longyearbyen, viele Menschen auf Spitzbergen pendeln mehrmals im Monat hin und her. Für sie ist das wie ein Ausflug in den Süden, obwohl Tromsø immer noch 344 Kilometer nördlich des Polarkreises liegt.
    In der Eingangshalle des Fram Center in Tromsø.
    In der Eingangshalle des Fram Center in Tromsø. (Harald Brandt)
    2010 wurde in der Nähe der Kais, an denen die Schnellfähren nach Harstad an- und ablegen, das Fram-Center eingeweiht. Alle wichtigen Institutionen, die sich auf wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene mit dem Wandel in der Arktis beschäftigen, haben hier ihren Sitz. Was in der Arktis passiert, wirkt sich unmittelbar auf das Weltklima aus, erklärt Jan Gunnar Winther, Direktor des Norwegischen Polarinstituts:
    "Alle arktischen Anrainerstaaten haben in den letzten Jahren ihre Forschungsarbeit verstärkt. Das hängt mit der wirtschaftlichen Bedeutung der Region zusammen, hat aber auch wissenschaftliche Gründe. Im letzten IPCC-Report der Vereinten Nationen, an dem ich beteiligt war, wird anhand von Beispielen belegt, welche Langzeitwirkungen die Veränderungen in einer Region für andere Bereiche des Planeten haben. Die schmelzende Arktis oder die sich erwärmende Arktis hat Auswirkungen auf die ganze nördliche Hemisphäre. Es betrifft China, es betrifft Indien, es hat Auswirkungen auf den Monsunregen. Die Neulinge in der Arktis - das sind viele asiatische Länder - haben verstanden, dass sie die Situation in ihrer Heimat in Bezug auf die Landwirtschaft, die verstärkten Überschwemmungen und Dürreperioden nur in den Griff bekommen, wenn sie den globalen Wandel verstehen. Wenn sie in die arktische Wissenschaft investieren, wenn sie die Entwicklung in der Arktis verstehen, können sie sich den Veränderungen in ihren Heimatländern besser stellen."
    Vereister Weg zum Universitätszentrum, Longyearbyen.
    Vereister Weg zum Universitätszentrum, Longyearbyen. (Harald Brandt)
    Linktipp:
    Musikauswahl der ersten Stunde:
    • Jon Balke - Machinery
    • Frode Haltli - Lyrisk Vals
    • Terje Isungset - Lomonosov Ridge
    • Benedict Maurseth - Ververskens tid
    • Groupa - Morkullan
    • Stimmhorn - Hochtour
    Auszug aus dem Manuskript der zweiten Stunde:
    Im Küstenstädtchen Harstad, 134 Kilometer südlich von Tromsø und 250 Kilometer nördlich des Polarkreises, hat die staatliche Ölgesellschaft Statoil ihr Hauptquartier für die arktischen Regionen eingerichtet. Ihr Vizepräsident Daniel Tuppen ist verantwortlich für die Explorationsbohrungen im nördlichen Teil der Norwegischen See und in der Barentssee:
    "Wir haben ganz klar eine arktische Strategie. Denn wir sehen, dass eine Menge von Energieressourcen in der Arktis liegen. Etwa 22 Prozent der bisher noch nicht entdeckten Weltressourcen werden in den arktischen Gebieten vermutet. Aber wir gehen schrittweise vor, das machen wir seit 40 Jahren schon so in Norwegen. Einen der größten Schritte haben wir vor 40 Jahren getan, als wir in der Nordsee mit den ersten Offshore Bohrungen begonnen haben. Seitdem haben wir weitere Schritte unternommen, sind bis in die Tiefsee vorgedrungen, in das Aasta-Hansteen-Feld zum Beispiel. Die gleichen Prinzipien gelten für die arktischen Bereiche, wo wir seit 30 Jahren arbeiten. Wir sind bereit, weiter Richtung Norden zu gehen, aber wir machen das nur, wenn wir die richtige Technologie haben, die Sicherheit und Nachhaltigkeit garantiert."
    Früher Morgen in Harstadt, Nordnorwegen
    Früher Morgen in Harstadt, Nordnorwegen (Harald Brandt)
    In einem alten Holzhaus an der Hauptstraße von Tromsø unterhält die Umweltstiftung Bellona ein regionales Büro. Silje Lundberg, die bis vor Kurzem noch die Jugendorganisation Nature and Youth geleitet hat, ist hier für alle Fragen der arktischen Öl-und Gasförderung zuständig. Sie glaubt, dass auch die Gewässer um Spitzbergen bald für die Ölindustrie geöffnet werden: "Sie bewegen sich weiter nach Norden und gleichzeitig investiert der Staat mehr und mehr Geld in die Erdölforschung. Also, wie man die Ölindustrie weiter in die Arktis bringt. In diesem Sommer hat es seismische Kartierungen - also Untersuchungen des Meeresbodens mit akustischen Wellen - um Spitzbergen herum gegeben, obwohl das Gebiet noch nicht einmal für die Ölindustrie geöffnet worden ist. Der norwegische Staat zeigt damit, dass er diese Region für interessant hält. Man kartiert also und verkauft die Ergebnisse dann an die Ölgesellschaften, lange, bevor die Gegend überhaupt für Erdöl-Aktivitäten freigegeben ist."
    Hafen von Tromsø
    Hafen von Tromsø (Harald Brandt)
    Große Teile Spitzbergens stehen unter Naturschutz, seit 1973 hat Norwegen verschiedene Naturparks und -reservate eingerichtet, die auch die Küstengewässer mit einbeziehen. Fast 40.000 Quadratkilometer - das sind etwa 65 Prozent des Territoriums - sind somit von jeglicher Bebauung und industrieller Nutzung ausgeschlossen. Kritiker sagen, dass Norwegen nur so viele Gebiete schützt, um wirtschaftliche Aktivitäten anderer Nationen auf Spitzbergen zu verhindern. Malte Jochmann: "Das wichtigste im Spitzbergenvertrag ist ja, dass kein Land diskriminiert wird. Das heißt, solange Norwegen die gleichen Regeln für sich selber anwendet wie für andere, ist das mit dem Spitzbergenvertrag vereinbar und dann ist das auch in Ordnung. Ich finde das klug und gut, dass Norwegen so viel schützt und Reservate und Nationalparks einrichtet. Wenn ich mir vorstelle, Russland baut den Tourismus wirklich so aus, wie sie schon lange planen, und langsam auch wirklich in die Gänge kommen, dann: Russland ist ein ganz anderes Land, die können hier Direktflüge herhaben und da kann der Tourismus explodieren. Da ist es gut, dass Norwegen vorher schon die strengen Regeln eingeführt hat. Sonst schwirren hier überall die Hubschrauber rum und die Motorschlitten heizen auf der ganzen Insel rum. Und das wird nicht passieren. Zum Glück!"
    Musikauswahl der zweiten Stunde:
    • Mats Eden - Bäckahästen
    • Stimmhorn - Raureif
    • Terje Isungset - Glacial Motion
    • Frode Haltli - Pre
    • Benedict Maurseth - Rameslatt
    • Anders Jormin - Introitus
    • Antigo - Invention
    • Jon Balke - Climb
    • Frode Haltli - Jeg haven
    • Groupa - Nytt tak
    Auszug aus dem Manuskript der dritten Stunde:
    Silje Lundberg: "Die Folgen einer Ölpest in der Arktis wären katastrophal, weil wir keine Mittel haben, um das Eis vom Öl zu reinigen. Der einzige Weg ist die Verwendung einer Bürste. Und das ist nicht sehr effizient. In Norwegen hatten wir vor eine paar Jahren eine Ölpest. Das war ein Tanker, der im Süden auf Grund gelaufen ist. Im Winter. Da war das ganze Eis ringsherum. Und es gab keine Möglichkeit, das Öl zu entsorgen, außer darauf zu warten, dass das Eis irgendwann mal schmilzt. Und auch das ist keine sehr gute Lösung. Es gibt einfach keine Methoden, um mit Ölunfällen in der Arktis zurechtzukommen. Und die Artenvielfalt in der Arktis ist für ganz Norwegen wichtig, für den Rest der Welt ist sie wichtig. Viele arktische Fische sind erst einmal in den norwegischen Gewässern, bevor sie in die Weltmeere weiterziehen. Viele der kommerziell ausgebeuteten Bestände haben in der Barentssee - vor allem in den nördlichen Gebieten - ihre Kinderstube. Das Problem ist die große Entfernung vom Hauptland, die logistischen Herausforderungen sind enorm, wenn man schnell auf einen Ölunfall reagieren muss."
    In ihrem Buch "Eine Frau erlebt die Polarnacht" beschreibt Christiane Ritter die Auswirkungen der langen Dunkelperiode auf das menschliche Gemüt. Wer die Arktis mit den Augen eines Jägers sieht, wird immer genug zu tun haben und nicht ins Grübeln verfallen. "Aber derjenige, der gewöhnt ist, seinem Hang zum Nichtstun nachzugeben", schreibt die österreichische Autorin, "wird die große Gefahr laufen, sich an das Nichts zu verlieren, seinen Sinn allen Wahnbildern der überspannten Nerven auszuliefern."
    Das Forschungsschif "Helmer Hansen" im Hafen von Longyearbyen.
    Das Forschungsschif "Helmer Hansen" im Hafen von Longyearbyen. (Harald Brandt)
    "Es folgen Tage allgemeiner Entspannung. Die neu mitgebrachten Füchse sind abgezogen. Die Bälge sind mit der Haut nach außen auf lange, spitze Bretter gespannt, die ihnen die mondäne Länge geben sollen. Unterhalb der Hüttendecke hängen sie zum Trocknen. Die Männer ruhen aus von der langen Tour. Sie liegen auf ihren Kojen und lesen beim Schein der Petroleumlampe, die nun schon den ganzen Tag brennt. So bin ich jetzt oft allein auf meinem täglichen Spaziergang, den ich am liebsten in der Richtung fjordeinwärts wähle, nach Süden, dorthin, wo die Sonne verschwunden ist und wo sie in vier Monaten das erste Mal wieder erscheinen wird. Die Welt liegt in tiefer Dämmerung, aus der sie sich nicht mehr zu erheben vermag. Es ist windstill und ein durchsichtiger Nebel trägt die Wellen des letzten sterbenden Lichts. Unwirklich und raumlos ist Nähe und Ferne.
    Wie helle Schatten ragen die vereisten Berge in den tiefgrauen Himmel. Aller Schwere bar, scheinen sie gleichsam zu schweben. In melodischer Weichheit schmiegt sich das dunkle Wasser in die runden, weißen Buchten, in die Flussmündungen und gleitet über in die dunkle Stille des weiten Meeres, das in der Ferne in das Grau des Himmels sich aufzulösen scheint. Diese Landschaft hat nichts Irdisches mehr. Sie scheint in ihrer Entrücktheit ein in sich geschlossenes Leben zu führen. Sie ist wie der Traum einer Welt, der sichtbar wird, bevor er sich zur Wirklichkeit gestaltet.
    "Chinesische Landschaften" nennen wir diese Bilder, die so sehr an die hauchfeinen, wundervollen Tuschmalereien chinesischer Maler-Mönche erinnern, die nur in den Abstufungen vom hellen zum dunklen Grau, in angedeuteten Formen ohne Kontur den geheimnisvollen, ungeheuren Ausdruck bergen. Und hatte den chinesischen Meistern tiefste Versenkung in die Natur die Inspirationen zu ihren vergeistigten Bilddarstellungen gebracht, so ist es hier die herannahende Nacht, die die Landschaft allen Beiwerkes entkleidet, gleichsam nur die tiefste Wesenheit der Natur selbst zum Ausdruck bringt.
    Fast ist man gewärtig, dass diese Bilder in Nichts zerrinnen vor dem wachen, kritischen Blick des Menschen. Aber sie beharren in ihrem wundersamen Leuchten, Stunden und Tage. Immer wieder ist es dieses Beharren in zeitlosem Licht und unsagbarer Stille, das die Welt hier oben so unwirklich macht.
    Es ist schwer zu sagen, wie es anmutet, in diesen mystischen Bildern spazieren zu gehen, die ja, räumlich genommen, groß und gewaltig sind, in denen sich der wandernde Mensch ausnimmt wie ein winziges Stück erloschene Kohle."
    Infos:
    • Christiane Ritter, geborene Christiane Knoll, geboren 13. Juli 1897 in Karlsbad, gestorben 29. Dezember 2000 in Wien war eine österreichische Malerin und Autorin.
    • Buch: Christiane Ritter: "A Woman In The Polar Night", E-Book, Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet. EPUB,2010, Greystone Books
    Das Grabmal eines Eismeerfahrers, Tromsøn.
    Das Grabmal eines Eismeerfahrers, Tromsøn. (Harald Brandt)
    Spitzbergen ist in Mode gekommen. Und das Leben in der Hauptsiedlung Longyearbyen ist durchaus abwechslungsreich. Es gibt Filmvorführungen, Vorträge, Ausstellungen und immer wieder Jazzkonzerte. "Jeder will hier auftreten", sagt der Geologe Malte Jochmann, dem auch die lange Polarnacht nichts ausmacht. "Die Veranstalter brauchen eigentlich nur den Namen Spitzbergen zu erwähnen, schon haben sie die Musiker unter Vertrag." Auch Terje Aunevik, der sich um die Logistik solcher Veranstaltungen kümmert, hat sich an die besonderen Lebensumstände auf der Insel gewöhnt. Aber bei ihm hat es hat eine Weile gedauert:
    "Ich bin 1998 hierher gekommen. Vorher habe ich im nördlichen Teil von Norwegen gelebt, in Lappland. Dort habe ich als Musher gearbeitet, als Hundeschlittenführer. Ich habe sehr gerne dort gelebt, es ist eine schöne Gemeinschaft, die Leute sind entspannt, ein bisschen anarchistisch, sie haben ihren eigenen Lebensstil und kümmern sich wenig um Vorschriften und um die Regierung. So kam ich dann dazu, eine Theorie aufzustellen, die besagt, dass der Grad der Anarchie proportional zum Breitengrad ist. Also, je höher man in den Norden geht, desto freier ist das Leben. Irgendwann dachte ich dann, dass Longyearbyen ein guter Platz sein könnte. Aber als ich hier landete, war ich doch ein bisschen enttäuscht, denn ich hatte ein kleines Jägerdorf erwartet, so eine Art letzter Außenposten, aber das hier ist doch – auf 78 Grad Nord - eine Art urbaner Gesellschaft, so klein und so abgelegen der Ort auch sein mag. Aber jetzt, mit ein paar Jahren mehr auf dem Buckel, ist das genau die Umgebung, die mir gefällt. Diese einzigartige Kombination von extremer Wildnis – man braucht nur 20 Kilometer rauszufahren und ist in der Mitte von Nirgendwo, sozusagen - und auf der anderen Seite diese fantastische, spannende, vibrierende kleine Gemeinschaft, die das Lebensgefühl einer richtigen Stadt vermittelt. Und es wird immer internationaler, das ist die größte Veränderung, die ich sehen kann."
    Musikauswahl der Dritten Stunde:
    • Anders Jormin - Flying
    • Terje Isungset - H2O Cycle
    • Anders Jormin - Soapstone
    • Jon Balke - Downslope
    • Benedict Maurseth - Alde
    • Groupa - Lavalek
    • Frode Haltli - Psalm
    Literatur- und Linktipps:
    • Rolf Stange: "Spitzbergen - Svalbard" - Rolf Stange kennt Spitzbergen wie seine Westentasche. Das Buch bietet umfassende Informationen über alle Gegenden von Spitzbergen, über Geografie, Flora, Fauna und vielerlei Tipps.
    • Nataliya Marchenko "Russian Arctic Seas", Navigational conditions and accidents. xxii, in russischer und englischer Sprache. Bd.-Nr.80062435
    • 2012 Springer, Berlin - For safe operations in the Arctic, it is critical to understand the natural conditions and to learn from the experiences of ice pilots who have worked there. In the context of planning the PetroArctic project, accounts of seagoing activities in the Russian Arctic Seas that ersulted in accidents have been gathered and are now made available in this bilingual (Russian-English) volume. Here especially, the physical environment and navigation issues for the Kara, Laptev, East Siberian and Chukchi seas are described. Fully half of the book describes accidents induced by heavy ice conditions since 1900: 94 accidents are carefully reported and classified. Among these, the accidents involve shipwrecks, forced drift (ice jet as special case), overwintering, and various types of vessel damage. Most accounts include details such as distinguishing features, behavior of the crew, photos, and maps, which reveal ice conditions, date, location, and vessels involved (for each of four seas). The book will be useful to scientists, industrial planners and a wide audience interested in the Arctic Seas.
    • Olivier Truc: "40 Tage Nacht", Thriller, Übersetzung: Ranke, Elsbeth, Originaltitel: Le dernier Lapon, 2015 Droemer/Knaur - Kautokeino in Lappland am 10. Januar. Eine gletscherkalte Polarnacht. Morgen wird nach 40 Tagen die Sonne wiedergeboren, zwischen 11.14 und 11.41 Uhr – und die Menschen atmen auf. Morgen aber wird es auch zu den spektakulärsten Verbrechen kommen, die Kommissar Klemet Nago von der samischen Polizei in der verschneiten Tundra je gesehen hat: Eine kostbare samische Trommel, Wahrzeichen des letzten Urvolks Europas, wird aus dem Museum gestohlen. Wenig später findet man den Rentierhirten Mattis brutal ermordet auf. Klemet und seine Partnerin Nina, frisch von der Polizeischule im Süden des Landes, ermitteln – und geraten in politische und menschliche Verwicklungen, die tief in die Geschichte Lapplands zurückreichen.
    • http://www.spitzbergen.de/links-und-literatur/linkliste.html - Diese Linksammlung wird regelmäßig erweitert und bietet Links zu vielen interessanten Seiten mit Bezug auf Arktis und Antarktis
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