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Eine neue Rufmordkampagne?

Holger Noltze: Herr Wallraff, waren Sie zu irgendeiner Zeit, wie die Welt schreibt, wie Hubertus Knabe wahrscheinlich macht, Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR?

Günter Wallraff im Gespräch | 11.08.2003
    Günter Wallraff: Hallo, guten Tag. Also, dieser Knabe betreibt hier wirklich gezielte Desinformation. Und ausgerechnet jemand, der nun, gerade in meinem Falle, in doppelter Hinsicht befangen ist, weil ich ihn schon mal juristisch stoppen musste, weil er falsches behauptete. Und der auch in der Behörde selber, als Zuträger bestimmter Medien, keinen Zutritt mehr hat. Ich finde, das ist schon eine ziemliche Ungehörigkeit, dass jemand sich jetzt aufschwingt, um dann, im Zusammenhang mit der versuchten Rufmordkampagne der "Welt", noch mal nachzulegen. Obwohl die Behörde, die ja nun wirklich zuständig ist und über jeden Verdacht erhaben ist, hier etwas durchgehen zu lassen, obwohl sie nun ganz eindeutig, aufgrund der neuen - was heißt "neuen", es ist das Alte, wieder aufgewärmt - im Sommerloch sozusagen soll ich da als Stasiungeheuer noch mal auftauchen.

    Holger Noltze: Immerhin, Herr Wallraff, zitiert er ja sehr konkretes Material. Es ist von der Übergabe von Material die Rede, das Sie empfangen haben, von Berichten ...

    Günter Wallraff: Entschuldigung, das sind alles Vorwürfe, die längst differenziert und auch widerlegt sind. Das ist alles '98 von dieser Behörde gesichtet, gewertet worden. Da gibt es auch eine jedermann zugängliche große Erklärung, wo auch falsche Behauptungen, auch falsche Zuordnungen drin sind. Ich darf aus der Pressemitteilung der zuständigen Behörde zitieren, die ganz eindeutig sagt, dass hier aus diesen MfS-Unterlagen Wallraff keinerlei Vorwürfe zu machen sind und dass man versucht hat, ihn abzuschöpfen und das nicht gelungen sei, im Gegenteil, dass man ihn dann letztlich aus abwehrmäßiger Sicht zurückgedrängt und observiert habe.

    Holger Noltze: Das ist die damalige Presseerklärung, die sagt, nach dem damaligen Stand dessen, was man wissen konnte ...

    Günter Wallraff: ... Das ist doch der neue Stand. Diese frühere Sache ist jetzt wieder aufgewärmt worden, es ist nichts neues, außer einem Kärtchen, einem Kärtchen aus 20.000 Karten.

    Holger Noltze: Einem Kärtchen, das eine Registriernummer enthält, die, und so verstehe ich das, was in der "Welt" steht, zu einem Auskunftsbericht führt, wo doch immerhin von "guter Zusammenarbeit" die Rede ist.

    Günter Wallraff: Ja, wer sagt das denn? Das ist eine alte Geschichte, die längst differenziert und widerlegt ist. Die "gute Zusammenarbeit", das ist ein ehemaliger Journalist, der seine Westreisen damit begründete. Die Stasi selbst, als übergeordnete Behörde, hat ganz klar erkannt, denn da werde ich tituliert als jemand, der der katholischen Soziallehre anhängt, der sich nicht marxistisch-leninistischen Überzeugungen beugt, der, so heißt es wörtlich, "wirre anarchistische Vorstellungen" verfolgt und das war damals eine Kritik von links. Und auch mein Freund Jürgen Vogt hatte solche Zuordnungen in seiner Akte. Sehen Sie mal, lassen Sie doch die Behörde selber zu Wort kommen, die mir heute noch mitteilt, wörtlich: "Nach Kenntnissen der BStU lässt sich nun auch aus dieser neuen Unterlage kein Bezug zu einem MfS-Mitarbeiter mit Decknamen Wagner herleiten", der Deckname Wagner taucht dort nicht auf. Meine Kontakte waren zwischen 68 und 71 zu der Pressestelle der DDR.

    Holger Noltze: Es hat nie, zum Beispiel auch nie einen Anwerbeversuch gegeben?

    Günter Wallraff: Nein, um Gottes Willen. Die hätten einen Teufel getan. Die wussten ja auch, dass ich eine sehr sehr ablehnende Haltung zur DDR-Politik hatte. Ich habe da kein Geheimnis, keinen Hehl daraus gemacht. Ich habe denen klar gemacht, es gibt einen grundgemeinsamen Nenner, da war ich damals noch blauäugig und dachte, dass eine antifaschistische Aufarbeitung der DDR gelungen sei. Da habe ich später über meine Freunden anderes erfahren, dass da auch alte Nazis noch in hohen Stellungen waren. Wusste ich damals nicht, da war ich 26.

    Holger Noltze: Herr Wallraff, erklären Sie mir doch noch mal, wie die "Welt" auf so einen Satz kommt, den sie zitiert: "durch seine" - also Ihre - " Initiative trug er wesentlich dazu bei, dem Kampf gegen die B- und C-Waffenrüstung in Westdeutschland, vor allem unter der studentischen Jugend, Richtung und Inhalt zu geben."

    Günter Wallraff: Ja, das ist ja fast ein Kompliment, wenn das so wäre. Es war tatsächlich so, dass ich damals über den Projektbereich Kriegsforschung, deutsche Studentenschaften über einen Experten, Doktor Jörg Heimbrecht, mir einige Sachen über ABC Kriegsforschung recherchieren ließ. Das steht auch in meiner Akte drin, ist kein Geheimnis und daraufhin eine Reportage entstand. In mein Buch, "Dreizehn unerwünschte Reportagen" eingegangen ist "Verbotene Aufrüstung" und das hat damals tatsächlich zu großen Diskussionen geführt.

    Holger Noltze: Ich fasse noch mal zusammen. Also, Sie bestreiten jegliche Mitarbeit, Sie bestreiten auch, dass es Anwerbeversuche gegeben hat, sonstige Kontakte. Und das einzige, was bleibt, worauf Sie hinweisen, ist dieser Kontakt, den Sie hatten zu DDR Stellen, weil Sie diese Archivrecherche gemacht hatten, ist das richtig?

    Günter Wallraff: Ich habe sechs oder achtmal dort Archive benutzt.

    Holger Noltze: Hatten Sie da je eine Ahnung, mit Stasileuten Kontakt zu haben?

    Günter Wallraff: Nein, die haben sich natürlich nicht als solche vorgestellt und das lag in der Natur der Sache. Und nehmen Sie doch bitte die Behörde zur Kenntnis, die wirklich die Sachkenntnis hat, das einzuordnen. Ich krieg gerade hier diese Pressemitteilung vom Bundesbeauftragten auf den Tisch. Da steht: "Mit Verwunderung hat die Behörde der Bundesbeauftragten zur Kenntnis genommen, wonach angeblich neue Unterlagen zum Schriftsteller gefunden wurden." Und dann steht hier, "die in der Presse zitierten Unterlagen sind nichts Neues, sie wurden '98 bis 2001 schon von der BStU herausgegeben und sie haben keinerlei Bezug zu den so genannten Rosenholzkarteien. Ohnehin ist davor zu warnen, aus einzelnen Karteikarten auf eine IM Belastung zu schließen, dies gilt insbesondere für Karteien der HVA." Hier ist wieder eine totale Entlastung drin und dazu müssten Sie wissen, ich wusste das nicht, es wurde mir eben von einem Experten der Behörde gesagt, der Begriff "IMA" bei der HVA bedeutet nicht, dass man IM war, sondern dass eine Arbeitsakte über jemanden geführt wurde, der interessant schien. Da sind auch noch Politiker und da sind Wirtschaftsleute und da sind noch Personen des öffentlichen Lebens miterfasst. Die Behörde ist dabei das zu prüfen.

    Holger Noltze: Herr Wallraff, ganz kurz, wie, glauben Sie, ist die Welt in den Besitz der Karteikarte gekommen?

    Günter Wallraff: Ja, das ist interessant, das möchte man doch wissen. Sehen Sie mal, wie komme ich zu der Ehre, einer, der erste von 20.000 zu sein, die plötzlich hier an den Pranger gestellt werden?

    Holger Noltze: Sie glauben, dass sich der Springerverlag immer noch an Hans Esser rächen will, das ist Ihre Erklärung?

    Günter Wallraff: Nicht nur an Hans Esser. Ich habe im vorigen Herbst, als die ihr unsägliches fünfzigjähriges Jubiläum abfeiern ließen, da war ich wohl einer der wenigen, der da noch öffentlich, auch in Live-Fernsehsendungen und so weiter, dagegen gehalten hat und deren Rufmordfälle und Menschenrechtsverletzungen, soweit geht das, da haben Menschen sich nämlich umgebracht nach Verleumdungsgeschichten. Und das habe ich thematisiert und habe auch in einem längeren Aufsatz, "Bild zum fünfzigsten", das alles beweiskräftig gemacht. Das können Sie im Buch, "Ich, der andere" nachlesen und vergessen nicht, das ist bei denen schon eine milde Form von Paranoia. Die Welt hat sich geändert, zum Glück, aber die scheinen ihre alten Feindbilder noch voll auf der Pfanne zu haben.

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