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"Eine militärische Intervention wird nicht gewollt"

Die Opposition in Syrien hoffe zwar auf mehr Druck von außen, sagt Heiko Wimmen von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ein militärisches Eingreifen wie in Libyen lehne sie aber strikt ab. Die Gegner des syrischen Machthabers Assad wollten unter keinen Umständen den Eindruck erwecken, das sie vom Ausland gesteuert seien.

Heiko Wimmen im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Immer noch mehr Tote. Die sogenannten syrischen Sicherheitskräfte, Polizisten und Soldaten überrennen eine Stadt nach der anderen - fast 100 Menschen sollen am Wochenende getötet worden sein. Seitdem läuft offenbar eine Verhaftungswelle. Darüber und über die Rolle des Auslands werde ich gleich mit Heiko Wimmen von der Stiftung Wissenschaft und Politik sprechen. Wir sind jetzt mit Heiko Wimmen verbunden, er gehört zu den Syrien-Fachleuten der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Tag, Herr Wimmen!

    Heiko Wimmen: Ich grüße Sie!

    Herter: Herr Wimmen, der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat nun endlich mal mit dem syrischen Präsidenten telefonieren können, der russische Präsident Medwedew hat Assad gewarnt und die Saudis wollen ihren Botschafter aus Damaskus abziehen. Wird das den syrischen Präsidenten beeindrucken können?

    Wimmen: Nun, die Schlinge zieht sich sicherlich weiter zu, was den internationalen Druck angeht. Das ist langfristig, auch mittelfristig sicherlich aus der Sicht der Herrscher in Damaskus ein Problem, vergessen wir nicht, dass Syrien auch für sein ökonomisches Wohlergehen Geld braucht, Investitionen braucht vom Golf. Wenn da also nun auch der Ton schärfer wird, dann ist das sicherlich problematisch. Allerdings muss man sagen, die Antworten, die bis jetzt gekommen sind aus Damaskus, auch gerade auf die Positionen der arabischen Nachbarn – es gibt eine Antwort auf eine ähnliche Stellungnahme des Golfkooperationsrates –, die klingen nicht sehr einsichtig, da heißt es, ihr tätet besser daran dazu beizutragen, dass diese terroristischen Banden – so, wie die Demonstranten genannt werden von dem Regime –, dass die mit der Gewalt aufhören, bevor wir überhaupt über Reformen nachdenken können.

    Herter: Registrieren die Menschen in Syrien selbst, die dort sozusagen in der Opposition sind, registrieren diese Menschen, dass der Druck aus dem Ausland stärker wird?

    Wimmen: Ja, natürlich. Also, die arabischen Medien werden natürlich in Syrien intensiv rezipiert, schon allein deswegen, weil man aus den syrischen Medien natürlich immer nur die Regierungslinie bekommt. Also, ich spreche selber oft mit Leuten in der Opposition, mit Aktivisten über das Internet, da war man sehr erfreut über diese Entwicklung und fragt natürlich gleichzeitig, wieso hat das so lange gedauert?

    Herter: Und erwartet man nicht noch mehr?

    Wimmen: Man hofft sicherlich auf mehr Druck von außen, aber bislang lehnt man ganz eindeutig eine Intervention, wie sie etwa in Libyen erfolgt ist, ab. Also, eine militärische Intervention wird nicht gewollt und wird, soweit ich das übersehen kann, von der Opposition auch einhellig zurückgewiesen.

    Herter: Können Sie sich erklären, was die Gründe dafür sind?

    Wimmen: Nun, zum einen Mal sind natürlich die Ereignisse in Libyen und im Irak – wenn man ein bisschen weiter zurückgeht – keine besonders guten Vorbilder dafür, was, oder keine guten Beispiele dafür, was eine internationale Intervention alles bewirken kann, das ist das eine. Das andere ist, man kann damit rechnen, dass, wenn es zu einer solchen Intervention kommen sollte, dass dann tatsächlich die Kräfte, die bislang das Regime stützen, möglicherweise noch enger zusammenhalten. Es wird dann im Regime möglich sein zu sagen, seht her, da kommen die Amerikaner vielleicht, wer auch immer dann diese Intervention führen wird. Und die waren nun historisch immer die Alliierten unserer Feinde, also natürlich vor allen Dingen Israels, also, was wir euch die ganze Zeit gesagt haben: Da ist eine internationale Verschwörung gegen uns am Werke, wo am Ende die Israelis dahinterstecken und die Amerikaner, es ist alles wahr, wie Ihr jetzt sehen könnt. Und vor diesen Argumenten fürchtet man sich grundsätzlich in Syrien. Wenn man als Opposition im Verdacht steht, sozusagen das Geschäft des Auslands zu besorgen, ist das immer ein Problem für die eigene Glaubwürdigkeit.

    Herter: Es gibt nur Schätzungen, an die 2000 Syrer dürften aber ums Leben gekommen sein. Selbst, wenn sie ihre Toten zu Grabe tragen, werden diese Menschen beschossen. Wie lange kann die syrische Opposition das noch durchhalten, Herr Wimmen?

    Wimmen: Nun, man ist in der Tat beeindruckt und erstaunt, das geht ja schon seit Monaten so und es ist klar, dass offensichtlich die Leute, die auf die Straße gehen, wissen, was ihnen droht im Zweifelsfall, oder die zu diesen Demonstrationen gehen, die Leute wissen, was ihnen droht. Und sie bleiben trotzdem dabei. Ich denke mal, zumindest solange der Monat Ramadan andauert, ist die Motivation auch zum Teil religiös begründet, auf jeden Fall noch da. Und wir haben gesehen, in den letzten Monaten: Jede Runde der Gewalt befeuert das Engagement weiter. Ich denke, es ist wichtig sich zu erinnern, dass die Leute, die die Bewegung tragen und organisieren, vor allen Dingen sehr junge Leute sind, meistens Mitte 20, jedenfalls die, mit denen ich rede. Und das ist natürlich ein Lebensalter, wo viele Menschen noch keine Familie haben, im Prinzip nichts zu verlieren haben, weil es für diese Leute auch keine Jobs gibt und dergleichen mehr, und die also tatsächlich bereit sind, diese Opfer zu bringen.

    Herter: Das war Heiko Wimmen von der Stiftung Wissenschaft und Politik mit Informationen und Einschätzungen zu den Ereignissen in Syrien. Herr Wimmen, vielen Dank dafür!

    Wimmen: Ich danke Ihnen, auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.