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Eine Lange Nacht über Tradition und Wirklichkeit des Handwerks
"Verachtet mir die Meister nicht"

Sie feilen und schneiden, messen und backen: Etwa fünf Millionen Handwerker sorgen in Deutschland für dichte Dächer, scharfe Brillengläser und wohlschmeckende Brote. Tag und Nacht sind sie an der Arbeit, die Meister, Gesellen und Lehrlinge.

Von Eckhard Roelcke |
    Lehrling und Meister in der Werkstatt.
    Lehrling und Meister in der Werkstatt. (picture alliance / dpa/ Sebastian Kahnert)
    Sie verzaubern uns mit ihrer Umsicht, ihrer feinen Handarbeit und reparieren Uhren, entwerfen Schmuck und bauen Musikinstrumente. Mitunter können sie gehörig nerven. Sie kommen oft nicht zum vereinbarten Termin, machen Lärm und Dreck und behandeln eine fremde Wohnung wie ihre Werkstatt.
    Eine "Lange Nacht" über Meisterstück und Meisterzwang; über den Maßschneider im Atelier und die Tischlerin an der Kreissäge; den Brauer beim Mälzen und den polnischen Alleskönner auf der Leiter. Und über verärgerte Kunden, die über Pfusch und hohe Rechnungen klagen.
    Gast im Studio ist Professor Reinhold Reith. Er ist Ordinarius für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Salzburg und forscht seit Jahren über die Geschichte des Handwerks. Er erzählt von der Macht der Zünfte im Mittelalter, den Traditionen und Innovationen im Handwerk und erklärt, warum wir oft ein falsches Bild vom Beruf des Handwerkers haben.

    Prof. Reinhold Reith. Er ist Ordinarius für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Universität Salzburg. Seit vielen Jahren forscht er über die Geschichte des Handwerks. Seine Vita und sein Eintrag bei Wikipedia
    Sie feilen und schneiden, messen und backen
    Etwa fünf Millionen Handwerker sorgen in Deutschland - für dichte Dächer, scharfe Brillengläser und wohlschmeckende Brote. Tag und Nacht sind sie an der Arbeit, die Meister, Gesellen und Lehrlinge.
    Keine Frage: Mitunter können Handwerker gehörig nerven. Sie kommen nicht zum vereinbarten Termin oder sie kommen zu spät. Sie machen Lärm und Dreck und behandeln eine fremde Wohnung wie ihre Werkstatt.
    Es gibt aber auch Handwerker, die uns verzaubern mit ihrer feinen Handarbeit. Sie reparieren Uhren, entwerfen Schmuck oder bauen Musikinstrumente.
    Wir treffen in dieser Langen Nacht einen Maßschneider in seinem Atelier. Wir hören, wie ein Dachdecker von seiner Arbeit erzählt. Wir besuchen eine Tischlerin in ihrer Werkstatt, begutachten ihre Maschinen und Werkzeuge. Ein Bierbrauer wird uns in seinen Gärtank blicken lassen, und wir lernen einen polnischen Alleskönner kennen, einen Handwerker, den man bei fast allen Problemen anrufen kann.
    Also: Wir sprechen über Tradition und Wirklichkeit im Handwerk. Über Meisterstück und Meisterzwang und natürlich auch über verärgerte Kunden, die über Pfusch und hohe Rechnungen klagen.
    Reinhold Reith (Hg)
    Das alte Handwerk
    Von Bader bis Zinngießer

    Verlag C.H. Beck (Beck’sche Reihe),
    1. Aufl. 2008
    Das Lexikon des alten Handwerks stellt - vom Bader bis zum Zirkelschmied - die wichtigsten Handwerksberufe vom späten Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert vor. Es beleuchtet in den Einzelbeiträgen Aspekte wie Ausbildung, Wanderschaft, Frauenarbeit, Werkzeug und Werkstatt, Zunft und Gesellenvereinigung. Das Lexikon ist ein präzises Handbuch zu den wirtschaftlichen und technischen sowie den sozialen und kulturellen Aspekten des alten Handwerks.
    Der Dachdecker Michael Döffinger
    Gib es so etwas wie eine Handwerker-Ehre?
    Michael Döffinger: "Klar gibt es eine Handwerkerehre. Die wird auch immer stark verteidigt. Lautstark und mit den Sachen, die man da zaubert auf dem Dach. Das ist Handwerkerehre. Da lässt man sich glaube ich nicht die Butter vom Brot nehmen. Man möchte schon immer gerne mit den ganzen Sachen, die man auf dem Bau auch macht, zeigen, was kann ich, was mache ich. Was stellen wir auch als Firma dar. Da gibt es Handwerkerehre in jeder Ebene, auf jeden Fall. Das ist auch für einen Meister immer so eine Sache. Er will nicht vor den Gesellen auch nicht immer die Blöße geben und will dementsprechend auch meistens der Schlaueste sein und der Beste sein. Ist man natürlich nicht immer. Die Jungs sind alle gut. Handwerkerehre: klar! Also wirklich auch immer die hundert Prozent abzurufen, die man dem Kunden auch schuldet. Also wirklich auch immer das zu machen, was man sagt, und das man auch sagt, was man kann. Ist ja auch wichtig. Ich kann ja dem Kunden nicht den Himmel versprechen und die Sterne runterzaubern. Das geht alles nicht, wenn ich es gar nicht kann. Also man sollte immer ehrlich sein und nur auch das anbieten, was man auch wirklich kann. Und dann ist glaube ich die Handwerkerehre vor einem selber gewahrt, und entsprechend wird man dann auch nicht falsch angegriffen in der Handwerkerehre. Und da schließt sich der Kreis bei der Geschichte. Einfach nur das machen, was man wirklich gut kann. Sonst, wenn man jemand hat im Team, der das, was man nicht kann, besser kann, dann soll der seine Handwerkerehre strahlen lassen. Und da schließt sich dann auch wieder der Kreis."
    Weitere Buchtipps:
    Richard Sennett:
    Handwerk
    Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff'
    Berlin Taschenbuch Verlag
    5. Aufl. Februar 2015
    Studienarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Pädagogik - Sonstiges, Note: 2, 0, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Ethisch-pädagogisches Begelitstudium), Veranstaltung: Seminar zu: Autonomie, Individualität, Selbstständigkeit, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Seminararbeit führt in Richard Sennetts Werk "Handwerk" ein und erläutert Sennetts Begriff von "Handwerk" und "handwerklichem Arbeiten". Anschließend wird der Handwerksbegriff im Kontext der Studienfächer Germanistik und Geschichte analysiert. Abschließend setzt sich die Arbeit mit vier zentralen Rezensionen kritisch mit Sennetts Werk auseinander.
    Matthew B. Crawford
    Ich schraube, also bin ich
    Ullstein Buchverlage, 2011
    'Was ist erfüllender: weltfremde Bildschirmarbeiten oder mit ölverschmierten Händen eine Harley zu reparieren? Für den Philosophen und Mechaniker Matthew B. Crawford ist die Antwort klar: Sein Weg aus der Sinnkrise führt ihn direkt in die eigene Motorradwerkstatt. Und er stellt fest: Die manuelle Arbeit verschafft mehr Befriedigung und birgt größere intellektuelle Herausforderungen als jede Bürotätigkeit.
    Rudi Palla
    Verschwundene Arbeit.
    Ein Thesaurus der untergegangenen Berufe.

    Eichborn Frankfurt/Main 1994
    (Lizenzausgabe Büchergilde Gutenberg)
    Rudi Pallas akribisch gesammeltes Archiv der ausgestorbenen Handwerkskünste
    Eine Kulturgeschichte der Arbeit anhand verschwundener Berufe
    Ein detailreiches und unterhaltsames Lesebuch
    Was machte ein Abdecker, ein Fischbeinreißer, ein Kalfaterer, ein Lustfeuerwerker oder ein Planetenverkäufer? Die meisten unserer Vorfahren haben ihr Leben lang Tätigkeiten ausgeübt, von denen wir nichts mehr wissen. Die rapide Veränderung der Arbeitswelt hat Hunderte von ausgestorbenen Berufen hinterlassen. Wie viel hoch spezialisiertes Können damit verloren gegangen ist, lässt sich kaum ermessen.
    Wie ein Archäologe legt Rudi Palla in dieser Sammlung all jene Tätigkeiten frei, die wir uns heute teilweise kaum noch vorstellen können. Dieses sorgfältig edierte und liebevoll illustrierte Buch ist ein Reiseführer durch die Sedimente menschlicher Anstrengung, eine Schatz- und Wunderkammer, ebenso reich an genau recherchierten Details wie an amüsanten Anekdoten und Kuriosa. Rudi Pallas Lexikon ist nicht nur ein hilfreiches Nachschlagewerk, sondern zugleich ein anregendes Lesebuch, das zum Weiterblättern und Weiterlesen verführt.
    Matthias Kalle
    Normal hält das.
    Vom Hausbau und andere Katastrophen

    Ullstein Taschenbuch, 2. Auflage 2015
    Der Hausbau ist das letzte große Abenteuer des modernen Mannes. Der Hausbau führt ihn an den Rand seiner Möglichkeiten, an die Grenzen der zivilisierten Welt. Der Hausbau lehrt einen Dinge, von denen man nicht einmal ahnen konnte, dass es sie gibt ... Humorvoll, selbstironisch und leise verzweifelnd erzählt der Zeit-Autor.
    Matthias Kalle vom Wahnsinn und dem großen Glück, das einer erleben kann, der sich tatsächlich dazu entscheidet, ein Haus zu bauen.
    Verschrauben, verleimen, sägen, ...
    ... hobeln, schleifen, abdichten und dämmen, eindecken, nähen, säumen, einsetzen, biegen, tiefziehen, treiben, stauchen, dehnen, abkanten, umbördeln, versäubern, waschen, sieben, schälen, montieren, anreißen, stechen, zurichten, färben, polieren, entfrosten, abziehen, entkernen, verzinken, beschichten, verputzen, meißeln, spritzen, rösten, beizen, gratinieren, legieren, mauern, vergolden, verschalen, verfliesen, verfugen, flecheln und furnieren, gravieren und guillochieren, Maß nehmen, abkupfern, ausbleichen, tauschieren, ebonisieren, lasieren, entrosten, grundieren, lackieren, blanchieren, hämmern, eindünsten und frosten, kandieren und glasieren, klären, parieren, tranchieren, nageln, umschneidern, aufarbeiten, anfrischen, anschieben, ausbacken, schmelzen, drehen, drucken, wiegen, mahlen, kneten, schrauben, löten, isolieren, schweißen, vorrichten, formieren, homogenisieren, eloxieren, plastifizieren, ätzen, härten, überfangen, bossieren und brennen, gießen, gärben, binden, stemmen, klammern, falzen und walzen.
    Der Bierbrauer Michael Schwab
    "Wir schleppen jeden Sack Malz mit der Hand. Wir müssen, wenn wir jetzt unsere Flüssigkeiten hin- und her bewegen, müssen wir die nicht mit dem Eimer bewegen, sondern da haben wir dann schon Pumpen. Aber da sind so viele Handgriffe, die wir wirklich mit der Hand durchführen müssen, da ist keine Computersteuerung, da ist kein Monitor, also wir müssen viel mit Gefühl und mit der Hand arbeiten. Deswegen trifft das Handwerk auch ein bisschen mehr. Auch wenn wir jetzt in moderneren Zeiten ankommen, ist das doch noch ein richtiges traditionelles Handwerk, was wir betreiben."
    Michael Schwab ist Chef der "Berliner Handwerksbrauerei BrewBaker". Zwei, drei Mitarbeiter, viel Phantasie.
    "Mein Ideal ist eigentlich, dass man sich über den Geschmack vortrefflich streiten kann. Da sind unterschiedlichen Philosophien dahinter. Die großen Brauereien stellen ein, zwei, vielleicht drei Produkte her und haben damit ja eher das Problem, dass es niemand nicht schmecken muss. Die müssen das Zeug ja loswerden. In kleinem Maßstab kann ich polarisieren, kann ich anecken, da kann man provozieren. So dass man sich wirklich über Genussmittel unterhält. Für mich gibt es nicht das eine Bier, ich bin geschmacklich sehr, sehr vielfältig unterwegs und tobe mich da auch aus. Ich möchte einfach die Genussmöglichkeiten ausschöpfen. Das endet nie. Ich habe jetzt seit 2005 vielleicht 120, 140 verschiedene Biere gebraut. Jedes Mal lerne ich etwas dazu, entdecke bei Kollegen einen anderen Weg, den man einschlagen kann. Und diese Vielfalt, die kann ich nur im Kleinen machen. Und das ist der Luxus, den ich mir gönne.
    Also wir stehen irgendwo zwischen Koch und Winzer. Wir arbeiten mit Gewürzen jetzt im ganz klassischen Sinn. Der Hopfen ist ein Biergewürz, und es in den letzten Jahren erst in Deutschland in dem Verständnis angekommen, dass man damit Geschmacksvielfalt erzeugen kann. Der ist nicht nur bitter, sondern hat mal grasige Noten, blumige Noten, fruchtige Noten, Gewürznoten. Da haben wir eine riesige Palette, mit der wir Geschmacksvielfalt im Bier erzeugen können. Nicht alles gelingt, nicht alles ist eine Superkombination, aber wir haben unheimlich viele Spielmöglichkeiten. Wir haben eine Palette von 40 verschiedenen Malzen, wir haben 80, 90, 100 verschiedene Hopfensorten, dann noch diverse Hefesorten. Da haben wir eine riesige Klaviatur, mit der wir spielen können. Und zum Vergleich dazu eine Großbrauerei: eine Sorte Malz, vielleicht zwei, eine Sorte Hopfen in der Regel. Da steht dann Hopfenextrakt drauf, da geht es dann überhaupt nicht um die Aromatik des Hopfens, sondern um die Bittere. Die stellen dann ein Produkt her, und das muss das ganze Jahr über gleich schmecken. Bei uns ist das so wie im Weinbereich eher der Terroire-Gedanke und die Jahrgangs-Schwankung. Es soll ja nicht immer gleich schmecken - zumindest bei mir nicht. Klar, nehmen wir mal das Bellevue-Pils, das soll schon immer recht ähnlich sein. Aber da es ein lebendes Produkt ist, kommt es halt darauf an, wann kriegt man das zum Trinken. Wir beenden hier in der Brauerei die Reifezeit nicht. Das heißt: Es wird nicht pasteurisiert, es wird nicht filtriert, da werden keine Inhaltsstoffe rausgenommen. Und natürlich schmeckt es nach 6 Wochen Lagerung anders als nach 4 Wochen. Es soll immer ähnlich vom Stil her sein, also das gelingt mir seit 10 Jahren auch eigentlich auch ganz gut, dass es in der Stilistik ähnlich ist. Aber jedes Jahr ist der Hopfen auch ein bisschen anders, die Sorten, die ich dafür verwende, und dadurch ist es halt in den Nuancen immer leicht unterschiedlich."
    Vom "Ablader" bis zum "Zuckermacher" Einzigartige Dokumente zum alten Handwerk:
    Mit den sogenannten Hausbüchern der Mendelschen und Landauerschen Zwölfbrüderhausstiftungen besitzt die Stadtbibliothek Nürnberg die umfangreichste und wertvollste serielle Bildquelle zum historischen Handwerk in Europa.
    Die Tischlerin Sibylle Casper:
    Beim Stichwort Werkstatt kommen wir zurück zur Tischlerin Sibylle Casper. Ich habe sie in ihrer Tischlerei getroffen. Die liegt in Berlin Neukölln. Man geht durch eine Hofeinfahrt, im Vorderhaus sind Wohnungen, der Hof öffnet sich, kleine Gewerbebetriebe sind dort und auch eine umgebaute Lagerhalle, die Tischlerei. Mein erster Eindruck, als Sibylle Casper mir die Werkstatt zeigt: Das ist alles sehr ordentlich!

    Haben Sie Lieblingswerkzeuge?
    Habe ich ein Lieblingswerkzeug? Der Japaner. Eine kleine Handsäge, sehr scharf, das gab’s in meiner Lehrzeit leider noch nicht. Das ist noch nicht ganz so lange auf dem Markt. Den finde ich toll. Mit dem kann man sowohl ein Hochbett bauen wie auch einen minikleinen Schubkasten zusammenzinken. Der ist vielseitig - und sieht schön aus.
    Nennen Sie den "der Japaner", oder ist das wirklich das Fachwort?
    Ich weiß es nicht. Bei uns heißt er "der Japaner". Er heißt auch Japan-Säge. Von daher liegt das nahe, und das ist jetzt auch nicht diskriminierend gemeint.
    Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung)
    §125 (vgl. Seite 51ff.)
    Anlage A:
    Verzeichnis der Gewerbe, die als zulassungspflichtige Handwerke betrieben werden können
    Anlage B:
    Verzeichnis der Gewerbe, die als zulassungsfreie Handwerke oder handwerksähnliche Gewerbe betrieben werden können
    Titus Kockel vom Zentralverband des Deutschen Handwerks:
    Herr Kockel, Sie hatten am Anfang unseres Gespräches die Handwerksgalerien genannt. Wer betreibt die denn? Welche Aufgabe haben die? Warum wurden die überhaupt gegründet?
    Handwerksgalerien sind nach dem 2. Weltkrieg institutionalisiert worden in der Handwerksorganisation, als die industrielle Produktion am Boden lag. Hier konnte man sehr, sehr schnell mit handwerklichen Mitteln schon wieder in die Produktion gehen und auch schon wieder Produkte zeigen. Das war sozusagen der Hoffnungsschimmer nach dem 2. Weltkrieg. Die haben sich etabliert und dienten aber immer auch schon dazu, handwerkliche Kultur und handwerkliche Kreativwirtschaft - es hieß nur damals anders - zu zeigen und dem Publikum bekannt zu machen. Das Hauptmedium war die Ausstellung.
    Eine der wichtigsten galeristischen Tätigkeiten in diesem Zusammenhang der Handwerkspflege, der Popularisierung von Handwerk gegenüber der Öffentlichkeit ist die Sonderschau "Exempla" auf der Internationalen Handwerksmesse in München. Die ist 1970 das erste Mal durchgeführt worden und findet seither jedes Jahr statt. Es ist eine Sonderschau, die auf heute nur noch 1.000 qm zeigt internationales Handwerk zu jeweils pro Jahr ausgewählten, spezifischen Themen. "Exempla" - ein lateinisches Wort - also die Beispiele, also damals war man kulturell noch ein bisschen mehr gebildet - die Themen haben eine unglaubliche Bandbreite, aber sie befassen sich immer mit dem kulturellen Handwerk.
    Und diese Handwerksgalerien gibt es über ganz Deutschland verteilt. Also jetzt die Exempla, das ist sozusagen der Leuchtturm, wie sie es schildern.
    Genau. Es ist eine Sonderschau, die auf einer Messe stattfindet. ... Handwerksgalerien gibt es aber auch in vielen anderen Handwerkskammern. Etwa 16 Galerien und verschiedene weitere Ausstellungszentren sind in Deutschland da.
    Und die sind fürs Publikum geöffnet. Da kann man reingehen und sich das ansehen.
    Genau. Die größeren Galerien haben ein laufendes Programm. In München haben sie zum Beispiel sieben Wechselausstellungen pro Jahr. Diese Kadenz haben auch andere Galerien zum Beispiel Kassel oder Aachen oder auch die "Handwerksform" in Hannover oder auch in Düsseldorf - größere Galerien, die also regelmäßig zu Kunsthandwerk, zur angewandten Kunst, zum gestaltenden Handwerk, zum Kulturhandwerk im weiteren Sinne Ausstellung machen und damit dem Auftrag gerecht werden, handwerkliche Kultur der Öffentlichkeit bekannt zu machen und zu fördern.
    Handwerksgalerien, zu finden auf der Website des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks
    Museum unter blauem Himmel: Fränkisches Freilandmuseum Bad Windsheim
    Ausstellung: HAMMERHART!
    Das Fränkische Freilandmuseum besitzt eine der größten und vielfältigsten Geräte- und Werkzeugsammlungen in Süddeutschland. Es vereint unter seinem Dach rund 25.000 Stücke, die 41 unterschiedlichen Handwerken zugeordnet sind. Auf 500 qm präsentiert die Ausstellung eine Auswahl der 250 wichtigsten Stücke aus der Zeit von 1700 bis 1950. Darunter befinden sich einmalige und vorher noch nie gezeigte Werkzeuge.
    Zahlreiche Mitmachstationen laden zur individuellen Erkundung der Ausstellung ein. Die abwechslungsreiche Gestaltung sorgt für ein spannendes Werkzeugerlebnis.
    Werkzeug - Sortiment nach Kategorien: Werkzeuge / Workshops
    Der Schneider Klaus Schumann

    Wir wollen noch einmal den Schneider Klaus Schumann zu Wort kommen. Ein interessantes Detail in seinem Atelier: Da hat er neben einer wunderbar anzusehenden alten Nähmaschine auch einen hufeisen-förmigen Magneten liegen. Den benutzt er, um die vielen, vielen Nadeln, mit denen er die Stoffe absteckt, wieder einzusammeln.
    Ich habe mit Klaus Schumann über die Bedeutung von Stoffen gesprochen und wollte von ihm wissen, wie er denn ein Gespür für die Qualität eines Stoffes bekommen hat.
    Klaus Schumann: "Dieses Qualitative, das habe ich in der Schweiz gelernt. Ich bin mit 19 abgehauen in die Schweiz, weil es hier auch mal Schluss war mit lustig, und bin denn da angekommen. War in Zürich. Und da habe ich eigentlich das aller erste Mal also feuchte Achselhöhlen gekriegt. Also es zitterten die Hände, als ich in einen Stoff geschnitten habe. Der kostete 23 Fränkli. Das ist ein Duchesse rasé gewesen von der Firma Duchant. Ich habe das nie vergessen. Es war ein absoluter Traum. Da habe ich erst mal Qualität mitbekommen, da habe ich erstmals rein-seidene Duchesse gesehen. Sachen, von denen Sie nicht mal geträumt haben, weil sie sie gar nicht in der Birne haben. Man träumt ja nur von dem, was man ja weiß, was man in den kleinen Synapsen drin hat. Aber da gab es so Sachen: Das war unglaublich, was ich da für schöne Sachen da gesehen habe. Ripse, Seiden, Stickereien jetzt mal, das war nicht auszuhalten! Da wurden Kleider hergestellt über tausende Mark und mehr, mehr, mehr. Reinseidene Tülle - das kann man sich gar nicht vorstellen. Da wurde rein-seidene Tülle verarbeitet! Das war ganz hochwertige Konfektion, wo ich gearbeitet habe. Und die Sachen gingen zu Sacks nach New York, also das war die Geschäftsverbindung von denen. Und die Amerikaner mussten wohl ein Geld hingeblättert haben für Abendkleider, das muss nicht auszuhalten gewesen sein. Und die haben wir hergestellt. Und da saß ich nun mittendrin und habe mich mit diesen Stoffen umgeben und kniete immer mehr oder weniger rein geistig vor diesen wundervollen Materialien. Das war einfach so eine Qualitäts-Geschichte, also da bin ich so froh, dass ich das mal erleben durfte, ja. Das ist schon eine kleine Gnade gewesen, ja."
    Die Stoffe kennenlernen in der Schweiz, das ist das Eine. Aber das Handwerk ist ja ganz wichtig. Was nützt einem die Sensibilität für Schönheit, für Stoffe ...
    "ja, ja."
    ... wenn man nicht weiß, wie man wirklich handwerklich ...
    "ja, ja"
    ... diszipliniert, kenntnisreich damit umgeht.
    "Ja. Herr Roelcke, auch dazu gibt es eine gute Antwort. Und zwar habe ich in einem Zwischenmeisterbetrieb hier gearbeitet am Kurfürstendamm 14/15. Das Haus gibt es heute noch. Da war eine Meisterin, die hat gelernt in den 30er Jahren. Also die hat wirklich noch Salon-Näherei gelernt. Meisterin ist sie gewesen in einem Salon Bibanelle, wie die hießen. Also vom Allerfeinsten. Und das hat sie mir beigebracht oder versucht beizubringen. Da waren so Sachen, die haben Sie heute überhaupt nicht mehr drin. Da wurden die Gurtbänder mit Seide bezogen. Die Öschen wurden beschürzt, damit die nicht so blink-blank waren. Die Reißverschlüsse wurden in dreierlei Möglichkeiten eingenäht, - heute wird das mit der Maschine runtergeratscht. Das war’s dann eigentlich auch. Auch in Ordnung.
    Das war eigentlich das, was ich gelernt habe. Diese Feinheit, ja dieses der Figur zugewandt jetzt mal. Also nicht irgendwie und irgendwo. Also ich lege jetzt nicht irgendwo einen Abnäher oder irgendwo eine Naht, weil sie so ist. Nein, ich gucke: Wo ist jetzt die Schulter, wie breit, wie schmal ist man. Wo lege ich jetzt meinen Abnäher? Muss ich überhaupt einen machen? Wie Ärmel, schräg, gerade. Mmh. Also es geht wirklich ins Detail. Und das habe ich von dieser Meisterin, die dann einfach aus den 30er Jahren da war, und das habe ich heute noch so drauf, es gibt so ein paar Sachen, die mache ich heute nicht."

    Und dann haben Sie ein Meisterstück angefertigt?
    "Genau. Das ist ja der Werdegang. Sie machen die drei Jahre Lehrling, ziemlich heftig, ziemlich schwierig. Putz, putz, 48 Stunden, 25 Mark im Monat. Davon durften sie 5 behalten, 20 musste man zuhause abgeben. Also hatte man 5 Mark Trinkgeld. Kann man sich gar nicht vorstellen. Aber es klappte, es ging. Dann haben Sie eine Gesellenprüfung gemacht, wie sich das so gehört, als ich aus der Schweiz zurückkam, da habe ich meine Meisterprüfung gemacht. Der Grund war natürlich: Ich wollte mich selbstständig machen. War ja klaro, ne. Und habe dann die Meisterprüfung gemacht, weil sie denn nachher auch dieses Existenzgründungsdarlehen bekommen - um es mal auf den Punkt zu bringen. Dann können Sie sich auch selbstständig machen. Vorher ging das gar nicht."
    Meisterprüfung heißt auch Meisterstück, um auch noch mal darauf zurückzukommen. Erinnern Sie sich da noch?
    "Herr Roelcke: Der Witz ist ja auch so, dass man das nicht missversteht. Das Meisterstück bedeutet nicht, dass sie abgefragt werden. Das ist the point. Sie werden nicht abgefragt, ob sie nähen können. Sondern Sie müssen darbieten oder darlegen, dass Sie meisterlich sind, ja. Also ich muss etwas anbieten, was die verblüfft. Huch - das war gut! Das ist meisterlich! Das ist die Meisterprüfung. Man denkt immer: Na ja, hahaha, wenn Du 20 Meter Nähte genäht hast, dann bist Du Meister. Nein! Meister ist man ganz anders. Das müssen sie innen drin haben, und das müssen Sie auch spüren, denen müssen sie etwas darbieten, etwas Meisterliches. Das ist the point. Und das habe ich gebracht. Dadurch, dass ich davor in der Schweiz gewesen bin, habe ich natürlich auch sehr viele Erfahrung gemacht: Wie wird verarbeitet? Was wird gearbeitet, was machen die, was kann ich? Und da gewöhnt man sich schnell auch ein paar gute Dinge an. Das habe ich heute noch drauf. Das ist dann die Meisterarbeit."