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Eine leise Lumpengeschichte

Der chilenische Autor Roberto Bolaño beschreibt in seinem letzten Roman "Una novelita lumpen" die irreale Welt zweier Waisenkinder. Der Regisseurin Alicia Scherson gelingt es, diese Mischung aus Haltlosigkeit, Starrsinn und Ohnmacht auf die Leinwand zu bringen.

Von Camilla Hildebrandt |
    "Heute bin ich bereits Mutter und auch eine verheiratete Frau. Aber vor nicht allzu langer Zeit war ich eine Kriminelle."

    Die erste Zeile in Roberto Bolaños letztem Roman: "Una novelita lumpen" - ein "Lumpenroman". Die Geschichte der Geschwister Bianca und Tomás, die durch den Unfalltod ihrer Eltern zu Waisen werden.

    "Im Grunde rechtfertigt das alles. Wir hatten niemanden, und das von einem Tag auf den Anderen."

    Bianca und Tomás verlieren schnell die Bodenhaftung, schauen nächtelang Pornos. Randvolle Aschenbecher und Pizzaschachteln stapeln sich in der Wohnung. Bis Tomás zwei halbseidene Kollegen aus dem Fitnessstudio mit nach Hause bringt. Sie schaffen auf groteske Art Ordnung im Leben der Geschwister, putzen, kochen, schlafen abwechselnd mit Bianca. Aber von ihnen kommt auch der Plan, Bianca solle sich mit dem erblindeten Bodybuilder und Ex-Filmstar aus den 60ern "Maciste" einlassen, um herauszufinden, wo er sein Geld versteckt hat.

    "Normalerweise ist so ein Tresor hinter Bildern, Vorhängen oder unter dem Parkett, unterm Teppich, vielleicht auch unter der Treppe oder so. Und vorher wisst ihr beiden das so genau? Das weiß doch jeder."

    Die chilenische Regisseurin Alicia Scherson hat Bolaños Roman-Verfilmung "Il Futuro" – "die Zukunft" genannt, denn darum gehe es für die Ich-Erzählerin Bianca ab der ersten Seite, sagt Scherson:

    "Sie beginnt am Ende der Geschichte zu erzählen, wo sie den Absprung schon geschafft hat. Trotzdem weiß man nicht, ob es ihr jetzt als Mutter besser oder schlechter geht. Aber die Geschichte der Kriminellen, der Prostituierten dreht sich immer darum, aus dieser Situation zu entfliehen. Also Gegenwart und Zukunft vermischen sich, das Ganze spielt in einer Art irrealen Zeit. Und Zukunft ist das Stichwort."

    Bolaño beschreibt diese "irreale Welt" mit dem permanenten Licht, das die Geschwister plötzlich umgibt. "Auf einmal gab es keine Nacht mehr und war alles ein Dauerzustand von Sonne." (...) "Sonne, Licht und berstende Fenster".

    - "Licht nervt mich
    - Hast du auch was an den Augen?
    - Nein, es ist was Psychologisches, glaub ich..."


    "Bolaño war für mich, meine Generation und vielleicht auch für Lateinamerika eine Art Rettung vor dem Gewicht des Magischen Realismus. Dieser Kanon mit all seinen wunderbaren Autoren, keine Frage, hatte sich fast in eine Strafe verwandelt, sodass ganz Lateinamerika und ihre Kunst unter diesem exotischen Aspekt verstanden wurde. Es fehlte ein Autor mit einem Werk, so stark wie Bolaños, um eine Tür für eine neue Literatur zu öffnen und eine neue Sicht auf Lateinamerika."

    Bolaño beschreibt auf schlichte und eindringliche Weise, wie beide krampfhaft nach neuen Lebensregeln suchen und kritisiert nebenher den Verfall der Gesellschaft. Alicia Scherson gelingt es, diese Mischung aus Haltlosigkeit, Starrsinn und Ohnmacht auf die Leinwand zu bringen, auch wenn einige Aspekt des Originals in der Kürze des Films vernachlässigt werden.

    "Es gibt viele andere Bücher von Bolaño, die in der Welt der Literatur spielen, von anderen Autoren erzählen, über sie urteilen. Sehr interessant, aber schwer darzustellen. Dieser Roman aber hat eine Geschichte: eine Waise, die sich prostituiert, um einem alten Mann seinen Schatz zu stehlen. Das hört sich wie ein schlechter B-Movie an, es hat dieses prekäre - "lumpen" im spanischen genannt, und das ist rar in der Literatur von Bolaño."

    "Nestbeschmutzer" wurde Roberto Bolaño immer wieder genannt. Er genoss es, das Lächerliche des Literaturbetriebs hervorzuheben.

    "Man hat ihn geliebt und gehasst. Er selbst führte ein sehr einfaches Leben, zurückgezogen, er arbeitete und schrieb."

    "Manchmal stellte ich mir vor, immer dort zu schlafen, bei Maciste, und ihn sogar dazu zu bringen zusammen auszugehen, wie zwei normale Menschen, oder wie zwei Menschen, die so tun, als seien sie normal, und denen das, indem sie so tun, auch irgendwie gelingt..."

    "Il Futuro - Eine Lumpengeschichte in Rom" ist ein leises Werk. Auch wenn die Metaebene etwas zu kurz kommt, wird die Grundidee Bolaños gut eingefangen.

    "Wie erfinden wir uns eine Strategie des Überlebens, wenn die Konventionen, Regeln nicht funktionieren. Das hier ist eine sehr einfältige Art die Trauer um die verlorenen Eltern auszuhalten. Der Autor Roberto Brodsky formulierte es vor Kurzem sehr treffend, er sagte: Bianca gelingt der Ausstieg aus dieser Geschichte, zwar auf allen Vieren und alles liegt in Trümmern, aber sie schafft es."

    "Maciste? Ich bin in dich verliebt, und ich wüsste gerne, was du für mich empfindest - red keinen Blödsinn."