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"Eine Menge schlecht gelauntes Material"

Nach ihrer letzten Tour waren die Bandmitglieder von "The National" so erschöpft, dass das neue Album "Trouble Will Find Me" im kreativen Dämmerzustand entstanden ist. Herausgekommen sind melodramatische Leisetreter und Rockhymnen.

Von Marcel Anders |
    "Es kann sehr interessant sein, Musik zu schreiben, wenn du erschöpft bist, unter Druck stehst oder dabei auf genau diese Faktoren reagierst. Denn dabei entsteht meist etwas Beruhigendes oder Intensives – eine klangliche Reaktion darauf. Wobei die Musik auf diesem Album komplizierter ist als alles, was wir je gemacht haben. Im Sinne von: Da sind diese Beats, diese verrückten Tempi-Wechsel und ständige Veränderungen in den Melodien. Einfach, weil wir mehr darüber nachgedacht haben als je zuvor."

    Was sich im bislang anspruchsvollsten, aber auch – da liegt die Ironie – zugänglichsten Werk einer 14-jährigen Karriere äußert. Mit Songs, die episch und elegant anmuten, zwischen melodramatischen Leisetretern und hymnischen Rockern pendeln. Und von einer dichten Instrumentierung aus Klavier, Gitarren und opulenten Streicherarrangements leben. Letztere gelten als Spezialität der Gebrüder Dessner. Beide sind klassisch geschulte Musiker und treten sogar mit dem Kronos Quartett und renommierten Orchestern auf. Aaron Dessner erklärt:

    "Wir verwenden die Streicher so, dass wir dadurch eine weitere musikalische Erzählebene in den Alben einbauen können, die sich selten wiederholt, aber die Melodien erweitert und vertieft. Insofern passiert da etwas, das sich nicht in dieselbe Richtung bewegt wie alles andere. Und was den Songs eine ganz andere Dimension verleiht."

    Doch so honigsüß, schwelgerisch und euphorisierend die Streicher, so düster und morbide die Texte. Da windet sich Sänger Matt Berninger durch einen Parcours aus Herzschmerz und Drama. Aus gescheiterten oder verflossenen Liebschaften, deren Protagonistinnen entweder gefühlskalt, einnehmend oder schlichtweg tot sind – und den baumlangen Frontmann, der glücklich verheiratet ist, mit gebrochenem Herzen und offenen Tränen zurücklassen. Was Bassist Scott Devendorf dann doch ein bisschen relativeren muss:

    "Wir sind keine Miesepeter. Wir lachen viel. Selbst wenn die Texte von Matt eine Menge schlecht gelauntes Material enthalten. Aber gleichzeitig steckt darin auch viel Humor. Er macht sich ganz bewusst einen Spaß daraus. Selbst wenn es ein sehr verschrobener ist. Denn es wäre ja schrecklich, wenn er all das wirklich selbst erlebt hätte. Es ist eher eine Art von Geschichtenerzählen."

    Das abstrakte, theoretische Drama. Dargeboten von einem Kollektiv, das selbst eine spannende, reale Geschichte aufweist: "The National" sind fest in der amerikanischen, wenn nicht globalen Indieszene verwurzelt ist, haben ihr eigenes Label und produzieren ihre Alben selbst. Frei nach dem Do-it-yourself-Ethos des Punk. Was nicht ohne Interessenkonflikte und Spannungen funktioniert, sagt Aaron Dessner.

    "Wir sind eine Band, die viele unterschiedliche Vorstellungen vereint. Was ziemlich tough sein kann. Und obwohl es uns immer gelingt, einen Kompromiss zu finden, bleibt es doch an mir hängen, den Vermittler zu spielen. Was mir nichts ausmacht, weil ich es auch irgendwie lustig finde. Und weil es zur Persönlichkeit der Band passt. Wobei Matt und ich diejenigen sind, die am häufigsten streiten. Und es ist gut, dass das nicht alle tun, dass es sich meist auf zwei Leute beschränkt."

    Wobei auch der eigene Erfolg für internen Zündstoff sorgt. Denn mit "Trouble Will Find Me", ihrem sechsten Album, könnten sich "The National" endgültig im Mainstream etablieren, vielleicht sogar das Erbe ihrer Idole von REM antreten und in die Welt der Mehrzweckhallen und großen Festivals vorstoßen. Eine Vorstellung, die bei Aaron, der auf Klubs und Theatersäle schwört, eher für Unbehagen sorgt.

    "Jedes Mal, wenn wir uns auf ein Festival einlassen, ist das wie ein Sprung ins kalte Wasser. Als wir zum Beispiel in Haldern gespielt haben, das ja nicht mal besonders groß ist, ist auf der Hälfte der Bühne der Strom ausgefallen – und das für längere Zeit. Das war wahrscheinlich der schlechteste Festival-Auftritt unserer Karriere – obwohl es nicht unsere Schuld war. Aber im Nachhinein denke ich, wir hätten das besser handhaben können – wenn wir ruhiger geblieben wären."